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umsomehr widersprach, als er beabsichtige, gegen das Urtheil beim Reichsgericht die Revision cinzulegen. Der Gerichtshof verfügte indessen nach dem Anträge des Staatsanwalts und Hagemann wurde sofort in's Gefängniß abgeführt. — Ueber den Vorfall im Offizier-Casino in Stuttgart schreiben die „Dr. N.": Es ist Alles nicht wahr gewesen. Nämlich die Geschichte mit dem beleidigenden Trinkspruch eines russischen Offiziers im Schwabenlande. Nachdem sie haarfadenklcin, zwar mit einigen Abweichungen aber im Ganzen überein stimmend in den Zeitungen erzählt worden ist, stellt sie der amtliche Staatsanzeiger von Württemberg halb amtlich überhaupt in Abrede. Ein richtiger Schwaben streich! Darnach hätten sich die Offiziere des russi schen Dragoner-Regiments Nischnei-Nowgorod, die als Glückwunsch-Deputation zu dein RegierungSjubi- läum des Schwabenkönigs in Stuttgart erschienen waren, „in der liebenswürdigsten und vornehmsten Weise" in den verschiedenen Offizierskasinos bewegt, auch in dem des Dragoner-Regiments in Ludwigs burg, sie haben sich gleich allen Anwesenden bei den Trinksprüchen irgend welcher Art betheiligt und keiner hat die kameradschaftlichen Vereinigungen vorzeitig oder ostentativ verlassen. Wer's nicht glaubt, zahlt einen Thaler. Könnte Man alle solche Thaler für die Ferienkoloniecn cinkassiren, Dresden würde dann mindestens 5000 Kinder in die Sommerfrische hinauS- schicken können. Die ganze Geschichte ist hohen Orts sehr unliebsam bemerkt worden, insbesondere mag sie der Königin Olga recht verdrießlich sein. Nach russi scher Auffassung war ja überhaupt der Caesarewitsch (Thronfolger) und die Offiziersabordnung weniger zum Regierungsjubiläum eines deutschen Bundesfür sten als zu einem Feste der Tochter des Czaren Ni kolaus gekommen, der vormaligen Großfürstin Olga Nicolajewna, die seit 25 Jahren Königin des Schwa benlandes ist. Der Wein hat dann den Offizieren die Zunge gelöst. Die württembergischen und russi schen Dragoner mögen ein Bischen herüber und hin über politisirt haben; es heißt, die ersteren hätten einige Anspielungen auf die deutschen Ostseeprovinzen gemacht; als dann ein Hoch auf die deutsche Armee (nicht, wie das Dementi des württembergischen Staats anzeigers glauben machen will, auf Deutschland) aus gebracht wurde, vergaß sich ein Stabsrittmeister, aus zurufen, er kenne keine deutsche, sondern nur eine württembergische Armee. Darauf hat ein wackrer Schwabe, der sich nit forcht, schlagfertig entgegnet: „Nun, Ihr werdet das deutsche Heer schon kennen lernen"; schließlich beendete das Sichentferneu der Russen den peinlichen Auftritt. Der russische Thron folger und der Chef der militärischen Abordnung haben dann den ungeberdigen Moskowiter gebührend abgewandelt. Wir sind nicht geneigt, solchen von der Weinfeuchte erzeugten Aeußerungen übertriebene Be deutung bcizulegen. Aber auf die Gesinnung des russischen Heeres gegen Deutschland werfen sie ein Helles Licht. — Oesterreich-Ungarn. Bei den Landtags wahlen in Böhmen haben die Jungtschcchen über die Alttschechen bedeutende Vortheile errungen und ihnen eine große Zahl Sitze entrissen. Für Deutsch land ist der Sieg der Jungtschechen deshalb von einiger Bedeutung, weil dieselben sich offen als Geg ner des Bündnisses mit Deutschland bekennen. — Bon der russischen Grenze, wird dem „Graud. Ges." unterm 29. Juni geschrieben: „Wo zwei Leute zusammenkommen, wird von Politik ge sprochen, und derjenige Gastwirth erfreut sich der zahlreichsten Kundschaft, welcher die Zeitungsberichte in verschiedenen Variationen wiedererzählen und durch eigene Phantasie ergänzen kann. Oft entbrennen heftige Meinungskämpse. Die alten Landwehrleute glauben an eine Unmöglichkeit unserer Niederlage — die „gedienten Leute" reden natürlich hauptsächlich „vom Kriege"! — die Ungedienten stelle» die Russen als unbesiegbar hin und hegen schon Furcht in Betreff ihrer Familie und ihres Vermögens, wenn die Russen „nun bald über die Grenze kommen werden". Die einzige einmüthige Hoffnung aber, welche fast unge- theilt in den Gesprächen der Grenzbewohner dastcht, ist die, daß das Königreich Polen nun endlich wieder hergestellt werden muß. Sowohl wir als die Russen brauchten eS zur Schutzwehr. Das wäre nun nicht so schlimm, wenn die guten Leutchen darüber nur die Arbeit nicht vergessen möchten. Viele aber sind der Meinung, daß es nicht mehr verlohnt zu arbeiten. „Der Krieg" würde ja doch alles vernichten." Viele Familien, denen die Luft schon mit Pulverdampf geschwängert erscheint, rüsten sich bereits zur Aus wanderung nach Amerika, dem Lande des Glückes, um dem Unheil aus dem Wege zu gehen. Der Verkehr unserer Grenzbewohner mit Russisch-Polen ist jetzt nicht mehr halb so rege wie früher; man ist gegen die Russen, welche sich von jeher Hebel griffe erlaubten, jetzt mißtrauisch und sucht Unan nehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. — Dazu be merkt der „Gesellige": „DaS ist so ein Stimmungs bild aus unseren Grenzbezirken. Wir möchten den „gedienten", sowie den „ungedienten" Landsleute» an der Grenze nur rathen, weniger Bierbankpolitik zu betreiben. ES kommt nichts Gutes dabet heraus. Ein braver Deutscher thut ruhig seine Pflicht weiter, so lange eS möglich ist, und fürchtet, wie Fürst Bis marck gesagt hat, nur Gott und sonst Nichts in der Welt." Sächsische Nachrichten. — Dresden. Die 350jährige Jubelfeier der Einführung der Reformation in Dresden wird nächsten Sonntag in allen evangelisch-lutherischen Kirchen unserer Stadt in ganz besonders würdiger Weise begangen werden. Einzelne Gemeinden werden bereits am Vorabende des Festes durch einen geschichtlichen Vortrag über die Einführung der Reformation auf die große Bedeutung der Feier hingewicsen. Am Festtage selbst werden die Altäre mit Pflanzengrup pen geschmückt, die Thllrme geflaggt und die Gottes häuser noch anderweit dekorirt werden. Vor der Predigt werden größere Musikaufführungen und Vo kalgesänge zum Vortrag kommen. DaS Lob- und Danklied: „Nun danket alle Gott" soll mit Posau nenbegleitung angestimmt werden. Von den Thürmen herab werden wiederholt Choräle geblasen werden. Die Vertreter einiger Kirchengemeinden werden in festlichem Zuge einen gemeinsamen Kirchengang un ternehmen und vereint am Schluffe der Feier das heilige Abendmahl genießen. — Leipzig. Zur brennenden Tagesfrage für unsere Haushaltungen hat eine Bekanntmachung der hiesigen Fleischerinnung Veranlassung geboten, die aus dem Anlaß, daß ihrem Gewerbe durch die Anlage des Schlachtviehhofes größere Spesen entstanden, das Publikum auf eine Erhöhung der Fleischpreise für nächste Zeit vorbereitet. Im Publikum findet das Verfahren der Fleischer große Mißbilligung, denn mit demselben Recht könnte jeder Geschäftsmann, wenn er sich bessere und bequemere Geschäftslokalitäten zu legt, beanspruchen, daß das Publikum ihm diese Aus lagen ersetzt, und die Konsequenz aus dem Vorgang der Fleischer, der hoffentlich nicht von der Aufsichts behörde sanktionier werden wird, wäre die, daß bei Eröffnung der Markthalle alle dort verkauften Lebens mittel, die gegen andere Großstädte und namentlich gegen das benachbarte Dresden hier schon theurcr sind, wiederum im Preise gesteigert werden würden. — Am 7. u. 8. Juli d. I. findet in Freiberg, der alten Artillerie-Garnisonsstadt, der 2. Sächs. Artillerie-Brigade-Tag statt. Wie aus den zahlreichen Anmeldungen ersichtlich ist, werden sich viele Kameraden der Artillerie, der Pioniere und des Train aus allen Theilcn unseres engeren Vaterlandes nach langer Trennung wieder die Hand reichen und ernste und heitere Episoden aus Kriegs- u. Friedens zeiten austauschen. Das Fest findet nach folgendem Programm statt: Früh Reveille, von ^11 Uhr an Frühschoppen-Concert, '/,3 Uhr Nachmittags Festzug, 4—7 Uhr großes patriotisches Conccrt im „Tivoli", 8 Uhr Abends Ball im „Tivoli" und „Schützengar ten"; Montag früh Besichtigung der Stadt. Die oft bewährte Gastfreundschaft der Bewohner der alten Bergstadt Freiberg wird den lieben Gästen reichlich Freiquartier gewähren. Rege Betheiligung hoffend, rufen die Kameraden der Bergstadt Freiberg den lieben Gästen im voraus ein herzliches „Glück auf" zu. — Plauen. Der Vorstand der Deutschen Allgemeinen Ausstellung fürUnfall- Verhütung in Berlin hat an die Arbeitgeber ein Rundschreiben erlassen, worin er mittheilt, daß er Eintrittskarten für Arbeitnehmer und deren Frauen und Kinder zum Preise vou 30 Pf., welche an jedem Tage, ausgenommen Freitags, Giltigkeit haben, und zum Preise von 50 Pf., welche zugleich zum Besuche des Bergwerks, des Gefricrschachtes und der Taucher vorstellungen berechtigen, an die Arbeitgeber zur Ver- theilung an ihre Arbeiter abläßt und um schriftliche Aufgabe der Zahl der vorläufig gewünschten Karten bittet. Indem die Handels- und Gewerbe-Kammer Plauen dies hierdurch zur allgemeinen Kenntniß bringt, entspricht sie dem von dem Vorstand an sie gericht eten Gesuche, für möglichste Verbreitung der von dem selben bewilligten Vergünstigungen in den Kreisen der Industriellen und Gewerbtreibenden Sorge zu tragen. — Gleichzeitig bringt die Kammer hierbei zur öffent lichen Kenntniß, daß auf ihrem Bureau den Inter essenten Mittheilungen über AuSkunftSertheilung in Betreff Californischer Firmen gemacht werden können. — In Plauen ist zur Zeit in der Textil branche viel Beschäftigung, fast alle Fabriken ar beiten mit Ueberstunden. Die Maschinenstickerei hatte seit Jahren nicht so flott zu arbeiten wie dieses Jahr. AuS Paris sind große Bestellungen auf feine Tüll- stickereien eingegangen. Die Mode, welche der vogt ländischen Hauptindustric jahrelang so ungünstig war, zeigt sich derselben wieder von einer freundlicheren Seite. — Annaberg. In der Nacht zum Sonn abend hatte sich der Oberkellner des Hotels „zum wilden Mann" in Annaberg unter Umständen ent fernt, welche darauf schließen ließen,' daß er sich der Unterschlagung von Tisch- und Weingeldern schuldig gemacht habe. Auf erfolgte Anzeige ist ermittelt worden, daß sich derselbe in einem anderen dortigen Gasthause aufgehalten hat. Als er am Montag Mittag merkte, daß sein Aufenthaltsort bekannt war, stürzte er sich, um sich das Leben zu nehmen, in den Mühlgraben der Sehma, wurde jedoch noch lebend herausgezogen. — In Cotta bei Dresden war eine Massen erkrankung, über 50 Personen, auf den Genuß verdorbenen Rindfleisches zurückzuführen. Der „Löbtauer Anzeiger" schreibt hierüber: Die vom Fleischermeister Kube geschlachtete Kuh litt, wie uns heute mitgetheilt wird, an Euterentzündung. Daß das Fleisch allerdings „kaum genießbar" gewesen, er kennt man daraus, daß eS einen widerlichen Geschmack gehabt. Von den Gestorbenen wurde ein Jahre alter Knabe sezirt; die Därme waren aufgeblasen, ihres Inhaltes fast ganz entleert, woraus zu schließen ist, wie gewaltig das Gift gewirkt. Der Fall drängt zu einer allgemeinen Schlachtviehschau, nicht bloS Trichinenschau, und verlangt eine ernste Bestrafung Derjenigen, welche ein Thier vor dem Verkaufe des Fleisches nicht gehörig thierarztlich untersuchen lassen. — Eine Versicherung gegen Wasser schäden an Gebäuden durch die LandeSbrand- kasse bringt das in Dresden erscheinende „Vaterland" in Vorschlag. Wer im Wüthen des Unwetters in einer entsetzlichen Katastrophe durch den aus seinen Ufern getretenen Fluß oder durch einen Wolkenbruch sein Haus verloren hat, der ist wahrlich nicht besser daran, als wenn er es durch eine Feuersbrunst ver nichten sehen muß, aber in dem einen Falle läßt ihn der Gedanke an die Hülfe der Landesbrandkasse den Verlust leichter ertragen, während er im anderen Falle unter Umständen vor dem völligen Ruin steht. Der Gedanke, um wie viel besser es doch sein würde, wenn sein dnrch die Fluthen vielleicht arg beschädigtes und unwohnlich gewordenes HauS vollends wegbrennen würde, mag schon manchem gekommen sein, und wer weiß, ob nicht angesichts solcher Noth sich Einer oder der Andere versucht fühlte zur bösen That. Der Ge danke, mit der Landesimmobiliarbrandversichcrung auch die Wasservcrsicherung zu verbinden, liegt nahe, aber das 'Nächstliegende wäre wohl, daß die Privatver sicherung dem Gedanken näher tritt. Vermischte Nachrichten. — Kiel. Die Kreuzotterplagc nimmt in Schleswig-Holstein zu. Es wird wiederholt be richtet, daß die Kreuzotter weit zahlreicher, als früher, vorkommt. An Niederungen sind hinziehende Haide rücken, die Süd- oder Sonnenseite der Wälle und Knicks sind ihr liebster Aufenthaltsort. Hier liegen sie langgestreckt während der heißen Tageszeit und sonnen sich. Es vergeht jetzt kaum ein Tag, wo man nicht in den schleswig-holsteinischen Zeitungen von Kreuzotterbissen liest. — Ueber den Massenmord der Schwal ben wird aus Paris geschrieben: Um einem barocken Bedürfnisse der Pariser und in der Folge wohl der Modedamen aller europäischen Städte zu dienen, wird seit einiger Zeit im südlichen Frankreich eine Rohheit verübt, welche durch die indirekte Mitschuld des schö nen und zarten Geschlechts nur noch abscheulicher wird: wir meinen die Schwalbenmetzelei zu Gunsten der Schwalbenhüte der Damen. Da ziehen sie aus, die bezahlten Schergen der Rohheit, und warten an den Gestaden des Mittelmeeres auf die Rückkunft der zar ten Thierchen. Bald zappeln diese in den Netzen, bald hängen sie, von einem Köder angelockt, an einer Angel, bald erliegen sie den elektrischen Schlägen. Die letztere Art des Schwalbenfanges besteht darin, daß Eisendrähte an Stangen oder an Felsen isolirt befestigt werden. Ermüdet von der langen Seereise, lassen sich die Thierchen auf den Drähten nieder. Der verborgene Jäger verbindet nun den Draht mit einer Batterie, und wie vom Blitze getroffen stürzen die Vögelchen herunter. Tausende solcher Opfer einer Modelaune liegen in den Körben herum, in welchen sie verfaulen, weil es unmöglich ist, alle zu präpari- ren, ehe sie verwesen. „La Nature" wendet sich mit der dringenden Bitte, namentlich an ihren weiblichen Leserkreis, nach Kräften diesem heillosen Unfug ent gegenzuwirken. Die Schwalbe, welche täglich das drei fache Gewicht ihres Körpers an schädlichen Insekten verzehrt, hat nicht nur einen hohen wirthschaftlichen Werth, sondern sie ist der Vogel unseres Herzens, der Liebling der Kinder und der Großen. Wenn diese Dezimirung, sagt ein französischer Berichterstatter, noch einige Jahre andauert, so wird man in Frank reich in einem Dezennium die Schwalbe nur mehr in den Sammlungen zeigen können. — Recht wohlwollend. Ein Geistlicher pre digt zum ersten Male in dem Betsaale eines Gefäng nisses und beginnt seine Predigt, an die sich versam melten Spitzbuben wendend: „Ich freue mich, verehrte Zuhörer, Euch so zahlreich in diesem Hause zu sehen." — DaS „Herr Söhnchen". Die Wiesbade ner Kurliste führt unter den Angekommenen auch den Grafen Guido Henkel v. Donnersmark mit Gemahlin und dem „Herrn Söhnchen" auf. DaS „Herr Söhn chen" ist 1 Jahr alt. — Zwangslage. Chef zu seinem Buchhalter: Herr Meier, ich habe beschlossen, Ihr Gehalt vom nächsten Monat an um 100 Thaler pro Jahr zu er höhen. — Meier: O, dann bcdaure ich. Ihnen kün digen zu müssen. — Chef: Was, — wie so denn? — Meier: Ich habe meiner Rieke versprochen, sie zu heirathen, falls sich meine Verhältnisse verbessern