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Zum 18. Oktober. Jedes wackere deutsche Herz und die vorurtheilS- freien Menschenfreunde aller zivilisirten Nationalitäten feiern im stillen Gedanken den 18. d. als den Ge burtstag Kaiser Friedrichs. DaS laufende Jahr, das für Deutschland und Prcnßen einen zweimaligen Thronwechsel brachte, hat dem Volke nicht erlaubt, einen Kaiser-Geburtstag zu feiern. Kaiser Wilhelm I. starb zwei Wochen vor dem 22. März, dem Tage, der so oft die deutschen Herzen hatte freudig höher schlagen lassen, und fünf Monate vor seinem 57. Geburtstage folgte Kaiser Friedrich seinem Vater in die Ewigkeit nach. Wenn wir an seinem Geburtstage des Kaisers Friedrich besonders gedenken, wenn wir uns im Geiste seiner heldenhaften Gestalt, seiner liebenswürdigen Persönlichkeit erinnern, und die vielfachen Hoffnungen nochmals lebendig werden lassen, welche sein Regier ungsantritt hcrvorrief, so kann man nur auf das Tiefste bedauern, daß das Andenken dieses edlen Fürsten durch den widerlichen Parteienstreit, der sich um sein indiskreter Weise veröffentlichtes Tagebuch erhoben hat, in weiten Volkskreisen eine Trübung zu er fahren droht. Der Grundsatz, daß der Monarch über den Parteien steht und nicht zum Deckmantel von Parteibcstrebungen, sein Name nicht zum Losungswort im Meinungs streite des Tages dienen darf, ist leider dem Ver blichenen gegenüber nicht aufrcchterhalten worden. Es konnte nicht auSblciben und ist auch nicht ausge- bliebcn, daß die Verherrlichung des todten Kaisers von feiten einer Partei und unter Bezugnahme auf deren Grundsätze bei anderen Parteien einen Widerstand fand, der über das Maaß der historischen Kritik hinausging und dem Gedächlniß an den Todten nicht förderlich war. Der Mackenziestreit hat natürlich nur noch mehr Oel ins Feuer gegossen Und die erfolgte Beschlagnahme der Mackenziebroschüre konnte den entfachten Brand nicht mehr löschen. Und so konnte cs kommen, daß — während das ganze deutsche Volk dem Kaiser Wilhelm ein ungetrübtes Andenken weiht — bei dem Gedenken an Kaiser Friedrich unwillkürlich die höchst unerquicklichen Erscheinungen sich vordrängen, welche seit dem Tode des Edlen unser Volksleben zu ver giften drohen. Gewissermaßen zum Vorabend des 18. Oktober veröffentlicht noch die „Nordd. Allgem. Ztg." einen Artikel (siehe unter Tagesgcschichte), welcher die Ausführungen im Jmmcdiatbericht des Reichskanzlers über die Tagebuchveröffentlichung unter stützen soll; der Aerztestreit ist noch nicht ausgefochten, der Prozeß gegen Geffkcn noch nicht beendet! In den „Preußischen Jahrbüchern" publizirt Prof. Delbrück-Berlin, welcher s. Z. in sehr engen Bezieh ungen zu dem Hause Kaiser Friedrichs stand, einen Artikel über die veröffentlichten Theile des Tagebuchs und kommt zu dem Schluffe, daß der lebende» Gene ration wegen der Kürze der Zeit, welche seit der Neubegründung des Reiches verflossen ist, durch die Tagebuchenthüllungeu aus 1870/71 die damaligen Vorgänge hinter den Konlissen riesenhaft vergrößert erscheinen. Der zukünftige Geschichtsforscher wird die Aufzeichnungen, die den allmählichen harmonischen Ausgleich der damals bestandenen vielfachen Differenzen anschaulich schildern, mit höchstem Interesse verfolgen ; das Pubsikum dagegen sieht nur die Differenzen, nicht den Ausgleich, nicht das zu Grunde liegende Dauernde, sondern die zufällige Erscheinung. So — schließt Delbrück — ist ein unwiederbring licher Schade dem Andenken Kaiser Friedrichs zuge fügt worden durch die vorzeitige Veröffentlichung der Tagebuchblätter. Die Zeit aber wird kommen, wo sie aus den trüben Wassern, durch die sie jetzt gezerrt werden, gerettet, als köstliches Denkmal eines edlen Herzens und deutscher Gesittung mit ungctheiltcr Pietät vom deutschen Volke verehrt werden. Bei der Beurthcilung eines verstorbenen Monarchen, besonders wenn eine solche von der Partcileidcnschaft cingegcben wird, kann cs nicht fehlen, daß die Per sonen sowohl seines Vorgängers wie seines Nach folgers — im Geiste wenigstens — zu Vergleichen herangczogen werden. Es ist das eine mißliche Sache: die Individualitäten der Menschen sind verschieden; ihre Bildung und Erziehung sind verschiedene. Aber auf den Thron der Hohcnzollcrn ist die letzten beiden Male der Sohn auf den Vater gefolgt und beide Söhne hegten für die Väter die höchste Verehrung und Pietät. Daraus schon crgiebt sich, daß Wand lungen im Staatsleben, die ihren Ursprung der Krone verdanken, nur sehr allmählich eintrctcn werden bczw. eingetretcn sind und daß sich bei denselben sowohl Kaiser Friedrich, als auch Kaiser Wilhelm II. in den meisten Fällen noch auf die Absichten ihrer Väter beziehen konnten. Pietätvoll wie der kaiserliche Sohn und das ganze preußische Königshaus begeht auch das ganze deutsche Voll den 18. Oktober im Stillen als den Geburtstag seines zweiten Kaisers, Friedrichs des Edlen, dem es nicht vergönnt war, diesen Tag als Kaiser zu feiern und dessen humane Absichten ihm ein ehrendes Denk mal in den Tafeln der Geschichte wie in dem Herzen des Volkes sickern. Hagesgeschichte. — Deutschland. Am Dienstag früh hat Se. Maj. Kaiser Wilhelm Rom verlassen und ist nach Neapel weitergereist. Die Ankunft daselbst erfolgte Nachmittag 2'/, Uhr. Der Einzug des Kaisers da selbst übertraf noch den in Rom durch den auflodern den Enthusiasmus. Alle Ballone der sechsstöckigen Häuser, sowie die Tolcdostraße waren mit Menschen überfüllt. ES herrschte eine unbeschreibliche Begeister ung, der südländische Jubel war unsteigerbar. Die LazzaroniS schwenkten jauchzend ihre Rothmützcn. Der deutsche Kaiser hatte solchen Empfang noch nie erlebt. Die Schiffe im Hafen gaben Kanonensalven ab, alle Straßen waren mit Fahnen geschmückt, die Arbeitervereine bildeten Spalier. Der deutsche Kaiser, König Humbert, Prinz Heinrich und der italienische Kronprinz erschienen auf dem Ballone des Königs schlosses begrüßt unter dem Jubel des Volkes. Der Kaiser war in Garde-du-Corps-Uniform, die unbe schreiblich imponirte. — Rom. Ueber den Besuch des Kaisers im Vatikan berichtet der Korrespondent der „Magdb. Ztg." nachträglich seinem-Blatte: Von verschiedenen hier nicht blos in Zeitungen, sondern auch mündlich umlaufenden Ausschmückungen abgesehen, steht über das Gespräch des Kaisers mit dem Papst soviel fest, daß der Papst auf die Frage von der weltlichen Ge walt näher einzugehe» wiederholt versuchte, während der Kaiser in verschiedenen feinen Wendungen eine nähere Besprechung des Gegenstandes ablehnte. Als der Papst zum dritten Male auf das Thema zurück kam, trat grade Prinz Heinrich ein, den länger vor der Thür des Papstzimmers aufzuhalten die Monsig nori versucht batten, worauf der Kaiser statt einer Antwort auf die letzten Worte des Papstes demselben seinen Bruder vorstellte. Der Kaiser hat dem Papste unter schmeichelhafter Anerkennung seiner pontificalcn Wirksamkeit, von der die Welt Beweise genugsam empfangen, darauf hingcwiesen, wie dieser Erfolg selbst Zeugniß dafür ablege, daß die geistliche Gewalt des Papstthums durch den Verlust des Besitzes des Kir chenstaates nickt beschränkt oder vermindert worden sei. Auf eine Anspielung des Papstes, daß eigentlich nur Frankreich noch für seine römischen Bedürfnisse Interesse habe, soll der Kaiser erwidert haben, er wisse nicht, von welcher der französischen Parteien der Papst eine ernstliche Unterstützung der Kirche zu er warten sich berechtigt halten könne. Die Enttäuschung des Vatikans bezüglich des Kaiserbesuches im Vatikan ist unleugbar; in den Kreisen der intransigenten Kar- dinäle äußert man seine Erbitterung zum Theil ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der Kaiser berichtete über sein Gespräch mit dem Papste seinem Freunde, König Humbert, ausführlich. Der „Corriere, della Sera", ein Mailänder, aus dem Vatikan gut unterrichtetes Organ, meldet, daß Kardinal Rampolla auf Befehl des Papstes ein Rundschreiben an die Nnntien richtete, worin der Besuch des Kaisers im Vatikan als ein Beweis der Anerkennung der hohen Herrscherwürde (ulta snvranitn) freudig hingcstellt wird. — Diese sür die katholische Welt nicht unge schickte Wendung wird hier vielfach besprochen. — Als ein hocherfreuliches Zeichen der in ganz Deutschland emporflammenden patriotischen Begeister ung darf ein Antrag des Berliner Magistratsan die Stadtverordnetenversammlung, welcher eine groß artige Huldigung der Hauptstadt des deutschen Reiches für ihren aus der Fremde heimkehrendcn Kaiser vorbereitet, gelten. Der Antrag lautet: „Im Laufe dieses Monats wird Se. Maj. der Kaiser und König von den Besuchen, welche allerhöchstdersclbc den befreundeten Souveränen gemacht hat, heimkehren. Fester sind durch diese Besuche die Bande geschlungen, welche die den Frieden schützenden Mächte verbinden. Verständnißvoll haben die Völker die Bedeutung dieser Reise erkannt. Jubelnd haben sie diesseits und jen seits der Alpen unseren Kaiser begrüßt. Dem heim kehrenden Herrscher unsere Freude über diese Erfolge auszudrücken, wird den Stadtverordneten, wie uns ein Hcrzcnsbedürfniß sein. Mit solcher Begrüßung beabsichtigen wir die Darbringung eines Huldigungs geschenkes zu verbinden. Bei der Wahl war für uns ein Wunsch Sr. Maj. des Kaisers maßgebend, der dahin geht, den monumentalen Brunnen, für welchen der Prof. Reinhold Begas im Auftrage des Staates das Modell gefertigt hat, zur Ausführung gebracht zu sehen. Mit Rücksicht auf diesen allerhöchsten Wunsch und, da der Staat bereit ist, jenes Modell der Stadt zur Ausführung zu überlassen, beantragen wir, zu beschließen: Die Stadtverordnetenversammlung ist damit einverstanden, Se. Maj. den Kaiser und König nach der Rückkehr durch eine Deputation zu begrüßen und in der zu überreichenden Adresse die Bereitwilligkeit der Stadt auszusprechen, einen monu mentalen Brunnen nach dem von dem Prof. Reinhold BegaS entworfenen Modell zu errichten und zu un terhalten." — Die „Nordd. Allg. Ztg." tritt dem Versuch entgegen, daß die Politik der beiden Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. bei Lebzeiten überein stimmend gewesen sei. Nachdem der Prinzregcnt (spätere Kaiser Wilhelm) als König die konservativere Richtung seiner Vorgänger wieder ausgenommen hatte. kam die Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem Sohne schärfer zum Ausdruck. Auch in der aus wärtigen Politik herrschten Verschiedenheiten. Ueber die Hinneigung Wilhelm I. zur russischen Politik be stand kein Zweifel, über die Vorliebe Friedrich'- zu den englischen Beziehungen ebenso wenig. Die „Nordd. Allg. Ztg." bespricht dann die im Tagebucke nieder gelegte Meinungsverschiedenheit während des Krieges. Den außerdeutschen Mächten war die Herstellung eines kompakten deutschen Reiches unerwünscht. Die Wahrscheinlichkeit der Einmischung der 'Neutralen wurde von der deutschen Diplomatie sofort nach den ersten Siegen in'S Auge gefaßt. Die Einmischung scheiterte nur an vem Mangel des Einverständnisses. Die politiscken Freunde des Kronprinzen haben sich nie über die Möglichkeit des europäischen Veto's Rechenschaft abgelegt, ebenso wenig fand nnter ihnen die auf Verständnis der Vorgeschichte gegründete Er wägung der Gefahren statt, welche eine Zukunft der deutschen Neubildung bedroht haben würden, die nicht auf vollem Einverständniß aller zum Mitsprechen ge schichtlich und militärisch berechtigten deutschen Ele mente beruht haben würde. Ein deutsches Reich, welches in der freiwilligen Mitwirkung aller Stämme und Dynastieen, wie sie sick auf dem letzten Reichs tage bethätigt hat, eine feste Basis der Einheit fand, wäre schon durch den Verdacht gewaltthätiger Pression gegen die Bundesgenossen unmöglich geworden, und der betonte Bürgerkrieg und das Welfenthnm, über tragen auf zehn Millionen süddeutsche Landsleute, würde das Ergebniß unehrlicher Gewaltthat gewesen sein. Eine längere Regierung des dahingeschiedenen Herrn würde die Gegner der monarchischen Einflüsse überzeugt haben, daß ein König von Preußen und deutscher Kaiser mit den Grundsätzen, die sie dem damaligen Kronprinzen unterschieben wollten, nicht zn regieren vermag. — Am 19. d. M. läuft die Frist ab, innerhalb welcher durch den G n a d e n e r l a ß Kaiser Friedrichs vom 19. April allen denjenigen straffreieRück- kehr in die Heimath zugesichert wurde, welche bis zu diesem Tage der unerlaubten Entfernung oder ersten, nicht im Komplot verübten Fahnenflucht im Frieden sich schuldig gemacht haben und bis zum 19. d. M. sich bei einem deutschen Truppentheil oder bei der Zivilbehörde ihrer Heimath melden. Fernere Bedingung über die in Aussicht gestellte Straflosig keit ist ein glaubhafter Nachweis über ihr Wohlver halten während der Abwesenheit; auch darf mit der unerlaubten Entfernung oder Fahnenflucht nicht ein anderes gemeines Verbrechen oder Vergehen ver bunden sein. — Die nunmehr erschienene Broschüre Macken zies ist gerichtlich mit Beschlag belegt worden; an geblich sollen in derselben Majestätsbeleidigungen ent halten sein. — Wie verlautet, will Prof. v. Berg mann eine Klage gegen Sir Morell Mackenzie an strengen, weil dieser in seiner Broschüre behauptet hat, Bergmann habe durch seine Ungeschicklichkeit dem Kaiser Friedrich den Todesstoß versetzt. — Kaiser Wilhelm kommt zur Vermählung seiner Schwester mit dem Kronprinzen von Griechen land nach Athen, und zwar in Begleitung seines Bruders, des Prinzen Heinrich. In diesem Sinne ist beim grieckischen Königshanse bereits eine offizielle Anfrage erfolgt. — Oesterreich-Ungarn. Statt des Rück tritts des Grafen Ta affe, der vielseitig als be vorstehend angesehen wurde, ist das Ministerium viel mehr durch den Eintritt des tschechisch gesinnten Grafen Schönborn als Finanzminister gestärkt worden. Taaffes beliebtes Schlagwort „Versöhnung der Par teien und Nationalitäten" hat durch Schönborns Be rufung wieder einmal eine hübsche Illustration ge funden. Das offiziöse, von Kalnoky beeinflußte Wiener „Fremdcnblatt" nimmt entschieden Stellung gegen Schönborn, selbst die dem Grafen Taaffe sonst un bedingt ergebene „Presse" ist sehr unwirsck. Sie will abwarten, ob Schönborn seine Partei-Allüren abge streift, andernfalls könnte sie denselben nicht unterstützen. Locale und sLchstsche Nachrichten. — Eibenstock, 17. Oktober. Durch die Ent schlossenheit eines hiesigen Bürgers ist unsere Stadt vor einer großen Gefahr bewahrt worden. Gestern Vormittag tauchte nämlich in den Straßen Hierselbst ein fremder Hund auf, dessen Benehmen in auffallen- der Weise die Tollwuth verrieth. Nachdem der selbe eine Anzahl Hunde und auch einer erwachsenen Person in die Hand gebissen hatte, machte man sich an die Verfolgung des verdächtigen ThiereS und ge lang cs Herrn Kfm. Max Rock st roh Hierselbst nach vielen Mühen, dasselbe niederzuschicßen. Durch die heute Nachmittag stattgchabte bezirksthierärztliche Untersuchung ist die Wuthkrankheit des betreffenden Hunde» constatirt und feiten de« hiesigen Stadtraths die verschärfte Hundesperre auch bereits angeordnet worden. — Eibenstock. Durch die Bahn Graslitz- Klingenthal kommt die böhmische Braunkohle billiger als früher in die an der Aue-Adorfer Bahn gelegenen Orte des Erzgebirges, und in der Gegend von Eibenstock, Schönheide re., wo früher lediglich Zwickauer Steinkohle gefeuert wurde, ist jetzt schon