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Leilage m Rr. 38 -es „Amts- und Aiyeiaeblattes". Eibenstock, den 29. März 1890. Ein amerikanischer Detektive. Roman von Julie Düngern. (II. Fortsetzung.) „Und NUN üben Sie Gnade und Barmherzigkeit, gnädige Gräfin," fuhr Frau Andree fort, „sagen Sie mir ob das wahr ist, die Ruhe meines Lebens hängt davon ab." Die Komtesse hatte sich gewaltsam gefaßt. „Die Reliquie besitze ich wohl," sagte sie in leisem Tone, „aber sie ist nicht mein, — — ich darf darüber nicht verfügen." „Ich will sie ja auch nur sehen," bat die arme gequälte Frau, „ich habe einmal ein Kind verloren, es wurde mir geraubt," fügte sie erbittert hinzu, „diesem Töchterchen hatte ich ein ähnliches Skapulier angehängt, urtheilen Sie nun selbst, was ich empfinden mußte, als ich hörte, die Reliquie habe sich gefunden. Sie sind so freundlich und gut, Komtesse, daß mein ganzes Herz Ihnen entgegcnflog, als ich Sie zum ersten Male sah. Sie werden eine arme Mutter nicht vergebens bitten lassen." Franziska bekämpfte während dieser Rede mit Mühe eine große innere Erregung, plötzlich erhob sie ihr Haupt mit einer Art von finsterer Energie und zu ihrem Schreibtische tretend, sagte sie: „Sie haben aus mich gerechnet, liebe Frau Andree, und sollen sich nicht in mir getäuscht haben, hier ist das Amulett." Frau Andree stürzte sich auf das kleine Tuch läppchen und preßte es an ihre Lippen, dann es nochmals betrachtend, rief sie aus: „Es ist dasselbe, hier das „M", welches ich in die Ecke genäht habe, bedeutet Marie, o, mein süßes armes Kind, was haben sie mit Dir gemacht. Können Sie mir denn kein Wort von meinem Kinde sagen, Komtesse? Kennen Sie dieselbe, lebt sie in Ihrer Sphäre, ach, wenn ich sie nur lebend weiß, so will ich nicht mehr klagen!" „Sie lebt und ist hier," war die Antwort. „Und ist sie brav und schön?" fragte die arme Frau zitternd weiter. „Man sagt eS," entgegnete Franziska gepreßt. „Ich will mich ihr nicht zu erkennen geben," sagte Frau Andree mit plötzlichem, heroischen Entschluß. „Erst in diesem Augenblick fällt mir ein, daß die Er- kenntniß der Wahrheit sie wohl unglücklich machen könnte, man giebt mit siebzehn Jahren nicht gern seine Lebensstellung auf, ach, daran dachte ich nicht, als ich hierher kam! Aber vielleicht könnte ich sie von weitem, nur ganz von weitem sehen, o gnädiges Fräulein, ich will Sie mein ganzes Leben dankbar verehren, sagen Sie mir nur, ob ich mein Kind sehen darf?" Franziska sagte leise, aber mit bestimmtem Tone: „Ich werde es möglich machen." Frau Andree erfaßte in stürmischer Freude die beiden Hände des jungen Mädchens und zog sie an sich. „Seien Sie gesegnet für dies gütige Wort," rief sie schluchzend aus, und einer plötzlichen Ein gebung folgend, schloß sie das junge Mädchen in ihre Arme und küßte sie auf Stirn und Haare. Franziska ließ es geschehen, ein unwiderstehliches Gefühl, gegen welches ihre Vernunft umsonst an kämpfte, zog sie zu dieser Frau, ihre ganze Seele strebte derselben entgegen, und sie ließ sich nicht allein deren Liebkosungen gefallen, sie erwiderte die selben auch. Fran Andree durchzuckte plötzlich eine Ahnung der Wahrheit, sie machte sich sanft aus der Um armung des jungen Mädchens los und betrachtete dasselbe mit entzückten Blicken. „Wie schön Sie sind," flüsterte sie, „und wie glücklich ist die Frau, welche sie Tochter nennen darf!" Doch sich schnell besinnend, fügte sie hinzu: „ES ist spät und ich habe Ihre Güte schon zu sehr in Anspruch genommen, — darf ich wiederkehren?" „Ich werde Sie besuchen," entgegnete Franziska, „und da werde ich Ihnen manches erklären. ES ist möglich, daß ich von hier fortgehe." „Mein Gott," klagte die arme Frau, als sie sah, daß Franziska mit Mühe ihre Thränen zurückhielt, „sind sie denn nicht glücklich?" „Nein," war die leise Antwort. „Man läßt Sie den nicht heirathen, den Sie lieben?" „Doch nicht, ich bin frei und geliebt, aber wer weiß, ob dies morgen noch der Fall sein wird," fügte sie nachdenkend hinzu. „Wäre dies möglich?" fragte die besorgte Mutter. Franziska fühlte, daß ihre Selbstbeherrschung zu Ende ging, Frau Andree fühlte dies instinktiv mit ihr, unter vem Vorwande, nicht länger belästigen zu wollen, küßte sie die Hände des jungen Mädchen«, mahnte sie nochmals an den morgenden versprochenen Besuch und eilte davon. — Als Franziska allein gelassen war, blieb sic einige Zeit in sorgenvollem Nachdenken versunken, dann raffte sic sich mit energischem Entschlüsse auf und eilte an ihren Schreibtisch, um einen langen Brief zu schreiben. Diesen steckte sie mit anderen Papieren zusammen in ein Kouvert und war gerade mit dieser Arbeit fertig, als die Glocke zum Diner rief. Den Brief in ihre Tasche bergend, eilte sie hinunter, wo die Gräfin sie mit freundlichen Vorwürfen empfing, daß sie den ganzen Morgen sich nicht habe blicken lassen. Franziska entschuldigte sich mit Unwohlsein, und daß sie Besuch gehabt habe. Soeben traten Bruno von Grafeneck und Kurt von Hagen eii^ Die Gräfin nahm den Arm des letzteren und ließ sich in den Eßsaal führen, während Bruno und seine Kousine ihnen folgten. Das Diner war sehr heiter, denn der Sohn des Hauses besaß einen unverwüstlichen Humor und steckte voll guter Einfälle. Seine Mutter amüsirte sich vortrefflich und blickte einige Male wie fragend auf Franziska, welche sich sorgenvoll und ernst über ihren Teller neigte. Im Verlaufe der Unterhaltung theilte Bruno .seiner Mutter mit, daß er morgen seinen Freund aufs Land begleiten würde. „Das erlaube ich gern," sagte scherzend die ältere Dame, „aber gehe nur nicht mit nach Afrika. „So weit ist es überhaupt noch nicht mit meiner Reise," schaltete Kurt ein, „ich gedenke erst in einigen Wochen mein Gesuch um Urlaub einzureichen." Unter diesen Gesprächen war das Diner beendigt. Die Dame des Hauses hatte sich erhoben, die ande ren waren ihr gefolgt und Hagen nahm die Gelegen heit wahr, ein vertrauliches Wort mit Franziska zu reden. „Ich werde nicht eher fortreisen, als bis ich über Ihr Schicksal beruhigt bin, Komtesse, ich habe ein unheimliches Gefühl in mir, als ob Ihnen Ge fahr drohe." „Ich möchte gern morgen früh noch eine kurze, ungestörte Unterredung mit Ihnen haben, Baron Hagen," sagte ihm das junge Mädchen als Entgeg nung, „wollen Sie mir diese Bitte erfüllen?" Die von Glück strahlenden Augen des Offiziers belehrten sie, daß er ihren Worten eine andere Deutung gebe. „Es betrifft eine Aufklärung und einen Abschied," fügte sie traurig hinzu, „ich werde Sie nach dem Frühstück in meinem Salon erwarten." Nach diesen Worten machte sie dem jungen Manne eine Verbeugung und verschwand in der Seitenthür. Kurt von Hagen lehnte noch sinnend auf dem Balkon des Eßzimmers als sein Freund zu ihm trat. „Ist es noch ein Gcheimniß oder darf Dein bester Freund wissen, ob Du Dich endlich erklärt hast?" fragte er scherzend. — „Von einer Erklärung war gar keine Rede," entgegnete Kurt, „mir scheint, Du glaubst es wäre so leicht mit Deiner Kousine wie mit Deiner anda lusischen Perle über Liebe zu sprechen. Komtesse Franziska äußerte den Wunsch, morgen früh vor meiner Abreise noch eine Unterredung mit mir zu haben." „Dann wirst Du mir alles im Waggon erzählen," fiel sein Freund ein, „daß heißt, wenn Du nach dem entscheidenden Wort noch abzureisen gedenkst, was ich jedoch nicht glaube." Am andern Morgen klopfte Hagens Herz, als er die Treppe zu Franziskas Wohnung hinaufstieg. Schon beim Eintritt erschrak er über ihr bleiches Gesicht und ihre ernste Miene. Sie trug ein dunkles Kleid und einen solchen Hut; auf dem Tische stand ein eleganter Reisesack von Juchtenleder, und die ganze Unordnung des sonst so geordneten Zimmers deutete auf eine Abreise. Ein trauriges Lächeln spielte um den Mund des jungen Mädchens, als sie Kurt befremdet umher blicken sah. „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind," redete sie den jungen Offizier mit ihrer lieb lichen Stimnie an, „ich weiß, daß ich Ihnen als einem Frcunve, fest vertrauen kann, und so möchte ich Ihnen mittheilen, daß ich noch heute diese« Haus verlasse, ohne daß Jemand wissen darf, wo ich hin gehe, Sie sehen, daß ich mich fest auf Ihre Dis kretion verlasse." „Mein Gott," rief Hagen bestürzt aus, „weich' unüberlegter Entschluß, Komtesse, haben Sie denn nicht bedacht, daß die Ausführung desselben die Grä fin, Ihre Tante, mit Kummer und Schrecken erfüllen wird?" „Die Gräfin wird sich trösten," entgegnete das junge Mädchen, mit unsäglicher Bitterkeit im Tone, „ich bin ihr nichts, wie eine angenehme Gewohnheit, und wenn nun Bruno seinen Entschluß wirklich aus führt, Perdita heirathet und mit ihr auf Reisen geht, so ist die arme Dame ganz allein!" „Bruno ist ein Ehrenmann und hat Perdita die Ehe versprochen," erwiderte ernst der junge Offizier, „überhaupt finde ich, gnädige Komtesse, daß Sie die Menschen, welche Sie kennen und lieben, für sehr oberflächlich in ihren Gefühlen halten. Ihre Frau Tante liebt sie wie eine Tochter, Bruno, das ehr lichste Herz von der Welt, fühlt wie ein treuer Bruder für Sie, ich selbst, Gräfin, verzeihen Sie mir das zu dieser Stunde sehr unpassende Geständ- niß, welches Sie übrigens ja schon kennen, ich bete Sie an und begrüße als einen Segen die erste beste arabische Kugel, welche meinem Leben ein Ende machen wird, nachdem ich die Hoffnung auf Ihren Besitz verlor." Franziska strich mit der Hand über die Stirn und blieb einige Sekunden stumm, dann sich gewalt sam aufraffend, sagte sie: „Der Wagen, welcher mich fortführen wird, kann jede Minute kommen; wir haben keine Zeit, dieses Gespräch fortzusetzen, welches Sie auch vielleicht, wenn Sie einstmals alles wissen, gereuen wird. Hier sind zwei Briefe. Bruno soll zuerst den meinen und dann den der Gräfin lesen, er soll dann handeln wie er es für passend hält, sagen Sie ihm mein Lebewohl und daß ich jeder weiteren Unterredung mit ihm aus dem Wege gehen werde und — halt, noch eins, sagen Sie ihm auch, daß ein Amerikaner, namens Jefferson, das Geheim- niß, welches dieser Brief birgt, auch kennt. Hier ist seine Adresse." Eben meldete das Mädchen, daß der Fiaker vor gefahren sei. Kurt von Hagen schreckte zusammen. „So ist denn nun alles zu Ende," rief er mit gepreßtem Tone, dann barg er seine Augen, die voll Thränen standen, in seine Hände. Das junge Mädchen, von einer unwiderstehlichen Macht getrieben, eilte auf ihn zu, schob seine Hände fort und einen heißen Kuß auf seine Stirne drückend, eilte dann aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und in den Wagen. Kurt, welcher zuerst wie von einem seligen Taumel befangen, nicht wußte, wie ihm geschah, stürzte ihr nach, aber schon war die Hausthür ins Schloß gefallen und der Wagen rollte davon. Der junge Offizier, von seinem Glücke betäubt und berauscht — denn jetzt wußte er, daß Franziska ihn liebe, wenn sie ihm auch entflohen war — fühlte das Bedürfniß, ins Freie zu gehen, hier in seinem Zimmer drohte er zu ersticken. Gerade als er zum Ausgehen bereit auf den Korridor trat, kam ihm ein Herr entgegen, welcher nach höflichem Gruße fragte, ob er Kurt von Hagen sei? Der Offizier bejahte dieses und fragte nun, mit wem er die Ehre habe? „Mein Name ist Jefferson," war die Entgegnung, „ich wollte einige Worte mit Komtesse Rudelsheim sprechen, der Portier sagte mir aber, daß dieselbe nicht zu Hause sei." „Damit sagte er Ihnen die Wahrheit," entgegnete der Offizier, „auch hat die Komtesse die Stunde ihrer Rückkehr nicht bestimmt." Während Kurt dieses sprach, examinirte er den Mann, welcher Franziskas Geheimniß theilte und bat ihn, einen Moment in sein Zimmer zu treten, der Amerikaner sah vollkommen anständig aus und der Offizier hoffte, Näheres von ihm zu erfahren, daher sagte er, als dieser den Vorsatz andeutete, andern Tages wieder zu kommen, er möge es nicht thun, denn die Komtesse würde nicht wiederkommen. Jefferson war wie vom Blitze getroffen. „Was wollen Sie damit sagen, mein Herr," rief er heftig aus, „hat die Komtesse denn angedeutet, daß sie nicht wiederkehrt?" „Das weiß ich nicht," war Kurts Entgegnung, „die Briefe, welche ich dem Vetter der Komtesse ab geben soll, sind noch nicht eröffnet, doch sie selbst hat mir mündlich angedeutet, daß sie dies Haus für immer verlassen wolle." Bei diesen Worten blickte er Jeffer son an, welcher höchst aufgeregt war und als ein anderer Mann erschien, wie der, welcher er noch vor einigen Minuten gewesen. Das war nicht mehr der vollendete Gentleman, als welchen er sich noch vor einigen Minuten dem Offizier vorgestellt hatte, sein Gesicht war plötzlich todtenblaß geworden und mit zusammengezogenen Augenbrauen, einen harten, ja selbst rohen Zug um den Mund, starrte er auf das Parkett und versuchte seine Gedanken zu sammeln. Dann schien plötzlich wieder die frühere Energie in ihm zu erwachen und er sagte: „Ich kann nicht glauben, daß die junge Dame sich für immer ent fernt haben soll, ich bin überzeugt, sie wird in kurzer Zeit wiederkehren und dann meine Vorschläge an nehmen." (Fortsetzung folgt.)