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in vollen Zügen genossen, ohne befriedigt worden zu sein? Sie hatte sich nm den Gatten nicht gekümmert, sie hatte ihr Kind in die Obhnt Fremder gegeben, sie hatte gegen die heiligsten Pflichten gesündigt nnd zuguterletzt noch sich selbst zur Bettlerin gemacht. DaS Spiel war für sic aus, und sie ging, ohne sich um die Anderen zu kümmern; was weiter kam, damit hatte sie nicht« mehr zn schassen. „Sie verurtheilcn mich, Gerhard," sagte endlich die Baronin, da der Freiherr sie noch immer stnnnn betrachtete; „ich gebe mein Unrecht zn — doch ach, Sie kennen nicht die Leidenschaft des Spieles; das reißt mit sich fort, das macht die Pulse rascher schla gen und alle Fibern des Herzens beben, das läßt für Stunden alles Leid vergessen, das stillt die brennende Sehnsucht der Seele, denn während der Aufregung des Spieles ist man todt für alles Andere, todt, todt!" Sie richtete sich hastig im Bette auf, daß die dichten Wellen des gelösten Haares sic wie ei» langer, dunkler Schleier umfluthrtcn. Mit einem unsagbar schmerzlichen Ausdrücke sah sie zu dem Freiherrn empor. „Niemand, niemand hat mich verstanden," stöhnte sie, „auch Sie, Gerhard, verstehen mich nicht—" sie brach jäh ab, eine dunkle Blutwclle netzte ihre kon vulsivisch zuckenden Lippen, und mit einem leisen Auf schrei sank sie in die Kissen zurück. Gerhard rief erschrocken die Zofe herbei und sandte nach dem Arzt, doch ehe dieser noch kam, war schon der Todeskampf eingctreten. Immer schwerer wurden die schweren Athcmzügc der Leidenden; starr nnd regungslos lag sic da, nur in den großen Augen glänzte noch ein Schimmer des entfliehenden Lebens. Da mit einem Male schien sie von einer qualvollen Erinnerung erfaßt zu werden, ein Ausdruck von Reue malte sich in ihren Zügen, mit flehender Bitte richteten sich ihre Augen auf Gerhard. „Nicht, nicht," stammelte sie mühsam hervor, allein sie konnte nicht mehr vollenden. Die Worte: „Geben Sie den Brief nicht meiner Tochter," erstarken auf ihren Lippen zu einem unartikulirten Laut; der Tod hinderte sie daran, ihre Bitte auszusprechen nnd das namenlose Leid zurückzuhalten, das sie selbst über ihr Kind heraus beschworen hatte. Die schwache Lebensflamme war erloschen, und die einst so schöne und glänzende Baronin lag als blasse, stille Todte auf der Bahre. Der Freiherr trug Sorge für ein anständiges Begräbniß nnd ordnete die Hinterlassenschaft Me- linenS, die nur aus einigen Schmuckstücken und eleganten Roben bestand; alles, was sic an Geld und Werthpapieren besaß, hatte sie dem grünen Tische geopfert. Nachdem Gerhard von Linden die sterblichen Reste seiner Kousine zu ihrer letzten Ruhestätte geleitet hatte, kehrte er in seine deutsche Heimath zurück. Doch zuvor begab er sich noch in das Pensionat, in welchem die Baronin ihre Tochter untergebracht hatte, um Viola selbst die Nachricht von deni Tode der Mutter zu überbringen. Ein Gefühl tiefen Mitleids beschlich sein Herz, als das hochaufgeschossene, schmächtige Mädchen vor ihm stand, in dessen unreifen, kindlichen Zügen keine Spur von der märchenhaften Schönheit der Mutter zu sehen war. So schonend als möglich theilte er ihr die Trauer botschaft mit; Viola blieb eine Weile unbeweglich stehen, dann brach sie in ein krampfhaftes Schluch zen aus. Gerhard wollte tröstend ihre Hand erfassen, aber sie wich scheu vor ihm zurück. „So bin ich nun ganz allein nnd verlassen," schluchzte sie. „Nicht doch, Viola, nicht doch," sagte er weich; „Sie sollen bei mir immer eine Heimath finden. Meine Schwester ist gut, und Sie werden sie gewiß lieben lernen. Den Bestimmungen Ihrer Mutter gemäß müssen Sic bis zu Ihrem siebzehnten Jahre hier bleiben —" „Noch zwei lange Jahre," unterbrach sie ihn schmerzlich. „Die Zeit wird rasch vorübergchen," tröstete der Freiherr; „lernen Sie unterdessen fleißig, Viola — das wird Ihnen über die schweren Stunden hinweg helfen." Viola gab keine Antwort, sondern starrte schweigend vor sich hin. Gerhard bemühte sich vergebens, ihr ein freund liches Wort zu entlocken. Mit einem Seufzer gab er endlich jede Bemühung auf und verabschiedete sich von seinem Mündel, die nun, finster und verschlossen, kaum ein Wort des Abschiedes für ihn hatte. „Wie wenig gleicht sie ihrer schönen, lebhaften Mutter," dachte Gerhard bei sich, als er das Pen sionsgebäude glücklich hinter sich hatte, „wollte Gott, daß sie ihr nur in andern Dingen ungleich wäre ; das exzentrische Wesen dieser Frau hat viel Unglück über ihren armen Gatten gebracht!" Nun ging es rasch heimwärts »ach seinem Schlosse; er sehnte sich, wieder daheim in der gewohnten Um gebung zu sein und in das klare Auge seiner treuen Schwester zu blicken, die mit inniger Zärtlichkeit an dem geliebten Bruder hing. Gut Lindenhain war ein stattlicher Besitz in einer schönen, fruchtbaren Gegend. DaS Schloß war wohl mehr bequem als impo sant gebaut, allein der daran schließende Park mit seinen zahlreichen Gruppe» prächtiger Lindenbäume, welcher dem Gute den Namen Lindenhain eingebracht, war von sehenswcrther Schönheit und von jeher der Stolz der Freiherren von Linden gewesen. Von der Rückseite des Schlosses führte eine breite, steinerne Freitreppe in das geschmackvoll arrangirte Blnmenparterre hinab, das, von mächtigen Linden bäumen umgrenzt, einen reizenden Anblick bot. Unter einem roth und weiß gestreiften Zelt knapp beim Eingang in den Park stand ein gedeckter Tisch; eine hohe Frauengestalt war damit beschäftigt, die Flaschen und Gläser auf demselben zierlich zu ordnen und einen Strauß süß duftender Rosen zwischen diese zu placiren. Jetzt war sic fertig; noch ein prüfender Blick und die Dame trat befriedigt zurück. Langsam schritt sie nun zwischen den Blumenbeeten hin und her, zuweilen einen Blick der Ungeduld auf ihre kleine, goldene Uhr werfend, deren Zeiger heute nicht von der Stelle zu kommen schienen. Die Abendsonne warf ihre leuchtenden Strahlen noch einmal über das Blnmenparterre nnd küßte mit ihrem zitternden Schimmer die Wipfel der hohen Lindenbäume, ehe sic langsam im Westen untersank. Die Dame blieb stehen und sah sinnend zu dem klaren Firmament empor, auf dessen tiefblauem Grunde kleine, rosige Wölkchen ihr neckisches Spiel trieben, nm dann plötzlich wie von Geisterhand zertheilt im Aether spurlos zu verschwinde». Die Dame war Magda von Linden, die Schwester des Freiherrn, des Besitzers von Lindenhain. Magda von Linden mochte ungefähr achtund zwanzig Jahre zählen. Groß und mehr kräftig als schön gebaut, repräsen- tirte sie mit ihrer strammen, geraden Haltung und dem blühenden, vollen Gesicht den echten Typus eines Landedelfräuleins. Die klaren, hellblauen Augen verriethen mehr Gutmllthigkeit als Geist, nnd hinter der etwas nieder», von dichten, natürlichen Wellen lichtblonden HaarcS umsäumten Stirn bargen sich wohl vernünftige, aber immer auf das Praktische gerichtete Gedanken, denen der kühne Flug der Phantasie stets ein fremdes Feld geblieben. (Fortsetzung folgt.) Warum heirathen so wenig Männer? Anna Roeder widmet dieser Frage in der „Münch. Staatszcitung", einer kürzlich begründeten Münchener Wochenschrift, eine Studie, der wir das Folgende ent nehmen: „Daß die Heirathslust unter den Männern in erschreckender Weise abnimmt, wer möchte es leug nen? — Und aus den sogenannten gebildeten Stän den gerade rekrutirt sich die große Zahl der Ehelosen — die Zöglinge der „höheren Töchterschulen" sind es vor allen, die unter der schwindenden Heiraths- freudigkeit der Männer am empfindlichsten zu leiden haben. Während von weiblicher Seite die Blasirtheit und Energielosigkeit der Männer dafür verantwortlich ge macht wird — die Blasirtheit, die der Ehre keinen Reiz abgewinnen kann, die Energielosigkeit, die den Muth, ein Familienheim zu gründen, nicht finden lasse, — klagen die Männer über die Kostspieligkeit und die praktische Unbrauchbarkeit unserer modernen Ehe-Kandidatinnen. Unsere gebildete Männerwelt blasirt! — ist das wahr? — Ganz Unrecht können wir Denen nicht geben, die solche Klage erheben. Was ist blasirt? satt vom Lebensgenuß! — Die Einen sind es wirk lich — die Anderen geben sich den Schein, es zu sein — weil es modern ist! weil es interessant macht! — Wer noch mit vollen rothen Backen in die Welt hin einlacht und in einem hübschen Mädchengesicht die Verkörperung seiner Träume, die Verkörperung seiner Ideale sucht — ist „eben noch sehr naiv." Die groß städtischen Sitten und Gewohnheiten lassen den jun gen Mann leicht außerhalb der Familie ein Heim finden, das seinen Wünschen mehr oder weniger ge recht wird: im Restaurant und Cafs, im Club, in lustiger Gesellschaft — und giebt es nicht in jeder Großstadt so viele alleinstehende weibliche Existenzen, welche lebenslustig und „vorurthcilSlos" genug sind, ihr Dasein gern mit dem eines gut situirten jungen Mannes zu verknüpfen — wenn auch nur vorüber gehend! Und die Frauen der guten Gesellschaft — wie verhätscheln sic nicht solche übersatte Lebemänner — ach! Prediger und Beichtvater eines solch' armen Sünders zu spielen — welche Frau würde den Beruf dazu ablehnen? — es ist ja so „furchtbar" interessant. Dem Einen fehlt es am guten Willen — dem An deren an Muth. Und leicht wird das Nesterbauen den Menschenkindern von heute ja auch nicht ge macht. Der Beamte mit mäßigem Gehalt, der Kauf mann mit relativ geringem Einkommen — sie fristen ihr Junggesellen-Dasein in ganz behäbiger Weise; sie haben gerade, was sic brauchen. Dasselbe Einkommen auf zwei, drei oder auch mehr Köpfe zu vertheilen, forderte- eine Einschränkung ihrer Bequemlichkeit, eine Aufgabe süßer Gewohnheiten, zu der sich zu entschlie ßen ihnen der Muth fehlt. Und ist es nicht die eigene Bequemlichkeit, so ist cs die Rücksichtnahme auf Vettern und Base», Nach barn und Bekannte, die ihnen eine solche Einschränk ung verbietet. Ihre Ehre, ihre Stellung erfordert ein standesgemäßes Auftreten, sie müssen, im Besitz eines eigenen Herdes, Gesellschaften geben und besu chen, die Kinder standesgemäß erziehen nnd ansbilden lasse» — das kostet Geld! viel Geld"! Soll also schon einmal geheirathet werden, so darf es nur ein reiches Erbtöchterlein sein; daß diese nicht so zahlreich zu fin den sind als die armen Mädchen — wer kann dafür? Und die Mädchen? Sind sie ganz vorwurfsfrei, ganz unschuldig an der Kalamität, welche den Gegen stand dieser Erörterungen bilden ? Mit aufrichtigem Bedauern müssen wir eine solche Frage verneinen. Das Bonmot ist nicht neu, aber es ist bezeichnend: „Warum heirathen Sic denn nicht?" fragt Herr L. eine» Bekannten — „mit Ihrem Gehalt können Sie doch ganz leicht eine Frau ernähren." — „Ernähren schon, ob aber auch bekleiden?!" — ist die Antwort. Es liegt entschiede» etwas Wahres darin. Die groß artigen Auslagen unserer berühmten Biodefirmen sind ja ganz reizend für das weibliche Auge; für den an gehenden oder fertigen Ehemann ist die Wirkung sol cher verlockenden Schaustellungen eine niederschlagende. Jede Saison bringt ihm Neuheiten in Morgen-, Haus-, Promenaden-, Gesellschaft«- nnd Gott weiß was für Toilette». Das junge Mädchen ist von Haus aus gewöhnt, diesen Wandel der Biode gewissenhaft mit zumachen; die Eltern halten es für ihre Pflicht, da rin Nichts zn versäumen; denn ihre Tochter soll doch gefallen, glänzen, „erobern!" — Die Eroberung ist endlich geglückt. Und nun soll sie auf einmal an diesem Toilettcnluxus eine Einschränkung vornehmen. Sie soll als junge Fran auf Das verzichten, was ihr durch die jahrelange Gewohnheit zur andern Na tur geworden ist? — 'Nimmermehr! — Man kann ja an der Küche, am Binnde ersparen, was man an Plus für den äußeren Glanz, die würdige Repräsen tation braucht. Daß man in so kostbarer Toilette nicht am Kochherd stehen, nicht die Wohnung säubern oder die Kinder warten kann, ist selbstredend. Das thut aber auch keine Dame der feinen Gesellschaft — wozu giebt eS denn Köchinnen, Dienst- und Kinder mädchen? — Mein Vorwurf richtet sich nur gegen jene Frauen, die in Ueberschätzung ihrer sozialen Stell ung und ihrer finanziellen Mittel ihre Aufgaben ledig lich darin sehen, ein reiches Dienstpersonal zu koni- mandiren nnd in glänzender Weise die Honneurs des Hauses zu machen. Solche Frauen sind prächtige Dekorationsstücke für den Salon, aber nicht alle Män ner dürfen sich solche Luxusartikel gönnen. Anderen jungen Frauen hinwiederum fehlt es nicht am guten Willen, selbst thatkräftig Hand anzu legen in Kinderstube und Küche; aber sie verstehen es nicht. Sie haben cs ja niemals gelernt. Es mag ja wohl nur boshafte Erfindung eines ungalanten Anekdotenkramcrs sein, wenn erzählt wird, daß eine gebildete junge Daine, die zum ersten Male Kaffee kochen mußte, die ganzen Bohnen ins Wasser schüttete und weich kochen wollte. Ob wohl das arme junge Frauchen nach einem solchen Fiasco die Küchcnschürze für immer an den Nagel gehängt hat oder ob sie sich um so eifriger angelegen sein ließ, ihrer praktischen Unkenntniß abznhelfen? Das Erstere wird häufiger Vorkommen als das Letztere. Unsere Mädchen lernen viel. Sie wissen, wer die großen egyptischen Pyramiden erbaut und wer die Fidschi-Inseln entdeckt hat; sie können die Jahres zahlen aus den peloponnesischcn und punischen Krie gern hcrunterschnurren und verrathen uns, was auf den verschiedenen Conzilien verhandelt wurde — aber Kenntnisse, die auch für die künftige Haus frau, für die junge Mutter nützlich und werthvoll sind, bringen sie ans dem Pensionat, aus der höheren Töchterschule blutwenig heim. Mit dem exotischen Ballast sind sie jahrlang gequält worden nnd die hauSwirthschaftliche Ausbildung soll in wenigen Wo chen oder Monoten vollendet sein! — Ist das ver nünftig? — Kein Mann wird cs einem jungen Mäd chen übel nehmen, wenn sie nicht weiß, wann der König Artaxcrxes der so nnd so Vielte geboren oder gestorben ist, wohl aber dürfte die Ignoranz in den primitivsten Grundsätzen der Hauswirthschaft schon manchem jungen Mädchen den Freier abgeschreckt haben. Druck und Brrlag von E. Hannrbotzn in Eibenstock.