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Beilage m Nr. 153 -es „Amts- und Aiyeigeblattes". Eiben stock, den 28. Dezember 1889. Pflicht und Liebe. Roman von C. Wild. (Schluß) Er faßte sich und folgte der voranschreitenden Fürstin. „Wir wollen einmal recht gemüthlich von ver gangenen Zeiten plaudern," sagtes,die Dame,"als sie in einen kleinen, reizend ausgestattcten Salon traten. „Nur einige Augenblicke Geduld, ich bin gleich wie der da." Sie nickte ihm freundlich zu und verschwand. Gerhard sah ihr nach. Diese schöne Frau war die erste Liebe seines Herzens gewesen. Sie hatte mit ihm kokettirt, ihm vor Men anderen den Vorzug gegeben und schließlich den Fürsten ge- heirathet, den alten, aber reichen Mann, an dessen Seite sie ein glänzendes Leben führen konnte. Was wollte sie jetzt von ihm? Wollte sie die Vergangenheit heraufbeschwören? Ach ja, er erinnerte sich jetzt, in den Zeitungen gelesen zu haben, daß sie Wittwe geworden sei. Der Eintritt der Fürstin unterbrach seinen Ge dankengang. Die dunklen Trauergewändcr hoben ihre hohe, üppige Gestalt auf das Bortheilhafteste, und die röthlich blonden Flechten umgaben das fcinge- bildete Köpfchen gleich einem flammenden Strahlen kränze. Die großen, schwarzen Augen der Dame sahen ihn lockend an, als sie, sich bequem in einen Fauteuil schmiegend, mit weicher Stimme zu ihm sagte: „Und nun lassen Sie uns plaudern, lieber Freund." Gerhard zwang sich zu einigen höflichen Worten; diese schöne Frau hatte jegliche Macht über ihn ver loren; er dachte nur an Viola, und wie er sie wie derfinden könnte. Die Fürstin schien seine Zurückhaltung nicht zu bemerken. Sie erzählte von den weiten Reisen, die sie unternommen, von der langen Krankheit ihres Gatten, der vor zwei Monaten in Venedig gestorben, von ihrer Vereinsamung, daß sie hier in der Residenz nach so langer Abwesenheit sich selbst wie eine Fremde vorkomme. Sie war sehr redselig, die schöne Frau, und dabei sah sie ihn immer so süß, so lockend an, als wolle sic die längst vergangene Zeit wieder her aufbeschwören, diese Zeit voll Glück und Seligkeit, da sie für Gerhard der leuchtende Stern seines Da seins gewesen. Er hörte ihr zu, er sah ihre zärtlichen Blicke, aber nichts in seinem Herzen sprach mehr für sie; als er endlich loskommen konnte, athmete er erleichtert auf. Das war eine peinliche Stunde für ihn gewesen! Aber dennoch hatte er das Versprechen gegeben, wieder zu kommen, und er war auch fest entschlossen, dieses Versprechen zu halten. Mochte die Fürstin denken, was sie wollte, er mußte erfahren, wer die Dame war, die in ihrem Hause weilte. Und so ging er täglich hin zu der schönen Frau die ihn schon wieder in ihren Netzen wähnte; ach, es war ein so süßer Zeitvertreib, und wenn sie auch nicht daran dachte, ihren Fürstentitel hinzugeben, nm die Gattin eines einfachen Landedelmannes zu werden, so war dieses Spiel doch zu angenehm, um cs eines bloßen Gewissensfkrupels wegen aufzugeben. Bis zu einer Erklärung durfte man es eben nicht kommen lassen, und wenn auch, dann bat sie sich ein fach Bedenkzeit aus und reiste wieder für einige Zeit ins Ausland, bis man die Sache vergessen hatte. So kalkulirte die herzlose Kokette, der es nur uni ein Amüsement zu thun war, und die in ihren Träumen den stolzen, ernsten Mann schon zu ihren Füßen sah. Viola, denn Gerhards Ahnung hatte ihn nicht betrogen, war nur widerstrebend der Fürstin in die Residenz gefolgt. Sie fühlte sich unbehaglich in der Nähe der hochmüthigen Frau, welche sie ihre abhängige Stellung nur zu deutlich empfinden ließ. Allein wohin wollte sie sich wenden, wenn sie diesen Zufluchtsort verließ. Sic war sich selbst darüber nicht klar, daß sie dennoch ein gewisses Etwas in die Residenz zog, nach einem Orte, wo ihre Leiden begonnen hatten, und wo jeder Blick nur schmerzliche Erinnerungen für sie hatte. Gewiß, sie wünschte es nicht, Gerhard zu begegnen, und dennoch ertappte sie sich zuweilen bei dem Ge danken, daß dies hier doch ein leicht möglicher Fall sei. Und wie lebhaft konnte sie sich dann noch eine solche Begegnung ausmalen! Sie sah dann wieder diese dunklen, ernsten Augen auf sich geheftet, sie hörte seine freundlichen Worte und fühlte den warmen Druck seiner Hand, und dann flog ein seliges Lächeln über ihr Gesicht, und all' das Leid der Vergaizgenheit war vergessen. Wie oft schon hatte sie auf dem Punkte gestanden, zu der Präsidentin Eckbcrg zu gehen, um von der alten Dame sich Nachrichten ijher Gerhard zu erbitten, I aber dann dachte sie daran, daß sic alles erzählen mußte, all' die kaum verharschten Wunden wieder aufreißen, von den erlittenen Demllthigungen sprechen, nein, das vermochte sie noch nicht. Es war besser so, sie blieb verschollen, verschollen und vielleicht auch schon vergessen. — Die Fürstin nahm Violas Dienste wenig'in An spruch ; des Morgens mußte Viola eine Stunde vor lesen, damit war meist auch ihr Tagewerk zu Ende. Ihre Ausfahrten machte die Fürstin allein, und Fräulein Berg, unter diesem 'Namen war Viola bei ihr eingetreten, hatte nur auf Reisen das Glück, in der Nähe der schönen Frau weilen zu dürfen, im übrigen kümmerte sich die Fürstin wenig um das Thuu und Treiben ihrer Gesellschafterin, sobald sie nur an« Morgen pünktlich zum Vorlesen da war, die andere Zeit konnte sie für sich verwenden. Viola machte von dieser Freiheit geringen Ge brauch; sie ging nur in der Dämmerstunde aus, um frische Luft zu schöpfen, die andere Zeit brachte sie einsam in ihrem Zimmer zu. Auf diese Weise hatte Viola keine Ahnung, daß Gerhard schon seit mehr als einer Woche ein täg licher Gast der Fürstin war, und Gerhard seinerseits hatte noch immer nicht entdecken können, ob die von ihm Gesuchte in dem Hause der Fürstin^weile. Eines Abends war die Fürstin äußerst übler Laune; Gerhard war nicht wie sonst zur gewohnten Stunde gekommen, und die schöne Frau fühlte sich von dieser Saumseligkeit unangenehm berührt. Unmuthig schritt sie auf und ab, dann klingelte sie hastig. „Fräulein Berg soll vorlesen kommen," befahl sie dem eintrctenden Diener. Der Diener war kaum gegangen, als Gerhard gemeldet wurde. In den Augen der schönen Frau leuchtete es freudig auf. Sie empfing den Eintrctenden mit einer allerliebsten Schmollmiene und reichtelihm mit einem koketten Zögern die Hand. „Soll ich Gnade für Recht ergehen lassen?" lächelte sic, mit einem Blicke auf die Uhr. „Ah, Fräulein Berg, ich bedarf Ihrer Dienste nicht," setzte sie hochmüthig hinzu, als sie Violas ansichtig wurde, die soeben eintrat. Gerhard hatte die Hand der Fürstin losgelassen und sein Auge war der Richtung ihrer Blicke gefolgt. „Viola!" rief er freudig überrascht. „Herr von Linden," flüsterte bebend die junge Frau. Er eilte auf sie zu und erfaßte lebhaft ihre Hand. „Endlich, endlich finde ich Sie wieder!" Es klang wie Heller Jubelten durch seine Stimme;' die Fürstin fühlte sich davon unangenehm berührt. „Eine alte Bekanntschaft," bemerkte sie mit spöttisch emporgezogcner Oberlippe. „Jawohl, Frau Fürstin," bestätigte er ruhig, „mein ehemaliges Mündel, Frau von Tonnberg." Die Fürstin wandte sich achselzuckend ab. „Ich kenne Fräulein Berg nur als meine Vor leserin," sagte sie kühl, „bitte, Fräulein, entfernen Sie sich." Der Ton der Fürstin war so eisig kalt, so be fehlend gewesen, daß man die Absicht, zu verletzen, deutlich heraushörte. Viola war erblaßt, sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, allein Gerhard hielt ihre Hand fest. „Um Vergebung, Frau Fürstin," sagte er schroff, „Frau von Tonnberg steht unter meinem Schutze. Sie wird nur an meiner Seite dieses Gemach ver lassen." Die schöne Frau biß sich die Lippen fast blutig. „Meine Dienerschaft hat nur mir zu gehorchen," rief sie nut mühsam unterdrücktem Zorn, „Sie sind entlassen, entfernen Sie sich sofort," herrschte sie der regungslos dastehenden Viola zu. Ueber Gerhards Antlitz flog eine dunNe Gluih. Er trat hastig auf die Fürstin zu, aber noch im letzten Momente beherrschte er sich. Er verneigte sich stumm und Violas Arm in den seinen legend, verließ er hastig mit ihr das Gemach. Die Fürstin sah ihnen erstaunt mit zornfunkclnden Blicken nach. „Also diesmal bin ich die Verschmähte," mur melte sie. Einige Minuten später rief der Ton der Klingel die Zofe herbei — die schöne Fürstin war von einem heftigen Weinkrampfe befallen worden, der allen Ge genmitteln zum Trotz mehr als eine Stunde währte. Gerhard hatte Viola zu der Präsidentin gebracht ; die alte Dame empfing den unerwarteten Besuch mit offenen Armen. Man fragte nicht, man forschte nicht nach der Vergangenheit, und Viola wußte Gerhard und der j Präsidentin großen Dank dafür. Scheu und verschüchtert nahm sie alle Liebesbe weise entgegen, und doch wie glücklich, wie selig fühlte sie sich. „Sie bleiben vorläufig bei mir," sagte die Prä sidentin lächelnd zu ihr, „ich will schon für Sie Sorge tragen." „Wie gütig Sie sind," flüsterte Viola mit beben den Lippen, „o, wenn Sie wüßten, was ich gelitten!" Sie brach rasch ab, und auch die alte Dame schüttelte abwehrend den Kopf. „Später, davon später, liebes Kind," murmelte sie. Gerhard verabschiedete sich bald, er versprach am andern Morgen wiederzukommen, und als er gegangen, drängte die Präsidentin Viola, sich zur Ruhe zu be geben. Viola fügte sich, aber lag noch lange wach, und Kopf und Herz beschäftigte nur die eine Frage: „Was wird nun werden?" Mit heißem Erröthen trat sie an, nächsten Mor gen dem Freiherrn entgegen. Gerhard erfaßte sanft ihre Hand. „Ich habe mich schon mit der Präsidentin be sprochen," sagte er, „in der Voraussetzung, daß Sie sich meinem Vorschläge fügen werden. Vorläufig bleiben Sie hier, ich reise heute nach Hause und setze Mazda von allem in Kenntniß. Sie werden Ihnen gern bei sich eine Heimath bieten, und Sie werden diese sicherlich nicht verschmähen." Er hielt inne und sah sie erwartungsvoll an. In Violas Augen leuchtete es freudig auf. „Darf ich dieses Anerbieten annehmen?" fragte sie zögernd. „Herr von Rotteck —" Er unterbrach sie lächelnd. „Der gute Rotteck thut, was Mazda will." „Uud Mazda," flüsterte sie leise, „sie muß mir zürnen, es wäre zu viel des Edelmuthes." „Sie hat Ihnen längst vergeben — lassen wir Vergangenes ruhen. Wollen Sie komme», Viola, mir zu Liebe?" Er sah ihr tief in die Augen, denen urplötzlich heiße Thränen entströmten. „Ich sollte Ihnen zürnen," sprach er weich, „daß Sie sich nicht sofort an mich gewandt — ich habe Sie lange Zeit mit banger Sorge gesucht." „Ich habe nicht so viel Güte verdient," sagte sie schluchzend, „und das hielt mich ab, Hilfe bei Ihnen zu suchen. Gerhards Arme hoben sich, als wollte er die Schluchzende umfangen, aber er hielt sich gewaltsam zurück. Es war noch zu früh, ihr von seiner Liebe zu sprechen, die allem zum Trotz nie in seinem Herzen für sie erloschen war. Erst mußte sie sich wieder finden, dann wollte er ihr sagen, daß sie noch immer für ihn das ganze Glück seines Lebens sei. Wenige Tage nach Gerhards Abreise kam Fran von Rotteck selbst, um Viola heimzuführe». Mazda glaubte diese Rücksicht ihrem guten Bruder schuldig zu sein, und so schwer sie sich auch von ihrer Familie trennte, so brachte sie dennoch dieses Opfer, denn sie wollte auch Viola dadurch beweise», daß alles vergeben und vergessen sei. Für die so schwer geprüfte junge Frau begann jetzt ein neues Leben. Jetzt erst lernte sie den wahren Werth einer trauten Häuslichkeit schätzen und das volle Glück eines stillen Familienlebens erkennen. Die Stürme de« Lebens hatten die zauberhafte Schönheit, die einst Viola geschmückt, für immer ver nichtet, aber sie hatte sich dafür eine andere Schön heit errungen, die dauernd und unvergänglich ist — die Schlacken, welche ihre junge Seele umhüllt, waren gefallen und das echte Gold zum Durchbruch gekommen. Nicht an Aeußerlichkeiten haftete mehr ihr Sinn — hatte sie doch die traurige Erfahrung gemacht, daß gerade die glänzendste Außenseite die tiefsten Schatten birgt und daß das höchste Glück des Men schen nicht un Glanze der Welt, sondern im eigenen Herzen liegt. Und es kam der Tag, der alle ihre Wünsche krönen sollte, der Tag, an dein sie das Weib des Mannes wurde, dessen Werth sie erst erkannte, als sie selbst im frevelhaften Leichtsinne eine unübersteigbare Scheide wand zwischen sich und ihm aufgerichtet; nach langen Kämpfen, nach bitterem Leide war auch diese gefallen, und jetzt war sie sein — ganz sein! In der kleinsten Dorfkirche hatte die Trauung stattgefunden, dann hatte die wenigen Gäste ein Mahl bei Rottecks vereint, und als der milde Juniabend zur Rüste ging, waren die 'Neuvermählten nach Lin denhain gefahren. Als Frau des Hauses durchschritt nun Viola die wohlbekannten Räume und eine tiefe Seligkeit zog in ihr Herz — jetzt war sie von allen Stürmen befreit! Der Freiherr schlang seinen Arm um seine junge Hausfrau und zog sie sanft mit sich fort in den Park zu den blühenden Lindenbäumen, deren süßer Duft sie mit berauschender Stärke umwehte.