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Beilage m Rr. 121 des „Amts- und Aiyeigeblattcs". . Cibenstoik, den 13. Oktober 1888. Feindliche Gewalten. Roman von E. Mac«. (14. Fortsetzung.) „Dies ist ein unglückliches Haus für vertrauliche Gespräche," erwiderte sie kalt. „Erst vor Kurzem bin ich bei einem gestört worden. Weißt Du," fuhr sie fort, „ich fürchte, daß Du von meinem Bekenntnisse enttäuscht sein wirst! Ich habe eigentlich doch nur in Deinem Interesse gewirkt, zufälliger Weise vereinigten sich unsere Interessen, denn ich wünschte, wie Du, Harvey Barclay'« Heirath mit Mary Horn zu ver hindern." „Um ihretwillen?" „Ihretwillen? Nein!" antwortete sie, und jetzt verlor sich der leichte Ton bei ihr und die Leidenschaft, die in ihr wogte, fing an zu Tage zu treten." Um ihretwillen? Was geht sie mich an? Hat sie nicht alles in dieser Welt, alles, daß sie auch den Mann begehrt, den ich liebe? Ja, liebe! Du willst die Wahrheit hören, wohlan, so erschrick nicht nnd werde nicht noch blässer, als Du cs ohnehin schon bist. Bor Kurzem, noch gestern Abend, warst Du bereit, über Deine eifersüchtige Furcht zu lachen, doch sie war nicht so ganz unbegründet. Wäre es nicht um Harvey Barclays willen gewesen, so wäre ich niemals Deine Frau geworden. Er sagte mir, Du wärest reich. Du hättest ein von Deinem Vater unabhängiges Vermögen. Er war arm und konnte mich nicht heirathen oder wollte vielleicht auch nicht, und für ihn hätte ich doch lieber arbeiten mögen, daß mir das Blut aus den Fingern hätte spritzen können, als mit Dir im größten Luxus leben, doch ich war ehr geizig und er wirkte auf meinen Ehrgeiz, und deshalb gewann ich Dich zurück, nachdem ich Dich schon ein mal freigelassen, entriß Dich jenem bleichsüchtigen Mädchen, daß Dich noch liebt. Willst Du mir jetzt fluchen? Willst Du wünschen, Du hättest mich nie mals gesehen? Willst Du mich aus dem Hause jagen und zu dem alten Leben der Armuth und Arbeit zu rückschicken? Wohlan denn, jage auch ihn hinaus und ich will nicht klagen, ich —" „Still!" unterbrach sie der gefolterte Mann. „Im Namen der Weiblichkeit, sei still! O mein Gott, ahnst Du denn nicht, wie ich Dich geliebt habe, daß Du im Stande bist, so mein Glück und meinen Glauben zu zerstören?" „Dein Glück! Deinen Glauben!" wiederholte sie und ein Anflug von Wehmuth klang in ihrer Stimme. „Das sind Beides für mich unbekannte Worte, welche aus meinen, Wörtcrbuchc ausgelöscht wurden, als ich noch ein kleines Kind war. Weshalb sollten sie für andere existircn? Ja, Du warst in Deiner Art gut gegen mich, doch die Güte kann nicht Liebe erkaufen und alle Liebe, die mein Herz in sich barg, gehörte schon einem Anderen, ehe ich Dich noch gesehen hatte. Doch den ehrenhaften 'Namen, den Du mir gegeben hast, der gefällt mir und den will ich behalten. Du kannst doch keinen öffentlichen Skandal machen, weil ich Dich nicht liebe?" „Nein, ich kann keinen öffentlichen Skandal machen," antwortete der bis in's tiesste Herz Getroffene. „Du sollst Dich alles dessen erfreuen, was Du jetzt hast, aber allein. Sobald mein Vater genügend hergcstellt ist, werde ich dieses Haus verlassen, auch Du sollst es verlassen. Alles, was ich zu geben im Stande bin, sollst Du haben, doch dieses Haus ist keine Hei- math mehr für Dich. Und war es das, dieses, was Du Mary bekennen wolltest? Hast Du Harvey Barclay in keiner Weise geholfen, ihr Geld zu ent locken? O Helene, erlöse mich! Nimm diesen Alp von mir! Sage mir, daß ich in einem entsetzlichen Traum befangen bin, daß Deine Schönheit nicht nur eine Larve ist, hinter der Betrug und Verrath lauert — daß Deine Treue nicht nur ein leerer 'Name — daß Deine Geschichte nur eine grausame Prüfung meiner Liebe war! Helene — Gattin! — Geliebte! — Rette mich vor Wahnsinn und Verzweiflung!" Die Strenge war von seinem Gesichte und aus seiner Stimme gewichen, er breitete ihr flehend die Arme entgegen. Für einen Augenblick weigerte er sich, ihren Worten Glauben zu schenken, — weigerte er sich, seinen Ohren, seinen Sinnen zu trauen. Doch sie machte keinen Schritt und kam ihm nicht um eine Handbreit entgegen. Da sanken seine Arme herab, er warf sich in einen Stuhl und der Kopf sank ihm auf die Brust herab. Er hörte das Rauschen ihres Kleides, das Oeffnen und Schließen der Thür. Er war allein. Allein? Nein, niemals mehr allein; er und das Elend waren jetzt unzertrennliche Gefährten. 26. Kapitel. Aufklärung. Er achtete nicht auf die Zeit, die vorüberging — er saß, als wäre er zu Stein geworden. In dem Zimmer über ihm lag sein Vater, um dessen Lager die Aerzte sich bemühten, das grausige Gespenst des Todes zu verjagen, das immer näher zu kommen drohte. Ach, wenn doch ihm der Tod nahen wollte, jetzt, in diesem Augenblicke! Wie freudig wollte er ihn willkommen heißen, wie innig sich seiner gransamen, zerstörenden Umarmung freuen! Aus dem Krankenzimmer war er verbannt, sein Vater konnte ihn daher nicht vermissen und dachte wohl nicht, daß der Kampf, den der Sohn jetzt mit dem Leben kämpfte, schlimmer war, als selbst der seine mit dem Tode. Man hörte eine Uhr schlagen, doch er achtete nicht der verrinnenden Zeit. Eine Thür wurde geöffnet, doch er blickte nicht auf. Das Rauschcu eines Frauenkleidcs glitt über den Teppich; Helene war zurückgekehrt, wie er glaubte, um ihn vielleicht auf's Neue zu foltern, da sie wohl früher etwas vergessen hatte. Er schauderte, blieb jedoch sonst vollkommen be wegungslos, bis sich plötzlich, halb schüchtern eine Hand auf seine Schulter legte, ein schwacher Veilchen duft an seine 'Nase drang und eine weiche Stimme seinen 'Namen nannte. „Harry!" Mary war es und nicht Helene, die neben ihm stand; ihre Hand berührte ihn und ihre Stimme klang ihm wohlthuend in's Ohr. Wie ein himmlischer Zephyr, wie ein Sonnenstrahl durchbrach dies die Finsterniß seiner Gedanken. „Harry!" wiederholte die süße Stimme, in der sich Zärtlichkeit und Mitleid, Theilnahme und Liebe aussprach. Ja, Liebe! Und unbewußt fand sie ihren Weg in die Seele des gequälten Mannes und entzündete ein kleines Lämpchen auf dem Altäre, auf dem sonst tiefe Finsterniß herrschte, die Finsterniß der Verzweiflung. Er machte keine Bewegung, er sprach kein Wort. Sie kniete neben ihm nieder und lehnte den Kopf an seinen Arm ; sie hatte es so ost als Kind so gemacht und war stundenlang in dieser Stellung geblieben, wenn er den Arm um ihre Taille geschlungen hatte. Diese Bewegung rief ihm die lang verflossene Vergangenheit zurück und es schien, als ob der große Zwischenraum, der die Jetztzeit von damals trennte, weggcwischt wäre. Die Worte, welche Helene im grausamsten Spotte ausgesprochen hatte, kamen ihm in's Gedächtniß zurück. „Das bleichsüchtige Mädchen, daß Dich noch liebt." Und diese Liebe hatte er von sich gestoßen und dafür den Betrug und den Hohn eingetanscht, den seine Frau ihm als Mitgift gebracht hatte. Seine Frau! O leerer, öder Titel!" Als dieses Wort ihn: nur in den Sinn kam, durchbrach es die Grenzen seiner Zurückhaltung und sein Schmerz schäumte über. Zum Entsetzen des Mädchens, das neben ihm kniete, erschütterte tiefes Schluchzen seinen ganzen Körper, ein Schluchzen, wie es anzuhörcn stets schmerz lich ist, doppelt schmerzlich jedoch, wenn es die Brust eines starken Mannes durchbebt. Dann erst sieht man, daß auch dieser vom Weibe geboren! Ein Zeit lang ließ sie den Sturm austoben, doch als das Schluchzen erstarb und nur das gebeugte Haupt und ein leises Zittern des Körpers die Heftig keit desselben bezeugte, steckte sie ihm ein Stück Papier, dessen eines Ende verbrannt war, in die Hand. „Bergieb mir, Harry!" flüsterte sic, „Du hast so wenig Vertrauen zu mir, daß ich fürchte, Du könntest denken, daß ich dies aufbewahre, deshalb wünsche ich, Du sollst es selbst vernichten. Du siehst, ich zündete es an und löschte es dann wieder aus. Glaube nicht, daß ich Dir einen Vorwurf machen will, lieber Harry, ich hätte nur gewünscht, ich wünschte. Du hättest mich gebeten, es zu unterschreiben. Sage mir, brauchst Du mehr Geld? Kann ich Dir helfen?" Da erhob er den Kopf und sah sie mit verwun derten Blicken an. „Wovon sprichst Du?" fragte er. „Ist denn alle Welt heute wahnsinnig geworden? Und was ist dies? Er las das Papier, das er in der Hand hielt. Es war Mary Horn's Wechsel, mit Mary's Namen unterschrieben und girirt von Harvey Barclay und einem anderen, ihm vollkommen unbekannten Namen. „Was habe ich damit zu thun?" sagte er bitter. „Das geht doch nur Dich und Deinen Geliebten an." ,„Harry! Harry'-" bat sie. „Fürchte nicht, mir die Wahrheit zu gestehen! Ich würde lieber sterben, als Dich verrathen. Sind — sind noch mehrere solche im Umlaufe, auf denen Du meinen Namen unterschrieben hast? Ist cs das, was Dir Kummer macht?" Ein neues und entsetzliches Licht ging jetzt Harry Reynold auf. „Noch andere, auf denen ich Deinen Namen unter schrieben habe?" erwiderte er langsam. „Noch andere, auf denen ich —" Er untersuchte jetzt die Unterschrift auf dem Papiere, das er in der Hand hielt, ganz genau. Sein Gesicht wurde immer bleicher und in seine Augen schlich sich ein Ausdruck, den dieselben noch nie vorher beher bergt hatten. Er sah aus, wie ein Mann, der es erfährt, daß ihm tödtlicher Verrath und fürchterliches Unrecht zugefügt worden ist und der sich endlich er hebt mit dem Entschlüsse, seinen Feinden zu wider stehen und sic zu hehandeln, wie sic es verdienen, denn jetzt hatte er die Unterschrift vollkommen erkannt. Es war seine eigene 'Nachahmung von Mary's Namen, es war der Wechsel, der an seines Vaters Krankheit schuld war. Vielleicht beargwöhnte ihn auch dieser und hielt ihn für schuldig. Um seinet willen also, nicht Harvey Barclah's willen hatte das arme Mädchen sich geopfert! Die Schwache, die ihn einen Augenblick üherwältigt hatte, war vorüber, seine Kraft kehrte zurück. Worte entrüsteter Zurückweisung seiner Theilnahme an dem Verbrechen traten ihm auf die Lippen, doch er drängte sie zurück. Wenn Marh um solchen Preis die Ehre seines 'Namens gerettet hatte, war er nicht noch mehr verpflichtet, darauf bedacht zu sein? Er stand auf und drängte sie sanft von sich; doch sie, erschreckt von einem gewissen Etwas in seinem Gesicht, schlang ihre Hände fest um seinen Arm. „Harry," rief sie, „was willst Du thun? War es unrecht von mir, Dir dies zu geben? Es war eine plötzliche Eingebung, Lieber, ich wünschte, daß Du sicher, ganz sicher sein solltest, daß es vernichtet ist." „Gott sei Dank, daß Du mir es gebracht hast, Mary," sagte er mit tiefer, hohler Stimme, die ihrem Ohre wehthat, weil sie so fremd und unnatürlich klang. „Ich habe Dein Vertrauen für eine kurze Zeit verwirkt, Kind, doch vielleicht werde ich mir es eines Tages wieder erwerben." Er bückte sich und küßte sie auf die Stirn und als sie diesen Kuß fühlte, sang ein kleines Bögelchen in ihrem Herzen, das so lange geschwiegen, ein jubi- lirendes Lied. 27. Kapitel. Wenn Du frei wärst! Helene Reynold schritt eilig in ihrem luxuriösen Zimmer auf nnd ab, einen Augenblick den Wahnsinn ihres Geständnisses bedauernd, und im nächsten sich darüber freuend, daß sic die Macht habe, ihrem Gatten gegenüberzutreten und ihm Trotz zu bieten, als sich die Thür langsam öffnete und der in's Zim mer trat, den sie so grausam und tief verletzt. Ein Blick, in sein Gesicht genügte, um ihr zu zeigen, daß etwas Neues, etwas, das mit der schreck lichen Scene des Morgens nicht im Zusammenhänge stand, passirt sei. Zum ersten Male in ihrem Leben fürchtete sie sich vor ihm. Nur ein anderer Mann hatte, in der Vergangenheit, das Gefühl der Furcht in ihr wachgerufen und die Feigheit, die unter dem Anstriche des Muthes in ihr schlummerte, geweckt, aber dieser hatte nur ihren Körper erbeben gemacht. Harry jedoch machte jetzt ihre Seele vor Schreck erbeben und sie blieb erwartend stehen. Er schloß und verriegelte die Thür und trat dann so nahe zu ihr, daß sie nur ein kleiner, mit un zähligen, kostbarem Nippsachen bedeckter Tisch von ihm trennte. Er machte auf demselben einen Platz frei und bei dieser Gelegenheit fiel eine kostbare chinesische Vase herab und zerbrach in Stücke. Er kümmerte sich nicht darum, sondern breitete auf dem leeren Platze ein zerdrücktes Papier aus, das er bis jetzt, fest in der Hand zusammengeballt, gehalten hatte. Ein Blick darauf sagte ihr Alles — es war der falsche Wechsel. Jetzt da sie das Schlimmste wußte, sammelte sie ihre Kräfte, um ihm entgegen zu treten; sie hatte noch immer das Gefühl der Kälte und des Bebens im Herzen, doch sie zwang sich, die Blicke von dem Tische abzuwcnden, zu seinem Gesichte zu erheben und dort mit fragendem Trotze ruhen zu lassen. „Wer hat das gethan?" fragte er. „Ich verstehe Dich nicht," erwiderte sie. ,MaS habe ich mit diesem Papiere zu thun?" „An mir ist es, zu fragen, — an Dir, zu ant worten, und ich will eine Antwort, eine aufrichtige Antwort um jeden Preis!" (Fortsetzung folgt.)