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haben nicht zum Ziele geführt; die Aufregung ist groß und man befürchtet Unruhen. Die Sozialisten vertheilen einen Aufruf unter den Truppen, worin die Soldaten beschworen werden, im Falle eine- Zu sammenstoßes nicht auf das „Volk", sondern in die Luft zu schießen. — Portugal wird vielleicht in seinem Afrika- Streit mit England als der schwächere Theil den Kürzeren ziehe» müssen, aber eS wird die ihm wider fahrende Behandlung den Engländern niemals ver gessen. Das ganze Land befindet sich in hochgradiger Aufregung. Man begnügt sich nicht blos mit schar fen Verwahrungen und Demonstrationen (die Denk mäler großer portugiesischer Seefahrer wurden u. A. mit Trauerflören verhüllt), sondern bricht die Han delsbeziehungen mit dem brutalen, selbstsüchtigen „Bun desgenossen" ab. Für englische Maaren wird Portugal aushören ein lohnender Absatzmarkt zu sein. Sollte nicht der deutsche Handel daran denken, sich dort an die Stelle des englischen zu setzen? Die englische Presse billigt das schroffe Vorgehen der Regierung durchaus. Selbst die liberalen Gladstone'schen Zeit ungen unterstützen das Ministerium Salisbury, ras durch sein Auftreten gegen Portugal seine Stellung daheim wesentlich gestärkt hat. Wo das Handelsin- tcresse Englands in Frage kommt, da hört jeder Par- teiuuterschied auf; die schönsten Betbeuerungen von Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität sind sofort ver gessen. Was hat nicht früher der alte Gladstone ge gen die Unterdrückung der Kleinen und Schwachen durch die Großen und Starken gedonnert? Jetzt nennt sein Leibblatt daS bescheidene Verlangen Por tugals, den Streitfall einem Schiedsgericht zu unterbrei ten, eine „Unverschämtheit". Die Ländergier, der Heiß hunger nach immer größerem Besitz in Afrika unterdrückt in den Engländern jede bessere Regung. Und daß Salisbury gleich Gewalt anwenden, daß er die Hand auf die Delegoa-Bay und die Capverdischen Inseln legen wollte, wenn Portugal nicht sofort zu Kreuze kröche, das hat den ganz besonderen Beifall seiner Landsleute. Möge England nur nicht den Bogen zu straff spannen! Es hat jede Vermittelung einer dritten Macht zurückgewiesen. Möglich, daß es jetzt seinen Zweck erreicht und Portugal vergewaltigt. Sieht aber Europa, daß England sich über einge- gangenc Verträge ohne Weiteres hiuwegsetzt, weil es dabei Vortheile für seinen Handel findet, so muß ein solches Verfahren das Mißtrauen aller Mächte gegen seine Vertragstreue erwecken. — Rußland. Die Entdeckung von neuen Verschwörungen gegen den Czaren wird Londoner Blättern aus Petersburg gemeldet. Oberst Vojcikow von der kaiserlichen berittenen Garde sowie mehrere Offiziere der Petersburger Garnison, welche der Be theiligung an der Verschwörung hochverdächtig waren, verübten Selbstmord. Täglich finden Verhaftungen von Offizieren des Heeres und der Flotte, sowie von Civilbeamten, selbst in Hofkreisen statt. Sächsische Nachrichten. — Dresden, 17. Januar. Nachdem Ihre Majestät die Königin einige Tage fieberfrei ge blieben war, trat, wie das „Dresdn. Journ." be richtet, vorgestern Abend abermals eine geringe Fiebersteigerung ein, die sich auch gestern Abend wiederholt hat. Die katarrhalischen Erscheinungen von Seiten der Lungen hatten sich in nicht unerheb licher Weise gebessert, insbesondere war der Husten weniger lästig. Es hat sich aber neuerdings Schnupfen eingestellt und der Husten ist seit letztvergangener Nacht wieder etwas vermehrt. — Dresden. Im Befinden Ihrer Majestät der Königin zeigt sich seit Sonntag eine wesentliche Besserung. Husten und Schnupfen haben nachge lassen und die letzten Nächte haben Ihrer Majestät mehrfach erquickenden Schlaf gebracht. Sobald die Krankheit gänzlich beseitigt ist, wird Ihre Maj. die Königin, gutem Vernehmen nach, einen längeren Aufenthalt, wie in früheren Jahren, im Süden nehmen. — Dresden. Ueber die Orientreise Sr. Kgl. Hoheit des Prinzen Friedrich August vernehmen wir, daß der Prinz nach einem Besuch der Insel Sicilien von Messina abfuhr und nach einer herr lichen Meerfahrt am 13. Januar auf cgyptischem Boden in Alexandrien landete. Am 14. Januar ist Se. Königl. Hoheit nach Kairo weiter gereist, um von hier aus zunächst die Umgebung, besonders die Pyramiden und dann die nilaufwärts gelegenen alt historischen Stätten zu besuchen. Die Fahrt strom aufwärts auf einer eigens dazu hergerichteten Da- habieh (Segelboot) soll am 24. Januar beginnen und sich bis Assuan, möglicherweise selbst bis Wadi Half« an der nubischen Grenze erstrecken. — Dresden. Das gegenwärtige Wetter ist ein recht abnormes. Man weiß sich seit vielen Jahren eine« solchen milden Winters nicht zu entsinnen. Nur ältere Personen berichten uns, daß der Winter von 1845 einen ähnlichen Charakter trug. Auch damals herrschte bis Mitte Februar eine milde Temperatur, dann aber trat plötzlicher Schneefall und starker Frost ein, welcher 6 Wochen bis zu Ostern anhielt. Infolge de« damaligen Hochwassers stürzte ein Brückenpfeiler an der Augustusbrücke ein, auf welchem das schwere, stark vergoldete Kruzifix stand und das in den hoch gehenden Fluthen aus Nimmerwiedersehen verschwand und trotz der eifrigsten Nachforschungen durch Taucher bi- heute noch nicht hat aufgefunden werden können. — Leipzig. Eine mitten in den Stamm einer Schwarzpappel eingebettete und gänzlich über wachsene Kanonenkugel (Vollkugel) von 18l3 kam am Mittwoch vor. Woche beim Aufmaltern des Holze« eine« der am unter» Park gefällten morschen Bäume zu Tage. Die Kugel war offenbar, um sie als Wahrzeichen der Schlacht besser zu erhalten, mit einer Decke von Kupferblech umgeben, durch die eine Ocffnung geschlagen war, sodaß man einst die einge schossene Kugel sehen konnte. Beides, das Kupfer blech in der Größe eines Quartblattes und die Kugel (vielleicht 6 Kilogramm schwer), war im Baume voll ständig erhalten. Es ist anzunehmen, daß dies in teressante Ueberbleibsel sammt dem Scheite Holz den Sammlungen des Verein- für die Geschichte Leipzigs überwiesen und somit erhalten werde. Unweit davon, an den Häusern Parkstraße 6 und 4, befinden sich noch heute drei ähnliche Kugeln in die Mauern der Facaden sichtbar eingefügt, alle drei aus jener drang vollen Zeit stammend. Eine dieser Kugel» (an der Straßenfront von Nr. 6) ist ein Hohlgeschoß von derselben Größe als die gefundene Vollkugel der Schwarzpappel am Ausgange der Goethestraße. — Chemnitz. Von einem rücksichtsvollen Spitz buben berichtet folgender Fall. Auf dem Hauptbahn hof hier stahl ein Paletotmarder einem Reisenden aus dem Wartcsaal einen neuen Ueberzieher. Vom Antonsplatz aus schickte er dem Bestohlenen die Legi- timalionspapiere, die Brieftasche und die Geschäfts karte, die er im gestohlenen Ueberzieher vorfand, durch einen Schulknaben nach dem Hauptbahnhof zurück. Die zurückgeschickte Brieftasche enthielt unter Anderem 2 Hundertmarkscheine. — Nachdem in Chemnitz bereits am 9. d. be kanntlich ein Mädchen von einem Strolche überfallen und nur durch einen Hund vor schlimmster Miß handlung beschützt worden war, wurde am Freitag abermals eine von der Arbeit heimkchrcnde Frau an der Ecke der Prinzenstraße augefallen, gepackt unv niedergeworfe». Auf einen gellenden Schrei der Ge- mißhandelten entfloh der Unmensch. Ein zu Hilfe herbeigeeiltcr Einwohner hielt ihn jedoch fest und übergab ihn der Polizei. Diese erkannte in ihm einen 18jährigen Schlosser aus Soldin. Der Ver haftete war geständig, beide Ueberfälle ausgefllhrt zu haben. — Zn tau. Am 15. Januar fand eine gemein schaftliche Sitzung der beiden städtischen Kollegien statt, in welcher eine Streitigkeit zwischen dem Brand direktor und der freiwilligen Feuerwehr zur Verhand lung kam. Nach eingehender Aussprache wurde hierbei der Vorschlag des städtischen Wohlfahrtspolizeiaus schusses, zunächst die freiwillige Feuerwehr wegen zweier den städtischen Branddirektor in heftiger und beleidigender Weise angreiscnden Artikel zur Abbitte und Ehrenerklärung aufzufordern und dann, falls solche in 14 Tagen nicht erfolgen sollte, zur event. Auflösung zu schreiten, einstimmig angenommen. — Das Meißner Tageblatt schreibt: Ein hie siger Junggeselle wurde in der Nacht vom Montag zum Dienstag in wahre Todesangst versetzt. Die Glocken des Domes hatten eben schaurig und dumpf die Mitternachtsstunde verkündet, da hört Herr X plötzlich, daß in seinem Hause jemand Trepp auf, Trepp ab läuft. Er lauscht und lauscht, kann aber den Muth nicht fassen, dem verdächtigen Geräusch nachzuspüren. Aufrecht sitzt er im Bett und ist vor Angst in Schweiß gebadet. Seine einzige Waffe ist der Hausschlüssel, krampfhaft umfaßt ihn die Rechte und er macht sich bereit, dem Einbrecher oder dem Gcspenste beim Oeffnen der Thür den Schädel zu zertrümmern. Doch immerfort naht es Trepp auf. Trepp ab! „Die schönen Möbel, ach du lieber Gott, wenn sie mich nur ungeschoren lassen. Sie müssen doch mit dem Herausräumen bald fertig sein", so denkt der Geängstigte, aber zwei Stunden hat das Räumen gedauert, ehe Ruhe wird. Und endlich wird e« auch Morgen, man kommt, um ihn zu wecken. Da ruft es unter den Betten hervor mit halberstickter Stimme: „Hilfe! Hilfe!" Erschrocken eilt man herbei und findet zwar den blassen, zitternden Hausherrn mit dem Hausschlüssel in der Hanv, sonst aber alles in bester Ordnung. Die Schrecken der Nacht werden nun berichtet und man stellt alsbald 'Nachforschungen an. Schließlich wird es denn offenbar, daß der Ge hilfe in der Nacht fürchterliche Zahnschmerzen gehabt hat und vor Schmerz 2 Stunden lang zwar nicht die Wände hinauf, aber doch Trepp auf, Trepp ab gelaufen ist. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeil. Am LI. Januar 1798 fiel König Ludwigs XVI. von Frank reich Haupt unter der Guillotine. Dieser Königsmord ist das Charakterifticum jener furchtbaren Schreckenszelt, in der Nie mand mehO seines Lebens sicher war. Der König starb wie ein Mann, ruhig und gottergeben. Nach dem schweren Abschied von den Seinen sagte er: Run ist auch das überwunden, wa rum muß man lieben und geliebt werden in solchen Schmerzen! Denken wir jetzt an das Eine, was Noth thut, das ewige Heil. Unberührt von den rohen Schimpsreden seiner Wächter, mit einem letzten Blick aus die Fenster der Seinen, bestieg der König den Wagen, der ihn zum Blutgerüst führte. Am LL. Januar 1729 ist G. E. Lessing geboren, der Dich ter der Humanität, der Schöpfer des neueren Dramas, der Begründer der ernsten, kunstsinnigen Theaterkritik. Das Bild des edlen deutsch denkenden und deutsch fühlenden Mannes ist eine Zeit lang, weil es in den politischen Parteikampf hinein gezogen worden, in etwas verzerrt erschienen; der ruhige Hi storiker hat längst die Bedeutung Lessings voll gewürdigt. Postmeisters Käthchen. Original-Novelle von Th. Schmidt. ' (4. Fortsetzung.) Obschon Arndt über dieses Project noch kein Wort gegen seine Tochter hatte verlauten lassen, so hatte Käthchen in der letzten Zeit doch zur Genüge erfahren, daß ein fertiger Plan zwischen ihm und den alten AhnS verabredet sein müsse. Ihr ganzer Stolz bäumte sich gegen ein derartiges Abkommen, bei dem sie wie eine Waare verschachert werden sollte, auf. Zunächst stellte sie ihre Besuche in der Apotheke ein, dann nahm sie gegen den jungen Mann, den sie nur des halb gelegentlich in ihrer Nähe geduldet hatte, weil ihr Vater mit dem seinen befreundet war, eine so reservirt kühle, ja zuletzt direct abweisende Haltung an, daß jeder andere junge Mann sicki verletzt zurück gezogen haben würde. Aber gerade diese Zurück setzung entfachte bei dem sinnlichen Manne die Leidenschaft zur lodernden Gluth. Bislang hatte er nur Sinn für wüste Zechgelage und andere Passionen gehabt; jetzt fand er plötzlich, daß es sich wohl der Mühe lohne, dies reizende Geschöpf zu erobern. Als er geräuschlos hinter Käthchen auf dem Eise herglitt, den Blick begierig auf die edle Gestalt ge richtet und um den bartlosen Mund ein frohlockendes Lächeln, da sah er mit seinen welken, verlebten Zügen dem hungernden Wolfe ähnlich, der ein verirrtes Lamm umkreist. SiegcSgewiß lüftete er den Hut, als Käthchen sich am Ende der Eisbahn umwandte. Jetzt mußte sie ihm endlich Rede stehe», an ein Entweichen war auf der nur wenige Meter breiten Eisfläche nicht zu denken. Zwar stürzte er bei der nun folgenden Ver beugung unsanft auf den Rücken, aber der für seinen Zweck so günstige Augenblick, den er sich um keinen Preis entschlüpfen lassen wollte, und der Aerger über die kleine Blamage brachten den jungen Roua schnell wieder auf die Beine. „Pardon, Fräulein Arndt!" rief er, innerlich er bost über das Malheur, „das war ungeschickt parirt. Sie werden eine schlechte Meinung von meiner Ge schicklichkeit auf dem Eise bekommen; aber ich kann zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich mich seit zehn Jahren dem edlen Sport des Schlittschuhlaufen« nicht mehr hingegebcn habe." „DaS ist sehr zu bedauern!" antwortete Käthchen mit einem schadenfrohen Blick auf den mit vieler Mühe das Gleichgewicht haltenden Mann, dessen Augen die anmuthigc Erscheinung zu verschlingen suchten. Sie war ihm nie begehrenswerther erschie nen als in diesem Augenblicke, wo ihre Wangen vom schnellen Laufen glühten, ihr reizender Mund, leicht geöffnet, zwei Reihen Perlenzähne zeigte und die ganze Gestalt in Jugendfrische und strotzender Ge sundheit sich seinen Blicken darbot. „Ich habe den Vorwurf, der in Ihren Worten liegt, verdient, niein schönes Fräulein. Erst jetzt sehe ich ein, daß das Schlittschuhlaufen ein köstliches Ver gnügen ist. Ich habe viel nachzuholen, und da ich über die ersten Regeln beim Laufen noch nicht hinaus bin, so möchte ich Sie, die gewandteste Läuferin in Thalheim, bitten, mir einige Lectionen zu ertheilen." „Dazu habe ich durchaus kein Geschick!" antwortete Käthchen kurz; dabei setzte sie sich in Bewegung und wollte an dem jungen Manne vorbei gleiten. Aber dieser vertrat ihr schnell den Weg. „Fräulein Käthchen — bitte, ein Wort. Sie wissen aus meinem Benehmen, daß Sie mir nicht gleichgiltig sind, daß ... . daß ich Sie liebe, und daß mich ihre plötzliche Kälte tief verletzt hat, um so mehr, als ich aus Ihrer früheren Freundlichkeit gegen mich glaubte hoffen zu dürfen, daß ich der Bevor zugte unter Ihren Verehrern sei O, weichen Sie nicht zurück! Sprechen Sic das Wort, das mich . . . „Genug, mein Herr!" unterbrach das junge Mädchen mit blitzenden Augen den auf sie eindringen- den Mann. „Was giebt Ihnen das Recht, mich zu verfolgen, mit Anträgen zu verfolgen? Zurück! Geben Sie den Weg frei!" DaS fahle Antlitz de« Apothekers überzog bei diesen Worten eine brennende Röche; doch bezwang er seinen Groll und sagte mit leicht bebender Stimme: „Fräulein Käthchen, warum sträuben Sie sich, die Meine zu werden? Ihr Vater und meine Eltern wünschen dringend unsere Verbindung. Reichen Sie mir Ihre kleine Hand, und alle Ihre Wünsche sollen stet« erfüllt werden. Sie wissen doch, ich bin reich. Sie al« gehorsame Tochter werden doch nicht gegen den Willen Ihre« sehr verständigen Vater« handeln wollen?" Eben hatte Käthchen, da« sehnlichst wünschte, daß Jemand kommen und die Fortsetzung dieses ihm peinlichen Gespräch« verhindern möge, seinen Blick hilfesuchend über die weite Eisfläche irren lassen, al« sich eine hohe Männergestalt von der Menge in der