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Geld durch mich erheben zu lassen? Ich kann die Sache doch sicherer anfassen." In der Stimme des alten Mannes war ein Beben des Schmerzes und Vorwurfes vernehmbar, welches dem Mädchen, das ihn wie eine Tochter liebte, tief in's Herz schnitt. Sie warf sich in seine Arme und lehnte ihr liebes Köpfchen an seine Brust. „Du glaubtest, ich habe kein Vertrauen zu Dir, Onkel? Habe ich Dir denn nicht schon oft gesagt, daß alles, was ich habe, Dir gehört? Lasse mir nur jetzt für eine kurze Zeit meinen Willen. Wenn ich wieder Geld brauche, will ich zu Dir kommen, nur darfst Du mich nicht fragen, wozu? Denn das ist mein kleines Geheimniß. Doch wie thöricht ich bin! Du hast mich ja noch nie gefragt und ich denke, Onkel Edgar, daß unser Vertraue» ein gegenseitiges ist; ich glaube, daß Du es wissen wirst, daß ich von meinem Gelde keinen unwürdigen Gebrauch mache." Er streichelte das Haar des Mädchens und drückte sie fest ans Herz, und in diesem Augenblicke überkam ihn wieder das alte Bedauern darüber, daß sie nicht in Wirklichkeit seine Tochter — Harrh's Frau — sei! Vielleicht würde sie dann mehr Vertrauen zu ihm ge habt haben — er fühlte, daß etwas nicht in Ordnung war, hatte jedoch nicht das Recht, sie zu fragen. Sie ruhte einige Augenblicke in seinen Armen, wie sie es in früheren Zeiten gethan hatte, wo sie, als kleines Kind, auf seine Knie geklettert war — dann sprang sie hastig auf. „Adieu, Onkel!" sagte sie leichthin, obwohl ihre Stimme thränenerstickt klang, „ich habe fast vergessen, daß ich mit Air. Barclay für heute Vormittag eine Verabredung getroffen habe. Wir wollen in das Museum gehen, um die neuaugekommeuen Sachen zu sehen." „Mr. Barclay ist im Empfangszimmer, Miß Mary," sagte Andrev, als sie durch das Speisezimmer ging, „ich habe ihm vor ungefähr einer Viertelstunde geöffnet, doch ich sagte ihm, daß sie bei Air. Reynold seien, und er wollte Sic nicht stören, MrS. Reynold ist bei ihm. Da Helene bei ihm war, dachte das Mädchen, brauche sie sich nicht zu beeilen, und sie ging deshalb hinauf in ihr Zimmer. Doch sie wagte nicht, allein zu bleiben, denn die Thränen waren ihr heute sehr nahe und sie wußte, daß, wenn sic nur eine vergösse, deren viele folgen mußten. Sie zog sich daher eilig an, nahm ihre Handschuhe und ging wieder hinunter. Sie rief einen freund lichen Gruß, als sie das Empfangszimmer betrat, doch sie erhielt keine Antwort, und als sie sich um blickte, gewahrte sic, daß sie allein im Zimmer sei, — ihr Gast erwartete sie wahrscheinlich nebenan im kleinen Musikzimmer. Sie durchschritt das Zimmer und wollte eben die Portiere, welche in Has andere führte, aufheben, als Helene's Stimme sie festbannte. Dieselbe bchte schmerz lich und klang wie die einer Verzweifelten. „Was soll ich thun, Harvey?" fragte sic. „Ich kann nicht wieder zu Mary gehen!" „Du sollst auch nicht, überlasse es nur mir; doch dieser Mensch muß in jedem Falle zum Schweigen gebracht werden. Lasse mir nur Zeit, über die Sache nachzudenken. Dieses Subjekt! Jetzt schon wieder in seine alten Sprünge zu verfallen!" „Und Du wirst das Geld schicken, Harvey? Ich kann mich darauf verlassen?" „Du kannst Dich darauf verlassen. Ich habe noch so viel von dem anderen. propos, Helene, es fehlen nur noch vierzehn Tage und wenn während dieser Zeit sich Mary Horn nicht dazu entschließt, meine Frau zu werden, so werden wir das Vergnügen haben. Deinen süßen Gatten im Gefängnisse zu sehen. Ich glaube, wenn sie das wüßte, würde sie etwas gefügiger sein." „O Harvey!" unterbrach ihn Helene, „ist denn kein anderer Ausweg zu finden?" Doch ehe er noch antworten konnte, hatte Mary allen ihren Muth aufgeboten, hob, ohne noch mehr hören zu wollen, die Portiere mit zitternder Hand und trat schnell in's Zimmer. „Vielleicht kann ich einen anderen Ausweg an- rathen," sagte sie fest. 17. Kapitel. Der vergiftete Pfeil. Es war, als ob der Blitz vor ihnen nicderge- fahren wäre, denn im Augenblicke schien ihnen Alles verloren. Doch Harvey Barclay faßte sich bald und beschloß, keck darauf loszugehen und diesen Schlag in einen glänzenden Sieg zu verwandeln. Die Maske der Freundschaft, die er so lange angenommen, war ihm vom Gesichte gefallen, er konnte sich daher jetzt in seinen wahren Farben zeigen und jedes Mittel, das sich ihm bot, anwcnden, um Mary Horn's Hand zu erlangen. Wenn süße Worte ihrem Ohre nicht schmeichelten, so konnte er Drohungen anwenden. Was lag an den Mitteln, wenn nur das Ziel erreicht würde? Und Helene mußte ruhig dabei stehen und zusehen, wie er das Spiel gewann, Mary'S Vorgehen war kühn gewesen, doch hatte eS auch für den Augenblick alle ihre Kräfte erschöpft; es wurde finster um sic, sie schloß die Augen und lehnte sich an das Piano, um sich aufrecht zu erhalten. Doch nach einem Augenblicke war diese Schwäche vorüber. Sie hatte schon seit zu langer Zeit das Drohen des Sturmes bemerkt, um jetzt vor dem Ausbruche desselben zurückzuschrecken. Sie hob stolz den Kopf und ließ ihr klares Auge prüfend über Harvey Barclay'« Gesicht schweifen; sein Blick begegnete dem ihren. „Wollen Sic mir wiederholen, waö ich soeben gehört habe, Mr. Barc lay?" fragte sie. „Ich kann es kaum glauben, daß meine Ohren mich nicht getäuscht haben." „Ich würde es gern unter anderen Verhältnissen wiederholt haben, Miß Horn," erwiderte er, einen Klang zärtlichen Bedauerns in seine Stimme legend;" doch da ein Zufall Ihnen die Nothwendigkeit der Erfüllung der thcuersten Wünsche meines Herzens enthüllt hat, kann ich das Gespenst nicht in das Grab zurückbanncn, in dem cs sich weigerte zu schlafen. Ist die Liebe von der Freundschaft so weit entfernt, daß ich vergebens um die Ihre bitten muß?" Er trat vor, um ihre Hand zu ergreifen, doch sie trat kalt zurück, während Helene-, die bei dieser uner warteten Scene unfreiwillige Zuschauerin war, erst glühend crröthete und dann todtenblcich wurde. Ihre Augen glühten, ihre Lippen bebte», sie war im Be griffe zu sprechen, doch Mary ließ ihr keine Zeit. „So ist die Maske also gefallen," sagte sie lang sam, „und das war es, was Ihr Freundschaftsaner- bietcn sagen wollte. Doch ich will nicht von mir spreche», sondern von — O Helene!" brach sie aus, indem sie sich mit einer Miene kummervoller Entrüstung an diese wandte, „waö soll denn das Alles heißen?" Das Weib Zögerte einen Augenblick, fast war sie versucht, die Wahrheit zu gestehen vor eifersüchtiger Wnth. Doch so konnte sie ihren Zweck nicht er reichen, die kurze Pause genügte ihr, um sich selbst wiederzufinden. „Es heißt, Mary", antwortete sie, „daß Harry dem Kapitän Barclay eine große Summe schuldet, die er im Spiel verloren hat. Es sind auch noch andere Gläubiger da, die weniger rücksichtsvoll sind, als er; ich habe ihn gebeten, ihre Ansprüche zu be friedigen, hoch Harry darf es nicht wissen — darf seine Mitwirkung nicht ahnen. O Mary, sei nicht so hart! Habe Mitleid niit seiner Schwäche und meinem Elende! „Vertraue mir vollkommen, Helcue. Weshalb habt Ihr nicht gleich Vertrauen zu mir gehabt? Doch begleitet Mr. Barclay seine Hilfsbcreitwilligkeit mit Drohungen gegen Harry und gegen mich? Und wes halb und wieso kann inan ihm, so lange mir noch ein Dollar meines Vermögens bleibt, mit Gcfäugniß drohen?" Sie schauderte, als sie sich zwang, die letzten Worte auszusprechen. (Fortsetzung folgt.) Was wird aus dem Kinde? Wie oft man diese Frage von den Lippen einer Mutter hören kann! Sie glaubt in ihren Kleinen oder in ihre Kleine alles Gute hineingelegt, alles Böse von dem arglosen Kindesgcmüth ferngchalten zu haben und da kommt plötzlich eine Frage von den Lippen des Lieblings, die sie stutzig macht; sie sieht plötzlich eine Handlung, die sie erschreckt und von ihren Lippen dringt der Ruf: „Was wird aus dem Kinde?" Eltern sehen in Bezug auf ihre Kinder gern in deren Zukunft voraus, schmieden Pläne und bauen Luftschlösser. Keine Mutter gicbt cs, die ihren Lieb lingen nicht die Zukunft in ihren Träumen glänzend gestaltet! Was soll aus den Kindern werden? „Glück liche Menschen!" denkt die mit ihrcin Loose zufriedene Hausfrau. „Besser sollen sic cs haben als ich!" seufzt die Unzufriedene. — Wünsche, Wünsche — wie ge waltig bleibt doch in den meisten Fällen die Wirk lichkeit hinter dem Traume zurück! Anders aber ist die Zukunftsfrage der Kinder, wenn die Sorge die Worte „Was soll ans dem Kinde nur werden?" von unseren Lippen ertönen läßt! Recht hübsch weiß eine Mitarbeiterin des Schweizerischen Familienwochenblattes diesen Ausruf zu charakterisiren, und wir wissen, daß wir unfern Lesern und Leserinnen Freude machen, wenn wir ihre Gedanken in diesen Artikel einflechten. Was wird aus Dir werden? fragen wohl oft im Stillen besorgte Eltern, wenn sie das sich vor ihren Augen entwickelnde Kind beobachten, seine Neigungen, Fähigkeiten, sein Temperament in Betracht ziehen. Was wird ans Dir werden? fragt die Mutter, wenn der störrige Dreikäshoch mit Nachdruck seinen Willen durchzusetzen weiß und immer das nicht will, was man ihm befiehlt. Was wird aus Dir werden? fragt der scharfblickende Vater, wenn Hans gute Zeug nisse nach Hause bringt, die aber gar nicht stimmen wollen, zu dem Hans von Daheim. Was wird aus Dir werden? denkt die Mutter, wenn ihr treuherziges Bethcli immer den Kürzeren zieht, sich von den etwas neckischen Geschwistern alles gefallen läßt > und als Aschenbrödel im Hause sunktionirt. Was wird aus Dir werden? fragt eine andere, wenn ihr Kind sich nicht erschließen will, dahin wan delt, ein lebendiges Räthsel. Es gleicht ihr nicht, gleicht dem Vater nicht, gleicht weder dem Großvater noch der Großmutter und keiner Notabilität des Stammbaums, kurz es schlägt aus der Art. Was wird aus Dir werden? fragen wohl Eltern, wenn ihr Töchterchen ein Bub ist, lieber Bekanntschaft macht mit dem Schimmel, als mit der Staatspuppe, lieber barfuß geht, als Strümpfe strickt, täglich Risse nach Hause bringt und diese in naiver Weise entschul digt, mit dem nicht zu widerlegenden „Es hat halt gerissen!" Was wird aus Dir werden? denkt seufzend eine Mutter, wenn ihr bildschöner Liebling sich ge- berdct wie ein Teufelchen, beißt, kratzt, stampft und jene nicht zur Ruthe zu greifen wagt. Was wird aus Dir werden? frägt sich im Stillen eine andere, wenn sie wahrnimmt, wie ihre kleine Eva genau weiß, welche Farben zu ihrem Teint passen, aber keinen Hochschein hat von dem wichtigen Kapitel! Rücksichten für Andere!! Auf solche und ähnliche Fragen wird wohl am besten die Zeit antworten und zwar nicht selten in einer Weise, die im Widerspruche steht zu den Ver- muthungen, die man hegte. Der störrige Dreikäshoch kann, wenn er einen Stärkeren über sich sieht, respekt voll sein Bockshörnchen einziehn und unter strammer, richtiger Leitung ein wackerer Bursche werden. Hans mit den guten Schulzeugnissen dürfte, wenn diesen statt Anerkennung nur Zweifel entgegengesetzt werden, nach und nach dem Schlendrian Gehör geben und in der Schule sich zeigen, wie daheim oder bei richtig geleitetem Ehrgefühl daheim dem Schulhaus die Ehre retten und im später» Leben den ihm angewiesenen Posten mit Pflichttreue versehen; dem guten Betheli in Aussicht stellen: „ES kommt auch eine Zeit, wo Du nicht mehr, wie jetzt, Dich andern fügen mußt", wäre etwas kühn. Es ist wahrscheinlicher, daß das liebe Kind seine Aschenbrödelrollc auch im später» Leben zu spielen hat, aber sein liebewarmes Herz wird eS feien gegen den Stachel der Zurücksetzung. In dem Kinde, das keinen Weg wollte, kann viel leicht durch eine scheinbar unbedeutende, oder auch unbekannte Veranlassung mit einem Mal eine Saite erklingen und wie durch Zauber Leben bringen. Der „Bub" dürfte mit den Jahren ein ganz praktisches Mädchen werden, vielleicht waö gar nicht vom Bösen ist, mit mehr Energie und Unternehmungsgeist aus gerüstet, aber mit Sinnen und Gedanken nach dem Rechten strebend. An dem stampfenden, beißenden, kratzenden Tenfelchen in Engelsgestait mag schließlich doch die Ruche oder das vom Arzte selbst in ver nünftiger Dosis verordnete kalte Wasser eine Wunder kur machen. Ob das kleine Fräulein vor dem Spiegel, das so einläßliche Teiutstudicn macht, zu denjenigen gehört, welche man auf den Händen trägt, deren Wünschen man zuvorkommt, bei denen es stets heißt: Herzchen, was willst Du?? Wenn — dann ist es schwer zu glauben, daß es je einmal das hochwichtige Kapitel „Rücksichten für Andere" studiren, schwer zu glauben, daß es sich einmal zur Aufgabe machen werde, das Haus zu beglücken. Die Frage „Was wird aus Dir werden" kann noch in vielen anderen Fällen gestellt werden ; im merhin wird die Antwort eine problematische sein. Was können nicht Verhältnisse, Umgebungen, Erleb nisse, Temperament aus einem Menschen machen, hier die schönsten Hoffnungen zerstören, dort, wo man kaum gehofft hat, ganz überraschende Erfolge bieten. Wie in der Natur auf den Pflanzen, so wirken auf das Menschenleben Regenschauer, Blitz und Donner, Hagel und Frost, Sonnenschein und Himmelsthau, steiniges Erdreich, guter Grund, geschützte Lage, recht zeitiges Begießen, Jäten, Anbindcn, aber ausgeschlossen bleibt auch nicht, daß wo die fördernden Entwicklungs verhältnisse auch fehlen — die Zeit und guter Same dennoch erfreuliche Frucht bringen; drum die Hoff nung nicht aufgegeben, aber auch nicht zu sicher auf die Hoffnung gebaut! So weit die wackere Schweizerin in ihren Aus führungen. Nicht in allen Punkten möchten wir ihr jedoch beistimmen. So sehr wir auch die Macht der Verhältnisse, Erlebnisse, Umgebung auf den Charakter des werdenden Menschen anerkennen, so soll doch der Grund zu einem tüchtigen Charakter beim Kinde schon von den Eltern gelegt werden. In den jungen Lebens jahren ist vieles leicht verdorben, manches Verdorbene mit ost nicht allzuschwerer Mühe wieder gutzumachen. Ein wilder Knabe — was schadet Wildheit dem Jungen, wenn nicht Trotz und Ungeberdigkeit sich hinzumischen? Trotz aber sollte bei jedem Kinde mit allen Mitteln bekämpft werden, nachhaltiger freilich noch die Lüge! Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.