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de« Parlamentarismus sein. Bor einer Erhöhung der Macht der Majorität scheut man bisher noch all gemein zurück. Sie allein kann auch nicht helfen, ob wohl sie für gewisse genau zu bezeichnende Fälle un erläßlich ist. Wir begnügen uns heute, auf das Pro blem hinzuweisen, was die Demokratisirung des Wahl rechts durch die Verschlechterung der parlamentarischen Sitten dem öffentlichen Leben der Völker gebracht Hal. Sächsische Nachricht-«. — Dresden. Am 3. dieses MonatS und fol gende Tage hat eine abermalige Auslosung Königlich Sächsischer Staatspapiere stattgefunden, von welcher die 4"/„ StaatSschulden-Kassenscheine vom Jahre 1847 und 3"/„ StaatSschulden-Kassenscheine vom Jahre 1855, ingleichen die am 1. Juli 1890 mit 10"/„ Prämienzuschlag rückzahlbar werdenden 4"/„ sächsisch-schlesischen Eiscnbahnaktien betroffen worden sind. Die Inhaber der genannten StaatSpapiere werden hierauf noch besonders mit dem Hinzufügen aufmerksam gemacht, daß die Listen der gezogenen Nummern in der „Leipziger Zeitung", dem „Dresdner Journal" und dem „Dresdner Anzeiger" veröffentlicht, auch bei sämmtlichen Bezirkssteuer-Ein nahmen und Gemeindevorständen des Landes zu Jeder manns Einsicht auSgelegt werden. Mit diesen Listen werben zugleich die in früheren Terminen ausgelosten, aber noch nicht abgehobenen Nummern wieder auf gerufen, deren große Zahl leider beweist, wie viele Interessenten zu ihrem Schaden die Auslosungen übersehen. Es können dieselben nicht genug davor gewarnt werden, sich dem Jrrthume hinzugebcn, daß, so lange sie Zinsscheine haben und diese unbeanstan det eingelöst werden, ihr Kapital ungekündigt sei. Die Staatskassen können eine Prüfung der ihnen zur Zahlung präsentirten Zinsscheine nicht vornehmen und lösen jeden echten ZinSschein ein. Da nun aber eine Verzinsung anSgeloster Kapitale über deren Fällig keitstermin hinaus in keinem Falle stattfindet, so werden die von den Bctheiligten in Folge Unkennt- niß der Auslosung zu viel erhobenen Zinsen seiner zeit am Kapitale gekürzt, vor welchem oft empfind lichen Nachtheile sich die Inhaber von Staatspapieren nur durch regelmäßige Einsicht der Ziehungslisten (der gezogenen wie der rcstirenden Nummern) schützen können. — Dresden. Am Sonnabend erkundigte sich auf der König Johannstraße eine Frau bei einer ihr begegnenden Dame nach der Zeit, worauf der Fragen den nach ungefährer Schätzung die Tagesstunde an gegeben ward. Mit dieser Angabe nicht zufrieden, ersuchte sie die Dame von Neuem, genau nach der Uhr sehen zu wollen. Um der Dame hierbei behilflich zu sein, erbot sich die „Zeitlose", Packet und Porte monnaie, das die Dame in der Rechten hielt, einst weilen halten zn wollen. Dies geschah, doch zum Lohne für die erwiesene Gefälligkeit gab die Frau, die offenbar eine Schwindlerin ist, nur das Packet zurück und nahm mit dem Portemonnaie Reißaus. — Pirna. In den Sandgruben an der Krietzsch- witzer Straße wurde durch den Flurschütz eine Räu berhöhle entdeckt. Derselbe bemerkte daselbst eine früher nicht vorhanden gewesene, roh hergestellte Thüre. Nach deren Oeffnung zeigte sich eine ziemlich ge räumige Höhle, welche mit einem Tische, Bänken, Bildern und Regalen, Alles freilich von der primi tivsten Art, ausgestattet war. Weiter fanden sich zahlreiche Werkzeuge (Schaufel, Hammer re.), Tabaks pfeifen, SchnapSflaschen und vor Allem ein Verzeich- niß — Dienstliste — der Höhlenbewohner vor. Die auf Grund des letzteren Fundes vorgenommenen polizeilichen Erörterungen haben ergeben, daß 11 zehn- bis vierzehnjährige Schulknaben von hier unter einem selbstgewählten „Hauptmann" die Höhle aus gegraben und in der angegebenen Weise ausgcstattet hatten, um darin heimliche Zusammenkünfte abzu halten. Schlimmeres scheinen sie glücklicher Weise nicht im Sinne gehabt zu haben. — Bautzen. Am verflossenen Sonntag sind vier Lehrlinge von hier und Seidau ohne Wiffen der Eltern und Lehrhcrren verschwunden; ein fünfter, welcher sich ebenfalls an der Flucht betheiligen sollte, hatte wegen eines Vergehens zu Hause Stuben arrest und mußte deshalb Zurückbleiben. Die jungen Leute hatten bereits lange vorher Geld zu dem Zwecke gesammelt. Nach Aussage des zurückgebliebenen fünften Lehrlings war verabredet worden, über Böhmen, Ungarn und die Balkanfllrstenthümer nach der Türkei zu wan dern. Bis jetzt fehlt jede Nachricht über den Verbleib der vier jungen Leute. — In Wurzen wurde am Montag ein junges Ehepaar, daS eben vom Standesamt kam und nach der Kirche fuhr, von einem bedauerlichen Unfall be troffen. AuS unbekannter Ursache scheuten die Pferde und warfen die Kutsche um. Die Braut erlitt hier bei einen Beinbruch und mußte anstatt in die Kirche nach Hause gefahren werden. Die Hochzeitsfreude war damit natürlich gründlich gestört. — Mittweida. In hiesiger Stadt wird am 19., 20. und 21. Juli d. I. der 7. Deutsche Kreuz brudertag abgehalten werden. Die große Ver einigung der Krcuzbrüdcr erstreckt sich bekanntlich über ganz Deutschland und zählt nach den neueren statisti schen Erhebungen gegenwärtig an 285 Tischen ca. 70,000 Areuzbrüder und Kreuzschwestern. — Bezüglich deS in Markranstädt und Apolda besonders inkeressirenden Schrön'schen Doppel- giftmordeS lautet daS Gutachten der zugezogenen Aerztc einstimmig dahin, daß das in den Leichen de» Bürgermeisters Schrön und dessen Gattin aufge fundene Gift Arsenik sei. ES erscheint hiernach die verhaftete Tochter ganz erheblich belastet, dagegen soll die Möglichkeit einer Mitschuld de» Liebhaber» derselben völlig ausgeschlossen sein. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 13. März. (Nachdruck verboten.) Eine furchtbare nihilistische Schreckensthat war eS, die uns der Telegraph am 13. Marz 1881 verkündete, — den Tod des russischen Kaisers, Czar Alexander II. Der Kaiser fiel einem Bombenattentate der Nihilisten zum Opfer, die er ver geblich während seiner Regierung bekämpft hatte. Ein tragi sches Geschick, das den mächtigen Herrscher ereilte, der über eine Fülle von Macht verfügte und doch sich selbst nicht ge nügend zu schützen im Stande war. Um so tragischer, als Kaiser Alexander II. den Beinamen „Czar Befreier" vom Bolle erhalten hatte, nachdem er die Schmach der Leibeigenschaft ausgehoben. Wie russische Zustände überhaupt, so giebt auch jener Schreckenstag in Rußland die alte, historische Lehre: Sicherer als alle Borsichts- und Schutzmaßregcln ist die Liebe und Verehrung des Volkes, wenn der Herrscher in dessen Mitte steht. Und daß solches bei uns der Fall ist, daß in deutschen Landen der Kaiser nicht „einsam aus steiler Höh", sondern mitten unter seinem getreuen Volke steht, des wollen wir uns in Erinnerung jenes schrecklichen russischen Dramas freuen. 14. März. Der 14. März 1803 ist der Todestag Klopstocks, des Dichters der berühmten Messiade. Wenn schon dieses groß artige Werk, das Ergebniß einer mehr als 25jährigen dichter ischen Thätigkeit, in unserer Zeit nicht mehr so viel gelesen, sondern mehr bewundert wird, so wird Klopstock doch immer im Tempel der klassischen Litteratur als der Besten einer thronen. Eine religiöse Gesinnung voll inniger Glaubenswärme, ein vaterländisches Hochgefühl, das den Blick der Zeitgenossen zum ersten Mal auf die Großthaten deutscher Vorzeit lenkt, wirkte s. Z. bestimmend auf den Gedanken- und Empfindungs kreis der ganzen Nation. Drei Jahrzehnte lang bildete der Dichter der Messiade den Mittelpunkt deutscher Poesie. Fünfzehn Minuten im künftigen Volksstaat. Unter diesem Titel veröffentlicht das Osterburger Kreisblatt folgende amüsante Studie: Es ist 7 Uhr Morgens. Bürger 0 357a: Anna, ist der Kaffee fertig? Bürgerin (1 3575: Nein, ich habe keine Bohnen mehr. Gestern war ich zu schwach, mir das Loth Kaffee vom Volksaint zu holen. Holz und Kohlen sind auch nicht mehr da. Jeden Tag giebt es nur einen halben Eimer voll Kohlen. Damit soll man auskommen! Bürger 6 357a: Mutter, murre nicht. Bürgerin (1 357b: Ich wollte Dir gern das Staatseffen von gestern warm machen. Bürger: Du weißt Anna, Erbsen mit Speck kann ich nicht vertragen. Was mag es denn heute geben? Bürgerin: Linsen mit Pöckelfleisch. Bürger: Jeden Tag Hülsenfrüchte?" Bürgerin: Gedulde Dich, Vater! Am zweiten Sonntag im nächsten Monat giebt es Dein Lieb lingsgericht: Saure Aalsuppe. Bürger: Ist denn der „Volksstaat" schon da? Bürgerin: Hier! Bürger (liest): „Am 16. d. M. sind die Kinder, welche in diesem Jahre 5 Jahre alt werden, an die Staatsanstalt zur Erziehung abzuliefern." — „Die jenigen Mädchen, welche in diesem Jahre 15 Jahre alt werden, haben sich in die Verehelichungs-Stamm rolle bis zum 17. d. M. eintragen zu lassen." — „Der frühere Handclsminister Paul Singer ist gestern beim Karren ausgeglitten und hat sich einen Fuß verstaucht." — „Da künftig die Häuser alle gleich mäßig gebaut werden, so wird der Beruf der Archi tekten aufgehoben." „Die allgemeine Staatstracht im nächsten Sommer ist blauer Kittel mit Soldaten hose. Es soll mit den Militär-Garnituren gründlich geräumt werden." — „357 frühere (jetzt überflüssige) Goldarbeiter sollen vorläufig als Pferdebahnkutscher, Briefträger rc. verwendet werden." — „Vom 1. No vember dürfen die Lampen nur von 5'^ bis 9'/, Uhr Abends brennen." — „367 Maurer und Zimmer leute wurden gestern von Hamburg nach Essen tranS- portirt, um in den dortigen Bergwerken zu arbeiten. Vielleicht werden ihnen die Frauen nachgeschickt." — „Vorgestern wurden 2969 Frauen über 40 Jahre, welche —" (Es klopft): Herein. Ein Volksstaats - Kontroleur: Wohnt hier der Bürger 6 357 a? Bürger: Mein Name ist Meher? Beamter: Namen giebt eS nicht; da könnte ja Einer einen hübsch und der Andere einen schlecht klingenden Namen haben. DaS geht nicht. Immer Gleichheit. Nun sag' mal, wie kommst Du dazu, noch im Bett zu liegen? Der VolkStag beginnt doch um 7 Uhr. Bürger: Ich bin krank. Beamter: Dann mußt Du um 6 Uhr aufstehen und Dich auf dem Volksamt untersuchen lassen. Willst Du wohl gleich aufstehen! (Zu der Frau): Und wa» stehst Du hier noch 'rum? Bürger: Bitte meine Frau nicht zu duzen. Beamter: Unsinn! Im Volksstaat wird nicht ge siezt. Du sollst heute Schnee schippen. Bürger: Ich bin ja Kunstdrechsler. Beamter: Unsinn! KunstvrcchSler brauchen wir nicht mehr. Ich habe Dir außerdem noch Folgendes von Amtswegen zu verkünden. Deine älteste Tochter ver- heirathct sich morgen. Bürgerin: Mit wem denn? Beamter: Mit Bürger b 3654 oder mit Bürger l- 639. E» ist noch nicht genau bestinnnt. Bürgerin: - Zie möchte ja gern den Bürger VV 347 haben. Beamter: DaS geht uns nichts an. Sie wird sich schon besinnen, sonst kommt sie nach Fuhlsbüttel. Außerdem ist Dein jüngstes Kind bereit» 5 Jahre alt, wa» Du verheimlicht hast. Ich will e» gleich mitnehmen. Weihnachten darf e» mal zu Besuch kommen. (Vater und Kind machen sich marschfertig und verlassen mit dem Beamten daS Hau».) Beamter (beim Fortgehen): Dein Mann scheint wirklich kränklich zu sein. Na, wenn Du einen an dern haben willst, so will ich gern ein gutes Wort für Dich einlegcn. Aus heiterem Himmel. Erzählung von Gustav Höcker. (2. Fortsetzung.) Wally antwortete nichts. Der Weg siel zu steil abwärts, um ihm nicht volle Aufmerksamkeit zuzu wenden, außerdem befürchtete Wally bei ihrer Ver wandten einen neuen Anfall geistiger Gestörtheit, der regelmäßig zu kommen pflegte, sobald sich Amrei in frühere Zeiten versetzte. Endlich war die Sohle der Schlucht erreicht. Die tosende Wasserfluth nahm fast die gesammte Breite des dunkeln Grundes ein, so daß für den sich an der rechten Seite schlängelnden Fußweg kaum genug Platz übrig blieb; die drei Wanderer mußten daher hinter einander gehen. Zuweilen zügelten sie ihre Schritte, weil Amrei an kurzem Athem litt, und während sie sich erholte, blickten die beiden jungen Leute in das wildromantische Landschaftsbild. Zu schwindelnder Höhe stiegen die Felswände empor, in ihren oberen Partien soweit überhängend, daß von dem blauen Himmel nur ein schmaler Streifen zu sehen war. Oft schien es, als ob zerfallenes Gemäuer die Spitzen der Berge krönte, in Wirklichkeit aber war es die seltsame Formation des Gesteins. Die Schlucht zeigte zahlreiche Windungen und demgemäß auch abwechselnde Landschaftsbilder. Ucberall brauste der Gebirgsfluß über hochragende Felsblöcke stürzend, auf denen Moos unv Farrn üppig wucherten. Bei einer neuen Biegung zügelte Paul den Schritt. „Meine Eltern werden mich vermissen," sagte er besorgt. „Bist Du ein kleines Kind?" neckte Wally. „Wir haben heute daheim viel zu thun und da rechneten die Eltern doppelt auf meine Mithülfe." „Schäme Dich, Paul, Du bist ungalant." „Der Weg ist weit." „Weil wir langsam gehen. Kehrst Du allein zurück, so kannst Du nach Herzenslust springen." Wally ließ dem Geliebten keine Zeit zum Ueberlegen, sondern fuhr schmeichelnd fort: „Sieh, ich fürchte mich jetzt, mit der Amrei allein zu gehen, Du weißt ja, sobald wir am Schloß Kemmeritz vorübergehen, redet sie irre. Sie ist jetzt schon ganz still geworden, das ist ein schlimmes Zeichen. Darum begleite mich bis nach Hause. Ich bitte Dich." „Fürchtest Du Dich dort nicht auch vor der Amrei?" „Bewahre, daheim sind ja die Mägde und Knechte. Außerdem hält der Anfall meiner Tante nur so lange an, bis wir an dem Schloßberg vorüber sind. Wally zwinkerte so freundlich mit den Augen und streichelte die Wangen des Geliebten so sanft, daß es ihm unmöglich war, die kleine Bitte abzuschlagen; auch hatte sie recht; er konnte sich ja auf dem Rück wege beeilen. Der Pfad begann jetzt etwas breiter zu werden, darum schob Wally ihren Arm unter jenen Paul», mit dem sie scherzte und lachte. Sie wollte durch ihre laute Fröhlichkeit die grübelnde Tante auf andere Gedanken bringen, doch gelang eS ihr nicht. Der Athem Amreis ward immer kürzer und ihre Erregt heit nahm stetig zu. Nach fünf Minuten öffnete sich die Schlucht zu einem breiten Thale, dessen Mitte die Gebäude der Grundmühle zeigte. Auf dem bewaldeten Höhenzug zur Rechten, erhoben sich die Zinnen und Thürme eines stattlichen Schlosses, bei dessen Anblick sich Amrei bekreuzte. „Gott bewahr uns vor der weißen Frau, die dort Umgang hält," begann sie zu lispeln. „'S ist ja alles nicht wahr, Amrei, beschwichtigte Wally, sich gleichzeitig fester an Paul schmiegend, „die weiße Frau da oben ist schon längst Staub und Asche geworden." „DaS lügst Du!" rief Amrei zornig, mäßigte aber sofort den Ton ihrer Stimme und fuhr fort: „Sie ist stets da, wo eS ein Unglück giebt. Ich selbst habe sie durch die Bogengänge huschen sehen, — der Vollmond schien hell auf sie hernieder — und