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Bei diesem Tone fiel ihr das Glas aus der Hand, die Flüssigkeit ergoß sich auf die Steppdecke, und ließ einen dnnkelgelben Fleck zurück; sie blickte auf, bleich wie eine Leiche, und sah, daß ihre schlimmsten Be fürchtungen sich bestätigt hatte», denn Tom Windom war es, welcher jetzt kaltblütig die Vorhänge hinter sich fallen ließ nnd ganz ruhig nnd gelassen in'S Zimmer trat. (Fortsetzung folgt.) Eine Stunde auf der Eisenbahn. In dringenden Geschäften mußte ich schleunigst während einer stürmischen Gewitternacht nach einer kleinen Stadt reisen und benntzte dahin einen Eilzug, den ich knapp vor der Abfahrt erreichte. Ein Schaffner öffnete mir noch rasch eines der schon verschlossenen Conpes nnd dann brauste der Zug dahin in die Nacht hinein. So weit ich es im Halbdunkel wahrnehmen konnte, denn der Schirm war nämlich vor die Lampe ge zogen, saß ein Mann in der gegenüberliegenden Ecke de« Eoupes. Da der Reisende, dessen Gesicht von eitlem tief in die Stirn gedrückten breitkrämpigen Hnte beschattet nnd von dein emporgestitlpten Kragen seines Mantel« fast ganz verdeckt war, allem An scheine nach schlief nnd ich auch müde war nnd mich bequem hinlegen wollte, so ließ ich den Schirm vor der Lampe. Ich schob den znsammengerollten Plaid unter mei nen Kopf und deckte mich mit dem Mantel zu. Bald schloß ich die Augen und hoffte von den gleichmäßigen Schwingungen des Waggons eingelullt zu werden. Kaum mochte ich ein paar Minuten so gelegen haben, als ich mich seltsam beunruhigt fühlte. Es giebt Menschen, welche auch bei geschlossenen Augen einen auf sie gerichteten Blick fühlen. Ich selbst habe diese Wahrnehmung schon oft an mir gemacht. Es war mir klar, daß ich aufmerksam beobachtet werde. Ich schielte nach meinem Reisegefährten und be merkte, daß er mich mit starren Blicken fixirte. Er hatte de» Hut abgenommen und den Mantel bei Seite gelegt. Aus seinem, von einem buschigen, schwarzen Vollbartc umrahmten Gesichte blitzten un heimlich glühende Augen hervor. Wie er so, ich möchte sagen, lauernd dasaß, den Oberkörper nach vorn gebeugt und die Arme auf die Kuie gestemmt, sah er' einem sprungbereiten Ranbthier ähnlich. Mir fielen die während der letzten Jahre auf Eisen bahnen verübten Mordthaten nnd Berandungen ein, und ich war auf meiner Hut. Zunächst erhob ich mich von meinem Sitze, um den als Schirm dienenden Vorhang von der Lampe hinwegzuziehe». Rasch wie der Blitz sprang aber mein unheimlicher Reisegefährte auf, packte mich, drückte mich auf mei nen Sitz nieder, uud schrie gellend: Rühre Dich nicht! Weißt Dn nicht, daß ich Scharfrichter bin?! Mögen Sie sein, wer Sie wollen! rief ich drohend. Sie müssen sich wegen Ihres Benehmens verant worten. In einer halben Stunde werden wir an einer Station halten und dann — Er lachte hell auf. In einer halben Stunde wirst Dn im Himmel oder in der Hölle sein, sagte er grinsend. Weißt Du denn nicht, daß ich an Dir meine neue Hänge methode zu erproben habe? Das Blut schien mir in den Adern zu gerinnen ; ich sah, daß ich es mit einem Wahnsinnigen zu thun hatte. Der stiere Blick seiner tiefliegenden Augen, das grausige Lächeln, welches bei der Erwähnung meines nahen Todes sein durchfurchtes Gesicht ver zerrte, ließen in mir ebenso wenig Zweifel übrig, als seine Worte, ans welchen ich die fürchterliche Gefahr erkannte, die mir drohte. Tausend Gedanken durchzuckten binnen wenigen Sekunden mein Gehirn. Wie konnte ich mich aus den Händen des Tollen retten? Ihn zu bemeistern, war nicht möglich, denn er war ein herkulisch ge bauter Manu, dessen Muskeln von der schwer zu bändigenden Kraft der Wahnsinnigen noch gestählt wurden. Das Zugpersonal zu alarmiren! Den Ge danken mußte ich auch aufgeben, da zu jener Zeit Signalvorrichtungen für das Anhalten des Zuges noch nicht cxistirten. Das Brausen des Sturmes, das Rollen des Donners, das Plätschern der an die Coupefenster gepeitschten Regentropfen, das Gepolter des dahin rasenden Eilzuges hätten meine lautesten Hilferufe übertönt und meinen verrückten Reisegefähr ten noch mehr gereizt. Da fiel mir ein Mittel ein, das mich vielleicht retten konnte: Ich wollte dem Kerl einen Stoß ver setzen, daß er zurücktaumclte, dabei schnell die Conpc- thür aufreißen nnd mich auf das Trittbrett schwingen; dann wollte ich es wagen, auf dem Laufbrcttc »ach der Lokomotive zu gehen. Gedacht, gethan. Ich erhob mich rasch, stieß den inmitten des Coupes aufrecht Stehenden in seine Ecke zurück, riß die Thür auf und wollte eben auf das Trittbrett steigen, als der wie ein beutegieriger Tiger emporge sprungene Wahnsinnige mich mit übermenschlicher Kraft packte und von der Thür wegzerrte. Eisernen Zangen gleich legten sich seine Hände um meine Arme, welche wie von der Kraft eine« Schraubstocks gepreßt wurden. Ich schrie laut um Hülfe, aber wer konnte bei dem Gewittersturm und dem Dröhnen de« mit voller Dampfkraft fahrenden Znges den Hülferuf hören?! Der Tolle schlug die Coupethllr zu, drückte mich wie ein Kind auf den Sitz nieder, blickte mich mit wild rollenden Augen an und schrie: Habe ich Dir nicht schon gesagt, daß Du mir gehörst? In so ruhigem Tone, wie nur möglich, fragte ich: Wa« wollen Sie eigentlich von mir? Meine neue Hängcmethode an Dir probiren! ant wortete der Wahnsinnige, und zog einen mit einer Schlinge versehenen Strick aus seiner Tasche. Obgleich der kalte Angstschweiß mir die Stirn herabrann, suchte ich doch meiner Furcht Meister zu werden und fragte: Warum gerade an mir? Weil ich morgen früh einen zum Tode Verur- theilten hinzurichten habe und mit der neuen Methode mir einen großen Namen erwerben will. Ich darf dabei keinen Fehler machen; darum will ich an Dei nem Halse probiren. Und mordbegierig fletschte er die Zähne, wie ein wildes Thier. Ja, worin besteht denn diese neue Methode? fragte ich, blos um Zeit zu gewinucu und meine Uhr hcrausziehend. Es war halb 11 Uhr. In 15 Minuten mußte» wir nach der Station gelangen, an welcher der Eilzug anhielt. Ich schöpfte Hoffnung; gelang es nur, den Wahnsinnigen so lange zu beschwichtigen, dann war ich gerettet. Mein unheimlicher Reisegefährte beschäftigte sich eifrig mit dem Stricke nnd schien meine Frage über hört zu haben. Wollen Sic mir nicht mittheilcn, worin Ihre neue Methode besteht? sagte ich mit vor Aufregung zitternder Stimme. Das brauchst Du nicht zu wissen. Mein Ge- heimniß vertraue ich Niemandem an! schrie er wild. Ich werde es ja nicht ausplandern können, da Sie mich tödtcn wolle», erwiderte ich, mich zu einem tonlichen Lächeln zwingend. Ziehe Deinen Rock aus uud lege die Cravatte ab, herrschte er mich an, noch immer mit deni Stricke beschäftigt. Warum? fragte ich schaudernd. Weil ich Dich hinrichten will. Aber Sie können ja hier innen den Strick nirgends befestigen. Doch, erwiderte er, und zeigte mit der Hand nach dem zur Aufnahme für Handgepäck bestimmten eiser nen Netze. Das wird ja viel zu niedrig sein, bemerkte ich mit gepreßter Stimme. Du mußt deshalb niederknieen, entgegnete der Wahnsinnige und begann den Strick an den Eisen stäben zu befestigen, was ihm nicht gleich gelingen wollte. Wieder warf ich einen Blick auf meine Uhr. Bolle 10 Minuten hatten wir noch zu fahren. Mein Herz pochte ungestüm vor Angst und Aufregung. So, sagte nach einer Weile der unheimliche Mensch, indem er den befestigenden Strick straff anzog, bas wäre gethan. Um Zeit zu gewinnen, wollte ich mir an dem Strick zu schaffen machen. Vorwärts, vorwärts, schrie aber jetzt der Tolle, der den Augenblick kaum erwarten konnte, um seine neue Methode zu probiren. — Den Rock herab, oder ich werde ihn Dir selbst ausziehen! Dabei packte er mich mit dein eisernen Griff seiner Hand an. Ganz recht! sagte ich möglichst kaltblütig, aber ich habe ja noch kein Testament gemacht. Ich besitze Vermögen, über welches ich doch verfügen muß. Als Scharfrichter dürfen Sie niir das nicht verwehren, weil Sie sonst von den Gerichten zur Verantwortung gezogen werden. Vor den Gerichten schien der wahnsinnige Mensch großen Respekt zu haben, denn er starrte mich wild an und brummte: Nia, da mache Dein Testament, aber rasch; ich habe nicht lange Zeit zum Warten. Langsam zog ich mein Notizbuch und Bleistift aus der Tasche, schob den Schirm von der Lampe hinweg, was der Tolle jetzt ruhig geschehen ließ, und zählte, während ich Worte ohne allen Sinn hinschrieb, mit Köpfendem Herzen die Minuten. 'Noch nicht fertig? schrie der Wahnsinnige, der keinen Augenblick lang seinen Blick von mir abwandtc. Sofort! antwortete ich beschwichtigend und fuhr mit dem Bleistift so hastig wie möglich über das Papier, während ich in Gedanken fortzählte: Vier hundert sechs — sieben — acht — neun — Es waren die Sekunden, die, seit ich den Bleistift in die Hand genommen, vergangen. Meiner Be rechnung nach mußten wir in fünf, längstens sechs Minuten auf der Station eintreffen. Jetzt ist'S genug! tobte plötzlich der Irrsinnige und riß mir das Notizbuch aus der Hand. Sie müssen doch vorher da« Testament unter schreiben, sagte ich begütigend nnd brach unbemerkt die Spitze des Bleistifts ab. Ein Testament ist ja ungültig, wenn es nicht wenigstens von einem Zeugen unterschrieben ist. Er »ahm den Bleistift in die Hand, fand aber natürlich keine Spitze daran. Geben Sie her, ich werde ihn zuspitzen, sagte ich, ein kleines Taschenmesser, meine einzige Waffe, her vorziehend. Schon aber hatte er ein großes Dolchmesser aus der Tasche geholt und fing an den Bleistift zuzuspitzen. Beim Anblick der blanken, scharfen Klinge überfiel mich ein Grauen. Wie, wenn cs dem Wahnsinnigen plötzlich einfielc, mit dem Messer mir den Hals ab- zuschnciden?! Meine Furcht war jedoch grundlos. Denn der Verrückte schien blos an seine, von ihm erfundene Hängemethode zu denken; nachdem er unter meine sinnlosen Worte einen unleserlichen 'Namen gekritzelt, klappte er das Messer zu und steckte es ruhig ein. So war denn meine kleine List gelungen. Ich mußte mindestens dritthalb Minuten gewonnen haben. 'Nun aber schnell den Rock ausgezogen! schrie er, wieder wild werdend. Er war schrecklich anzuseheu. Ein Tobsuchtsanfall schien ihn zu befallen. Seine Angen funkelten vor Mordgier und Schaum trat ihm auf die Lippen. Jetzt durfte ich es nicht länger wagen, mich zu sträuben. Ich glaube, er würde bei der geringsten Weigerung mich erwürgt haben. 'Noch immer Ruhe heuchelnd, während meine Pulse fieberhaft schlugen, begann ich langsam uud zögernd meinen Rock auszuziehcn und spähte links und rechts nach den Wagcnfcnstern, ob auf dem Laufbrette viel leicht ein Schaffner zu erblicken wäre. Weg mit der Halsbinde! brüllte jetzt der Wahn sinnige, als er mein Zögern bemerkte. Auch diesen: Gebote mußte ich Folge leisten. Und nun auf die Knie! schrie der Rasende, indem er mich an den Schultern packte und sich init seinem ganzen Körpergewicht an mich hängte, um mich nieder- zudrllcken. — Auf die Knie, damit ich Dir die Schlinge um den Hals legen kann! Ein gellender Pfiff der Lokomotive übertönte in diesem Augenblicke das Rollen des Zuges. Wie eine Zentnerlast fiel es mir vom Herzen. Ich wußte, daß dieses Signal die unmittelbare Nähe der Haltestation bedeute. Nie in meinem Leben hat ein anderer Ton mir lieblicher geklungen, als damals der schrille Pfiff der Lokomotive. Auf die Knie! Augenblicklich! wüthete der Tolle und rüttelte mich mit riesiger Kraft. Ja, ja, sagte ich unterwürfig. Sie sehen ja, daß ich Jhrein Willen Folge leiste. Wir müssen aber doch zuerst sehen, ob der Strick auch fest genug ist. Wer weiß, ob mich der Strick trägt, denn ich bin ziemlich schwer. Ich werde mich erst mit beiden Händen an ihn hängen. Der Wahnsinnige ließ mich los. Das war es, worauf ich gehofft hatte. Ich ergriff den Strick und that, als ob ich seine Tragfähigkeit probiren wollte; dabei wollte mir der Mordlustige helfen nnd bückte sich etwas. Diese Gelegenheit benutzte ich und warf ihm blitzschnell die Schlinge hinterrücks über den Kopf. Ehe der Ueberraschte sich besinnen und die Schlinge entfernen konnte, hatte ich die Wagenthür aufgerissen und war mit einem Satze von den: Zuge herabge sprungen, der soeben in den Bahnhof einfuhr. Glücklicherweise that ich mir nichts zu Leide, da der Zug schon sehr langsam fuhr, und dann schwächte der vom Regen durchnäßte Sandboden, auf welchen ich fiel, die Gewalt des Sturzes. Mein kühner Sprung war bemerkt worden. Bald kamen Leute auf mich zugelaufen. Rasch war der Grund meiner gewagten That erzählt. Schon hörte man aber auch vom Bahnhofsgebäude her, wo der Zug mittlerweile angelangt war, das fürchterliche Toben des Wahnsinnigen. Es bedurfte der vereinten Kraft eines Dutzend Männer, um ihn zu bändigen und durch Fesseln un schädlich zu machen. Es stellte sich später heraus, daß der Irrsinnige ein wohlhabender Grundbesitzer sei, der durch schreck liche Familien - Ereignisse wahnsinnig geworden war. Man hatte ihn vor seiner Abführung nach der Irren- Anstalt zwar im eigenen Hause unter Bewachung gehalten, aber mit der dem Wahnsinn eigenthümlichen Schlauheit war cs ihm doch gelungen, seinem Wächter zu entspringen. Da er im Besitz einer ziemlich ge füllten Börse war, so ging er nach dem Bahnhofe, löste sich ein Billet nach einer sehr entfernten Stadt und hatte in ruhiger, ordentlicher Art und Weise den Eilzug bestiegen. Die Angehörigen des Unglücklichen, welche von seinem Verbleiben schleunigst benachrichtigt wurden, haben ihn dann sofort in einer Irren-Anstalt nnter- gebracht. Druck und Brrlag von E. Hannebohn in Eibenstock.