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Beilage zu Rr. 85 -es „Amts- und Anjeigeblattes". Eidtiis!»«, dm 2V. Juli 188S. Die Geheimnisse eines Irrenhauses. Roman nach dem Amerikanischen von August Leo. (IS. Fortsetzung.) Das war mehr als Ernst ertragen konnte, er stürzte sich auf Bill und streckte ihn mit einem wohl gezielten Schlage zu Boden. Die Wahnsinnigen warfen sich, toll vor Freude, auf den ain Boden liegenden Wärter und würden ihn in Stücke gerissen haben, hätte sich Ernst dem nicht widersetzt und ihm geholfen, hinauszukommen. Bill war rasend; er kehrte sofort mit noch drei Wärtern zurück, diese ergriffen Ernst, schleppten ihn in eine entfernte Zelle und schlugen ihn dort so unbarmherzig, daß er blutend und be wußtlos auf dem Boden liegen blieb. DaS war eine traurige Nacht für Ernst. Halb verschmachtend vor Durst, konnte er keinen Trunk erhalten und es war ihm schon eine Erleichterung, als er nur den Morgen herandämmern sah. Er sagte sich, daß jetzt alles mißglückt sei, denn er wußte nun kein Mittel mehr, durch welches er erfahren konnte, ob Constanze am Leben sei, oder wie er gar Gelegenheit fände, sie zu sehen. Sein unglückseliger Streit mit dem Wärter machte die Sache noch schwerer, doch er beschloß jetzt kühn vorzugchen, was auch die Folgen sein mochten. Bill war der erste, der ihn am nächsten Morgen besuchte. „Nun, mein Held," sagte er grinsend, „wie geht es Ihnen heute?" „Mir ist gar nicht wohl zu Muthe." „Hätten Sie nicht Lust, noch einen Kampf zu versuchen?" „Nein, ich habe kein Verlangen mehr, mich in dieser Richtung auszuzeichnen." „Na, das ist vernünftig und Sie haben sich durch diesen Entschluß viele Unannehmlichkeiten erspart." „Halten Sie mich für verrückt, Bill?" „O nein," sagte Bill höhnend, „Sie sind sehr gescheit." „Wenn ich Ihnen sagte, wie Sie sich ohne große Mühe hundert Dollars verdienen könnten, würden Sie mich dann auch für wahnsinnig halten?" „Wir haben hier eine Menge solcher Leute," er widerte Bill. „Ich prügle jeden Tag einige Millionäre und oft auch einen oder zwei Könige." „Sie sprechen thöricht," sagte Ernst, „ich meine es ernsthaft." „'Natürlich, Sie sind wie die Anderen, Sie glauben, die Welt gehöre Ihnen." „Darin eben irren Sie sich; ich bin ebensowenig verrückt wie Sie. Meinem Hiersein liegt eine Absicht zu Grunde, und wenn Sie mir behilflich sein wollten, würde ich Sie gut bezahlen." „Wenn ich wüßte, daß Sie vernünftig sprächen, würde ich nicht nein sagen. Für hundert Dollars thäte ich viel. Was ist Ihre Absicht?" „Sie sollen hundert Dollars haben, und noch mehr, ich versichere Sie!" „Was haben Sie vor?" „Ich will eine Bewohnerin der weiblichen Ab theilung sehen." „Und wie soll sie heißen?" „Beatrice King." Bill stieß einen leisen Pfiff aus, fuhr zurück und sah Ernst scharf an, indem er sich dachte: „Der ist wirklich nicht verrückt," dann sagte er laut, den Kopf schüttelnd: „Das ist nicht leicht!" „Beatrice King ist nicht ihr wirklicher 'Name," fuhr Ernst fort. „Das ist ganz gleich. Sie sagen, Sie geben mir hundert Dollars, wenn ich Ihnen dazu verhelfe, sie zu sehen?" „Und noch zweihundert, wenn Sie uns helfen, diesen Ort zu verlassen." Bill schüttelte den Kopf. „Wenn ich Ihnen auch helfen könnte, Sie zu sehen, Ihnen von hier fortzuhelfen, das geht nicht. Wo ist das Geld?" „Sobald Sie sich es verdienen, gebe ich Ihnen eine Anweisung auf einen Freund, der hier in der Nähe wohnt." Bill kratzte sich den Kopf. „Sie sehen aus und sprechen wie ein ehrlicher Kerl, und — hol' mich der Teufel! verstehen es auch ehrlich dreinzuschlagen, deshalb glaube ich, ich kann Ihnen vertrauen. Aber erstens müssen Sie Frauen kleider tragen und zweitens müssen wir in die Frauen- abthcilung gehen, wenn der alte Sansom fort ist. War ten Sie bis zum Abend, wenn die Patienten für die Nacht eingesperrt werden, dann können wir es wagen. Ich muß ohnehin heute Abend hinübergehen, einige Weiber prügeln helfen, so können Sie mir folgen." „Sie prügeln die Weiber?" „Regelmäßig. Diejenigen, die die Wärterinnen nicht bändigen können, fallen uns zu." „Das ist brutal." „Ich bitte Sie, kümmern Sie sich darum nicht und seien Sie nicht thöricht," rieth Bill. „Sie sind doch nicht hier, um Allen zu helfen,'nicht wahr? Sonst kann ich Sie versichern, hätten Sie ziemlich viel zu thuu. Ich glaube, Sie thäten besser, sich um Ihre Angelegenheit zu kümmern." Ernst sagte sich, daß Bill unter diesen Umständen recht habe und war mit seinem Plane für den Abend einverstanden. „Ich werde Ihnen Frauenkleider besorgen, sie werden wohl von der größten Sorte sein müssen. Von der tollen Sally dürfte Ihnen vielleicht eins passen ; bleiben Sie hübsch rnhig bis zum Abend, dann führe ich Sie hinüber als eine neue Wahn sinnige. In der Zelle, in der sich Beatrice King befindet, können Sie nicht hinein, da es nur einen Schlüssel giebt, den Sansom nie aus den Händen läßt." „Das ist seltsam. Und Sie haben keinen zweiten?" „Eö giebt keinen zweiten, und wenn Sic mit Beatrice sprechen wollen, so kann es nur durch das Gitter ihres Kerkers geschehen." Das war eine neue Schwierigkeit. Wie konnte Sie befreit werden, wenn der einzige Schlüssel ihrer Zelle in Sansoms Besitze war? DaS war ein Räthsel, doch — Constanze zu sehen, ihre Stimme zu höre», zu wissen, daß sic noch lebe, zu erfahren wo sie sei, war jetzt das Nöthigste, und Ernst erwartete niit Ungeduld den Abend, wo Bill, wie er versprochen hatte, mit der Verkleidung kommen sollte. Der weibliche Anzug war der größte, den man hatte, trotzdem war er Ernst um einige Zoll zu kurz. Er mußte sich bücken, um kleiner zu sein, so daß das Kleid den Boden berührte, und so folgte er Bill zu der Frauenabtheilung der Anstalt, neugierig, ob Bea trice King wirklich diese Constanze Howard war, die zuerst sein Herz mit süßer Liebe erfüllt hatte. 17. Kapitel. Ernst und Constanze. „Constanze! Constanze!" flüsterte Ernst mit klopfen dem Herze», indem er sein Gesicht an das Gitter der Zelle drückte, die ihm Bill als das Gefängniß der Beatrice King bezeichnet hatte. „Constanze! Constanze!" „Wer ruft?" fragte eine sanfte Stimme in der Zelle. „Ich bin es — Ernst!" „Ach, spotten Sie nicht!" Die Zelle war in einem entlegenen Winkel des Gebäudes und wurde nur in Sansoms Beisein ge öffnet. „Fürchte» Sie nichts, Constanze! Ich bin es wirklich. — Kennen Sie meine Stimme nicht mehr?" „Es ist Ernsts Stimme. Doch wie könnte Ernst hier hereinkommcn?" „Durch eine List, aber cs währte zu lange, um es Ihnen zu erklären. Kommen Sie näher ans Gitter, damit ich Ihr Gesicht sehen kann. Sie sind doch Constanze, nicht wahr?" „Ich bin Constanzes Schatten, den man jetzt an diesem entsetzlichen Orte Beatrice King nennt. Sie kam ans Gitter, ihre Finger berührten sich durch dasselbe; sie konnte sein Gesicht, auf das ein schwacher Lichtschein siel, erkennen und sagte: „Gott sei Dank, Ernst, Sie sind es! Jetzt werden Sie mich auch retten!" „Ich werde Alles versuchen, Constanze, ich kam deshalb hierher. Doch wir müssen klug und ge duldig sein und die rechte Zeit abwartc». Ich wünschte, ich könnte Ihr Gesicht besser sehen, doch eS ist zn finster." „Das ist mir lieb," erwiderte sie. „Ich möchte jetzt nicht von Ihnen gesehen sein, denn ich habe viel gelitten, und die Leiden stehen auf meinem Gesichte geschrieben. O, mein Schicksal ist entsetzlich und cs wäre Seligkeit für mich, wenn der Himmel Ihr Unternehmen begünstigte! Aber, Ernst, haben Sie vielleicht Edith oder meinen Mann gesehen? Weshalb läßt er mich hier ein so elendes Leben führen, ein Leben, das schlimmer ist als der Tod?" „Ich habe weder Mr. Asch noch Edith gesehen. Seit der traurigen Nacht, in der ich Sie das letzte Mal gesehen, bin ich fortwährend von Detektive« ge hetzt und verfolgt worden. Damals als ich zu Ihnen kam, in der Hoffnung, erfahren zu können, ob Ihr Vater nicht Papiere hinterlassen, die meine Unschuld bezeugen können, wurden wir unterbrochen —" „DaS war eine bittere Nacht für uns Beide, Ernst," unterbrach ihn Constanze seufzend. „Ich hatte keine Zeit, die Papiere zu durchsuchen, welche mein Vater hinterlassen hat; zuerst wollte tzh sie der traurigen Erinnerung wegen, die sie mir in das Gedächtniß zurückrief, nicht öffnen, und dann wurde ich, wie Sie wissen, ganz unerwartet an diesen ent- I setzlichen Ort gebracht. O, giebt es denn kein Mittel, mich aus diesem Grabe zu befreien, damit ich meine Edith noch einmal sehen kann, ehe ich sterbe?" „Haben Sie Muth! Wenn mein Plan gelingt, ollen Sie bald frei sein!" „Können Sie nicht zu meinen: Manne gehen und mit diesem sprechen? Sagen Sie ihm, wie sehr er mir Unrecht gethan, wie ich mich Tag für Tag nach unserem Kinde sehne, vielleicht giebt er mir um ihret willen das gesegnete Geschenk der Freiheit wieder." „Ach! Ich fürchte, es würde mehr als nutzlos ein, jetzt mit Mr. Asch zn sprechen," sagte Ernst. „Er ist schon seit einiger Zeit mit einer Anderen verheirathet." Ernst hatte nicht bedacht, welche Wirkung diese Worte haben konnten, sonst hätte er sie wohl nicht gesprochen. „Was sagten Sie, Ernst?" fragte sie mit keuchen dem Athen:. „Mein Mann mit einer Anderen ver- hcirathel?" „Ist denn das möglich? Kann er nicht meinen Tod abwarten?" „ES ist leider so, Constanze, ich dachte, Sie wüßten es, doch sprechen wir nicht mehr davon." „O, sagen Sie mir Alles — sagen Sie mir Alles!" bat sie. „Wen hat er geheirathet?" „Alice Berry!" „Großer Gott, erbarme Dich meiner!" rief das arme Weib, sich mit ihren abgezehrten Händen an dem Eisengitter festklannnernd. „Jetzt begreife ich alles. Sie war schon in jener verhängnißvollen 'Nacht, als ich sie an der Thüre traf, seine Frau, damals, als man mich von meinem Kinde hinweg schleppte, und veshalb hat man mich seit der Zeit schon mehrmals zu ermorden versucht." Ernst war beunruhigt, doch seine Angst stieg, als er sie schwer auf den Boden niederstürzen hörte. „Constanze!" Constanze!" rief er, doch es erfolgte keine Antwort, und vor sich hinmurmelnd, „ich habe sie getödtet," wollte er gerade Bill um Beistand rufen, als er diesen sehr aufgeregt herbeilaufen sah. „Bill! Bill! Schaffen Sie schnell Hilfe! Die Dame ist ohnmächtig und kann sterben, wenn sie keine Hilfe hat!" Bill blickte ihn gleichgiltig an und sagte: „Was haben Sie ihr denn für dummes Zeug vorerzählt? Ich kann Ihnen jetzt nicht helfen, der alte Sansom hat den Schlüssel zu der Zelle, und sie muß sehen, wie sic wieder zu sich kommt. Ich sage Ihnen, wir müssen hier fort, sonst ist alles verloren. Sansom ist aus der Stadt zurückgekehrt und kann jeden Augenblick hier sein." „Dann werde ich ihn zwingen, die Thüre dieser Zelle zu öffnen und Constanze die nöthige Pflege angedeihen zu lassen." „Mensch, sind Sie verrückt? — Ja, jetzt glaube ich's wirklich. Kommen Sie — gehen wir!" „O nein, brechen wir die Thüre ein!" Mit diesen Worten ergriff Ernst die Eisenstangen und versuchte, sie zu erschüttern, doch er hätte ebenso gut einen Felsberg erschüttern können. - „Constanze!" rief er noch einmal mit vor An strengung zitternder Stimme, aber es kam keine Antwort. Bill faßte ihn am Arme und sagte heiser flüsternd. „Hören Sie, wenn Sie die Absicht haben, sie zu retten, so kommen Sie sofort mit mir. Sie hat Schlimmeres, als eine Ohnmacht durchgemacht und wird auch an dieser nicht sterben. Jetzt seien Sie vernünftig und kommen Sie!" Während Bill noch mit Ernst sprach, hörte er rasche Schritte im Korridor, und erblickte beim Um sehen Doktor Sansom, welcher rasch näher kam. „Wir sind verloren!" sagte er flüsternd. „Rennen Sie jetzt den Korridor entlang und ich werde Ihnen nachlaufen, als ob ich Sie sangen wollte." Ernst that wie ihn: geheißen wurde, und rannte wie ein Blitz an Sansom vorüber, während Bill ihm folgte. „Was ist denn, Bill, wer ist das?" fragte der Vorsteher, als Bill an ihm vorüberjagte. „Eins der rasenden Weiber, Herr," rief Bill ohne sich aufzuhalten. „Sie ist nicht zu bändigen." Ernst bog um die nächste Ecke der Männer-Ab- theilung zu ; Bill immer dicht hinter ihm. Doktor Sansom wunderte sich, eine Irrsinnige zu einer Zeit, wo die Patienten schon eingeschlossen sein sollten, in: Korridor zu sehen ; doch nachdem er sich durch einige Flüche auf die Wärter erleichtert und sich vorgenommen hatte, an: andern Morgen die Sache zu untersuchen, murmelte er: „Jetzt muß ich nur noch einmal nach dieser lästigen Beatrice King sehen." Er trug den Schlüssel zu der Zelle mit mehreren anderen an einem Ringe, und als er ihn hcraussuchte, lachte er vor sich hin: „Haha! Es ist der einzige, der existirt! Jetzt soll sie versuchen, herauSzukommen!" und öffnete die Thür. Er fand einige Schwierigkeit dieselbe aufzustoßen, doch mit einiger Anstrengnng gelang eS ihm, er trat