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Beilage zu Rr. 153 des „Amts- .und Aiyeiaeblattes". CiZenstoik, den 29. Dezember 1888. Die Pflegekinder des Commerzienraths. Novelle von Carl Hartmann-Plön. (2b. Fortsetzung.) X. Der Commerzienrath hatte „das Boudoir" seiner Pflegetochter mit einem Luxus ausgestattet, wie ihn nur die verwöhnteste vornehme Dame beanspruchen kann. Es lag in dem Hauptgeschoß und hatte einen großen Erker. Hier war Katharinas Lieblingsplatz und hier konnte sie stundenlang sitzen, ohne etwas Anderes zu thun, als zu denken, zu grübeln und zu träumen. Wie Heinrich, seitdem man die neue Wohn ung bezogen, kaum aus seinem Zimmer herausgekom men war, so verließ auch die Pflegeschwester kaum noch das Ihrige. Nur zum Mittag- und Abendessen kam sie herunter, klagte dann über Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein und war sehr ernst und schweig sam. Nur selten ging sie in den Park hinab, wo sie, in Gedanken vertieft, auf den gewundenen Kieswegen einherschritt, bis sie, von dem Wandern müde geworden, sich nach ihrem einsamen Zimmer zurücksehnle. Von jeher war es im Hause des Commerzienraths als eine abgemachte Sache angesehen worden, daß Katharina Heinrichs Frau werden würde. Die ver storbene Fran Brauer hatte sich früher oft dahin ge äußert, daß cs ihr lebhafter Wunsch sei und daß sie alles aufbieten würde, damit diese Heirath zu Stande käme. Sie hatte das der noch nicht confirmirten Pflegetochter kurz vor ihrem Tode selbst gesagt. Man wußte auch, daß es nicht minder der Wunsch des Commerzienraths war und Tante Sophie nahm es als so feststehend an, daß es gar keinem Zweifel mehr unterlag und deshalb sprach sie auch mitunter Katha rina gegenüber ganz unverblümt davon, neckte sie da mit nnd als der Zeitpunkt heranrückte, wo Heinrich zurückkehren würde, um mit ins Geschäft zu treten und für immer da zu bleiben, da bestimmte sie schon in ihrer scherzenden Weise, wann die Verlobung und wann die Hochzeit sein sollte, welche Zimmer für die jungen Eheleute eingerichtet werden müßten und der gleichen mehr. Dieser Wunsch Aller war denn auch Katharinas Wunsch geworden, ja, es hatte sich in ihr die Ueber- zeugung ausgebildet, daß cs gar nicht anders werden könne. Man nahm es allgemein als selbstverständlich an, daß Heinrich stillschweigend gut heißen würde, was seine Wohlthäter wünschten, man nahm es um so mehr an, als zwischen ihm und der Pflegeschwester ein freundschaftliches und scheinbar inniges Berhältniß bestand, das namentlich während der Ferien der letzten Jahre sich immer herzlicher gestalten zu wollen schien. Mit Heinrich hatte man nie ernstlich darüber ge sprochen nnd die Andeutungen, die Tante Sophie bis weilen in ihrer drolligen Weise machte, waren der Art, daß sic als Schcrz aufgefaßt werden konnten. ES war Katharinas Wunsch; aber entsprang der selbe aus Liebe? Nein, das war nicht der Fall. Sie war dem Pflegebruder stets freundschaftlich gesinnt gewesen, aber sie fühlte als erwachsenes Mädchen nicht anders für ihn, als sie früher als Kind für ihn ge fühlt hatte. Ob sie überhaupt einer tiefen Neigung, einer wirklichen Liebe fähig sei, das bezweifelte sie selbst. Ja, wäre der hübsche, blonde Procurist Brodersen, von dem das ganze Haus wußte, daß er eine stille, entsagende Schwärmerei für sie habe, ein reicher Mann gewesen, so hätte er in ihrem Herzen vielleicht die wahre Liebe erwecken können. Aber weil er ihr keine glänzende Zukunft zu bieten im Stande war, ließ sie derartige Regungen in ihrem Innern gar nicht auf kommen, sondern wußte sie, wenn sie dennoch einmal emporzuckten, mit kräftiger Hand niederzuhalten. Eine glänzende Zukunft, das war ihr Ideal, ihre Sehnsucht, das war der Inhalt ihrer Träumereien. Hierzu rechnete sie, ein vornehmes Haus zu machen, durch auserlesene Gesellschaften zu glänzen; dazu ge hörten ferner eine hübsche Equipage, betreßte Diener, eine Kammerjungfer, eine Theaterloge, im Sommer eine Badereise nnd was sich sonst der Reichthum er laube» kann. In diesen „großartigen 'Neigungen" fand sic in dem Commerzienrath, der solche theilte, die beste Unterstützung — ja, durch ihn hatten sie erst einen solchen Höhepunkt erreicht — und mit seiner Hilke hoffte sie auch, wenn sie nur erst mit Heinrich veryeirathet sei, diesen zu veranlassen, aus seiner Ein fachheit herauszutreten und sich des Onkels und ihren Wünschen, ihrem Reichthume entsprechend nach außen hin aufzutreten, zu fiPen. Da hörte sie von Martin kurz vor Heinrichs An kunft, daß Letzterer aus eigenem Antriebe das ganze Hauswesen in der luxuriösesten Weise umgestaltcn wolle, wie sie und der Commerzienrath eS längst in ihren Gedanken sich zurecht gelegt hatten. Wie kalte Schloßen fiel diese Nachricht auf ihre Hoffnungen von zukünftigem Glanze und Wohlleben. Was konnte diesen auffallenden Umschwung in den Gesinnungen und Ansichten des Pflegcbruders hervorgerufen haben? Und als der alte Kontordiener zufällig die Worte ge brauchte: „Es ist unmöglich, daß der Heinrich eine Andere wählen sollte, als Sic," da überkam es sie — wie eine Erleuchtung, daß eine Andere diesen Um schwung in ihm vollzogen. Und diese Andere, eS war mir zu wahrscheinlich, mußte wohl eine vornehme Dame sein, denn keine Geringere als eine solche, konnte seine einfache Geschmacksrichtung so plötzlich in das Gegentheil verkehrt haben. Er hatte wochen lang bei einem Grafen Hohenfels in Quartier gelegen, konnte er dort nicht mit einer hochgestellten Dame in Berührung gekommen sein, sich in sie verliebt haben? Sie fühlte schon in diesem Augenblicke, wie ein Haß gefühl in ihrem Busen aufkeimte, aber sie beschwich tigte es wieder, denn noch war ein Jrrthum möglich, noch konnte ihre Phantasie sie zu weit geführt haben. Wie gern hätte sie damals die Guirlande von der Thür wieder heruntergerissen, aber es war zu spät, man hörte schon den Wagen vom Bahnhofe zurück kehren. Da kam Heinrich — aber wie kam er? Es gab ihr einen Stich ins Herz, als sie mit einem Blick bemerkte, wie sein ganzes Aeußere in der kleid samen Uniform so aristokratisch, so nobel anssah, daß wohl für den hübschen, ritterlichen Mann eine Dame von hoher Geburt in Liebe entbrennen konnte. Und nun stutzte sie auch über sein verändertes, zurückhalt endes Wesen. Nicht, wie sonst war er auf sie zuge eilt uud hatte sic umarmt und geküßt — freilich hatte sie es durch ein angenommenes, schroffes Wesen ab sichtlich zu verhindern gesucht —, aber er hätte es mit Gewalt erzwingen müsse»! Das hatte er nicht gethan und sich auch weiter keine Mühe gegeben, eine» herzlicheren Empfang und später eine herzlichere Unterhaltung herbeizuführcn. Der Verdacht wuchs, daß ihr erster Gedanke der rechte gewesen, ihr Haßgefühl kehrte zurück und wenn auch noch verschwommen und nebelhaft im Anfänge, so trat es in ihr doch immer deutlicher hervor, auf welche Weise sie sich an denjenigen rächen könne, der mit einem Schlage alle ihre Hoffnungen zerstört. Man zog sie nicht ins Vertrauen, auch darüber ärgerte sie sich; aber eine Frage an irgend Jemand zu richten, die ihr Gewißheit gebracht, das hätte sie nimmermehr gekonnt. Von nun an legte sie sich auf die Lauer, um aus dem, was sie sah und erspähte, die Wahrheit zu erfahren. Sie erfuhr denn auch bald, daß während der Manöverzeit die Gräfin Wald see ebenfalls bei dem Grafen Hohenfels gewesen. Und als nun Heinrich beim Vater derselben einen Besuch gemacht und als er von dieser Zeit an allabendlich, unter dem Vergeben, dort zu musiziren, in dessen Villa wanderte, da war ihr das Eine unumstößlich klar, daß Heinrich die Komtesse Isabella liebte und mit der Absicht umging, um dieselbe zu werben ; aber seine düstere Stirn, sein starres Vorsichhinbrlltcn bei Tisch, sein Sicheinschließen auf seinem Zimmer sagten ihr zugleich, daß ein Antrag seinerseits noch nicht er folgt sein konnte, daß er also bis jetzt noch nicht ver lobt war und da sollte es sich doch erst entscheiden, ob die Gräfin Waldsee, deren Stolz bekannt war, die Bewerbung eines Bürgerlichen annehmen würde oder nicht. Daß sie in ihrem Hochmuth ihn möglicherweise abweisen würde, das war die einzige Hoffnung, an die Katharina sich anklammerte. Denn wurde sein Antrag abgewiesen, so war Aussicht vorhanden, daß sie dennoch, wenn auch nicht sobald, doch vielleicht später, sein Weib wurde. Seit zwei Tagen war ihre Aufregung eine geradezu fieberhafte. Sie hatte vou ihrem Erker aus gesehen, daß Jean einen Brief in die Villa nebenan gebracht hatte. Dieser Brief hatte ohne Frage den Antrag enthalten und diese Annahme wurde dadurch bestätigt, daß Heinrich, der bisher keinen Abend versäumt hatte, zum Grafen Waldsee zu gehen, schon an zwei Abenden das Hanö nicht verlassen hatte. Wie stand jetzt die Sache ? Katharina hatte am ersten Tage ihren Sitz im Erker nicht verlassen, um darauf zu achten, ob der Diener von drüben einen Brief zurückbrächte. Sie hatte nichts bemerkt, auch am zweiten Tage nicht. War schon eine Antwort erfolgt, hatte man vielleicht dieselbe niit der Stadtpost geschickt? ES war doch unglaublich, daß sie zwei Tage lang auf sich warten lassen sollte. Es war ja auch nicht unmöglich, daß die Komtesse den frechen Antrag eines Bürgerlichen mit schweigender Verachtung strafen, baß überhaupt keine Antwort erfolgen würde. Diese Demüthigung hätte sie ihm von Herzen gegönnt! War aber dennoch eine Antwort geschickt, so konnte es unmöglich eine günstige gewesen sein, denn sonst wäre Heinrich schon auf den Flügeln der Liebe davongeeilt, er aber saß nach wie vor eingeschlossen auf seinem Zimmer und hatte heute Morgen beim ersten Frühstück ein noch finsteres Gesicht gezeigt, als früher. Er hatte viel leicht schon einen Korb bekommen. Ein leises Froh locken, ein leises Jubeln begann sich bereits in ihrem I Innern zu erheben. Auch heute saß Katharina auf einem mit gelbem Brokat überzogenen Lehnstuhle in dem Erker und starrte gewohntermaßen nach der Waldsee'schen Villa hinüber, ob irgend Jemand von dorther kommen würde, der eine Entscheidung brächte. Lange Zeit hatte sie auf ihrem Posten so dagesessen, wie in den letzten Tagen starr auf das 'Nachbarhaus blickend, al« sie plötzlich aufsprang und laut ausrief: „Nein, ich will nicht mehr hinüberschauen, ich sehe mir sonst die Augen noch blind. Wozu auch noch? Was sollte wohl noch nach zwei Tagen von daher zu erwarten sein? Ent weder es kommt jetzt nichts mehr, oder es ist auf einem andere» Wege hierher besorgt, lind daß der Antrag gemacht ist, daß Jean der Postillon war, das lasse ich mir nicht ausreden, das hat auch der Onkel durch hundert Kleinigkeiten schon verrathen, nicht minder die Tante durch ihre traurigen Blicke, die sie auf mich warf; man muß nur zu kombiniren ver stehen, um Schlüsse ziehen zu können, und so sagen mir auch die finsteren Mienen Heinrichs, die häng ende Unterlippe des Onkels und jeder übrige Zug seines Gesichts, daß bis jetzt noch keine Hoffnung erfüllt ist, daß sie vielleicht für immer schon vernichtet ist. Und dennoch kann ich es nicht unterlassen, immer und immer wieder nach dem Hause hinüberzublicken, wo die Ursache all' meiner quälenden Gedanken weilt. Hätte ich nur erst Gewißheit!" Mit diesen Worten verließ sie ihr Zimmer, trat auf den Corridor hinaus, öffnete gleich darauf eine große, mit vielen Vergoldungen versehene Thür und schritt durch dieselbe hindurch. Sie befand sich jetzt in einem Saale von bedeutender Größe, in welchem eine fürstliche Pracht das Auge fast blendete. Sie wanderte mehrmals auf dem spiegelglatten Parquett- boden, vorsichtig, um nicht auszukleidcn, auf und ab und nun, unter dem mittleren, aus versilbertem Metall und Glas angefertigten riesengroßen Kronleuchter den Schritt anhaltend, sagte sie: „Nun ist ja Alles da, nun ist ja alles so geworden, wie der Onkel und ich es uns so oft in unserer Phantasie ausgemalt, daß es noch einmal werden müsse. Wir wohnen in einem Hanse, das einem Schlosse gleicht, wir haben einen Garten, einen Park, wie ihn Niemand sonst in der Stadt besitzt, eine prachtvolle Equipage steht uns zu jeder Zeit zur Verfügung, Kutscher und Diener tra gen eine reiche Livree, es fehlt jetzt nichts, nichts mehr! Und in diese 'Räume sollte eine Andere als Herrin einziehen, über dies alles eine Andere gebieten? Nein nimmermehr!" rief sie jetzt mit lauter Stimme. „Da es der Wunsch, der Wille der verstorbenen Tante war, so habe ich ein Recht darauf. Ist der Würfel schon gefallen, Heinrich? Ist er es nicht? Wehe Dir, wenn er günstig fällt! Du hast mich verschmäht, aber nehmt Euch in acht, ich werde mit dem Racheschwert dazwischenfahren nnd werde kämpfen auf Tod und Leben lind dann wollen wir sehen, wer siegt. Du oder ich! Es kostet mich vielleicht nur ein einziges Wort und Du mußt von Deinem stolzen Rosse wieder hernntersteigen und all' Dein Hochmuth fällt zusammen wie ein Kartenhaus!" Katharina hatte wie beschwörend die Hand aus gestreckt, der Oberkörper war zurückgcbeugt, aus ihren Augen schossen drohende Blitze, ihre hübschen Gesichts züge hatten sich bis zur Häßlichkeit entstellt. So stand sie da wie das Bild einer Rachegöttin. Erst nach einigen Minuten strich sie die dunklen Locken von der zusammengezogencn Stirn und ver ließ die Stelle, wo ihre Rachegedanken sich in laute Worte umgesetzt, durchwanderte jetzt auch die anderen, mit gleichem Luxus ausgestatteten Gesellschaftsräume, wobei sic mehrmals vor sich hinflüsterte: „Und alles das wird doch noch mein!" und kehrte darauf in ihr Zimmer zurück. Aber während ihrer Abwesenheit war gerade das geschehen, wonach sie zwei'Tage lang schon ausgeschaut; aus der Villa drüben war der Diener des Grafen Waldsee herausgekommen, hatte den Weg nach der Brauer'schen Villa eingeschlagen, diese betteten und nach kurzer Zeit sich wieder aus derselben entfernt. Hätte Katharina es gesehen, sie würde vor Auf regung gezittert und mit einer grenzenlosen Spannung darauf geachtet haben, was sich nun wohl in der nächsten Stunde ereignen würde. So aber hatte sie ihr Inneres leidlich ein wenig zur Ruhe gebracht, der Hoffnung wieder einen kleinen Raum angewiesen, so daß sie ein Buch nehmen und mit Aufmerksamkeit darin lesen konnte. Nach geraumer Zeit klopfte es an die Thür und zugleich hörte man die Stimme der Tante: „Ich bin es, Katharina!" „Komm herein, Tante Sophie!" rief das junge Mädchen, legte das Buch fort und erhob sich. Die kleine kugelrunde Frau trat mit einem glück strahlenden Gesicht über die Schwelle. „Denke Dir, Katharina," kam eS jubelnd über Tante Sophies Lippen, die Henriette, meine Tochter, hat einen Jungen! Ach diese Freude — ich hatte keine Ahnung davon!"