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Beilage m Rr. 26 des „Amts- und Aiyeigeblattes". Eibenstock, den 1. März 1890. Ein amerikanischer Detektive. Roman von Juli« Düngern. (7. Fortsetzung.) „Und die Gräfin, als Sie dieselbe wiedersahen, machte sie je eine Anspielung auf diesen Brief?" „Nicht im geringsten, mein Herr, und^von meiner Seite hat kein Blick, kein Wort, unser Gcheimniß verrathen." „Und jetzt," fuhr der Justizbeamte fort, „bitte ich Sie nicht empfindlich zu werden, sondern zu bedenken, daß zu Zeiten der Richter auch ein Beichtvater sein muß, jetzt möchte ich Sie fragen, warum hat die junge Komtesse sich dem Heirathsplane ihres Vaters, welcher sie mit dem jungen Graseneck verbinden wollte, stets so abgeneigt gezeigt?" „Ich kann mir nur denken," sagte der Offizier mit einer stolzen Bewegung, denn es widerstand ihm, sich so ausgefragt zu sehen, „daß Komtesse Rudelsheim sehr ernste und heilige Begriffe von der Ehe hat und nicht glaubte, daß ihr Charakter zu dem meines Freundes passen würde." „Ich begreife, daß sie zu Ihnen mehr Vertrauen faßte," entgegnete der Beamte in so gütigem Tone, daß der junge Edelmann über die Anspielung nicht zürnen konnte, „und ich weiß auch, daß Sie es waren, welcher die Komtesse auf ihrem Besuche im elterlichen Hause begleitete. Sie brauchen nicht zu erröthen, noch böse zu werden, lieber Baron Hagen, die Polizei, wenn sie einem Verbrechen auf die Spur kommen will, mnß ihre Fühlhörner überall ausstrecken und so wurden Sic auch auf dieser frommen Pilgerfahrt belauscht, ich weiß, daß die Gräfin ein Schriftstück ihrer Mutter entdeckte, daß sie Ihnen später dasselbe anvertraute. Haben Sie in der Zeit nichts über dessen Inhalt erfahren?" Der Offizier war zornig aufgesprungen. „Ruhe, Ruhe, mein lieber junger Freund," sagte Herr von Stern, und drückte ihn freundschaftlich auf seinen Stuhl zurück, „vergessen Sie nicht, was ich Ihnen vorhin vom Beichtvater sagte, zudem haben Sie auch mein Herz gewonnen, und ich möchte Ihnen wie der Komtesse gern dienstlich sein, so lange sich dieses mit meinen amtlichen Pflichten verträgt und vielleicht lassen sich diese Beiden hier vereinen, ich kann Ihnen aber nicht verbergen, daß in dieser dunklen Angelegenheit auch Gewitter für die junge Gräfin aufziehen. Sie sind jung und lieben, damit ist genug gesagt, da müssen Sie schon erlauben, daß andere ihre Augen für Sie offen halten und wenn Sie also einigen Einfluß auf die junge Dame haben, so bestimmen Sie dieselbe, alles was sie weiß, dem Richter anzuvertrauen." Herr von Stern war bei diesen Worten aufge standen, Hagen that desgleichen und sagte dem Richter Lebewohl. Zu Hause angekommen, konnte er keine Ruhe finde», welche dunkle Wolke mochte Franziska bedrohen. Der junge Mann sann hin und her und beschloß am folgenden Tage der Komtesse alles mitzutheilen. Indessen war er an das Fenster getreten, sein Gastzimmer war dem Flügel, in welchem Franziska wohnte, gerade gegenüber, nnd er hatte in den kurzen Tagen seines Hierseins die Gewohnheit genommen, sich nicht eher zu Bett zu legen, als bis er das Licht im Zimmer der Geliebten erlöschen sah. Auch heute wollte er das Gleiche thun, die Komtesse war aber noch in Gesellschaft, er überließ sich seinen Träumer eien, aus welchen ihn die rückkehrende Equipage, welche die Damen nach Hause gebracht hatte, erweckte; ein glückliches Gefühl umfing ihn, Franziska war wieder mit ihm unter demselben Dache, sie bildeten sozusagen eine Familie, morgen werde er ihr mit theilen, was er bei Herrn von Stern erfahren, und ganz nach ihrem Befehle handeln. Bis tief in die Nacht behielt er seinen Lauscher posten ani Fenster, innerlich sehr erstaunt, daß Kom tesse Franziska »ach einer anstrengenden großen Ge sellschaft sich noch nicht zur Ruhe begeben wollte. Endlich verlosch die Lampe und Kurt von Hagen suchte sein Lager, uni einen unruhigen und wenig erquickenden Schlaf zu finden. Am andern Morgen zog er sich eiligst an und ging auf das Zimmer seines Frundes, welches der Arzt eben verlassen hatte. Er fand den jungen Grafen in der heitersten Stimmung, der Arzt hatte ihm eben einen Spazier gang erlaubt. „Das trifft sich recht glücklich," entgegnete der Offizier, „denn ich muß wieder zu meiner Truppe zurück, mein Urlaub ist morgen abgelaufen." „So erneuere ihn," sagte der Freund. „Das kommt darauf an," meinte von Hagen mit kummervoller Miene. Bruno Grafcneck lachte. „Ich weiß, was eS ist," sagte er, „Du bist unzufrieden mit Franziska, welche Dich schmachten läßt." „Bedenke, was Du redest," sagte von Hagen in mißbilligendem Tone, „Komtesse Franziska hat mir niemals —" „Ich kenne das," unterbrach ihn der Andere, „ver suche nicht, sie als treuer Ritter zu rechtfertigen, meine Kousine hat sich geändert, sie ist eine Kokette geworden, was sie nie war, denn sie sucht sichtlich Dich anzuziehen und dann ist sie wieder fremd mit Dir. Das beste Mittel gegen solche Launen ist Ent fernung, und also erlaube ich Dir, von hier fortzu gehen, aber ich werde Dich begleiten, die ländliche Luft in Deinem Garnisonsstädtchen wird mir gut thun. „Du denkst also noch immer an Perdita?" „Mehr als je! Das arme liebe Kind, ich bin ihr eine Entschädigung schuldig für alles, was sie gelitten! Doch jetzt komm zum Frühstück, meine Mutter und Franziska erwarten uns und es drängt mich, das Gesicht von letzterer zu sehen, wenn wir unsere Abreise ankündigen." Lachend zog Bruno den Freund in das Eßzimmer, wo seine Mutter ihn mit offenen Armen erwartete und Franziska denselben freundlich bewillkommnete. Kurt von Hagen sah mit Betrübniß, daß die Komtesse traurig gestimmt war, eine tiefe Bläffe bedeckte ihre Wangen und die schwarzen Schatten, welche unter ihren Augen lagerten, sprachen von einer schlaflosen Nacht. Der Sohn des Hauses sorgte indessen durch seine Heiterkeit, daß die Konversation nicht ausging; er er kundigte sich nach den TageSneuigkeiten und da die Damen wenig davon wußten, versicherte Bruno, daß er jetzt wieder in die Welt gehen werde. „Aber Du bist noch nicht gänzlich hergestellt, mein Sohn," sagte die alte Dame. „Zu diesem Behufe gehe ich morgen mit Kurt in seine Garnison, liebe Mutter, die Landluft soll mich vollständig gesund machen." „Wäre es denn nicht möglich, Ihren Urlaub zu verlängern, lieber Hagen?" fragte die Gräfin mit freundlichem Drängen. „Leider nein," entgegnete der junge Offizier, „so gerne ich auch möchte!" Graf Bruno hatte inzwischen seine Kousine beob achtet, und da diese scheinbar ganz antheillos bei der 'Nachricht von Hagens Abreise blieb, ergriff ihn die Ungeduld, und er sagte: „Ja, die Pflicht ist eine harte Sache, ich will noch von Kurts Anwesenheit profitiren, so lange es geht, denn er will nach Afrika reisen." Der Offizier wollte widersprechen, doch Graf Bruno bedeutete ihn durch Zeichen, zu schweigen, eben wollte er noch von den afrikanischen Gefahren erzählen, als er seine Kousine sich todtenblaß und mit bebenden Lippen erheben sah. „Ich fühle mich etwas unwohl, liebe Tante, und bitte um die Er- laubniß mich zurückziehen zu dürfen." Die Gräfin schloß sie erschrocken in ihre Arme. „Ich werde sogleich nach dem Doktor senden, arme« Kind," sagte sie liebevoll. „Bitte, thue es nicht, Tante," entgegnete Franziska, „ich habe die Nacht nicht geschlafen und bedarf nur der Ruhe, bis diesen Abend wird alles wieder gut sein. Sie grüßte die Anwesenden und eilte in das Zimmer, wo sie, nachdem sich ihre Jungfer aus dem Borziinmer entfernt hatte, sich einschloß, dann setzte sie sich rasch an ihren Schreibtisch, und entnahm aus einer Schublade desselben den schwarz gesiegelten Brief, welchen sie in der vorigen Nacht erbrochen, und immer und immer wieder gelesen hatte. Der Brief war eng beschrieben und lang, er mußte Schreckliches enthalte«, denn kalter Schweiß trat auf die Stirn des jungen Mädchens, und die Thränen flössen über ihre Wangen, je länger sie darin las. „Mein Gott, mein Gott," jammerte sie, „es ist also wahr! Was werde ich beginnen, ach, eS ist ent setzlich!" Ihre Hand krampfte sich um das Kouvert, da fühlte sie plötzlich noch einen Gegenstand darin, eS war ein Skapulier. Die Komtesse hatte noch niemals dergleichen ge sehen, sie betrachtete cs neugierig und sann noch über seine Bedeutung nach, als die Jungfer an ihre Thür klopfte und meldete, daß Leutnant Kurt von Hagen in dringender Angelegenheit die junge Dame zu sprechen begehre. „Sagen Sie dem Herrn Leutnant, daß ich den selben auf keinen Fall hier in meinem Zimmer em pfangen kann, auch fühle ich mich zu unwohl, werde denselben aber heute Abend bei meiner Tante sehen!" „Der Herr Leutnant lassen sagen, daß die Sache höchst wichtig sei und keinen Aufschub erleiden könne," sagte die Zofe wieder, „bitte, öffnen Sie, Komtesse!" Als Franziska aufgeschlossen hatte, trat sie er schrocken zurück, denn neben Kurt von Hagen stand noch ein Fremder auf der Schwelle. ES war Bauer. „Verzeihen Sic, gnädiges Fräulein," redete sie der junge Offizier an, „daß ich wider Ihren Willen bei Ihnen eindringe, aber Herr von Stern, der Untersuchungsrichter hat mir gestern gesagt, daß er den Mördern Ihrer Eltern auf der Spur sei." „Wäre dies möglich?" rief die Komtesse, aufs äußerste erregt aus. „Genuß, einer der Verbrecher wird eben verhaftet werden. Herr Detektive Bauer, welchen ich Ihnen hier vorstelle, hat mir soeben die Nachricht gebracht." Das junge Mädchen stammelte soeben mit beben den Lippen die Bitte, Herrn von Ster» ihren Dank zu überbringen, als der Agent sagte: „Gnädige Kom tesse werden dies persönlich ausrichten können, denn Herr Stern bittet um eine Unterredung, da er noch über Mehreres mit Ihnen zu reden hat, — er wünscht nur, daß Sie ihm gütigst eine Stunde bestimmen." „Ich werde ihm bis heute Abend Antwort senden," war die Entgegnung und dann — Bauer durch eine 'Neigung des Kopfes entlassend — bat sie den jungen Offizier, ihr noch einige Minuten zu schenken. Der Agent schien wie gebannt an seinem Platze zu haften, endlich stammelte er: „Wie kommt dieses Skapulier daher, wer hat eS Ihnen gegeben, Komtesse?" und bei diesen Worten war er an den Tisch gestürzt und hatte dasselbe ergriffen. Zu gleicher Zeit hatte Baron Hagen, sprachlos vor Wuth, es dem Agenten wieder entrissen und. maß denselben mit zornigen Blicken. Bauer war nahe daran, sich auf den Offizier zu stürzen, doch er bekämpfte sich und murmelte: „Neh men Sie sich in Acht, Herr Leutnant, Sie könnten in eine böse Geschichte kommen, denn dieses Skapulier ist dasselbe wie das, welches man in der Stube fand, wo die Gemordeten lagen, der Graf hatte es im Kampfe dem Mörder entrissen." „Nun, welchen Schluß ziehen Sie aus diesem Zufall?" Bauer bewegte die Lippen, aber er sagte nichts, sondern machte eine kurze Verbeugung und Ivar ver schwunden. X. Die Vergangenheit wird berichtet. Komtesse Franziska war einen Augenblick gedan kenvoll am Fenster stehen geblieben, die eben vorge fallene Szene hatte sie nicht so tief berührt, da sie noch ganz erfüllt von dem schrecklichen Geheimnisse, welches sie diese Stacht erfahren, an gar nichts ande res zu denken vermochte. Kurt von Hagen war der erste, welcher die Stille brach, er sagte vorwurfsvoll zu dem jungen Mädchen: „Warum haben Sie bei der Anfrage des Agenten, wie Sie zu dem Skapulier kamen, geschwiegen, Kom tesse? Es wäre Ihnen doch leicht geworden, es zu sagen, aber Ihre ganze Art muß dem Manne Miß trauen eingeflößt haben. Verzeihen Sie mir, aber seit gestern bin ich in tiefer Unruhe um Sie, Herr von Stern weiß von unserem nächtlichen Gange, um den Brief Ihrer verewigten Mutter zu holen, er glaubt nun, daß man in diesem Briefe Anzeichen finden wird, wer der Mörder gewesen, und darum wäre zu wünschen, daß sie ihm den Brief zeigten." „Niemals!" rief das junge Mädchen heftig aus, indem sie an ihren Schreibtisch eilte, die verschiedenen Bogen in das Kouvert steckte, und das Ganze in ihre Tasche schob. „Der Brief ist mein, ist mein heiliges Eigenthum, derselbe ist ganz privater Natur, und ent hält keinerlei Anspielung, aus welcher man auf den Mörder schließen könnte, sonst würde ich ihn selbst dem Richter übergeben." „Sie beruhigen mich durch diese Aussage, Kom tesse, und so bleibt mir nichts übrig, als von Ihnen Abschied zu nehmen." „Bruno hatte also wahr gesprochen, Sie wollen nach Afrika gehen." „Er sprach nur theilweise die Wahrheit, ich werde um diesen Urlaub bitten." „Dieser Entschluß ist sehr rasch gekommen", sagte die Komtesse in tiefer Bewegung. „Glauben Sie das nicht, schon lange hatte ich diesen Plan gefaßt." „Sie haben mir schon einmal einen großen Freundschaftsdienst erwiesen, Herr von Hagen," sagte die junge Dame nach kurzem Nachdenken, „ich bitte Sie, mir einen zweiten zu erweisen, verschieben Sie Ihr Projekt etwa noch vierzehn Tage, dann gebe ich Ihnen volle Freiheit zu handeln, wie Sie wünschen." „Ich verspreche es Ihnen, Komtesse." Ein melancholisches Lächeln überflog das Gesicht der jungen Dame. „Es könnte mich ein Unglück treffen, mein Gott, ich sage nur, „es könnte", Herr von Hagen, Sie brauchen nicht gleich zu erschrecken, und dann wäre eS mir eine Beruhigung, Sie noch hier zu wissen, doch jetzt leben Sie wohl," und sie reichte ihm die Hand zum Abschied. (Fortsetzung solgt.)