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welche sich hinter den Tanzenden aufgestellt hatte, dann verschwand er und Helene sah ihn diese Nacht nicht wieder. Aber die Gräfin konnte ihn nicht vergessen und der Zustand ihre« Herzens fing an, sic sehr zu beun ruhigen. — Der Frühling kam dieses Jahr über raschend früh und sch»n und da Graf RudelShcim die Zeit über wiederholte Aufforderungen erhalte», selbst nach Amerika zu kommen, so konnte er die Reise nicht mehr'aufschieben. Seine Frau hatte ihn noch mals dringend gebeten sie mitzunehmen, aber er wagte e« nicht und versicherte seiner Gattin, daß er alle« daran setzen werde, so schnell als möglich zurück zukehren, daß ihin aber ihr Leben viel zu theucr sei, um es den Gefahren einer Seereise und eines fremden, ihr vielleicht nicht zusagenden Klimas auszusetzen. Seine Gattin lebte nach des Grafen Abreise still und zurückgezogen, sie nahm gar keine Einladung an und ließ sich stets vor den Besuchen verleugnen, bis eines Tages die alte Gräfin, der Abweisung nicht achtend, bei ihr eindrang. „Armes, dummes Kind," redete sie die wohl wollende Dame an, „Sie wollen also aus freiem Willen hier in der Einsamkeit versauern und häßlich werden, denn die Langeweile macht immer häßlich," fuhr sie ernsthaft fort, „zum Glück bin ich zur Stelle und werde Ihre Retterin sein. Machen Sie Toilette, es ist das herrlichste Frühlingswetter und wir fahren ins Freie, mein Wagen steht vor der Thür." Die junge Frau wollte widerstreben, aber da war keine Rettung möglich, es wurde der Jungfer geschellt, Toilette gemacht und bald saßen die Beiden Damen im Wagen. Von diesem Momente an führte die Gräfin ihr früheres Leben und wunderte sich selbst, daß sie es vermocht hatte, der Welt so lange zu entsagen, sie ging aus, besuchte Gesellschaften und duldete es, wenn auch im Anfänge mit stillem Schrecken, daß Baron Hagen ihr steter Begleiter war. Plötzlich be gann sie zu fühlen, daß sie auf abschüssigem Terrain angelangt sei und indem sie der Gefahr entfliehen wollte und aufs Land ging, bemerkte sie zu spät, daß sie jetzt unrettbar verloren sei, denn Philipp von Hagen war ihr nachgekommen und wenn sie auch im Anfänge glaubte, ihm widerstehen zu können, so war dies der Wahn einer schwachen, wenn auch rechtlich fühlenden Frau. Baron Hagen besaß eine verführerische Gewalt über die weiblichen Herzen und auch die junge Gräfin ward, seine Beute. Die Liebe, welche sie in ihrer Ehe nie gekannt, hatte sie mit übermächtiger Gewalt erfaßt und über fallen. Sie betete Philipp von Hagen mit gänz lichem Vergessen ihrer Pflichten förmlich an. Sein Wille war ihr Gesetz geworden und sie dachte nur an das Glück der Gegenwart und des kommenden Tages, ohne nur des fernen Gatten und dessen mög licher Zurückkunft zu gedenken. Aus diesem Liebes taumel wurde sie durch einen Brief aus Amerika emporgeschreckt, welcher die nahe Wiederkehr des Grafen, welcher nun schon dreiviertel Jahre fortge wesen, verhieß. Derselbe hatte bei der Erbschafts erhebung namenlose Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, war dann krank geworden und seine Wieder herstellung gelang erst nach einer langwierigen Be handlung. Jetzt war fast alles überwunden und er bereitete sich vor, New-Jork in vierzehn Tagen zu verlassen. Die Gräfin las diesen Brief mehrere Male, ehe sie dessen Sinn vollständig begreifen konnte. Er kam wieder, ihr Gatte, welchem sie die Treue ge brochen und welcher gewiß seine Ehre blutig rächen würde. Philipp von Hagen versuchte, sie zu beruhigen. „Wir haben noch einen Monat Zeit für uns," sagte er, „und können noch unsere Entschlüsse fassen." „Was können wir thun?" „Uns hilft nur eines, die Flucht." Am andern Tage verließ die Gräfin das Schloß, nachdem sie ihren Verwandten geschrieben hatte, daß ein fortdauerndes ernstes Unwohlsein sie nöthige, ein südliches Klima aufzusuchen, und nur von einer Kammerjungfer begleitet, reiste sie ab, aber nicht nach Nizza, wie sie in der Gegend verbreiten ließ, sondern sie floh an den Comer-See wo sie unter fremdem Namen eine kleine Wohnung miethcte. Philipp von Hagen war ihr nicht gefolgt, er blieb in der Hauptstadt, wo er ziemlich auffällig die Existenz eines Lebemannes fortführte, viel von sich sprechen machte, aber eines Tages, nachdem er durch eine un verfängliche Depesche benachrichtigt wurde, die Gräfin sei infolge der Aufregungen der letzten Zeit in ein hitziges Fieber verfallen, er möge sofort kommen, aus der Hauptstadt verschwand und nach zwei Tagen bei der Gräfin eintraf. Er nahm in ihrer nächsten Nähe, ebenfalls unter fremdem Namen, eine einfache Wohnung. Schon nach zwei Tagen wurde er in Eile zu der Geliebten ent boten, aber er war noch keine halbe Stunde bei ihr, als das Kammermädchen mit allen Zeichen der Angst unter der Thür erschien nnd ihm bedeutete, hinauS- zukommen. Draußen flüsterte sie ihm zu, daß sie den Grafen Rudel-Heim eben im Garten erblickt habe. Philipp sah hinunter und bemerkte den Grafen, wie er spähend unter den Bäumen des Gartens da herkam. Nach vielem Suchen hatte er entdeckt, unter welchem Namen seine Gattin sich hier verborgen hielt; die brennendste Eifersucht hatte den unglücklichen Gatten auf den rechten Weg geleitet. Philipp von Hagen war im Begriffe, ihm rasch entschlossen entgegenzugehen, zuvor sagte er aber noch zu der Kammerfrau: „Die Gräfin darf nichts erfah ren. Der Arzt darf aber das Krankenbett der Gräfin ja nicht verlassen. Ich werde mein Leben für das der Gräfin einsetzen." Nach diesen eilig gesprochenen Worten trat er dem Grafen kühn und ruhig entgegen. Dieser gerieth bei seinem Anblick in einen Wuth- Paroxismus, welcher entsetzlich war, seine Augen sprüh ten Blitze. „Meine Ahnung hatte mich also nicht betrogen," rief er mit heiserer Stimme, „die Gräfin ist hier und Sie bei ihr!" „Ich leugne es nicht und bin zu Ihren Dienste», Herr Graf, nur bitte ich Sie, Ihren gerechten Zorn in diesem Augenblick zu mäßigen, die Gräfin ist todt- krank und der Arzt wacht an ihrem Bette!" „Feigling! All Ihr Blut genügt nicht, die Schmach abzuwaschen, welche Sic mir angethan!" „Ich sagte eben, Herr Graf, daß ich zu Ihren Diensten bin, hier ist aber kein Platz, um unseren Streit zu beende», wir sind beide ohne Waffen, ich bitte Sie also, sich mit mir in meine Wohnung zu verfügen, dort können Sie selbst die Waffen wählen." „Kommen Sie, kommen Sie rasch," sagte der Graf in fieberhafter Wuth, „ich kann den Augenblick nicht erwarten, Sie als Leiche zu sehen." In Zeit einer halben Stunde standen sich die beiden am Ufer des Sees beim Hellen Schein des Mondes gegenüber, sie hatten keine Zeugen mitgebracht, denn Niemand durfte in das Gcheimniß eingeweiht werden, cs war ein Duell auf Tod und Leben, ohne Gnade, ohne Barmherzigkeit, das wußten beide. Nach fünf Minuten hörte man einen durchdring enden Schrei, und Philipp von Hagen stürzte, tödt- lich in die Brust getroffen, zu Boden. Der Graf sah, daß sein Feind wohl nur noch einige Augenblicke leben werde, seiner Rache war Genüge getha», er eilte in das Hotel zurück, wo er abgestiegeu, und beschloß, nun den Arzt kommen zu lassen, um über die Gesundheit der Gräfin Nachricht zu erhalten. Es dauerte längere Zeit, bis dieser erscheinen konnte, und erfuhr, daß die Krankheit, welche sie ge fesselt, seit diesem Morgen in ein besseres Stadium getreten sei. Sie müsse aber noch streng vor jeder Aufregung bewahrt werden und darum sei cs unum gänglich nothwendig, daß der Graf ihr noch fern bleibe. Da Graf Rüdelshcim um jeden Preis Skandal verhüten und seinen Namen nicht beschimpft wissen wollte, so gab er nach, er kehrte auf sein Schloß zu rück und erthcilte den Befehl, daß, sowie die Gräfin ganz außer Gefahr, sic ebenfalls dorthin gebracht werden sollte. Von dieser Zeit an lebten die Gatten zwar in demselben Hause, aber sie sahen sich nicht mehr. Zu erst, nach ihrer Ankunft, hatte die Gräfin ihren Ge mahl zu sprechen verlangt, aber er hatte sich uner bittlich gezeigt und sie nicht scben wollen, sodann hatte auch sie jeden entgegenkommenden Schritt aufgegeben und so lebte sie lange, ohne daß das eine das andere wieder gesehen hätte. Die Gräfin hatte damals vernommen, daß ihr Gatte sich mit Philipp von Hagen geschlagen hatte, über den Ausgang dieses Duellcs wollte sie von dem Grafen Auskunft erbitten, als sie ihn um eine Un terredung gebeten hatte. Ihre Strafe sollte sein, nichts von demselben zu erfahren. Wie viel quälende und trübe Gedanken überfielen die zwar schuldige, aber dennoch beklagenswerthe Frau, wenn sie heiße Thrä- nen vergießend in ihrem Zimmer einsam und ver lassen saß. Auf die Gesinnungen des Grafen übte die Zeit ihren mächtigen Einfluß, er wurde älter, die Freuden der Jugend lagen hinter ihm, und die Gegenwart wie die Zukunft vermochten ihm keine zu bieten. Wie ganz anders wäre es gewesen, wenn das Lachen eines fröhlichen KinveS seine Einsamkeit belebt, und ihn vielleicht auch wieder zu der Mutter gezogen haben würde, zu der Frau, welche wohl schwach und schuldig gewesen, die aber auch durch Jahre der Buße viel gesühnt hatte. Auch in das Herz der Gräfin senkten sich mildere Gedanken, wenn sie, am Fenster sitzend, die gebeugte Gestalt ihres Gatten in dem Park herumwandeln sah, und oft fühlte sie ein fast unwiderstehliches Ver langen, zu seinen Füßen seine Verzeihung zu erflehen. Einem Fremden war es Vorbehalten, den ver söhnenden Funken, welcher in beider Herzen zu glim men begann, zur Flamme anzufachen. Zu dieser Zeit erschien nämlich ein amerikanischer Bekannter, namens Jefferson, auf dem Schlosse; der selbe hatte die Liquidation der Erbschaft besorgt, und da der Graf mit seinen Diensten sehr zufrieden ge wesen war, so empfing er den Mann außerordentlich freundlich und lud ihn zum Bleiben ein. Jefferson blieb mehrere Wochen dort und hatte in dieser Zeit oft längere Unterredungen mit der Gräfin. Er kannte die Größe von dem Vermögen des Grafen ganz genau uud bei einem Besuche, den er der Gräfin gemacht, betonte er seine Verwunderung, daß zwischen den Gatten keine pekuniären Vereinbar ungen stattgefunden hätten. (Fortsetzung folgt.) AuS der muhamedanischen Welt. II. «Nachdruck verboten.) Ob viel oder wenig Europäer durch eine Gegend im Innern des Landes ziehen, kann inan deutlich daran erkennen, ob man mehr oder weniger Gegen stand der Neugierde ist. So wurden schon meine Sporen, ehe ich noch vom Pferde gestiegen war, be tastet und befühlt, der Saum des Mantels ange griffen, gleichsam um zu sehen, ob der Fremde wirk lich ein Mensch und kein Geist ist, ja ein wißbegieriger Knabe machte sich einmal daran, mit «»geleckten Fingern auf meinen Stiefeln herumzuwischen, wahr scheinlich, um den schwarzen Glanz derselben zu unter suchen. Als ich eines Tages an einein Dorfe vorbei ritt, riefen beim Anblick meiner Brille mehrere Zu schauerinnen erstaunt in ihrer Sprache aus: „Ach die Augen, die Der hat", ein Iltisruf, der bei allen Begleitern viel Heiterkeit erregte. Ohne Zweifel war der Reflex der Sonnenstrahlen die Ursache der Verwunderung. Dann wiederum kommen Leute, die irgendwie krauk sind, und bitten um Hilfe. Vielfach mag cs ja der Fall sein, daß unter den christlichen Reisenden ein Mann ist, der Arznei-Mittel bei sich führt und sie anzuwcndcn versteht. Will der Muhamedaner gegen den Fremden auf merksam sein, so macht er ihm ein Geschenk, aber nicht etwa aus Edelsinn oder allgemeiner Menschen liebe, sondern mit der Vorausberechnung und Er wartung, ungefähr den gleichen Werth ebenfalls in einem Geschenk zurückzubekommen. Ich könnte dies an vielen Beispielen zeigen, die indeß zu sehr in's Einzelne gehen würden, will aber als Curiosum ein Borkommniß erzählen. Kaum war eines Abends das Zelt aufgeschlagen, als eine kranke, nur in schmutzige und zerrissene Gewänder bekleidete Frau, noch dazu mit einem kranken und elenden Kinde, vor das Zelt kam und diese Jammergestalt brachte als Geschenk — 3 Hühnereier. Oh, wie unendlich verschieden sind doch die Formen, in denen auf diesem Erdenrund gebettelt wird. Geschenke zurückzuweisen, gilt als eine schwere Beleidigung. Nur ein Fall von Generosität des Geschcnkgebers ist mir bis jetzt selbst passirt. Als ich einmal mehrere Tage allein reiste, das heißt, nicht in Gesellschaft mit anderen Europäern, sondern blos in Begleitung von 2 Muhamedanern, kehrten dieselben eines Abends im Hause eines Heiligen ein, der, nebenbei bemerkt, ein sehr reicher Mann war. Hier wurde allerdings Alles geboten, was des Menschen Herz unter diesem Himmelsstrich nur verlangen kann. Futter für die Pferde und Kameele, Essen für mich und meine Be gleiter, eine separate Stube, Brod, Thee, Zucker, Eier und auch eine Feuerstätte, .um Wasser kochen zu können. Später am Abend ließ der Heilige, ein ehrwürdiger Greis mit weißem Bart, mich in sein Zimmer bitten, um mich über woher und wohin meiner Reise und über meine Person auszufragen. Nach morgenländ- ischer Sitte mit untergeschlagenen Beinen zu sitzen, war und ist mir freilich nicht möglich und so habe ich mich denn auch da aus dem schönen Teppich des Fußbodens lang gestreckt. Ob dies jener anserwählten Gesellschaft gefallen hat, ich weiß es nicht. Am nächsten Morgen, noch ehe die Sonne aufgegangen war, saß ich wieder im Sattel und weiter ging es, denn ich mußte vor oder bei Sonnenuntergang aber mals einen bestimmten Platz erreichen, um übernachten zu können. Auch der Islam hat seine Heiligen, zu deren Ehren und Andenken nach dem Tode besondere kleine Häuschen, gewöhnlich ganz weiß angestrichen, errichtet sind, die man zerstreut, von den Hütten der Landbe wohner entfernt, im Lande sieht. Wenn es das Wetter gestattet, brennt des Nachts vor solch' einem Heiligen haus ein Licht. Behufs Unterhaltung solcher Häus chen giebt eS zuweilen an den Wegen Opferstöcke, in welche der fromme Muhainedaner beim Vorüberziehen eine Geldmünze wirft. Nach wochenlanger Landreise im Pferdesattel, nach dem man an Himmel und sandiger Gegend, wo al- einziger Baum selten mal eine Palme steht, sich satt gesehen hat, wie gern habe ich da an der Küste das Donnern der Meeresbrandung wieder gehört und als einzige Erholung am Anblick des schönen, weiten Weltmeeres mich erfreut. Mit Vorliebe be trachte ich, wenn ich kann, den Eintritt der Fluth, wenn eine Woge mächtiger als die andere vom Meere hereinkommt und entweder am flachen Strande brausend sich verläuft oder an felsigem Ufer donnernd sich bricht. Und so schließe ich diese kleinen Schilderungen mit dem schönen, arabischen Gruß Salama alikum, zu Deutsch: Der Friede sei mit Euch. Druck und Verlag von E. Hannebotzn in Eibenstock.