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„'nen Brief von Fräulein Arndt. Habe ihn schon Dor einer Stunde erhalten, konnte aber nicht fort, da die Post um zehn Uhr kam. Der Herr Post meister befindet sich nicht wohl," sagte Wolf. »Gute Nacht, Herr Berger, muß noch nach dem »schwarzen Bären," einen Eilbrief bestellen." Nachdem Wolf sich entfernt, brach Berger schnell den Brief. »Mein lieber Heinz! Papa, der Euch in diese» arbeitsreichen Tagen den Früh- und Spätdienst abgcnommen hat, klagte heute Abend beim Thee über heftige Kopfschmerzen. Obgleich er sich auf meine Vorstellung, jenen Dienst Anderen zu überlassen, nicht einlassen will, weiß ich doch, daß er eS gerne sähe, wenn Jemand den Frühdienst um 4 Uhr für ihn thun würde. Ich schreibe Dir Dieses natürlich ohne sein Wissen und bitte Dich herzlichst, zur bezeichneten Stunde auf dem Postamte zu sein. Deine Aufmerksamkeit wird auf ihn gewiß einen gnten Eindruck machen. In Liebe Dein Käthchen." Hocherfreut über diese Zeilen — die ersten, welche «r von seinem Lieb erhielt — küßte Berger das Schreiben und verschloß es sorgfältig in seinem Arbeitstisch. Dann legte er das mysteriöse Tele gramm, das für ihn augenblicklich wenig Interesse hatte, in ein Fach, kleidete sich aus, stellte seinen Wecker auf 3 Uhr und legte sich eilig zu Bett. VI. Das Wirthshaus »Zum schwarzen Bären," von dem Wolf gesprochen, lag an einem Kreuzungspunkte zweier Landstraßen, unmittelbar vor dem Thore. Es war ein Gasthof zweiten Ranges, in dem Makler, spesenarme Geschäftsreisende und sogenannte „Künstler" zu verkehren pflegten. » Von einem Tische der großen WirthSstube hörte man noch spät an diesem Abend lustiges Lachen, während aus dem Hinteren Theil des großen Ge bäudes Musik erschallte. Der Urheber des ersteren war „Postwolf", dessen witzige Schnacke und Auf schneidereien allgemeine Heiterkeit erregten. Obschon er immer versicherte, daß er cs eilig habe und fort müsse, ließ er doch kein GlaS, das der vergnügt schmunzelnde dicke „Bärenwirth" ihm versetzte, un geleert. „Das will ich Ihnen sagen, Herr ... Herr — ja, Ihren Namen mag der Henker behalten!" sagte „Postwolf" in diesem Augenblicke zu einem ihm gegenübersitzenden, schon vor einigen Tagen zuge reisten Fremden. „Spirens!" ergänzte der Angeredete, ein großer, breitschultriger Mann mit düster blickenden Augen und einer hakenförmigen Nase, aber in feiner, groß städtischer Kleidung. „Also Herr Spiritus," redete Wolf weiter, „lassen Sie's sich gesagt sein, Ihr Telegramm vorhin hat „uns" höllische Arbeit gemacht, kein Mensch konnte ein Wort davon lesen." »DaS glaube ich Ihnen, Alterchen," entgegnete lachend der Fremde. „Das soll auch Niemand lesen können." „Ja, können Sie's denn lesen?" „Na freilich, ich bekomme häufiger solche Tele gramme von meinem Geschäftshause in Berlin. Wenn ich vorhin recht gehört habe, gehen Sie von hier zum Postamte, Alterchen?" „Jawohl! Habe Nachtwache. Nein, Bärenwirth, ich trinke jetzt nichts mehr," bemerkte „Postwolf" dem Wirth, der eben wieder ein frisches Glas vor ihm niedersetzte. „Muß wach bleiben, habe große Ver antwortung. Außerdem thut unser Herr Postmeister morgen früh um vier Uhr den Dienst, da muß ich klaren Kopf behalten — der ist sehr eigen." „Weshalb müssen Sie denn Nachtwachdienst thun? Werren denn so große Summen auf ihrem kleinen Postamtc aufbewahrt?" fragte der Fremde gähnend. „Na ob, vorhin lief noch 'n Brief an die Spar kasse mit 18,000 Ak. ein," antwortete „Postwolf" wichtig. „Ja, dann kann ich mir die Vorsicht erklären," meinte der Fremde. „Aber so trinken Sie doch, Alterchen! Warten Sie, ich habe da ein probates Mittel gegen den Schlaf und einen gewissen Jammer. Zehn Tropfen davon machen Sie im stärksten Rausch so munter, daß Sie sich wie neugeboren fühlen. Habe mich schon häufig damit curirt, wenn ich mal die Nacht durchgezecht hatte." Nach diesen Worten zog der Fremde ein kleines Gläschen au« der Tasche und träufelte erst in sein und dann in „PostwolfS" Getränk eine Anzahl Tropfen. „So, jetzt können Sic noch ein halbes Dutzend Gläser leeren, eS schadet Ihnen nichts." »Postwolf" leerte jetzt schnell sein GlaS und dankte dem Fremden für die Liebenswürdigkeit. „O weh! da schlägt« schon halb Zwölf," ries er plötzlich. »Da muß ich fort." Schnell ergriff er seine Mütze und enifernte sich. Auch der Fremde, der sein GlaS mit den wunder wirkenden Tropfen übrigen« nicht berührt hatte, erhob sich gleich darauf und ertheilte dem Wirth noch einige Befehle, deren einer das Bereithalten eines Schlitten« um 3 Uhr früh zu einer Fahrt nach der etwa 12 Kilometer entfernten nächsten Eisenbahn station betras. Der Wirth versicherte, daß Alles pünktlich ausgeführt werde, und drückte sein Bedauern darüber aus, daß sein Gast sich nicht vorher durch einige Stunden Schlaf stärken könne. „Sie haben e« schlecht getroffen, Herr SpireuS, eine Hochzeit mit Musik und Tanz im Gasthof ist für die darin über nachtenden Fremden eine wahre Qual — aber waS soll man als Wirth machen!" „Stören Sie sich nicht an mich, ich bi» der gleichen gewohnt," antwortete der Fremde. „Wenn eS die Leutchen oben im Saal zu toll machen, gehe ich in'S Freie und laufe mich müde, kann hernach im Zuge auSschlafen." Nach diesen Worten stieg der Reisende nachdenklich die Treppe hinauf und ver schwand in seinem Zimmer. VII. Wennschon das Postamt in Thalheim keinen be sonder« starken Postverkehr hatte, so war der Dienst bei demselben in Folge der ungünstigen Postengänge — die letzte Post kam um 10 Ubr Abends, die erste um 4 Uhr früh — kein angenehmer, besonders zur Weihnachtszeit, wo der Dienst das ganze Postpersonal von früh bis spät in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde hatte Arndt durch Uebernahme des Spät- und Frühdienstes die Nachgeordneten Beamten etwas entlastet. Obgleich sich schon am Nachmittage ein altes rheumatisches Kopfleiden bei ihm wieder bemerk bar machte, das sich am Abend bis zur Unerträglich keit steigerte, verrichtete er doch mit der ihm eigenen Willensstärke den Spätdienst und begab sich gegen 11 Uhr zur Ruhe. Oft aus unruhigem Schlaf er wachend, vernahm er aus den unteren Diensträumen dumpf klopfende Schläge, die er indeß nicht weiter beachtete, da er wußte, daß der wachthabende Unter beamte in der Zeit von 11 bis 4 Uhr die Zimmer reinigte und andere mit Geräusch verbundene Arbeiten verrichtete. Als der Wecker neben seinem Bette um 3*/, Uhr mit laut rasselndem Geräusch ablief, erwachte Arndt sogleich, kleidete sich an und stieg darauf mit einer Lampe in der Hand die Treppe hinunter. Als er die Thür zum große» Dienstzimmer aufschloß, wehte ihm ein kalter Luftzug entgegen, während aus dem Nebenzimmer lautes Schnarchen des fest eingeschlafenen Wolf an sein Ohr schlug. Da alle Fenster in diesem Zimmer geschlossen schienen, so ging Arndt, unange nehm berührt von der im Zimmer herrscbenden Kälte, nichtsahnend durch das Nebenzimmer und in die an dasselbe stoßende Packkammer, in welcher mehrere hundert Pakete lagerten. Hier fand er die unmittel bar auf den Hof führende Thür weit geöffnet. Bei dieser Entdeckung blitzten Arndt's Augen zornig, und dröhnend schleuderte er die Thür ins Schloß, um dadurch den unvorsichtigen Schläfer zu wecken und ihm zu zeigen, wie gewissenlos er sein Wächteramt verrichte. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Berlin. Großes Aufsehen erregt die Ver haftung des Magistrats-Bureau-Borstehers und Kassen-Berwaltcrs der St. Georgen Kirchen-Gemeinde, Arendt, Landsbergerstraße 60 wohnhaft. Wie seiner Zeit der Magistratsbeamte Lehmann, hatte auch Arendt ein Nebenamt und zwar bei der St. Georgen-Kirche, und während er städtischerssits ein Gehalt von etwa 1600 Thalern bezog, brachte ihm das Nebengeschäft auch noch jährlich 3000 bis 4000 Mark ein. Arendt stellte an das Leben Ansprüche, welche noch bei Weitem sein großes Gehalt überschritten. So trat er in Heringsdorf im Sommer wie ein Fürst auf. Einem der Herren Geistlichen, der ihm darob Vorhaltungen machte, erklärte Arendt, er lebe ja sonst so einfach, daß er auf Reisen etwas draufgehen lassen könne. — Um die Mittel zu diesem luxuriösen Leben auf zubringen, betrog er die Kirchenkasse nach und nach um 60,000 Mark. Durch geschickte Buchfälschungen war es ihm gelungen, jahrelang die Unterschlagungen geheim zu halten, bis eine unvorhergesehene Kassen revision für den ungetreuen Beamten verhängnißvoll wurde. Schon lange hatte man Arendt im Verdacht der Unredlichkeit; man fand Verschleppungen in der Rechnungsführung und die Revisoren klagten über mangelnde Uebersicht in den Kassenverhältnissen. Auch wurden in der letzten Zeit die Rechnungen nicht recht zeitig zur Decharge cingcreicht. Als die Gemeinde vertretung endlich anergisch auf Rechnungslegung drang, erfolgte diese zwar, es ergab sich aber aus ihr nicht, wie große Bestände angelegt seien. Da sich die Aufklärung verzögerte, so wurde nunmehr Anzeige beim Konsistorium erstattet. Konsistorialrath Arnold, der am Dienstag vor. Woche mit einer plötzlichen Re vision betraut wurde, fand bei flüchtiger Prüfung alle« in Ordnung, nahm aber vorsichtigerweise trotz dem die Bücher zur rechnungsgemäßen Prüfung mit sich. Eine nähere Durchsicht ergab nun, da« im Jahre 1886/87 und kurz darauf nochmals eine Fälschung um je 30,000 Mark in der Weise erfolgt war, daß er einfach die Transportsummen einzelner Seiten um diesen Betrag erhöht hatte. Nun wurde die Kriminalpolizei benachrichtigt und ein Kriminalkom missar nahm die Verhaftung des Arendt vor. Hier bei entging es dem vorsichtigen und aufmerksamen Kommissar nicht, daß Arendt ein Fläschchen heimlich in seine Tasche steckte. Der Beamte beobachtete den Verhafteten nunmehr sehr scharf, und als derselbe plötzlich da« Fläschchen hervorholte, um e« an den Mund zu setzen, fiel er ihm in den Arm und ent wand ihm das aufgelöste Cyankali. — Erfurt. Ein kleine« Mißgeschick ist der hiesigen Güterverwaltung passirt. Von einer hiesigen Maschinenfabrik wird derselben ein gewaltiger Kessel zur Beförderung übergeben. Die Güterverwaltung nimmt den Auftrag an und fertigt den Frachtschein aus. Der Kessel wird auch seinem Bestimmungsort entgegengefahren. Bei der ersten Unterführung stellt eS sich jedoch heran«, daß der Kessel zu hoch ist und nicht durch die Unterführung gebracht werden kann, infolgedessen wieder zurückgefahren werden muß. Der Absender wird um Zurücknahme des Kessels ersucht, verweigert dies jedoch und giebt der Bahn anheim, den Kessel zu befördern, wie sie wolle, und wenn sie ihn mit einem Geschirre nach seinem Bestimmungs ort fahren lasse. Die Bahn ist mit dem Augenblick, in dem sie den Frachtschein abstempelt, vertragsmäßig verpflichtet, das ihr übergebene Gut zu befördern. — Ein ehrengerichtliches Nachspiel. DaS „Berl. Tagebl." schreibt: Unsere Leser werden sich wohl noch des Aufsehens erinnern, welches vor etwa 3 Jahren die Heirath des Sekondelieutenants Zs. mit der Tochter des weltbekannten Bankiers A- er regte. X. nahm seinen Abschied und erhielt von seinem Schwiegervater zwei prächtige Rittergüter in Schlesien, seiner Heimath, nebst dem nöthigen Kleingeld zu ihrer Bewirthschaftung. DaS Eheleben scheint ihm aber, trotzdem er es sich durch Einquartirung einer alten Freundin in dcni nahen Breslau nach seinem Ge schmack zu arrangircn versucht hatte, nicht behagt zu haben, denn zwei Monate nach der Verheirakhung verließ er heimlich seine Frau und begab sich ins Ausland, von wo er nicht wiederkchrte. Etwa sechs Monate nach der Hochzeit wurde auf Antrag der Frau die Ehe durch das Landgericht in Oels geschieden. X. wurde als der schuldige Theil erklärt, und damit schien diese Eheaffaire beendet. Die Familie D. war um eine Erfahrung reicher und um einige Millionen, denn das war der Betrag, den die Güter und das übergebene Baargeld repräsentirten, ärmer, Zs. aber in der Lage, ganz der Herstellung seiner angegriffenen Gesundheit in Italien, Steiermark rc. zu leben. Alles war gut und schön, bis das militärische Ehrengericht, dem er als Offizier der Landwehr-Kavallerie unter stand, entschied, daß sein Benehmen gegen seine Frau, die Art des Bruches, das Zurückbehalten der „als Schwiegersohn" erhaltenen Millionen eines preußischen Offiziers unwürdig sei. In den ersten Tagen des neuen JahreS hat nun diese Ehe das Nachspiel ge habt, daß Lieutenant Zs. durch ehrengerichtliches Er- kenntniß aus der Reihe der preußischen Offiziere ausgestoßen worden ist. Er hat aufgchört, preußischer Lieutenant zu sein, und wird, da er noch dienstpflichtig ist, in einem Kriegsfälle als gewöhnlicher Landwehr- Kavallerist eingestellt. — Was ist ein Soldat? In einem franzö sischen Lesebuche (?), das für die Kinder bestimmt und von vielen geistlichen Würdenträgern als für die Schule geeignet erkannt wurde, steht folgende Defini tion des Wortes „Soldat": Der Soldat ist kein Mensch mehr/ aber er war es. Er leistet der Mensch heit alle möglichen Dienste. Er bezieht die Wache, um zu verhindern, daß gestohlen und gemordet wird. Allerdings mordet er selber in den Kriegszeiten, aber die Menschen die er mordet, sind nur Feinde. In Friedenszeiten jedoch hilft er den Bonnen bei der Kinderhut, er ist Wächter der Kindsmädchen Unschuld und die letzte Hoffnung der überreifen Köchinnen. Man findet ihn nicht allein in den Kasernen, sondern auch in den Küchenschränken und in der Nähe der Speisekammern. Der Sodat lebt gesellig und kommt in Truppen vor; er kostet sehr viel Geld; man läßt sich aber gerne die Auslagen für ihn gefallen, weil er eben so außerordentliche Dienste leistet. — Stuttgart. Ein hübsches Erlebniß, welches Oberhofpredigcr Prälat Karl v. Gerok, der jüngst ver storbene Dichter der „Palmblätter", einst gehabt haben soll, besingt eine Ravensburgerin, Frl. Thekla Schnei der, in einem kleinen Gedicht. An einem Frühlings tag war'S in den Königlichen Anlagen Hierselbst. Auf dem „Philosophenpfad" kommt Gerok sinnend daher geschritten. Vorsichtig trägt er einen Regenschirm in der Hand, während eine bekannte Stuttgarter Sän gerin auf dem Seitenflügel arglos und keiner Tücke des Regengottes gewärtig, daherschreitet. Plötzlich fängt es an zu tröpfeln, cs regnet allmählich stärker, und der Herr Prälat ebenso christliche Nächstenliebe als ritterliche Galanterie übend, tritt herbei, die Sängerin zu „beschirmen". Keines kennt das Andere. Sie wandeln in freundlichem Gespräch vor der Dame Hau«, unv dort rückt der Herr Prälat mit der etwa» „Faustisch" anhebendcn Frage heraus: „ Dars ichr wagen, Nach dem Namen Sie zu fragen?" Und das kluge Musenkind Schnell auf Antwort sich besinnt: „Aus der Frage kann ich sehn. Daß Sie nie zur Oper gehn ; AlS die erste Sängerin Jedermann bekannt ich bin. Nun istS wohl an mir zu fragen, Und ich bitte Sie, zu sagen.