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und wären dieselben durchgcdrungen, so wäre unsere erzgcbirgischc Industrie einer traurigen, folgenschweren Zeit entgegengegangen. Herrn Holtzmann» außer ordentlicher Thätigkeit gelang e», diese drohende Ge fahr abzuwenden. Seiner Zeit hat in einer Ver sammlung Industrieller Annaberg» ein Herr au» Berlin den Ausspruch gethan: Hätte der 2l. Wahl kreis nicht einen so außerordentlich tüchtigen, intelli genten, bei allen Parteien beliebten Vertreter, wäre ein solches Resultat nicht möglich gewesen und damit der Ruin der erzgebirgischen Perl-Industrie herbeige führt worden Ganz dasselbe war auch bei der Tüll- Jndizstrie der Fall. Welches Unheil daraus entstanden wäre, das meine Herren zu bedenken, überlasse ich Ihnen ganz selbst. Ich frage nnn jeden vorurtheilsfreien Wähler: Wer hat mehr Anspruch darauf, von uns in den Reichstag gewählt zu werden, und wodurch nutzen wir unserm Wahlkreis mehr, dadurch, daß wir einen Mann wählen, der in Mitte des praktischen Leben» steht, ganz genau die Verhältnisse unsere» Kreise» kennt und der sich als Reichstags-Abgeordneter im vollsten Maße bewährt hat, oder dadurch, daß unr einen Herrn wählen, der in seiner Eigenschaft als Gymnasialoberlehrer nie so die Verhältnisse kennen zu lernen Gelegenheit haben konnte. Diese Frage zu beantwore», meine Herren, dürfte wohl nickt schwer werden unv am Wahltage wird sich'S entscheiden, zu wem die Wähler mehr Vertrauen haben. Im Namen von mehreren Hundert Wählern erkläre ich hiermit, daß wir an der Candidatur Holtzmann festhalten und bitten alle reichstreuen Wähler, uns in unserm Be streben zu unterstützen. Die großen Widersprüche in den Ausführungen deS Herrn Schmidt konnten nicht widerlegt werden, da die Versammlung trotz nochmaliger Bitte umS Wort feiten des Herrn Hertel gleich nach den Ent gegnungen der Herren Krause und Schmidt geschlossen wurde. Wie wenig genau eS die Herren in ihren Ausführ ungen mit der Wahrheit genommen, beweist folgender Vorfall: Herr Schmidt zog unter anderm bei dem Alters und Jnvaliden-Gesetz die Dienstboten an und bemerkte, für diese hätte dasselbe gar keinen Werth, denn wenn sie sich verheirathcten, wäre daö eingezahlte Geld ver loren. Das ist eine thatsächliche Unwahrheit und als Herr Schmidt in dieser Frage unterbrochen wurde, verbesserte er sich und sagte einen kleinen Theil be kommen sie zurück und zwar 24. M. Das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetzt besagt jedoch dagegen, daß diejenigen weiblichen Arbeiter und Dienstboten, welche heirathcn, sobald sie nicht versichert bleiben, die von ihnen bezahlten Beiträge zurück erhalten. Als Hrn. Schmidt später im Rathhause durck Interpellation des Herrn Hertel das Unwahre des Gesagten vorge halten wurde, gestand er die falsche Angabe selbst zu und sagte, man könne nicht alle Zahlen so im Kopfe haben. Dieser Ausspruch wird jeden Unparteiischen zu der Vermuthung bringen, daß es doch wohl nicht ausgeschlossen ist, daß Herr Schmidt die anderen vielen Zahlen auch nicht mehr ganz im Gedächtniß hatte Hagesgeschichle. — Deutschland. Noch immer überwieg: in der politischen Unterhaltung weitaus die Besprechung der großen anregenden Initiative des deutschen Kaisers auf dem Gebiet sozialreformerischer Thätigkeit. Im Vatcrlande wie im Auslande bewegt die Kundgebung des jungen Monarchen die Gedankenwelt, und am Schreibtisch wie in der Werk stube kehrt das Gespräch immer wieder zu der be deutungsvollen Botschaft zurück, die vom Throne in das Land gesandt worden. Selbst wenn die Schwie rigkeiten, welche vor der Erreichung der edlen Ziele haushoch sich aufthürmen, auch schließlich den Erfolg stark beeinträchtigen würden — was nur ein herber erbarmungsloser Pessimismus anzunchmen gezwungen ist —, wird der hochfliegende Aar des jungen Hohen- zollernfürsten doch soviel bewirkt haben, daß auf dem ganzen Erdenrunde erkannt wird, wie ernst, wie warm herzig und hochsinnig der junge Lenker der deutschen Stämme seinen erhabenen Beruf auffaßt. — Eine Deputation der in Pest ansässigen deutschen Arbeiter hat sich zu dem deutschen Generalkonsul begeben und denselben ersucht, dem Kaiser Wilhelm ihren Dank für die von ihm in der Arbeiterfrage ergriffene Initiative auszudrücken. — Potsdam. Wie der »Voß. Z." gemeldet wird, ist die Voruntersuchung gegen den wegen zahl reicher EinbrnchSdiebstähle verhafteten Hoboisten Künnc- mann vom I. Garde-Regt. z. F. jetzt geschlossen, so daß demnächst über denselben Kriegsgericht abgehaltcn werden wird. Künnemann hat 42 Diebstähle einge standen. — Die am 30. Juli d. I. in Dresden stattfin dende General-Versammlung deutscher Eisenbahn direktionen wird sich voraussichtlich auch mit der Einführung einer einheitliche» Eisenbahnzcit für die VereinSländcr besckäftigen. Es ist nach Allem, was bisher darüber von den maßgebenden Stellen aus verlautete, nicht anzunchmen, daß dieser Ange legenheit von irgend einer Seite ernste Schwierigkei ten drohen. Ucberall ist man von der Unhaltbarkeit des jetzigen Zustandes durchdrungen, der noch ein trauriges Uedcrbleibsel der alten deutschen Zerrissen heit ist. Von sehr beachtenSwerther Seite ist erst jüngst für ganz Europa eine Zonenzeit vorgeschlagen worden, und zwar derart, daß unser Erdtheil in vier verschiedene Zonen eingetheilt würde, innerhalb wel cher je dieselbe Eisenbahnzcit zu gelten hätte. Ehe dieser weitgehende Vorschlag aber auSgcfllhrt werden kann, muß Deutschland zuvor bei sich selbst eine Ein heitszeit einführen. — Rußland. ES verlautet, daß die Regierung beabsichtige, die deutschen Grundbesitzer in den Ost- seeprovinzcn Kurland, Esthland und Liefland zu cxpropriiren nach dem Prinzip obligatorischer Ab lösung, ähnlich dem bei der Emanzipation der russischen Leibeigenen angewendeten Prozesse. Dies wird der letzte Schritt in der Russifizirung der Pro vinzen und der Unterdrückung deS deutschen Elements sein. — Bulgarien. Die Verhaftungen in Sofia nehmen große Dimensionen an. Karaweloff ist eben falls an der Verschwörung betheiligt. Die Regiernng beabsichtigt strenge Bestrafung der Betheiligtcn. Pa- nitza und Comvlicen werden vor-das Kriegsgericht gestellt und wahrscheinlich erschossen werden. — Der bulgarische Major Panitza, der im Mittelpunkt der Verschwörung gegen das jetzige Regiment steht, ist eine der volkslhümlichsten Personen in der bulgarischen Armee. Derselbe lebte bis zum Ausbruch deS serbisch-bulgarischen Krieges im Winter 1885 als Advokat in Sofia, vrganisirte aber sofort nach Beginn deS Kampfes ein Freikorps, dem sich viele Studenten und Söhne wohlhabender Familien «»schlossen. In der Schlacht bei Slivnitza zeichnete sich diese Schaar durch große Tapferkeit aus, und während des Vormarsches des Fürsten Alexander auf Pirot unternahm cS Panitza mit seinen Genossen, die gebirgige Gegend von den Resten deö serbischen Heeres zu säubern. Diese Aufgabe bot der kühnen Schaar- Gelegenheit zu vielen tapferen Thatcn, von denen man sich in allen Kreisen deS bulgarischen Volkes noch heute viel erzählt. Fürst Alexander belohnte die Verdienste PanitzaS durch die Beförderung desselben zum Major und durch die Verleihung des Kreuzes des Alcxaudcr-OrdcnS. Es ist daher begreiflich, daß man in vielen Kreisen des Landes nickt recht an die Schuld PanitzaS glauben mag. Aber es scheint kaum mehr ein Zweifel daran möglich. Sächsische Nachrichten. — Dresden, 9. Febr. Den Mittelpunkt des vorgestrigen Ballfestes, welches die .Vereinigten Böttcher von Dresden und Umgegend" in der Centralhalle abhielten, bildete der schon neulich kurz erwähnte historische S ch ä f f l e r t a n z, der bei den sehr zahlreichen Festtheilnehmern lebhafteste Freude erregte und der wackeren Gesellenschaar, die ihn in der Hauptsache ausführte, ungetheilteste Anerkennung eintrug. Der Tanz wurde in kleidsamen mittelalter lichen Kostümen inscenirt, denn eS handelt sich nicht nur um den Tanz selbst, der seiner Form nach ein Contretanz gemischt mit Rundtanz ist, sondern auch um einen sinnigen, auf die alten Zeiten und das Gewerbe bezüglichen Aufzug. Die an vem historischen Tanze selbst bctheiligten Schäffler — der alte und in Süddeutschland hier und da noch heute bräuchliche Ausdruck für Küfer nnd Böttcher — trugen schön geschmückte Faßreifen, mit denen sie vielfache Figuren und Verschlingungen, schließlich eine förmliche Laube bilden, auf deren Kuppel ein Altgeselle mit Geschick lichkeit lose auf einem Reifen stehende Weingläser in graziösen Schwingungen drehte, ohne den Wein zu verschütten. Bor Beginn deS Tanzes, hielt ein Alt meister eine Ansprache, in welcher er den Ursprung des Tanzes erzählte, der zurückreicht bis in das 16. Jahrhundert. Die Bewohner Münchens, der Hei- mathstätte diese« Tanzes, die damals durch den so genannten „schwarzen Tod", einer gräßlichen Epidemie, die Tausende als Opfer forderte, so eingeschüchten waren, daß sie es nicht einmal wagten, die Fenster zu öffnen, geschweige denn die Straßen zu betreten, wurden durch einen schlauen Schäfflermeister, der mit seiner Innung den Tanz inscenirte und mit buntem geräuschvollen Aufzuge in den bislang unheimlich leeren und stillen Straßen aufführte, wieder aus den Häusern gelockt. Er hatte auf die von altershcr do- kumentirte Schaulustigkeit der Münchner gerechnet und sich auch nicht verrecknet, denn die Bewohner kamen schaarenweise aus ihren Häusern und damit war der Bann, welcher auf den Gemüthern lag, gebrochen. Der Redner wie» darauf hin, daß in dankbarer Er innerung dieser Schäfflertanz seitdem in München aller 7 Jahre öffentlich mit großem Gepränge auS- gesührt werde und daß er eigentlich auch hier jetzt — nach dem ziemlichen Erlöschen der Influenza- Epidemie — ganz am Platze sei. Eine sinnige und wirkungsvolle Episode de» vorgestrigen Feste» bildete auch da- Gebühren dreier Altmeister, die mitten im Saale au» den herbeigebrachten Dauben und Reifen ein Faß für etwa vier Hektoliter Inhalt schnell und kunstgerecht .banden", darauf zum Theil mit Wein füllten und diesen dann der Gesellschaft auSschänktcn. — Dieser Tage wurde in Leipzig eine von der Staatsanwaltschaft Würzburg steckbrieflich verfolgte Person aufgegriffe», welche außer einem Tuchanzug und einem Winterüberzieher mit 9 Hemden und 2 Paar wollenen Socken bekleidet war, außerdem aber ein Paar Unterhosen über die Brust gelegt und die Hosentaschen mit 6 Taschentüchern angefüllt hatte. Wie der Mann angab, könne er sich nur auf diese Weise gegen die Influenza schützen, der wahre Grund wird aber wohl der sein, daß er die Polizciorgane durch sein Aussehen hat täuschen wollen, weil er nämlich im Steckbrief als „mager" bezeichnet wird. — Ein Dienstmädchen wurde von ihrer Dienst- herrsckafl in Meißen beauftragt, eine Rechnung zu bezahlen nnd erhielt dazu 2 Hundertmarkscheine und anderes Geld. DaS Kleingeld hatte das Mädchen in die Tasche gesteckt, die beiden Scheine aber schlauer Weise in der Hand frcigetragen und ist damit über die alte Brücke gegangen. Hier kommt ein Windstoß, reißt ihr die beiden Hundertmarkscheine aus der Hand und führt sie in die Elbe! Trotzdem einige Fischer vem flüchtigen Papier sofort nachfuhren, konnte eS nicht wieder erlangt werden. Vielleicht kommt cs bei einem der nächsten Karpfcnschmänsc wieder zum Vor schein, wie einst der Ring deS Polykratcs wiederge- fnndcn wurde. — Wie man uns aus Zittau mittheilt, wird dort unmittelbar nach Auflösung der seitherigen frei willigen Feuerwehr ein neues freiwilliges CorpS in Dienst treten. Für die Bildung desselben besteht im Einvernehmen mit rem Stadtrath ein Ausschuß, bei dem bereits über 50 Anmeldungen von alten Mannschaften cingegangen sind. Der sächsische Fcnerwchrtag, welcher im August d. I. in Zittau abgehalten wird, erleidet durch die erwähnte Auflösung schon darum keine Störung, weil er nicht nur von der freiwilligen Feilerwehr, sondern von den sämmtlicken am Orte bcfinrlichen Feucrwehrkorps ausgerichtet wird, und deren Zahl beläuft sich auf 6. Es ist sogar die Auflösung der bisherigen freiwilligen Feuerwehr gerade deswegen beschleunigt und die statutengemäße, einvierteljährigc Kündigungsfrist nicht abgewarlct worden, damit die Vorarbeiten zum Fcuer- wehrtag, die noch vor Mitte d. M. beginnen, nicht gestört werden. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. 11. Februar. (Nachdruck verboten.) Vor einigen Wochen starb der ehemalige König Amadeo von Spanien, der Herzog von Aosta, der am I I. Februar 1873 abdankte und die Königswürde wieder in die Hände der Cortes zuriicklegte. Zeugte auch diese Abdankung nicht von besonderer Thatkrast des Königs, so ist er doch auch nicht unrühmlich aus Spanien geschieden. Stets wohlwollend und liebenswürdig, war er der Vertreter strengster ^Gerechtigkeit. Deshalb ver zichtete er auch auf den ihm von extremen Elementen nahege legten Staatsstreich, obschon er dadurch sein Regiment zu einem vielleicht festbegründete» machen konnte. 12. Februar. Am 12. Februar 1871 trat in Bordeaux die französische Nationalversammlung zusammen, um dem großen Kriege ein Ende zu machen. Vorsitzender dieser aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzten Versammlung wurde Grevh. Es wurde eine provisorische Regierung eingesetzt, indem die Ver sammlung den hochbejahrten Staatsmann und Geschichtsschrei ber Thiers zum Chef der Exekutivgewalt der französischen Re publik machte. Postmeisters Käthchen. Original-Novelle von Th. Schmidt. (10. Fortsetzung.) Es war keine angenehme Fahrt. Der kalte Ost wind trieb Berger eine schneidende Kälte ins Gesicht und der Hauch gefror im Nu vor seinem Munde zu Eis. Obschon der Posthalter die besten Läufer vor den Schlitten gespannt hatte, mußte er oft Schritt fahren, da der Schnee stellenweise zu großen Haufen auf der Chaussee zusammengewcht war. Aber zum Glück war cs ziemlich hell, so daß er die Schnee haufen erkennen und vermeiden konnte. Berger trieb fortwährend zur Eile. Endlich sah er die Lichter der Station X. aufblitzen-, aber seine Uhr zeigte bereits zwanzig Minuten nach Fünf und nach seiner Schätzung mußten noch mindestens drei Kilometer zurückgelegt werden. „Vorwärts, Herr Kuhn! Vor wärts! wir kommen zu spät!" rief er erregt. Der Posthalter hieb auf die schweißtriefenden Gäule und dachte dabei, daß diese Fahrt ihm zwei seiner besten Pferde kosten würde. Ihn dauerten die treuen Thiere; eine solch tolle Fahrt hatte er noch nicht erlebt. Aber sein Passagier kannte kein Er barmen. „Vorwärts, Kuhn, noch drei Minuten, dann sind wir am Ziel," rief er aufrecht im Schlitten stehend und mit scharfem Blick die Entfernung messend, welche den in der Ferne plötzlich sichtbaren Schnellzug und den Schlitten noch von der Station trennten. Eine aufregende Wettfahrt entspann sich nunmehr zwischen dem Schlitten und dem Zuge. Aber schon lief letzterer in die Station ein, als da» Gespann noch etwa tausend Schritte davon entfernt war. Berger, auf'S höchste ergrimmt über da» Scheitern seine» Wagnisse« so nahe vor dem Ziel, riß dem Führer die Peitsche au» der Hand und hieb mit lautem Zuruf auf die erschöpften Tbiere derartig ein, daß diese mit der letzten Kraft au» dem Trab zuletzt in Galopp übergingen. Endlich, endlich hielt der Schlitten vor dem Stationsgebäude. In demselben Augenblicke ertönte aber auch von der Bahnhofshalle