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Hagesgeschichte. — Deutschland. Der ReichSanzeiger ver öffentlicht unter der Neberschrift „Sozialpolitik, So zialreform und Sozialismus" drei Aufsätze, welche den offenbaren Zweck haben, die sozialen Be strebungen des Kaisers zu erläutern. ES ist ein Fortschritt, daß diese Aussätze in dem amtlichen Reichsanzeiger erschienen und nicht einem „inspirirten Offiziösen" zum Verschleiße übergeben worden sind. Der Reichskanzler Caprivi hält cs für angemessen, dem deutschen Volke klaren Wein einzuschänken, damit Jedermann weiß, wie entschlossen der Kaiser ist, die Bahnen sozialer Reform zu wandeln, andererseits aber auch, damit nicht falsche Wahnvorstellungen sich festsetzen und unerfüllbare Hoffnungen erweckt werden. Die ReichSanzeiger - Aufsätze beginnen damit, kurz darzulegen, daß gegenwärtig die sozialen Fragen die politischen Erörterungen in den Hintergrund gedrängt haben. Dann wird ein Rückblick auf das französ. Königthum des vorigen Jahrhunderts geworfen, welches die Mängel der Gesellschaft nicht rechtzeitig wahr nahm und beherzigte, sich vielmehr mit den herrschen den Klassen identificirte, die Klagen der niederen Klassen über den Druck der höheren Gesellschafts schichten überhörte und damit den Sturm gegen das Königthum selbst heraufbeschwor. Der ReichSanzeiger stellt dieser französischen Vernachlässigung der sozialen Reform-Aufgaben deS Staates die Sorgfalt entgegen, mit welcher die preußischen Monarchen, vom Großen Kurfürsten bis zur Gegenwart, diese großen, wichtigen, sozialen Aufgaben des Staates und des Königthums erfüllt haben. Das preußische Königthum trat allezeit in dem Kampfe der gesellschaftlichen Interessen aus gleichend und versöhnend auf uud nahm sich besonders der leidenden Klassen an. Nun sind die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft durch die industrielle Ent wickelung völlig andere nnd neue geworden. Es ist eine Klasse entstanden, welche sich von der Ueber- macht der kapitalkräftigen Unternehmer bedrückt fühlt und sich allmählich in einen bewußtlosen Gegensatz zu allen übrigen Gesellschaftsklassen, wie überhaupt zu der bestehenden Gesellschaftsordnung gesetzt hat. Hierdurch sind dem Königthum und dem Staat neue Aufgaben erwachsen. In dieser Erkenntniß hat Kaiser Wilhelm I. eine Politik der Berücksichtigung der Interessen der wirthschaftlich schwachen Klassen inaugu- rirt: wir verdanken ihm die Gesetze, welche das Loos der arbeitenden Klaffen gegen die Folgen von Arbeits unfähigkeit sicherstellen. Die Kranken-, die Unfall-, die Jnvaliditäts- und Altersversicherung, mit denen Deutschland allen Staaten bahnbrechend vorausge gangen, werden — wie auch die Stimmung der Ar beiter gegenwärtig sein mag — sicher im Laufe der Zeit ihre Wirkung nicht verfehlen, weil sie sehr wesent liche Mängel, die sich auf dem Gebiete der bestehen den WirthschaftS- und Gesellschaftsordnung herauS- gebildet haben, beseitigen. Freilich aber ist mit diesen Gesetzen noch kein Mittel gefunden, durch welches die Verständigung der Lohnarbeiter und Unternehmer aus dem Boden der heutigen Produktionsweise ge sichert wird. Diese Verständigung wird erschwert einerseits durch Forderungen der Arbeitnehmer, die über das zur Zeit wirthschaftlich Mögliche hinaus gehen, andererseits dadurch, daß sich die Mehrzahl der (größeren) Arbeitgeber aller Berufszweige nicht an den Gedanken gewöhnen kann, mit ihren Arbeit nehmern als Gleichberechtigten zu verhandeln. — In der Adresse deS Bundesraths an den Fürsten Bismarck waren die über zwei Jahrzehnte sich erstreckende Zusammenarbeit, das große Verständniß, welches der erste Reichskanzler für die Interessen aller Bundesstaate» bewiesen habe, seine Verdienste um des Reiches Macht nnd Wohlfahrt hervorgehoben worden. In seiner Antwort bemerkte Fürst Bismarck: es sei ihm versagt worden, seine amtliche Tätig keit in Gemeinschaft init dem Bundesrath als dem obersten gesetzgebenden Körper und dem Vertreter der verfassungsmäßigen Rechte deS Volkes und der Fürsten sortzusetzcn; aus den langen freundlichen Beziehungen entnehme er bei seinem Scheiden das Recht, dem Bundesrath empfehlen zu dürfen, daß er die Stellung eines gleichberechtigten gesetzgebenden Körpers festhalte und die Stellung einer vorwiegend mini steriellen Behörde meide. — Die Zahl der Zuschriften und Telegramme, der Blumenspeuden und Geschenke, welche dem Fürsten Bismarck am Dienstag zu seinem 75. Geburtstage in Friedrichsruh zugingcn, soll Legion sein. Viele Städte haben den Fürsten zu ihrem Ehrenbürger ernannt. Sieben Tclegraphenbeamte hatten den ganzen Tag zu thun, um die einlaufenden Telegramme aufzunehmen. — Der preuß. Kultusminister von Goßler theilte neulich im Abgeordnetenhause mit, die Bestimmun gen über das Einjährig-Freiwilligenwesen sollten abgeändert werden. Diese Abänderung wird eine außerordentlich weitgehende sein. Der Kaiser will die BildungSgrnndsätze, welche er in seinem be kannten Erlaß über den Unterricht der Kadetten ent wickelte, auch für die Einjährig-Freiwilligen in An wendung gebracht wissen, und darum sollen sich alle jungen Leute, welche einjährig dienen wollen, einem besonderen Examen nnterwerfen. Der Besuch einer bestimmten Klaffe einer höheren Sckmle wird nach Erlaß der neuen Bestimmungen nicht mehr die Be rechtigung zum Einjährig - Freiwilligendicnst in sich schließen. Der Zweck der Aenderung ist augenschein lich kein anderer, als jene Elemente, welche mit Mühe und Noth die Berechtigung zum Einjährigfreiwilligen dienst bisher erlangten, ganz von diesem Dienst auS- zuschließen. — Das in Leipzig erscheinende Blatt der Sozial demokraten, „Der Wähler", zu dessen Mitarbeitern auch der Abgeordnete Liebknecht gehört, erklärt bezüglich der geplanten sozialdemokratischen Massenkundgebungen für den 1. Mai Folg endes: ES bedürfe, um den Tag würdig zu begehen, keiner allgemeinen Blaumacherei. Das Blatt ergeht sich über die Nachthcile der allgemeinen Arbeitsnieder legung in folgenden Betrachtungen: Ein großer Theil der Arbeiter sei nicht in der Lage, den LohnauSfall für einen halben oder ganzen Tag ohne Weiteres zu verschmerzen, nnd fast alle Arbeiter seien durch ihre Mittellosigkeit gezwungen, Entlassungen aus der Arbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Wer sich am 1. Mai der Arbeit ohne Schaden entledigen könne, möge und solle cS thun, er werde Gesellschaft genug finden. Im Uebrigen aber genüge es, nach Feierabend Zu sammenkünfte zu veranstalten zur Feier der Achtstunden bewegung sowie der internationalen Verbrüderung der Arbeiter. Der Entstehung von Tumulten müsse auf jeden Fall rechtzeitig vorgebcugt werden, damit man nicht die Achtstundenbewegung diskreditire. Am Nachdrücklichsten aber müsse die sozialdemokratische Reichstagsfraktion verlangen, bei unseren mit Zündstoff überfüllten Verhält nissen möglichst alle öffentlichen Aufzüge zu vermeiden. Deutschland sei nicht frei von Lockspitzeln, auch seien genug Hitzköpfe unter den Arbeitern u. unter der Polizei mehr als zu viel „schneidige" Beamte vorhanden. Die Sache der deutschen Arbeiterschaft bedürfe nicht eines „KlimbimS" geräuschvoller öffentlicher Effekte. Man solle ruhig und besonnen den früheren Schritt beibehalteu, wenn auch derselbe einigen Hitzköpfen zu langsam vorkomme. — Rußland. Londoner Blätter erhalten eine Reihe von Nachrichten aus Petersburg, die auf ernste Vorgänge in Rußland vorbereiten. Dem „Daily Telegraph" zufolge erhoben sich Bauern im Gouvernement Rjäsan zum Aufstande. Es soll ein beträchtliches Blutvergießen stattgefunden haben. Auch auS Polen kommen bedenkliche Meldungen. General Gurko empfahl jüngst dem Czaren, den Polen einige Zugeständnisse zu machen. Die darauf erfolgte Zu rückweisung dieser Vorschläge hatte die Bildung eines Revolutionsausschusses in Polen zur Folge; vierzig Mitglieder desselben, zumeist Studenten und Literaten wurden eingekerkert. Der Ausbruch einer Revolution wird ferner in Finnland erwartet; täglich gehen dort hin Gendarmen und Kosaken ab. Ueber die Beweg ung der Studirenden in sämmtlichen Universitäts städten Rußlands wurde bereits berichtet. Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock. Die Zeit der Spaziergänge, Ausflüge und Partien ist gekommen, und wenn auch der an der Schwelle stehende April dagegen noch hin und wieder Einspruch erheben dürfte, im Ganzen werden doch Wald und Flur Ziel und Aufenthalt fröhlicher Wanderer sein. Zwei weniger willkommene Erscheinungen kommen aber leider auch dieses Jahr auf die Bildfläche. Bereits liegen, um des Wich tigeren zuerst zu gedenken, Meldungen über Wald brände vor. Mögen daher namentlich Raucher in der Behandlung von Zündrequisiten und Cigarrenresten, ingleichen auch Waldarbeiter betreffs etiva anzu machender Feuer recht vorsichtig sein, denn je mehr mit der fortschreitenden Jahreszeit der Fußboden, welkes GraS und Laub uud dergleichen austrocknen, desto leichter ist ein Schaden angcrichtet, der von bedauerlichstem Umfange werden kann. Ein zweiter Uebelstand ist die Gedankenlosigkeit im Entnehmen von Feldblumen namentlich seitens der Kinder. ES macht einen betrübenden Eindruck, die ersten Boten des Lenzes, z. B. Himmelsschlüssel, Schneeglöckchen in großen Sträußen abgepflückt zu sehen, während die Blumen noch Tage lang fortblühen und das Auge der Vorübergehenden erfreuen könnten. "Nicht minder haben die Sträucher mit sogen. Kätzchen zu leiden, wenn ihnen größere Zweige abgeschlitzt werden, statt einige kleinere mittelst vorsichtigen Messerschnittes zu erlangen. Eltern und Erzieher handeln zugleich im Interesse der Kleinen und deren Charakter, wenn sie dieselben zu schonender Behandlung der Natur an halten. Außerdem aber möchten wir auch den Er wachsenen noch etwas au» diesem Kapitel an'S Herz legen und das betrifft die auf Wanderungen so be liebte Schmückung der Hüte mit Laub- u. Nadelholz zweigen. Man sehe hierbei besonders darauf, daß von jungen Bäumchen namentlich nicht die Krone oder Spitze eines regelrecht angesetzten Zweiges ent nommen werden. Solche Verluste wachsen nicht wie der zu und der verletzte Baum bleibt für immer ein Krüppel. Hübsche Seitenzweige giebl es ja in Menge, und für regelrechte Au-Holzung lasse man den Forst mann sachverständige Sorge tragen. — Johanngeorgenstadt, 3. April. Ein Vor fall wenig erbaulicher Art ereignete sich am vergangenen Sonntag auf der Straße zwischen hier und Steinbach. Nachdem zwei etwas übermüthige Passanten einen ihrer Commilitonen durchgeprügelt hatten, stellte sich der eine, welcher damit noch nicht zufrieden war, mit einem Knüppel in der Hand, einem daherkommenden Geschirr entgegen. Al« der Kutscher die Pferde antrieb, um schnell vorbeizukommen, schlug ersterer nach den aufgezogenen Fenstern des Landauers und zertrümmerte dieselben, ohne glücklicherweise den Insassen, einen hiesigen Fabrikbesitzer, zu beschädigen. Da der Attentäter ermittelt ist, so dürfte man ihm warscheinlich Gelegenheit zum „Nachdenken" über die sen Vorfall geben. — Johanngeorgenstadt. Recht unangenehm für die Geschirrführer ist des Nachts die Zoll schranke am k. k. Nebenzollamte l. Kl. zu Breiten bach. Sobald ein Geschirr ankommt, muß der im Zollhause mit wohnende Oberaufseher geweckt werden, um den Schlagbaum in die Höhe zu ziehen. Bisher hatte man auch wenig Grund zu Klagen über diese Einrichtung. Seit neuerer Zeit aber scheint der dienst habende Beamte dem Publikum die Schranke ungern zu öffnen, wie ein am vorigen Sonntag vorgekomme ner Fall beweist. Ein Herr aus Zwickau beabsichtigte von hier nach der Dreckschänke zu fahren ins böhmische Bier. Beim österreichischen Zollamt angekomme», wurde er zunächst befragt, wohin er wolle. Auf die Antwort: „Nach der Dreckschänke!" erwiderte der Be amte, ob er vielleicht dort etwas Geschäftliches zu verrichten habe. Da ihm diese Frage verneint wurde, so erklärte er dem Fremden, daß er unter diesen Um ständen den Schlagbaum nicht öffnen werde. Erst, nachdem ihm der fremde Herr damit drohte, daß er ihn anzeigen werde, ließ sich der Beamte herbei, die Schranke emporznziehen. Wir wollen nicht verkennen, daß der Dienst an der Zollschranke kein angenehmer ist, müssen aber ganz entschieden mißbilligend über das Auftreten des Beamten uns auSsprechen, da je denfalls ein derartiges Verhallen dem Publikum ge genüber nicht zu seine» Dienstvorschriften gehören dürfte. — Leipzig. DaS Tagesgespräch in allen Ge sellschaftskreise» bildet die am 29. März stattgehabte Eröffnung des Cafö Bauer. Im palastartigen Barock-Stil Louis XVI. erhebt sich am Roßplatz, in schönster Lage der Stadt, unmittelbar an der Pro menade, ein reich gegliederter Sandsteinbau aus 3 Etagen, in dessen Parterre und 1. Stockwerk sich das neue Cafe Bauer befindet, ein Prunkbau, so vornehm und stilvoll durchgeführt, wie ihn kaum ein zweites öffentliches Gebäude in Leipzig aufweisen kann. Die Erbauer l)r. A. Schmid in Leipzig (als Bauherr und Besitzer) nnd Baumeister A. Bohm in Berlin, haben hier ein wahres Juwel der modernen Architektur mit den opulentesten Mitteln geschaffen. Tritt man vom Roßplatz auS durch ein offenes Portal in das zur Schauhallc photographischer Erzeugnisse dienende Vesti bül, so führt links ein Doppelglasthürenvorbau in den zu Restaurationszwecken bestimmten Parterresaal, der, in einer Ausdehnung von ca. 700 Quadratnieter, Raum für 800 Personen bietet und mit seinen hell gelben Marmorsäulen und rothen Wandflächen, die von Spiegeln unterbrochen auf den Hauptfeldern zahlreichen Bilverschmuck aufweiscn, einen ungemein vornehmen Eindruck macht. Ju der Mitte der Saal decke mündet eine Glasrotundc ein, die in das obere Stockwerk führt und zugleich mit einem gedämpft ein fallenden Lichte den weiten Raum mit erhellt. Drei Meter breite versenkbare Spiegelscheiben gestatten bei schönem Wetter direkten Austritt auf die Straße. — Die über dem Cafe gelegenen oberen Stockwerke des Hauses sind zur Aufnahme eines fashionablen Hotels und zu einem großen Atelier mit Nebenrüume» be stimmt, während in dem Hintergebäude sich der neue große Leipziger Tattersall mit einer prachtvollen Ma nege und Stallungen für 80 Pferde befindet. Das neue Cafä hat im Publikum bereits einen sehr be zeichnenden Namen: „Cafe Linderhof" gesunden. Es ist in der Thal eine kleine Copie von den bayrischen Königsschlöffern. — Zwickau. Die Tagesordnung zur Sitzung des KreiSauSschusseS den 9. April 1890 besagt Folgendes: l. Verwendung von Stammvermögen der Stadt Geyer zur Schuldentilgung. 2. Nachtrag zum Anlagenregulativ für Lengenfeld. 3. Gesuch Knappe's in Geyer um Erlaubniß zu Errichtung einer Hydropatische» Anstalt. 4. Gesuch des Or. invci. Pilling in Zelle um Erlaubniß zu Errichtung einer Privat-Krankenheilanstalt in Aue. 5. RecurS deS Schuhmachermeisters Radoberuitzky in Oederan gegen die Abschätzung zu den Communanlagen daselbst. 6. RecurS der Thüringer GaSgescllschaft als Besitzerin der Gasanstalt in Oederan wegen der Abschätzung zu den dortigen Communanlagen. 7. RecurS wegen Heranziehung de» Kaufmann W. Dürfeld zu den Gemeiudeanlagen in Zschopau. 8. Einbezirkung einer Parzelle von Oberreichenbach in den Stadtgemeinde bezirk von Reichenbach. 9. Uebernahme de» bahn- fiSkalischen Theil« der Albertstraße in Chemnitz in städtische Unterhaltung. 10. Uebernahme einer Ein friedigung an der Stollberger Straße in Thum in communliche Unterhaltung. 11. Veränderung deS Stammvermögens der Stadt Glauchau. 12. RecurS des Commerzienrath» Dürfeld in Altchemnitz wegen