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daß er seine Hand dazu reichen solle, einstweilen im Bergbauwesen einen Uebergang zum sozialistischen Zukunfttstaat zu schaffen! Begründet wird diese Forderung durch Vie „Erwägung", daß nur durch die Verwirklichung dieser Forderung der im Bergbauwesen zwischen den Bergwerksbesitzern und den besitzlosen Bergleuten bestehende rechtliche und wirthschaftliche Widerstreit vollständig beseitigt und der soziale Frieden dauernd und sicher hergestellt werden könne, daß ferner, wenn geeignete Rechtsformen geschaffen seien, um die Bergwerks-Unternehmungen zum gemeinschaftlichen Eigenthum der gegenwärtigen Besitzer und nament lich der Aktionäre von Aktiengesellschaften zu machen, e» auch nicht schwierig sein könne, andere Rechtsformen hcrzustellcn, welchen dieselben in das gemeinschaftliche Eigenthum der in ihnen selbstthätigen Leiter, Beamten und selbstständigen Arbeiter umwandeln. Auch die Privateisenbahnen seien in Staatsbahnen umgewandelt worden. — Nach Meldungen aus Italien macht sich in den dortigen Umsturzparteien eine große Rührigkeit bemerkbar. Alle, politischen Widersacher Crispi's und der von ihm gepflegten freundschaftlichen und bundestreuen Beziehungen Italiens zu den bei den mitteleuropäischen Kaisermächten erheben heraus fordernd ihr Haupt und schicken sich an, einen Feld zug wider das Ministerium Crispi zu eröffnen. Für die künftige Gestaltung der Stellung Italiens im Dreibünde erscheint das plötzliche Erstarken der fran zosenfreundlichen, d. h. der republikanischen und irrc- dentistischen Strömungen auf der Appeninenhalbinsel um deswillen nicht ganz ohne Bedenken, als auch ab gesehen von dieser unliebsamen Wendung der leitende italienische Staatsmann mit ernsten inneren Schwie rigkeiten genug zu kämpfen hat, und behufs siegreicher Durchführung dieses Kampfes eine Hauptwaffe in der Thatsache der außerordentlichen Steigerung des italienischen Prestiges, eben infolge des engeren An schlusses feiner Politik an die Sache des Friedens bundes besitzt. Es liegt auf der Hand, daß eine, wenn auch nur auf Trugschlüssen beruhende Schwäch ung des Respektes, den das Ausland vor der Be ständigkeit und Festigkeit des deutschen Staatsgefüges bislang hegte, den Interessen der unter Deutschland« Vortritt geführten internationalen Aktion mindestens nicht förderlich sein kann. — Rußland. Ein in London veröffentlichtes Petersburger Telegramm meldet, der Czar empfing einen Drohbrief von einer Frau, welche sich „Tschebrikowa" unterzeichnet hat. Es wird darin erklärt, der Kaiser werde das Schicksal seiner Vor gänger, Peter III., Paul I. und Alexander II., theilen, wenn er nicht seine reaktionäre Politik ändere. Jeder Minister erhielt gleichzeitig eine Abschrift des Briefes. In Folge dessen wurden verdoppelte VorschriftSmaß- rcgeln znm Schutze der Person des Kaisers ergriffen. Locale und sächsisch« Nachrichten. — Eibenstock, 10. März. Das gestern Abend im Saale des „Feldschlößchen" stattgehabte Gesangs- Concert des Männergesangverein Schönheide war zwar nicht so stark besucht, als es die Leistungen der Sänger und Darsteller verdient hätten, immerhin war die Zahl der Anwesenden in Rücksicht darauf, daß außer dem Fest der Kreuzbrüder im Schießbause auch für die Rekruten im Saale des Deutschen Hauses Kränzchen stattfand, noch eine ziemlich g-oße. Unter den dargebotenen Gesängen sprachen besonders das Duett „Barcarole", das Potpourri „Alte Be kannte" und der „Walzer" von Abt an. Durch schlagend für die Heiterkeit der Anwesenden war aber entschieden das laktige Gesangsstück „Bummelfritze". Obwohl dasselbe eines ernsten Hintergrundes nicht entbehrt, wirkten einzelne Scenen darin doch so ur komisch, daß die Zuschauer unwillkürlich zu den leb haftesten Beifallsbezeigungen hingerissen wurden. Dem Träger der Titelrolle, welcher sich mit derselben so vorzüglich abzufinden wußte, begegneten wir später noch mehrere Male bei den komischen Vorträgen, welche die Lachlust des Publikums immer wieder von neuem anregten. Daß in Folge Ausbleibens von Musik der Ball nicht stattfinden konnte, war aller dings ein Uebelstand, der dazu beitrug, daß das Ver gnügen des Abend«, schneller als erwartet, seinen Abschluß fand. — Dresden. Die Rückkehr Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich August von seiner großen Reise, die er in der zweiten Hälfte des Ok tober v. I. unter dem Namen eines Grafen von Weesenstein nach den Mittelmeerländcrn angetreten hat, erfolgt Mitte Mai und zwar von Konstantinopel aus. Se. Königliche Hoheit hat sich auf der inter essanten Reise, die meist von guter Witterung be gleitet war, unausgesetzt wohlbefunden. Die Reise ward bisher mit wenigen Ausnahmen programmmäßig auSgeführt. Mitte Februar ward Assuan, das süd liche Ziel der Studienreise erreicht. Für die Oster woche hat der Prinz Wohnung in Jerusalem bestellt. Ueber Smyrna, Athen rc. wird Anfang Mai Kon stantinopel zu I4tägigcm Aufenthalt besucht. — Leipzig. Ein in der Turncrstraße Hierselbst wohnhafter, als Sprachlehrer sich hier aufhaltender Engländer gerieth, alS er in einer der letzten Nächte in seine Behausung zurückkchrte und seine LogiS- wirthin nicht zu Hause antraf, hierüber unbegreiflicher Weise so in Aufregung, daß er eine brennende Pe troleumlampe im Schlafzimmer der Kinder zertrüm merte und hierdurch dasselbe in Brand setzte. Da» Dienstmädchen erstickte das auSgebrochene Feuer durch Darüberwerfen von Kleidungsstücken, die ihm gerade zur Hand waren, rief auch sofort zum Fenster her unter nach einem Schutzmann. Während ein solcher sogleich hinzueilte, hatte der rabiate Engländer aber bereits eine andere brennende Lampe in der Küche zerschlagen, so daß abermals Feuer entstand. Auch dieses wurde glücklicher Weise gelöscht, der Brand stifter aber nach dem Polizeiamte geschafft. — Vom Landgericht Chemnitz in der Kauf mann Hermann Zibart aus Annaberg wegen einfachen Bankerott« zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt worden, weil er nach der Ansicht des Ge richts seine Bücher ungenügend geführt und über mäßigen Aufwand getrieben hat, bevor er seine Zahl ungen einstellte. Der Angeklagte hat zur Entschuldig ung seines Aufwandes angegeben, er habe als strenger Anhänger des mosaischen Glaubens rituell leben müssen und deshalb da« Fleisch, dessen er benöthigte, aus Dresden bezogen, wodurch größere Kosten entstanden seien. Dieser Einwand erschien dem Gerichte von geringer Bedeutung; es prüfte ihn jedoch und kam im Urtheil darauf zurück. Dort hieß es: Der Be hauptung des Angeklagten steht die glaubhafte Aus sage seines Glaubensgenossen L. entgegen; bei seinen mißlichen Vermögensverhältnissen hatte der Angeklagte es nicht nöthig, eine rituelle Lebensweise zu führen. L. habe, so sagt das Urtheil weiter, selbst wegen der zu hohen Kosten eine derartige Lebensweise wieder aufgegeben. Selbst wenn man dem Angeklagten bei stimmen wolle, daß für ihn jene Lebensweise unum gänglich gewesen sei, so könne doch nicht angenommen werden, daß die dadurch entstandenen Kosten so hohe waren, daß man dadurch den gemachten Aufwand erklären könne. — Auch in Kirchberg ist der Fall eingetreten, daß bei der Stichwahl der Sozialdemokrat weniger Stimmen erhalten hat, als bei der Wahl am 20. Fe bruar. Die Zahl der sozialistischen Stimmen, sank von 718 auf 678, während die des Herrn Landgc- richtsdirektorS Kurtz von 567 auf 6k>2 stieg. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 11. März. (Nachdruck verboten.) Es war ein kalter, unfreundlicher Wintertag mit Sturm und Schneegestöber, jener 11. März 1888, an dem Kaiser Friedrich, nach dem Tode seines kaiserlichen Vaters aus dem sonnigen Süden herbeieilend, seinen Einzug in Charlottenburg hielt. Keinen Augenblick hatte der todeskranke Fürst gezögert, die ihm mit seiner Herrscherwürde zukommenden Regierungs geschäfte zu übernehmen. Ohne Rücksicht aus seine schwere Krankheit ergriff er das Staatsruder als ein Freund des Volkes, bis zuni letzten Augenblick dessen Wohl im Auge haltend. Auch Kaiser Friedrich hatte keine Zeit, müde zu sein. 12. März. Am 12. März 1365 wurde von Rudolf IV. von Oester reich die Universität Wien gegründet. Es war dies die zweite Universität, die in deutschen Landen überhaupt geschaffen wurde: die Universität Prag war die erste in Deutschland gegründete. Die Wiener Universität ist nächst Paris die größte aller Lehranstalten der Erde: sie besitzt 231 Lehrer und 4300 Hörer. Wenige Jahre nach Wien wurde die dritte deutsche Universität, Heidelberg, geschaffen. Aus heiterem Himmel. Erzählung von Gustav Höcker. (1. Fortsetzung.) „So habe ich es nicht gemeint," entschuldigte sich Schalter, dessen Verlegenheit sich durch das barsche Wesen des Müllers steigerte, „ich möchte den Herrn Steinert in einer ganz anderen Angelegenheit sprechen." „Kann mirö schon denken." „Die Zeiten sind schlecht. Der Neubau da drüben" — er deutete nach dem Tanzlokal — „hat viel Geld verschlungen, dazu kam Hagel und Miß wachs —" „Wenn man kein Geld hat," fiel Steinert unge halten ein, „muß man auch nicht bauen. Und was die schlechten Zeiten betrifft, so gehen sie uns alle- sammt an. Ich habe auch meine Sorgen." Schalter lächelte wehmüthig. Der reiche Grund müller und Sorgen, — das waren zwei Begriffe, die zu einander paßten, wie die Faust aufs Auge. Ohne weiter von dem Lammwirth Notiz zu nehmen, entfernte sich Steinert und in seinen Mienen prägte sich eine Härte aus, die Jedermann zurückstieß. Alle Gäste wichen ihm aus, sie wollten in ihrer Fröhlich keit nicht gestört sein. Als der Müller in den Saal trat, löste sich Paul schnell von Wally los, mit der er soeben zum Tanz antreten wollte und versteckte sich hinter zwei vornehm auSschende Herren, welche das Hochzeitsfest für kurze Zeit mit ihrer Gegenwart beehrten. Es waren dies der Polizeiamtmann Weber und der Kaufmann Rößler, welche zu den ange sehensten Honoratioren des Städtchens gehörten. Der letztere besaß neben seiner Kolonialwaarenhand- lung auch noch ein Bank- und Wechselgeschäft, das ziemlich florirte, denn zu Rechwitz wurden nicht un bedeutende Frucht- und Viehmärkte abgehalten, bei denen so mancher Käufer Kredit benöthigte. Die Musikanten begannen soeben einen Galopp zu spielen, al« draußen vor dem Tanzlokale ein fröhliche« Jauchzen erschallte. „Die Schauspieler sind wieder da!" riefen viele Stimmen und gleich nachher erschien eine Anzahl von Gästen Mit zwei Herren, denen man ihren künstlerischen Beruf sofort ansah. Der größere, ein Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, war offen bar der Vertreter de» jugendlichen Heldcnfaches, dafür sprach da« genial nach rückwärts gekämmte schwarze Haar, die edle Stirn und feingebogene Nase und das dunkle, feurige Auge. Sein Kollege war nm vieles kleiner, dafür aber äußerst korpulent; seine Figur, sowie dir Züge seines vollwangigen Gesichts, hatten etwas komische» und in der Thal zählte Sa tz alin Schwab el zu den beliebtesten Mitgliedern der Schubcrtschen Gesellschaft, welche alljährlich zur Herbstzeit in Rechwitz Vorstellungen gab. Die Vis- komika Schwabel» erregte auch jetzt die Lachlust der Hochzeitsgäste, welche sich um ihn schaarten und ihn mit den verschiedensten Fragen bestürmten. „Ist der Direktor auch schon da?" hieS es hier. „WaS wird wohl die erste Vorstellung sein?" fragte man dort. Der Lärm wuchs derart an, daß sich der Komiker nur mit Mühe verständlich machen konnte. „Mein Kollege Ramberg und ich sind der Direk tion vorausgeeilt," erzählte Schwabel, auf den Helden spieler deutend, der die Aufmerksamkeit der weiblichen Gäste vollauf in Anspruch nahm. „Die Gesellschaft trifft erst morgen ein." .Kommen viel neue Mitglieder?" fragte eine rauhe Baßstimme. „Aufzuwarten, Herr Amtmann," antwortete zu vorkommend Schwabel, welcher nach dieser Begrüßung auch Herrn Rößler die Hand schüttelte. „Vor allem, schöne Damen. Eine feine Liebhaberin, eine vor zügliche Naive und eine Soubrette mit einer Nachti gallenstimme." Nach dieser Auskunft folgte ein Händeschütteln, das kein Ende nehmen wollte. Jeder Gast suchte dem beliebten Schwabel nahe zu kommen, um einen Gruß mit ihm auszutauscheu und jedes fühlte sich geehrt, wenn der Komiker sich seiner erinnerte. „Grüß Gott, Wally," rief der dicke, kleine Herr, die Hand der Betreffenden herzlich schüttelnd. „Weiß Gott, wir sind noch hübscher geworden. Ach, und da ist ja auch der Paul! Als wir erfuhren, daß hier Hochzeit sei, habe ich schon gemeint, daß Ihr die Brautleute wäret." Wally lief erröthend davon und Paul spielte ver legen mit den Fingern, während die Gäste in stürmische Heiterkeit ausdrachen. „Ja so," fuhr Schwabel mit einem komischen Blicke auf Steinert fort, der gleichfalls in der Nähe stand, „da ist ja der gestrenge Herr Vater, der ein Wort mit darin zu reden hat. Immer noch so brummig wie ehemals?" Die Anwesenden erstaunten, ob der kühnen Rede. „Der Direktor hat diesmal ein Stück mitgebracht, in dem Ihr mit vorkommt," sprach der Komiker un beirrt weiter, „cs heißt: Der Müller und sein Kind. Könnt Euch ein Exempel daran nehmem. Das war auch so ein gestrenger harter Vater." „Einfältiges Geschwätz," brummte Steinert, sich schnell durch die Menge drängend. In dem Garten angclangt sah sich Steinert nach seiner Tochter um. Statt ihrer fand er seine Schwä gerin, welche wegen der geräuschvollen Musik den Tanzsaal verlassen hatte. „Mein Kopf ist müde, Scbwager," redete sie den Müller an, „ich möchte heim." „Hab nichts dagegen," versetzte Steinert. „Hast Du Wally nicht gesehen?" Amrei verneinte. „Es wäre mir lieb, wenn Du sie mitnehmst, dann kommt sie dem WirthSsohne aus den Augen." „Sei doch nicht so hart gegen die jungen Leute," gemahnte Amrei. „Die Liebe ist im Herzen, ehe man sich's versieht. Auch hat meine Schwester auf dem Sterbebette die Beiden einander zugesprochen. Du mußt den Willen der Seligen respektiren." „Daß ich ein Narr wäre," lachte grimmig der Müller, „und mein sauer verdientes Geld einem Habenichts an den Hals würfe. Für die SchallerS habe ich nicht gespart." Er wandte sich zum Gehen, „Gott wird Deinen harten Sinn noch brechen," rief ihm Amrei nach und nach kurzer Pause fügte sie vor sich hinmurmelnd hinzu: „An Deinem Gelbe hängt nicht der Schweiß ehrlicher Arbeit, wohl aber das Blut armer Menschen." Sie verließ den Garten und begab fick auf die Landstraße, wo sie in einiger Entfernung Wally mit Paul erblickte, die seitwärts des Weges auf einer Steinbank saßen. Amrei hatte mit dem Büschen verabredet, daß sie sich dort treffen wollten, denn das Fest war dem Mädchen durch de« Vater« Verbot, mit dem Geliebten zu tanzen, verleidet worden. „Der Bursch darf auch dabei sein," sprach die gutherzige Frau zu sich, „es ist wahrhaftig kein Un recht, wenn sich Zwei in Ehren lieben." Und al« sie die Bank erreichte, nickte sie Paul freundlich zu und sagte: „Kannst uns nach Hause begleiten. Deine Gesellschaft wird Wally mehr behagen, als die meinige!" DaS Mädchen wollte sich dagegen verwahren, doch Amrei ließ sic nicht zu Worte kommen.