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„Und Sie wollen mir kein Versprechen, keine Hoffnung für die Zukunft geben?" „Ich kann Ahnen keine geben", antwortete sie. Harry kam jetzt zu dem Bewußtsein, daß er schon zu lange den Horcher gespielt, deshalb ging er, von einer großen Augst befreit, einige Schritte weiter und näherte sich erst wieder, als Mr. Barclay und Mary einige Augenblicke später aus ihrer Abgeschieden heit hervortraten, um sic zu bitte«, sogleich zu seiner Frau zu kommen. — „Du kannst Dir das Erzählen Deiner Geschichte, ich der meinen ersparen; ich habe mein Glück versucht und — verloren. Ruin — vollkommener Ruin starrt mir in das Gesicht. Wünschest Du mich noch zu sehen, ehe ich mein elendes Lebe» ende?" Diese wenigen Zeilen, eilig mit zitternden Händen geschrieben, erhielt Helene Reynold am 'Rachmitlage des nächsten Tages. Der Bote, der sie gebracht hatte, wartete. „Komme sogleich. Ich bin allein!" schrieb sie eilig als Antwort und wartete dann in fieberhafter Ungeduld. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als sie klingeln hörte und einen Augenblick nachher trat Harvey Barclay ins Zimmer. Er sah wirklich eingefallen und elend aus, sein Gesicht war bleich und in die Länge gezogen und seine Augen zeigten, daß er eine schlaflose Nackt verbracht. „Nun, Helene, meine Liebe," sagte er, zu ihr tretend und ihre beiden Hände ergreifend, „wir brauchen keine Beschuldigungen und keine Borwürfe mehr. Ich habe die Erbin gestern nm ihre Hand gebeten und sic hat mich zurückgewiesen, Du hast es mir vielleicht gestern Abend nicht geglaubt, als ich Dir sagte, es sei dies meine einzige Hoffnung, Du überlegtest nicht, wie verzweifelt mein Fall sein müßte wenn er im Stande, mich von Deiner Seite zu treiben, um einem anderen Weibe, sei eS auch das schönste der Erde, Liebesschwürc iu'S Ohr zu flüster». 'Run, es war eine bittere Pille und cs thut mir nicht leid, daß Du, Geliebte, Dich weigertest, sie gutwillig hinunterzuschluckcn. Deshalb kam ich heute, um Dich um Vergebung zu bitten für das, was ich gestern gesagt. Todte sagen nichts weiter, und nach dem heutigen Tage hast Du keine solche Drohung mehr zu fürchten. Du siehst dieses, Helene?" — er schlug den Rock zurück und zeigte ihr den Lauf eines kleinen Revolvers, der aus der inneren Brusttaschc hervor ragte. „Morgen ist alles vorüber; ich kam nur, um Dir Lebewohl zu sagen." Er hatte den Rock wieder über der Brust zugeknöpft, doch die große» Auge», deren seltsame, goldglänzende Pupillen wild funkelten, waren auf die Stelle geheftet, wo diese kleine tödtliche Waffe verborgen war, als ob sie durch das Tuch hindurch sehen könnte. „Harvey!" kenchtcsie; „Harvey!" und ihre Wangen wie ihre Lippen waren gleich entfärbt. „Es ist ein Schlag für Dich, Helene, daß weiß ich, doch Du mußt ja gewußt haben, daß eS dazu komnwn wird. Ich würbe Dir nichts gesagt haben, doch ich dachte. Du würdest dann noch mehr erschrecken. Auch hatte ich noch einen anderen Grund, Liebste, es war mir, als könnte ich leichter sterben, wenn wir uns nach den Worten der letzten 'Rächt mit einander versöhnt Hütten, wir haben uns nicht oft gezankt, und daß die Thräncn, die Du um mich vergießen wirst, denn Du wirst mir eine Thräne nachweinen, das weiß ich, weniger bitter sein werden, wenn Du weißt, daß sie für den Mann fließen, der Dich ge liebt, mehr, als irgend etwas Anderes in seinem selbstsüchtigen Leben." Selbst während er noch sprach, wußte sie, daß er jetzt ebenso wenig zögern würde, sie zu opfern, wie in der vorigen Nacht, wäre ein solches Opfer ihm Mittel zu seinem Zwecke gewesen. Doch was nützte dieses Wissen? Er war hier, ihr gegenüber, mit blassem Gesichte, trüben Augen und das Gespenst des Selbstmordes stand an seiner Seite. Und sie — sie liebte ihn, wie sie auf der ganzen, weiten Erde Niemande» geliebt hatte, mit einer Liebe, welche Vernunft und Urtheil in den Wind schlug und in der magnetischen Anziehungskraft, die sie immer neu entzündete, nur mehr und mehr erstarkte. Sie liebte ihn und sprach vom Sterben; er, i» der Bljithe der Männlichkeit, war seines jungen Lebens müde und wollte die Last abwerfen. „Harvey," sagte sic wieder, „um Gotteswillen hilf mir, ruhig zu sein! Hilf mir denken! Was schadet der Ruin ? Was schadet die Armuth? Lebe und be ginne das Leben von 'Neuem! Die Sachen können ja nicht so verzweifelt stehen, wie Du sic ausmalst. Du kannst aus der Armee austreten, Du kannst Washington verlassen, Du kannst neue Gegenden und neue Gesichter aufsuchcn. Ich —" „Du willst mit mir gehen, willst Du vielleicht sagen, Helene? Nein, mein Kind. Die Dinge sind nicht weniger schwarz, sondern noch schwärzer, als ich Dir sie ausgemalt. Die Armee verlassen? Wenn die Thatsachen bekannt werden, wird ohnehin mein Name binnen acht Tagen aus den Listen gestrichen sein. Fortgehen? Die Mauern eines Gefängnisses Winken mir. Ach, denkst Du, daß ich mein Leben einer Chimäre wegen wegwerfen würde? Glaubst Du mir es jetzt, daß ich gestern verzweifelt war? Willst Du mir meine grausamen Worte vergeben? Wir wollen in Frieden scheiden, Helene, und Du wirst manchmal freundlich an mich denken, nicht wahr, Geliebte?" Er beobachtete sie genau, er kannte sehr gut den Bode», den er bearbeitete und in den er die Saat streute, deren Ernte er schon vorher berechnet hatte. „Ist es nur des Geldes wegen, Harvey?" fragte sie. Und ihre Stimme klang ganz verändert vor Herzeleid. „Nur des Geldes wegen!" wiederholte er bitter. „Ja, nur des Geldes wegen. Ahnst Du, wie viel? Dieses Mal sind cs nicht fünf Tausend, und auch nicht zehn, oder zwanzig. Ich betrog Dich vorher, Helene. Ich hoffte mit dem Gclde, das Du mir gabst zu gewinnen, doch ich wußte, daß es, wenn das Glück mir nicht lächelte, das Verderben nicht aufhalten konnte. Ich kam nicht her um zu klagen; ich kam nicht her um Dich und mich mit Unmöglichkeiten zu quälen. Es ist hoffnungslos, Liebe, und wir wollen das „es hätte sein können" mit meinem Grabe be graben —." „Still, Harvey, still!" bat sie schaudernd. „O mein Geliebter, Du darfst nicht sterben! Wie viel, Harvey, wie viel brauchst Du?" „Fünzig Tausend Dollars!" antwortete er lang sam. „Weniger kann mich nicht retten." Verzweiflung breitete sich über ihre Züge. „Fünfzig Tausend Dollars!" rief sic entsetzt. „Das ist in der That hoffnungslos, wenn — wenn nicht — vielleicht könnte ich Mary bitten." „Um einen solchen Betrag zu erhalten, müßte sie zu ihrem Vormund gehen und die Wahrheit würde in irgend einer Weise an's Licht kommen. 'Rein, sage mir Lebewohl, Geliebte! Reiche mir Deinen süßen Mund und lasse mich denselben nur noch einmal küssen. Ach, daß ich das Glück einem Anderen lassen mußte! Deine Lippen sind jetzt nicht so kirschroth, Ivie sonst immer, Geliebte, aber sie sind mir darum nicht weniger theuer, weil sie die Furcht um mich gebleicht hat. Lebewohl, Helene, lebcwohl Geliebte!" Er zog sie zu sich hin, bückte sich und küßte sie und wandte sich dann um zu gehen. Sie hielt ihn krampfhaft fest. „Bleibe, Harvey, warte!" sagte sie. „O Gott, zeige mir einen Weg, um ihn zu retten!" Er drehte sich zu ihr und heftete seinen brennen den Blick auf ihr leichenfarbenes Gesicht. „Deine Bitte ist erhört, Helene," sagte er, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt. „Der Him mel zeigt mir einen Ausweg, doch wirst Du den Muth haben, ihn zu beschreiten?" „Muth?" wiederholte sie. „Hat es mir je an Muth gefehlt, Geliebter? Und glaubst Du, daß er mir in einem solchen Augenblick mangeln könnte? Zeige mir den Weg und sei versichert, daß ich ihn betreten werde!" Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit klarer, bedeutungsvoller Stimme: „Veranlasse Deinen Gatten, Mary Horn's Namen auf ein leeres Blatt Papier zu schreiben!" „Harvey!" keuchte sie, „Du wolltest —" Er unterbrach sic mit leisem, rauhen Lache» und wandte sich ab, wie um zu gehen. „Ich wußte ja, daß Du nicht den Muth haben würdest," sagte er höhnisch. „Bleibe!" flüsterte sic, ihn mit der Hand fest haltend, „siehst Du denn nicht, daß das entdeckt werden müßte ?" (Fortsetzung folgt.) Der dankbare Türke. „Es gicbt kein wirksameres Mittel gegen die Schwermuth, als die Bastonnadc", sagt Jmmermann in seinem Münchhansen, und ich will nicht untcrsnchen, ob er mit diesem Scherze Recht habe. Daß dieselbe jedoch auch gegen reelle Krankheiten von Nutzen, be weist folgende Mittheilung des Chevalier d' Arvicux, der Anno 1672 Ludwigs XIV. außerordentlicher Ge sandter in Konstantinopel war. Die Gicht, sagt er, ist unter den Türken ebenso selten, als sic bei den an übermäßigen Genuß des Fleisches und Weines gewöhnten 'Rationen häufig vorkommt. Werden jene aber trotz ihrer Mäßigkeit doch davon ergriffen, so haben sic dagegen specifischere Mittel als wir. Diese Behauptung mag folgendes Beispiel belegen. Ein reicher und angesehener Türke, der das Un glück gehabt, durch eine maltesische Galeere gefangen genommen zu werde», hatte dabei jedoch das Glück, dem Ritter, der diese Galeere kommaudirte, zu gefallen. Dieser nahm ihn in seinen Dienst und behandelte ihn auf eine Art, wie sie der Sklave weder erwarten konnte, noch in der That erwartete. Der unglückliche Ritter litt oftmals an höchst schmerzhaften Gichtan fällen, und sein Sklave, der ihn seiner Güte wegen liebte, sagte häufig zu ihm: „Wenn Du in meiner Heimath wärest, so wollte ich Dich radikal von Dei nem Uebcl heilen; in diesem Lande aber kann mein Mittel nicht angewcndet werden." Nach einigen Jahren setzte der Herr seinen Sklaven ohne Löscgeld in Freiheit. 'Nachdem der Türke in sein Vaterland zurückgekehrt war, rüstete er ein Fahrzeug aus, um gegen die Christen zn ziehen, und es gelang ihm, eines ihrer Schiffe, welches eben im Begriff war, nach Malta zu segeln, wcgzunehmcn. Als die Gefangenen vor ihm Revue passirten, erkannte er unter ihnen den Ritter, seinen ehemaligen Herrn und Wohlthäter, und befahl, daß man ihn von den andern trenne, ihn nicht mit Ketten belaste und ihn wie seine eigene Person be handle; doch wollte er ihn weder sehen, noch sprechen. Als die Korsaren zu Hause «»gekommen waren, bat sich der türkische Kapitän von seinen Kollegen diesen Sklaven ausdrücklich aus, und nachdem ihm sein Wunsch gewährt worden, ließ er ihm ein Pferd geben und ihn in sein Haus führen. Kaum war er dort «»gekommen und in ein schönes, aufs prachtvollste Möblirtc Zimmer einlogirt, als er sieben oder acht Männer cintreten sah, welche ihn, ohne ein Wort zu sprechen, auskleidetcn, ihn mitten im Zimmer auf eine Matratze ausstreckten, ihm die Füße an ein dickes Brett banden, worauf zwei von ihnen ihm vier- bis fünfhundert Stockstreiche auf die Fußsohlen versetzte», daß diese heftig anschwollen. Ein anderer Türke schröpfte sic ihm sodann mit großer Geschicklichkeit, ließ all das geronnene Blut heraus und legte einen Balsam von wunderbarem Geruch darauf. Sodann trug man ihu auf eine Estrade, worauf sich ein Bett mit trefflicher Matratze und prächtiger Decke befand. Ein Arzt und drei oder vier Sklaven gingen nicht von seiner Seite, behandelten ihn mit der größten Aufmerksamkeit; die wunden Stellen wurden täglich zweimal verbunden, und er erhielt die- beste 'Nahrung, und dies alles- ohne irgend welche Aufklärung über sein Schicksal, ohne daß Jemand auch nur ein Wort zu ihm sprach, außer etwa,-wenn mau ihn zuweilen bat, er solle guten MuthcS sein und alles verlangen, was er nnr wünsche. Der Ritter wußte nicht, was er über solch selt same Behandlung denken sollte, und erwartete mit Ungeduld die Entwickelung, als nach zehn Tagen seine Wunden völlig geheilt waren und er sich im Stande sah, aufzustchen und zu gehen. Blau gab ihm türkische, äußerst prächtige Kleidung, nnd sein Herr kam, ihn zu besuchen. Zuerst fragte er ihn, wer er sei und daraus, ob er ihn kenne; der Ritter antwortete ihm in Erwägung seiner gegenwärtigen Lage mit größter Ehrerbietung, dankte ihm nach einer bescheidenen leisen Beschwerde über die Bastonnadc, welche er erhalten, für die gute Behandlung, die er außerdem erfahren, und gestand ihm, daß er nicht die Ehre habe, ihn zu kennen. Rach einigen weiteren Gesprächen, während welcher der türkische Kapitän seinen Gefangenen auf merksam betrachtete, wie um ihu damit aufzufordern, sich in sein Gedächtniß zurückzurufcn, sagte er endlich: „Ist es möglich, daß Ihr Eure» Sklaven Ibrahim vergessen? Ich bin cs, de» ihr ehedem so großnnithig behandelt habt: wißt, daß ein Türke niemals eine Wohlthat vergißt. Ich empfand Mitleid mit Euch, als Ihr Gichtschmcrzen littet, und sagte Euch, daß ich, wenn Ihr in meinem Vaterlande wäret, Euch so heilen würde, daß Ihr niemals mehr darunter zu leiden hättet. Ich habe Wort gehalten, Ihr seid ge- gehcilt. Ihr habt ein wenig Schmerz erduldet; aber Ihr werdet fortan keinen mehr empfinden, nie wird Euch die Gicht wieder molestiren." Der Ritter vermochte seinen ehemaligen Sklaven nicht gleich wieder zu erkennen; die Jahre hatten ihn sehr verändert; ein langer und ehrwürdiger Bart beschattete einen Theil seines Gesichts und machte ihn vollends unkenntlich. Lange Zeit sann er nach; endlich erkannte er ihn und wollte sich ihm zu Füßen werfe»; der Türke duldete dies jedoch nicht, sondern umarmte ihn zärtlich und sagte, daß er Gott danke und preise, weil er ihm Gelegenheit gegeben, die gute Behandlung, welche er bei ihm erfahren, vergelten zu können. Er bat ihn, einige Zeit bei ihm zu verweilen, damit er ihm Beweise seiner Dankbarkeit zu geben vermöge, und versprach ihm, für den Fall, daß er nach seiner Heimathstadt Neapel zurückkehren wolle, entweder ein Schiff mitzugeben, oder ihn selbst dahin zu führen. Der Ritter konnte seinem Wohlthäter nicht genug danken; er blieb fünf bis sechs Monate in seinem Hause, behandelt wie ein Fürst und mit Güte überhäuft. Der Türke ließ die Diener, welche mit dem Ritter gefangen wurden, aufsuchen, kaufte sie, gab sie ihm zurück, und als dieser den Wunsch ausdrückte, in sein Vaterland heimzukehren, ließ er ihn in einem christ lichen Schiff mit seinen Leuten einschiffcn, bezahlte die Ueberfahrt, versah ihn überdies noch reichlich mit allen Arten von Lebensmitteln, Reisebedürfnissen und Be quemlichkeiten und überhäufte ihn mit den kostbarsten Geschenken. Dasjenige Geschenk aber, für welches ihm der Ritter vor allem andern und zeitlebens dankbar blieb, war — jene Bastonnade. Dies ist das Heilmittel, setzt der Verfasser der Memoiren hinzu; und es steht allen an der Gicht Leidenden frei, sich desselben zu bedienen. Druck und Verlag von E. Hanne bahn in Eibenstock.