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Man stieg aus; Schaller wurde aber den Stadt schreiber noch nicht los. Sie gingen durch die Stadt, um auf die Wiese zu gelangen, wo der Roßmarkt stattfand. Als sie auf den Rathhausplatz mitten in der Stadt kamen, wurden sie Zeugen eines Merk würdigen Schauspiels. Eine Menge Leute standen umher, Ortsangehörige und auswärtige Marktgäste, und schauten einigen Beamten und Polizcidienern zu. Aus einem Hause wurden eine Anzahl Waarenballen hcrausgctragen und auf einen bereitstehenden Wagen geladen. Ein magerer, bleicher Mann stand mit einem bitteren Lächeln der Verzweiflung auf den Lippen an der Ladcnthüre, während eine Frau neben ihm laut weinte und drei kleine Kinder verschiedenen Alters schauten verwundert bald auf die Eltern, bald auf die Polizcidiener. Schaller, der den Kaufmann kannte, trat schnell herzu und fragte: „Herr Katz, was giebt's denn bei Ihnen?" „O", sagte dieser, „es ist nur, daß man schneller fertig wird. Zu Grunde gerichtet wird man ja doch. Nun erspart man einem das lange Hangen und Bangen und machts auf einmal ab." „Wie so denn?" „Alle englischen Fabrikate sind mit Einem Mal mit Beschlag belegt worden. So werde ich nun ausgeplündert. Hat'S denn bei Ihnen drüben in X. noch nicht damit angefangen?" „Nein! Der neue Zolltarif Napoleon, der ist bei uns kürzlich auch verkündigt worden. Und unsere Kaufleute haben große Augen gemacht zu dem Zoll von 180 fl. auf den Ccntner Baumwolle und 00 fl. auf den Centner Hutzucker unS 90 fl. auf den Centner Kaffee. Und wir Kon sumenten haben noch größere Augen gemacht. Da lernen die Leute wieder Suppen essen! Aber der Zolltarif ist ja erst vom 10. Oktober. Was ist denn nun das schon wieder für ein neues Präsent?" „Der königliche Befehl zur Beschlagnahme der englischen Fabrikwaarcn ist auch erst vom 96. Oktober. Man hat mir ihn schwarz auf weiß gezeigt. Der Obcramtmann hier wollte nicht so schnell vorgehen, da sei aber am 31. ein neues Dekret gekommen, man müsse sofort vorgehen. Sehen Sie doch drüben beim Müller!" Schaller schaute hinüber. „Was thun sie denn dort? Was hantircn sie an den Thüren dort?" „Da wird alles versiegelt", sagte der Kaufmann, „Laden und Magazin; da soll erst morgen die Unter suchung und Plünderung geschehen. Es wird ihm übel genug gehen; ich weiß, daß er auch noch Bor rath hat." „So, Herr Katz", sagte der herzutretendc Beamte, „nun sind wir fertig. Es thut mir leid; das Gesetz ist streng; aber es war Ihnen nicht zu helfen." Der gefüllte Wagen fuhr weg. Der Kaufmann machte ein Kompliment, kehrte sich ab und sagte leise zu Schaller: „Hat denn die Regierung kein Einsehen? Sieht sie denn nicht, daß da aller Handel zu Grund gerichtet wird? Die armen Leute müssen für ihre Lebensbedürfnisse wahnsinnige Preise zahlen; uns bleiben die Maaren liegen, die wir mit rasenden Unkosten haben impotiren lassen. Man z wi ngt einen geradezu" — er sprach noch leiser — „zum Schmuggeln, zum Einschwärzcn, zum Bestechen." „Klagen Sie nicht unsere Regierung an", erwiderte Schaller, „das alles geschieht auf Befehl Napoleons, und zwar bei allen seinen Verbündeten. Fragen Sic nur den Herrn Stadtschreiber da", — er kehrte sich rasch zu diesem — „der kann Ihnen sagen, inwiefern es eine nothwendige und höchst segensreiche Einrichtung ist. Nicht wahr, Herr Stadtschreiber?" Der Befragte machte ein etwas verlegenes Ge sicht. Dann sagte er: „Das alles geschieht, um das drückende Handels monopol des egoistischen Krämervolks von England zu vernichten, damit unser festländisches Gewerbe, Fabrikwesen und Handel desto herrlicher aufblühen könne. Der Kurzsichtige sieht nur das schwierige Uebergangsstadium; der weise Politiker sieht auf die reiche Ernte der ferneren Zukunft." Schaller sah ihn ironisch an. „Sie sind ein herrlicher Mann", sagte er dann. „Also weil Napo leon mit England im Krieg liegt, müssen wir alle Kolonialwaaren riesig theuer bezahlen, werden dazu mit französischen Maaren überschwemmt und dürfen keine nach Frankreich ausführen, haben für unsre Gewerbe daheim weder Geld noch Leute noch Credit und Muth, weil Geld und Leute und Credit der Krieg, den Napoleon immer führt, verschlingt; das Land verarmt mit Riesenschnelligkeit — und Sie verheißen uns daraus eine reiche ZukunftScrnte! Herr Katz, Sie sind ein geborgener Mann, über- Jahr sind Sie steinreich!" „Sie sind ein Sophist!" sagte ärgerlich der Stadt schreiber. „Sie sind auch hier, Schaller?" rief in diesem Augenblick eine Stimme dazwischen. Der Posthaller wandte sich um und sah den Grafen Felseck hinter sich stehen und neben ihm den Baron Salzstein. Sie drückten Schalter die Hand und Felseck sagte: „Ihr Samuel war ja ausmarschirt, Schaller. Nicht wahr? Kommen Sie herauf! Da müssen Sie uns etwas erzählen! Sie haben auch Fatalitäten gehabt, ich weiß wohl, — wir haben auch eine Schlappe davon bekommen. Kommen Sie! Rattenberg und Wollin sind auch da." Schaller wollte eben danken, da seine Zeit be schränkt sei. Da fiel ihm ein, er könne auf diese Weise doch vom Stadtschrcibcr los kommen. Er nahm herzlichen Abschied von der unglücklichen Kaufmanns familie, machte dem Stadtschreiber sein Kompliment und folgte den zwei Herren in das Gasthaus, wo sie Wollin und Rattcnberg im Billardsaale trafen. Schaller mußte sich zu ihnen setzen und von seinem und seines Sohnes Ergehen erzählen. „Ich hoffe, ich sehe den braven Burschen bald", sagte Felseck, „ich gehe auch zum Militär". „Auch zu den schwarzen Jägern, Herr Graf?" fragte Schaller. „Nein, zum Reiterregiment Herzog Louis". „Du willst also", fragte Wollin, „Deinen Degen indirekt Napoleon zur Verfügung stellen. Deinem Unterdrücker, dem Herrn des Rheinbunds?" „'s ist noch das Gescheidteste", sagte Fclseck. „Da stehen wir vor dem neuen Gebot unseres Souverains, daß wir alljährlich mindestens drei Monate in der Residenz verleben müssen, zur Er höhung des Glanzes des königlichen Hofes, widrigen falls ein Viertel unserer Territorial-Einkünfte dem königlichen Schatz verfällt. Meint Ihr, ich hätte Lust, mich so anzapfen zu lassen? Das ist für mich noch die anständigste Art, in Stuttgart zu leben. Und das muß man dem württcmbergischen Offizierscorps lassen: Da ist Corpsgcist!" Rattcnberg schlug mit der Faust auf den Tisch. „Mir sollen sie meincthalb consisziren so viel sie wollen. Ich gehe nicht nach Stuttgart. Vor dem König beuge ich mich; ich bin sein Unterthan. Aber meinen die, ich bücke mich vor diesenKreaturen? Ein Rattenbcrg bückt sich nicht vor einem —, Ihr wißt schon!" „Still, still!" beschwichtigte Salzstein. „Ich gehe jedenfalls an den Hof. Man muß sich in die Um stände schicken. Und dieses Stuttgart verschönert sich merkwürdig. Sehet nach Frankreich: der Napoleon ist nur ein corsischer Emporkömmling und fast der ganze altfranzösische Adel hat sich vor ihm gebeugt, hat sich 1804 schaarenwcise zu den neuen kaiserlichen Hofämtern gedrängt und sich darein gefunden, die vormaligen Tanzmeister und Aufwärter u. s. w. als ebenbürtig zu begrüßen, aus denen der Bonaparte Ritter und Barone und Grafen und Herzoge gemacht hat." Wollin hatte stille zugehürt. „Was hast denn Du im Sinn?" fragte ihn FelSeck. Wollin sah sich um. „Es ist kein Verräther unter uns, das weiß ich. Höret's denn und schweiget! Ich gehe zu den Preußen." Ein allseitiger Ausruf des Erstaunens antwortete ihm. (Fortsetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Neue Bestattungsweise. Noch ist nicht einmal die Feuerbestattung zu allgemeiner Einführung gelangt und schon ist ein neues Verfahren aufgetaucht, das vielleicht dazu bestimmt ist, statt der Feuerbe stattung für die unterirdische Bestattung ein will kommener Ersatz zu werden. Es hat sich in New- Hork eine nene Gesellschaft gebildet, der namhafte Aerzte und Männer der Wissenschaft beigetreten sind und die sich die Aufgabe stellt, Todtenhäuser oder Mausoleen zweckentsprechender Bauart zur massen haften Aufbewahrung der vermittels eines neuen Verfahrens erhaltenen Leichen zu errichten und allen Klassen der Bevölkerung zugänglich zu machen. Statt Leichenverbrennung ist Leichentrocknung ihr LoosungS- wort, „Desiccation" statt „Cremation"; statt gänzlicher Vernichtung wird die Erhaltung der irdischen Ueber- reste von Verstorbenen in möglichst unveränderter Form als die neueste Kunde der BcstattungSwissen- schaft und des pietätvollen Gedenkens der Tobten gepredigt. Wir wären, so schreibt man der „Vossischen Zeitung", damit im Kreisläufe der Begriffsentwickelung wieder beim Standpunkt der alten Egypter angelangt, mit dem einzigen Unterschiede, daß an die Stelle der Einbalsamirung und Mumieneinwickelung der an haltende Einfluß trockener, völlig reiner Luft in ver schlossenem Raume tritt. Wie mit dem Miniatur mausoleum des Feuerbestattungstempels, so soll auch mit diesem, in großen Verhältnissen angelegten Todten- palaste der Trockenbestattung ein großer Heizofen ver bunden werden. Gestalt und Gesicht bleiben unver sehrt, erkennbar wie im Leben, ohne jeden abschrecken den Eindruck. Und die hier Bestatteten bleiben un verändert so auf undenkbare Zeit. Die Einwirkung trockener Luft ist sowohl in Newyork wie in Washington mit großem Erfolge für die Erhaltung von Leichen zur Anwendung gelangt. Hervorragende Aerzte und Professoren und andere Männer der Wissenschaft, Professor Rudolf A. WitthauS, l)r. Parden, l)r. Garnett u. a. haben sich von der Zweckmäßigkeit und dem bygienischen Werthe des neuen Verfahrens überzeugt und die technische Ausführbarkeit des Planes steht über jedem Zweifel. Die Gefahren des Scheintodes werden vermieden. Die durchsichtige GlaSthüre jeder Gruft gestattet Besichtigung und Einblick zu jeder Zeit und ein elektrischer Apparat setzt eine Alarm glocke in Bewegung und ruft die Wächter herbei, sobald die geringste Bewegung in einem neu beige setzten Sarge vor sich gehen sollte. Die reine trockene Luft, welche die Austrocknung bewirkt, würde dem Scheintodten die nöthige Lebenskraft einhauchen und eine Alarmirung seinerseits veranlassen. Auch für Erhaltung der Inschriften, Widmungen und Angaben über Lebenslauf und Geschichte der hier bestatteten Personen werden größere Vortheile als auf Kirch höfen oder in Feuerbestattungstempeln geboten. — DaS Malzbad, bei schwächlichen Kindern als stärkendes Bad eines der wichtigsten Hausmittel. Einige Pfund geschroteneS Gerstenmalz übergießt man mit etwa 6 Liter kochenden Wassers, rührt es gut um, läßt es auf einer warmen Stelle (Herd, Ofen) in einem wohlverdcckten Gefäße 2 Stunden stehen und mischt es dem warmen Badwasser bei. Kinder, 4—6 Wochen lang auf diese Weise täglich gebadet, werden zusehends kräftiger, bekommen ein blühendes Aussehen und lernen bald laufen. Auch für skrophulöse Kinder höchst empfehlenswerth. Außerdem ist für schwächliche Kinder, namentlich wenn sie an der englischen Krank heit leiden, der Malzkaffee höchst empfehlenswerth. Gerstenmalz wird geröstet, aber nur so, daß eS an Farbe lichtbraun wird, dann gemahlen, wie der ara bische Kaffee bereitet und mit Milch und Zucker ge geben. - — Wie ein versöhnender Lichtstrahl fällt in all' die Berichte über Verbrechen, Selbstmord und hundert andere grauenhafte Vorgänge im Getriebe einer Großstadt die nachfolgende kleine Erzählung, deren Thatsächlichkeit Wort für Wort verbürgt wird. Eine Frau im äußersten Norden Berlins ernährte sich und einen fünfjährigen Knaben durch kunstvolle Stickereien. Mit dem Beginn der Saison und der damit in Verbindung stehenden Abreise der meisten ihrer Kunden fiel der Verdienst fort und der zurück gelegte Nothgroschen nahm nach einiger Zeit auch ein Ende. Mutter und Kind geriethen in die äußerste Bedrängniß und bei aller Sparsamkeit kam der Tag heran, wo die Mutter dem Knaben ein letztes Stück trockenes Brod zum Frühstück gab; sie selbst hungerte und hatte schon den Gedanken gefaßt, sich an die Armendircktion zu wenden, da auch ihre Bemühungen um andere Arbeit bisher gescheitert waren. Am ver gangenen Montag war die Frau in der Küche be schäftigt und hatte ihren kleinen Knaben in der Stube gelassen. Als sie nach Beendigung ihrer Arbeit zu rückkehrte, bot sich ihr ein schrecklicher Anblick. Ihr Knabe hatte sich einen Stuhl an'S Fenster gerückt, war hinaufgeklettert unv stand nun, die Aermchen gen Himmel gehoben, auf dem Fensterbrett; eine un glückliche Bewegung konnte das Kind zum offenen Fenster hinausstürzen lassen. Leise, um das Kind nicht zu erschrecken, mit unsagbarer Angst im Herzen, schlich die Mutter nach dem Fenster, da hörte sie, wie der Knabe sprach: „Lieber Himmelvater, gieb uns Brod, Milch und Leberwurst." Da hatte sie das Kind auch schon erreicht und bedeckte cs mit ihren Küssen. Bald darauf klopfte es. Ein Dienstmädchen mit einem umfangreichen Packet trat ein. „Frau T., Sie möchten in die Brautwäsche für unser Fräulein Monogramme cinsticken; u. hier sind 6 M. Anzahlung." Sprachlos starrte die Frau auf das Dienstmädchen, welches ihr wie ein Bote des Himmels vorkam. Dann, als das Mädchen gegangen war, eilte sie fort und kaufte ein, Brod, Butter, Milch und — Lebcrwurst, die ihrem Liebling so gut schmeckte, und auch Kaffee. „Sieh, Hänschen, das hat uns der liebe Gott ge schickt," sagte sie bei ihrer Rückkehr. Hänschen be trachtete glückstrahlend die Herrlichkeiten, dann sagte er: „Der liebe Dott ist aber dutt, um Daffee habe ich dar nicht debittet, und er hat doch welchen mit- deschickt." Manche Thräne der Dankbarkeit ist in die Brautwäsche gefallen; sie werden der demnächstigen jungen Frau Glück bringen. — Die Klopfgeister der Militärtelegraphic. Wer von der Armee Stephans in das bekannte in der Kurfürstenstraße belegene Hau« der Militärtele graphie abkommandirt würde, um dort Dienst zu thun, der würde verlegen mit der Achsel zucken und sagen: „Hier weiß ich Nichts anzufangen." DaS klingt wun derbar, und dennoch ist es so, weil die Militärtele graphie mit Apparaten arbeitet, welche der Telegraphist in Civil gar nicht zu Gesicht bekommt. Der Letztere arbeitet mit dem Morse - Apparat. Für diesen hat der Militärtelegraphist von heute nur ein mitleidiges Lächeln. Unpraktischer Kram! Soll der Stift den Papierstreifen mit seinen Punkten und Strichen voll malen, während der Feind soeben das Telegraphen gebäude besetzt hat und gemüthlich ablesen kann, was man befiehlt? DaS wäre eine schöne Sache und