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sprechen sehen, die Leute würden sich darüber sehr wundern." «Ich habe Dir erst noch ein Paar Worte zu sagen," erwiderte der Mann. „Gehe weiter; ich bleibe neben Dir! Was hindert mich denn eigentlich, Dich zu zwingen immer neben mir herzugehen? Ich würde es auch thun," fügte er brutal hinzu, „wenn es in meinen Plan paßte. Du glaubst vielleicht, daß ich meine Schuld vergesse ? Glaube das nicht, Liebchen, Du hast »och viele Jahre zu lebe», und ich werde das Kapital mit den Zinsen einkassiren. O, da blitzt eS wieder in Deinen Augen! Den Strahl kenne ich von früher her, doch ich habe ihn damals nicht ge fürchtet, Helene Windom, und ich fürchte ihn anch jetzt nicht. Ich brauche Geld, ich sitze wieder auf dem Trocknen." „Und deshalb peinigst Du mich!" rief sie, sich mit plötzlicher Heftigkeit an ihn wendend. „Zu mir kommst Du, damit ich Deine elende Verschwendung bezahlen soll? Wohlan denn, ich kann nichts mehr für Dich thun. Ich habe kein Geld, also kann ich Dir auch keines geben. Hältst Du so Dem Wort? Du versprachst mir doch, mich in Ruhe zu lassen, wenn ich Deine dringendsten Bedürfnisse befriedige und das that ich. Ich habe mich noch tiefer in den Pfuhl der Schlechtigkeit versenkt, um nur vor Dir Ruhe zu haben und mir das Heim, das ich mir er rungen, sowie den Namen, den ich trage, und den Anschein der Ehrenhaftigkeit, die mich nmgiebt, zu erhalten. Gott weiß, wie viele Jahre Du mich in den Staub hinabzogst und jetzt willst Du aufs Neue damit beginnen? Was nützt Dir diese gehässige Ver folgung ? Was gewinnst Du dabei, indem Du meine Vergangenheit bloßstellst? Ich kann mich doch nicht ruiniren, um Dir die Taschen zu füllen?" „Doch das hilft mir, meine Schuld bezahlen," zischte er mit zusammcngcbissencn Zähnen. Jetzt war alle seine zur Schau getragene Gleichgiltigkeit ver schwunden und seine Wuth war um so wilder, je länger er sie bezähmt hatte. „Wo ist Henry George?" fragte er. „Wo ist der Mann, der Dir bei Deiner Flucht behilflich war? Sage mir, wo ich ihn finden kann, dann will ich Dich wieder einige Zeit in Frieden lassen, denn ich habe geschworen, meine Schuld zuerst an ihn abzu zahlen." Sie blickte ihn verächtlich an. „Ich habe ihn seit sechs Jahren nicht gesehen — cs trieb mich nichts von Dir, als Deine eigene Brutalität — Deine Grausamkeit! Glaubtest Du, daß ich das für immer hätte ertragen können? Glaubtest Du, daß, wenn Du heute das Haus, das ich mir zum Heim gemacht, in Trümmer legst, Du auch nur um ein Haar breit mich mehr in Deiner Gewalt haben würdest? Im Gegenthcile — ich würde vollkommen aus Deinem Leben verschwinden — dieses Mal sicher für immer! Welche andere Macht hast Du über mich, als die Furcht, daß Du mir den Mantel der Ehrbarkeit von der Schulter reißen könntest ? Thue es, dann stehen wir auf gleichem Boden und ich habe nichts mehr zu fürchten. Du thust besser, Tom, mich in Frieden zu lassen." Er blickte sie trotz seiner Rohheit mit einer ge wissen Bewunderung an. „Du hast immer noch Courage, Helene", sagte er. — „Daran hat es Dir nie gefehlt, Liebchen, aber Du kennst Deinen Herrn doch und weißt, daß er nicht derjenige ist, der seine Rechte aufgiebt. Ich glaube, wir lassen einstweilen die Zukunft und rechnen mit der Gegenwart. Ich brauche Geld — wie viel kannst Du mir geben?" „Gar keins", antwortete sic fest, „nicht einen Dollar. Mein Mann ist sehr krank und auch sein Vater liegt in Todesgefahr. Ist das die Zeit, wo ich Geld von ihnen verlangen kann?" „Ach, Dein „Mann" ist krank", wiederholte er spöttisch. „Gut, ich werde warten, bis cs ihm besser geht, inzwischen werde ich in Erfahrung bringen, ob Du mich betrügst. Doch wenn Du kein Geld hast, so hast Du Schmuck, ich will mich einstweilen mit diesem begnügen." „Wie viel ist nöthig, um Dich zu befriedigen?" fragte sie düster. „Hundert Dollars," erwiderte er, „bis die Aus sicht, daß Du Wittwe wirst, vorüber ist." „Wohin kann ich Dir es schicken?" „O, ich hole mir es heute Abend! Ich werde um neun Uhr hier auf derselben Stelle sein." „Rein, ich will es Dir schicken; ich könnte vielleicht nicht im Stande sein das HauS zu verlassen." „Ich will es darauf ankommcn lassen. Vielleicht habe ich Dir noch einige Worte zu sagen." Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verließ sie im Angesichte des stattlichen Hauses, das so viel Elend in sich barg. 29. Kapitel. Dämonische Frauenlicbe. In ihrem Zimmer hatte Mary das Schließen der Vorderthür hinter Helene gehört, al« diese das Hau« verließ und aus dem Fenster blickend, sah sie sie eilig die Straße hinunter gehen. War Harry allein gelassen worden? fragte sie sich. Armer Harry! Ob er das Geheimniß ahnte, das Helene ihr in der vorigen Stacht anvertraut, ob er ahnte, daß er nie die Liebe seiner Frau besessen hatte? Hatte dies sein Mißtrauen gegen Harvey Barclay vermehrt? Harvey Barclay! Sie schauderte bei dem Andenken, als dieses Bild, das sie vielleicht nie aus ihrem Leben verbannen konnte, vor ihrem Geiste auftauchte. Sie hatte ihr Wort verpfändet, ihn zu heirathcu, um den Namen und die Ehre des Mannes, den sie liebte, zu retten, und um jeden Preis, selbst um den, welchen sie gezahlt, das Pfand zurückzuerhalten, das Edgar Reynold, wenn es ihm zu Gesichte kam, den Todes streich versetzen mußte. Es stand wohl genug auf dem Spiele, um das Opfer zu rechtfertigen und doch war dasselbe, so ge ring es auch Anderen erscheinen mochte, für das arme Kind das ganze Leben. Ihr Innerstes schauderte davor zurück, ihre Lippen erbleichten und das Blut erstarrte ihr in den Adern, als sie sich ihre liebeleere, hoffnungslose Zukunft ausmalte. Und er, dessen Hand das Feuer angezündet, das ihr Jugend, Hoffnung und Glück zerstört hatte, durfte nicht einmal wissen, daß es brannte. In ihrem Herzen regte sich jetzt nur unendliches Mitleid für ihn, als sie die Gestalt seiner Frau in der Entfernung verschwinden sah. Für den Augenblick ihres eigenen Schmerzes vergessend, dachte sic nur an die unendliche Liebe, welche er dem Weibe gewidmet, dessen Herz, ihm gegenüber, wie Eis war. Wußte er es? Vermuthcte er es? War dies der Grund seiner plötzlichen Erkrankung? Und sie hatte ihn allein gelassen! War er noch immer be wußtlos? Sie mußte sogleich zu ihm gehen, um sich zu überzeugen. Mit diesem Gedanken wandte sie sich vom Fenster ab und schritt eilig der Thür zu. Dort blieb sie mit der Hand auf dem Schlosse, einen Augenblick stehen, dann trat sie zurück und fiel neben einem Stuhle auf die Knie: „Gott, schenke mir Kraft!" Dies war ihr stummes Gebet, das seinen Weg zum Throne des Allmächtigen suchte. Kurz darauf stand sie an Harry's Lager. Bei seinem Anblick kam ihr die Stärke, um die sie gebeten hatte: sie vergaß sich selbst und ihrer eigenen Schmerzen, als sie auf das bleiche Gesicht blickte, das auf den Kissen lag und das so deutlich lesbar das Gepräge des Schmerzes trug. Die braunen Augen waren weit geöffnet, doch sic blickten sie an, ohne sie zu erkennen. Der kurzge schorene Kopf warf sich ruhelos von einer Seite auf die andere, als ob er von unerträglichem Schmerze gepeinigt sei, das Mädchen stand einen Augenblick still; ihr war, als ob ihr das Herz brechen müsse. Dann sank sie neben dem Lager auf die Knie und drückte, sich zu ihm hinüberbückcnd, ihm einen Kuß auf die glühend heiße Stirn. Es war dies zu gleicher Zeit ein Kuß der Vergebung und der Entsagung. Harry bewegte sich bei der Berührung, trotzdem dieselbe so leicht gewesen, als ob der Sommerwind ein Rosenblatt hingewcht, und ein momentaner Blitz des Bewußtseins war in seinen Augen zu bemerken. „Helene!" flüsterte er, „Helene!" Der Name fuhr ihr wie ein Messer durchs Herz, — einen einzigen kurzen Moment — der aber doch lang genug war, um ihr einen Blick in den Himmel zu gestatten, — hatte cs ihr geschienen, als nähme sie, ihm gegenüber, Helenens Platz ein. Doch schon war sie von ihrem Traume erwacht. Es verging eine Stunde und sie kniete noch immer neben ihm, ihm Umschläge auf die glühende Stirn machend und seine trockenen Lippen mit Eiswasser befeuchtend. Hin und wieder entschlüpften ihm leise, unver ständliche Worte, dann und wann schien sich das Bewußtsein durchkämpfcn zu wollen, ja, sie bildete sich sogar manchmal ein, Liebe und Dankbarkeit in dem Blicke zu lesen, den er auf sie richtete. Dann öffnete sich die Thür hinter ihr und Helene trat ein. Sie war sehr blaß, ihre Augen blitzten sonderbar und blieben fast herausfordernd aus Mary ruhen. Mit unruhiger hastiger Bewegung nahm sie den Hut ab und warf ihn von sich. „Hat er gesprochen?" fragte sie, mit einem Blicke auf ihren Gatten deutend. „Nur Deinen Namen geflüstert," antwortete Mary, „ich glaube, er hielt mich einigemal für Dich." „ES wäre besser für uns Alle, wenn es so wäre!" sagte Helene und trat, wie einem plötzlichen Impulse folgend, nahe zu Mary, welche sich von den Knieen erhoben hatte, und neben Harry's Lager stand. „Ja, es wäre besser, wenn Du wirklich Harry's Frau wärest. Höre, Mary: Du erfuhrst gestern Abend mein Geheim niß; ich war hart und kalt, ja, fast roh, als ich es sagte, doch ein Weib wie ich, wird durch das Leid nicht weicher, und als Du mir sagtest, Du habest versprochen, Harvey Barclay zu heirathen, litt ich in diesem Augenblicke mehr, wie Du in einem Lebens alter leiden könntest. Ich weiß nicht, weshalb ich Dir das sage, ich habe Dich nie geliebt, ja, ich habe Dich fast gehaßt, denn Du hast Alles in der Welt, was mir Wünschenswerth erscheint und ich habe Har vey Barclay's Projekt schon seit vielen Tagen errathen. Er »ersuchte, mich zu täuschen, doch die Liebe läßt sich nicht täuschen, Mary, und ich liebe ihn. Er ist ein schlechter, gewissenloser Mensch, doch er ist das Einzige, was ich je auf Erden geliebt. Schwöre mir, daß Du ihn nicht heirathen wirst! Deinem Worte kann ich vertrauen, schwöre es mir! Es ist ja nur Dein Vermögen, das er verlangt, nicht Dich. Er wird Dein Leben elend machen, wie er das meine elend gemacht hat; doch ich bin nicht scheinheilig genug, um zu sagen, daß ich Dich Deinetwegen bitte. E« ist um meinetwillen, Mary, um meinetwillen! Ach, er ist ja Alles, was ich habe in der Welt, und wenn Du ihn zurückstößt, wird er mich wieder aufsuchen; im Innern liebt er mich ja mehr, als alles Andere, mit Ausnahme seines kostbaren „Ich". Sage mir, daß Du ihn aufgeben wirst — schwöre es mir!" „Ich kann nicht schwören," antwortete das Mäd chen mit bleichem, erschreckten Gesichte. „Ich muß jetzt seine Frau werden, da ist keine Hilfe mehr; ich that eS um Harry's, und Deinetwillen." (Fortsetzung folgt.) Der Mägdemarkt in Ripen. Die meisten unserer Leser haben wohl den Mägde markt in Richmond, der uns in Flotows Oper Martha schon so oft amüsirte, für eine Sitte aus vergangenen Jahrhunderten angesehen, die längst abgekommen. Dem ist aber keineswegs so: im Norden und im Süden unseres lieben Vaterlandes werden solche Mägdemärkte abgchalten, aber sie sind so vereinzelt, daß mancher sein Lcbenlang nichts davon hört. In Bremen sieht man zweimal im Jahre Knechte und Mägde aus der ganzen Umgegend zusammeuströmcn, um sich auf öffent lichem Markte an den Meistbietenden für den Som mer- oder Winterdienst zu verdingen. Dieser Brauch zieht sich vom äußersten Norden, vom Meere bis zum Bodensee, in dessen Nähe (Ravensburg) sogar ein Kindermarkt gehalten wird, auf dem die Kinder der ärmeren Gegenden von Tyrol, Vorarlberg und der Schweiz wie eine Heerde zusammengetriebcn werden, um als Treib- und Hirtenbuben oder als Kinds mägde verdingt zu werden. Lassen wir nun Baudissin uns von einem solchen Mägdemarkt erzählen, der jen seits deutscher Grenze auf dem Marktplatze von Ripen, einem Städtchen im Süden Jütlands jedes Jahr statt zufinden pflegt. Ich muß vorauSschickcn, daß nördlich, östlich und südlich von Ripen reiche Marschländereien liegen, auf denen Getreide aller Art gezogen wird. Da es aber an Schnittern und Ernteleuten fehlt, und da auf der dänischen Insel Fanö eine große An zahl blühender und kräftiger Mädchen heranwachst, so ist cs seit Alters her Sitte, daß die Eltern ihre er wachsenen Töchter nach Ripen bringen, um sie für die Erntezeit auszuheuern. An einem bestimmten Tage kommen Hunderte von ausnahmsweise schönen Mädchen, die sich in ihrer Nationaltracht doppelt reizend ausnehmen, in Ripen an und setzen sich der Reihe nach auf Bänke, die zu ihrer Bequemlichkeit bereit gehalten werden. Sobald sie Platz genommen haben, erscheinen schmerbäuchigc Marschbauern mit der Meerschaumpfeise im Munde, mustern die hübschen Kinder der Reihe nach und lassen sich von der Frau Mama oder Tante die Vorzüge ihrer Tochter oder Muhme erzählen. Das Mädchen selbst hat bei dem ganzen Handel kein Wort drein zu reden; die Mutter verlangt einen Preis und verspricht Fleiß und Ord nung, der Bauer feilscht hin und her und schließt endlich den Handel ab, wenn er meint, daß die An gepriesene stark genug ist, um ihm für ein paar lum pige Thaler die reiche Ernte in die Scheuer zu bringen. Sind die Handelsleute einig geworden, so zahlt der Bauer ein Draufgeld, die Mutter steckt es in die Tasche und wünscht ihrem Kinde alles Gute, und dies erhebt sich, blickt stolz auf seine Schwestern, die noch keinen Käufer gefundeu haben — und scheidet mit einem kalten Händedruck von der Frau Mama, die schon in Gedanken über das Geld verfügt, das ihr eigen Fleisch und Bein für sie verdienen wird. Ich will übrigens den hübschen Fanöerinnen das wohlverdiente Lob spenden, daß sie allgemein als fleißige, tugendhafte und außerordentlich zuverlässige Dienstboten bekannt sind, und obgleich ich bezweifle, daß jemals eine Tochter Fanös diese Blätter in die Hand bekommen wird, — will ich hinzufügen, daß sie zum großen Theile von überraschender Schönheit und Regelmäßigkeit der Gesichtsbildung und des Körperwuchses sind. Sic haben äußerst zarten Teint, prachtvolles Haar, schönes Oval des Gesichts, schnee weiße Zähne und gute, freundliche Augen, unterscheiden sich daher von der dienenden Klasse Dänemark« und Nordschleswigs sehr zu ihrem Bortheile. Die lieben Kinder werden gewöhnlich auf zwei bis drei Monate vermicthet. Ist ihre Zeit um, so kommen die Mütter von Fanö herüber, nehmen die sauer erworbenen Thaler in Beschlag und regaliren die Bauern, bei denen ihre Kinder wenig Schlaf und viel Arbeit ge habt haben, — mit in der Luft getrockneten Klipp fischen, vor denen Gott mich in Gnaden bewahren möge. Druck und »erlag von E. Hannebohn in Eibenstock.