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Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donners tag und Sonnabend. Jn- i'ertionSpreiS: die kleinsp. Zeile 10 Pf. Expedition, bei unfern Bo ten, fowie bei allen Reichs» Postanstalten. Amts- Md Anzeigeblatt für den Abonnement LeM des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung. Verantwortlicher Redacteur: E. Hannebohn in Eibenstock. 37. Aatzr«a«,. Donnerstag, den 27. März L8SO Zur Lage. Alle Welt ist der Erwartung voll. Bismarck ist gegangen, ein neuer Mann an seine Stelle getreten. Meinungen und Meldungen über das „Warum" des Kanzlerwechsels wogen noch hin und her. Theilwcise scheint schon die ganz außergewöhnlich gnädige Fassung der beiden kaiserlichen Erlasse an den Fürsten Bis marck aus dem Gedächtniß entschwunden zu sein, denn sonst wäre es kaum denkbar, daß man sich, von ge wisser Seite die Mühe nicht verdrießen läßt, den Rücktritt des großen Kanzlers so darzustellen, als sei Bismarck beim Kaiser „in Ungnade gefallen". Un zweifelhaft bestanden zwischen dem jnngcn Kaiser und dem greisen Kanzler tiefgehende Verschiedenheiten in den Anschauungen über die Mittel, die zu dem ge meinsamen Ziele, nämlich zum Wohle Deutschlands, führen sollten. Und da die entstandene Kluft nicht zu überbrücken war, so ging Fürst Bismarck. Das ist eine ziemlich einfache Thatsache. Es ist wahr, daß der einstmalige Prinz Wilhelm — es ist erst zwei Jahre her — den Fürsten Bis marck enthusiastisch gefeiert hat. Die Bewunderung und Dankbarkeit für den Fürsten ist wohl die gleiche geblieben; aber aus dem Prinzen ist ein Kaiser ge worden, der dies nicht bloß dem Namen nach und des äußerlichen Prunkes wegen sein will, sondern dessen friedlicher Thatendrang angesichts großer geist iger Zeitströmungen nach kräftiger Bethätigung ringt. Der Name Bismarck bedeutet ein Programm; ein Programm, das man dreißig Jahre lang hat in Geltung sein lassen, das ändert man nicht mehr, wenn man 75 Jahre zählt. So ist es nur zu natür lich und erklärlich, daß die Wege des Kaisers und des Kanzlers sich schieden. Unter Wilhelm I. wuchsen die Arbeitslast und damit zugleich Einfluß und Macht des Kanzlers riesen groß in die Höhe. Das kaiserliche Ansehen litt darunter nicht. Der greise Kaiser war eine durch hohes Alter und ruhmreiche Vergangenheit gleich ehrwürdige Persönlichkeit. Unter Kaiser Friedrich erlitt der Einfluß des Fürsten Bismarck bereits ge waltigen Abbruch; das, was jetzt geschehen ist, würde wahrscheinlich schon vor zwei Jahren geschehen sein, wenn Kaiser Friedrich nicht als todtkranker Mann den Thron bestiegen hätte. Unter dem jetzigen Kaiser war ein Bismarck für die Dauer unmöglich. Wes wegen ? Man kann dem Gedankengang nach dem Ge sagten allein weiterfolgen. Wir treten in eine neue Zeit ein. Die alten Parteibczeichnungen haben zum großen Theil schon ihre Bedeutung eingebüßt, so weit es sich um das rein politische Moment handelt. Man wird bei den Programmen der Zukunft das Hauptaugenmerk auf die sozialen Aufgaben der Zeit richten. Der Sozialis mus ist eine Macht geworden; nicht etwa allein durch das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen, — diese bilden nur eines der Anzeichen. Auch in unser ganzes Geistesleben ist der Sozialismus eingedrungen, so sehr sich auch materielle Interessen gegen jene Erkcnntniß sträuben mögen. Wir treiben einer Um gestaltung zu, die kulturfördernd sein wird, wenn sie sich in friedlichem Geleise vollzieht. Als hauptsäch lichste Vorbedingung hierzu ist eine starke leitende Hand nöthig, die den Fluß in seinen Ufern hält und verheerende Ueberschwemmungen verhütet. Mit großer Genugthuung ist es zu verzeichnen, daß die Arbeiterschutzkonferenz, wie man aus sicherer Quelle vernimmt, bereits sehr achtenswerthe Erfolge zu verzeichnen und eine ganze Reihe von Beschlüssen einstimmig gefaßt hat. Das Friedenswerk der Ar- beiterschutzgcsetzgebung wird das Band sein, welches die Staaten Europas lange Zeit verbindet. Der Friede wird immer tiefer und tiefer als Bedürfniß empfunden werden und die Zeit wird sicher kommen, in welcher man auch an eine allgemeine Erleichterung der Militärlasten denken kann. Gegenüber den hohen sozialen Aufgaben werden die politischen Rivalitäten bescheiden in den Hintergrund treten müssen und das Ende des neunzehnten Jahrhunderts wird hoffentlich den Sieg gesunder Vernunft, schöner Menschlichkeit und wahrhaften Knlturfortschritts feiern. Hagesgeschichle. — Deutschland. Die tiefernste Stim mung, in der der Kaiser sich dazu entschlossen hat, das Entlassungsgesuch des Fürsten Bismarck zu ge nehmigen, zeigt sich in folgendem von der „Weiinar- ischen Zeitung" mitgetheilten Telegramm deS Kaisers (vermuthlich an den Großherzog). Nach Erwähnung der schmerzlichen Stunden bitterer Erfahrungen fährt der Kaiser fort: Ihm sei so weh ums Herz, als ob er nochmals seinen Großvater verloren hätte. Das von Gott Bestimmte habe er zu tragen, auch wenn er zu Grunde gehen sollte. Er sei der wachthabende Offizier auf dem Staatsschiff. Der Kurs bleibe der alte. Nun mit vollem Dampf voran! — Mit Bezug auf die Gründe des Rücktritts des Fürsten Bismarck wird in der Presse un glaublich viel gelogen. Sensationslust, Klatschsucht und Gehässigkeit gegen den abtretenden Kanzler haben sich zu dem Zwecke verbunden, dem todten Löwen Eselstritte zu versetzen. Ungeschickt gute Freunde, die sich an den Mitteln der Vertheidigung vergreifen, verschlimmern die Sache noch. Dem AuSlande wird durch jene ganz zwecklosen und die Sache doch nicht erschöpfenden Auseinandersetzungen kein anmuthendes Bild deutscher Dankbarkeit und Gesinnungstreue ge boten! Man glaubt übrigens, bei Fortsetzung der Erörterungen der „Norddeutschen Allgem. Ztg." und anderer Blätter über die Entlassung Bismarcks werde der „ReichSanzejger" eine Erwiderung bringen oder Bismarcks Rücktrittsgesuch mit Anmerkungen ver öffentlicht werden. — In militärischen Kreisen wird nach der „Köln. Ztg." versichert, daß der Kaiser fest entschlossen sei, das Sozialistengesetz einfach ablaufen zu lassen und später auch die Erneuerung des Septennats nicht in Betracht zn ziehen. Diese Nachricht trete mit solcher Bestimmtheit auf, daß an deren Richtig keit kaum noch zu zweifeln sei. — Aus Köpenick wird gemeldet: Der Sonn abend Abend verlief ziemlich ruhig, wenn auch der Verkehr und die Menschenansammlungen in der Schloß straße, am Schloßplatz und in der Grünstraße be deutend stärker als am Freitag waren. Die Masse bestand durchweg aus halbwüchsigen Burschen und Fabrikmädchen, welche die obengenannten Straßen in Gruppen von etwa 50 Personen durchzogen, doch ist es zn Exzessen nicht gekommen, weil das Militär energisch jeden Widerstand bekämpfte und, wo es solchen fand, sofort zur Verhaftung schritt. Auf po lizeiliche Anordnung waren Abends von 7 llhr an sämmtliche Schanklokale und Destillationen geschlossen, dagegen war der Verkehr in besseren Restaurants ge stattet. Dieselbe polizeiliche Maßregel wurde auch am Sonntag beobachtet. Auffällig stark war am Sonnabend Köpenick von Berlinern besucht, welche zumeist zu Fuß dort anlangten und von Fabrik zu Fabrik gehend, mit den dortigen Arbeitern lebhaft konversirten. DaS Gerücht von einer in der Sonn abend Nacht in der Köpenickcr Haide abzuhaltenden Versammlung von Fabrikarbeitern hatte zu der mi litärischen Maßregel geführt, daß gegen 10 Uhr die sämmtlichen Zugänge nach Köpenick stark durch Posten besetzt wurden und eine volle Kompagnie nach der Köpenicker Haide unter den üblichen Sicherheitsmaß regeln mit „Spitze" und „Avantgarde" anszog und daselbst ausschwärmte. Allem Anschein nach hat aber die geplante Versammlung nicht stattgefunden, und das Militär kehrte gegen Mitternacht nach Köpenick zurück. Auf Anordnung der Regierung hat der ans Montag festgesetzte Jahrmarkt nicht stattgefunden, alle Tanz- und Lustbarkeiten sind streng verboten. — Täg lich wird mehrfacher Rapport über die Lage der Dinge in Köpenick dem Kaiser auf dessen Anordnung er stattet; ebenso wird auf Befehl des Monarchen der Gendarm Müller unter allen militärischen Ehren und unter Begleitung der 8. Compagnie deS Kaiser Franz- Garde-Grenadicr-Regiments, bei welchem der Getödtete vor sechs Jahren als Unteroffizier gedient, beerdigt werden. — Die gerichtliche Obduktion der Leiche de» Müller, welche am Sonntag bewirkt wurde, hat er geben, daß die Kugel, von welcher Müller getroffen wurde, den Tod nicht nnmittelbar herbeigeführt hat, daß letzterer vielmehr durch Messerstiche verursacht worden ist, deren die Leiche im Rücken nicht weniger als sieben aufwies. Die Kugel ist nicht gefunden worden, man nimmt daher an, daß dieselbe dem Müller in die Mundhöhle gedrungen und von diesem ausgeworfen worden sei. — Oesterreich-Ungarn. Kaiser Franz Jo seph hat an den Fürsten Bismarck anläßlich dessen Rücktritts ein eigenhändiges, in den wärmsten Worten abgefaßtes Schreiben gerichtet. Das Gleiche hat Graf Kalnokh gethan. — Rußland. Unter den Studenten der land- wirthschaftlichcn Akademie in Petersburg sind große Unruhen ausgebrochen. Die Akademie ist geschlossen worden. 200 Verhaftungen wurden vorgenommen. Locale und sächsische Nachrichten. — Schönheide. Wie das hiesige „Wochenblatt" mittheilt, wird demnächst mit der Anlage einer Gas anstalt im hiesigen Orte begonnen werden. In vielen Fabriken der Bürsten- und Stickerei-Industrie wird zweifellos die Gas-Einrichtung außer zur Be leuchtung auch zum Betriebe der Maschinen benutzt werden, nnd werden hierdurch eine große Anzahl der selben bedeutend leistungsfähiger. Möge diese Neuer ung zum Segen des Ortes gereichen. — Dresden. Eine originelle Idee des Herrn Direktor Bier von der Societätsbrauerei Wald- schlößchen sieht man seit einigen Tagen dadurch verwirklicht, daß das Wettinfaß, welches auf Ver anlassung des genannten Herrn im vorigen Jahre im Wettinfestzuge mitgeführt wurde, auf der Terrasse des Waldschlößchens zur Aufstellung gelangt ist. Dieses, von Herrn Faßfabrikanten Jacob in Pieschen au» Eichenholz verfertigte Riesenfaß, über welches sich ein von Herrn Baumeister Geher ausgeführter Ueberbau erhebt, faßt 120 Hektoliter und, wie man sagt, auch noch einige Schnitte, das sind 12,000 Ltr. oder 30,000 Töpfchen ü Liter. Trinkt Jemand täglich 3 Töpf chen Bier, so würde das Faß in 27 Jahren und 145 Tagen geleert sein. Das Faß dient in seinem Innern als allerliebstes Kneipstübchen, das neben reizenden Sinnsprllchen geschmackvoll und in altdeutscher Form eingerichtet ist. Dasselbe erhielt vorigen Sonntag Mittag die sogenannte Weihe in Gestalt eines Diners, das der Küche und dem Keller des Herrn John alle Ehre machte. Nächsten 23. April, am Geburtstage Sr. Maj. des Königs, wird Herr John ein größere« Weihefest veranstalten und sodann das Faß dem öffent lichen Verkehr übergeben. — Leipzig. Das erste Heirathsgesuch in einem öffentlichen Blatte Leipzigs erschien im Mai 1812 im hiesigen Jntelligenzblatt und ging — von vier jungen Mädchen aus. Dasselbe lautete: „Vier honette, hübsche Mädchen von 18 bis 24 Jahren, katholischer Religion, guter Erziehung, vom Lande, wovon jede gleich gegen 3000 Thaler Heirathsgut erhält, wünschen in einer größeren Stadt durch Hei- rath bald Versorgung zu finden. Sie versprechen, gute HauSwirthinnen zu werden, sind jeder Wirth- schaft gewachsen, und sehen mehr auf Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit, als auf Vermögen. Das Nähere können nicht über 40 Jahre alte Subjekte, die mit keinen leiblichen Gebrechen behaftet sind, schriftlich mit der Aufschrift: „Suchet, so werdet ihr finden", im Verlags-Comptoir des Jntelligenzblattes, Pctersstraße Nr. 33, erfahren. Daß dabei strenges Stillschweigen beobachtet wird, versteht sich von selbst." Auf dieses Gesuch liefen über 20 Aner bietungen ein, welche» eine der Jungfrauen in eigener Person abholte. — Limbach. Ein bedauerlicher Unglücksfall, welchem ein Menschenleben zum Opfer fiel, hat sich am Freitag früh in der 7. Stunde in einem Hause der Albertstraße ereignet. Der GerichtSamlskopist Müller war in der Nacht zuvor etwas berauscht nach seiner Wohnung gekommen, hat sich bei offenem Fenster aufs Sofa gelegt und war fest eingeschlafen. Zur oben angegebenen Stunde erwacbend, hatte er am