Volltext Seite (XML)
gewesen, seinen Fehler zu vergessen und sein eigenes Benehmen hatte sich ihr dabei sehr hilfreich erwiesen. Er schien ihr seines Unrechts so unbewußt; war immer so sauft, so iuuig und doch kräftig und hatte augenscheinlich diesen Schatten, der aus seinen Weg fiel, so ganz vergessen, daß er ihr jetzt mehr wie ein Traum, als wie eine Wirklichkeit vorkam. Es hatte ihn zweifellos eine starke unwiderstehliche Lersuchnng dazu getrieben, wenn sie alles wußte, würde sie ihn vielleicht mehr bemitleiden, als tadeln, daran zweifelte sie nicht und deshalb wurde ihr Herz wieder zärtlich. Doch in diesen Tagen stiegen Harvey Barclay's Hoffnungen; Miß Horn's Benehmen gegen ihn harte sich sehr zu seinem Bortheile verändert, sic bewill kommnete ihn immer sehr freundlich und forderte ihn auf, öfter zu kommen. „Hier ist er wenigstens vor der Bersuchung ge schützt," sagte sie sich, „wenn Harry's ihn betreffende Bcrmuthungen begründet sind." Und dies bekämpfte das halb instinktive Miß trauen, welches bis jetzt ihrem Wesen ihm gegenüber eine Kälte verliehen, die alle seine gewinnende Wärme nicht hatte verbannen können. Er saß jetzt neben ihr, als Harry zu ihm sprach. Es schien ihr auch, als ob Harry seit Kurzem wieder freundlicher gegen ihn geworden wäre. An der andern Seite des Zimmers saß Helene mit einer Stickerei. Barclay lehnte sich vor und nahm Mary das Pa pier aus der Hand. „Die genaue Wiedergabe Ihrer Unterschrift, Miß Horn," sagte er verwundert, „und das ist eine nicht leicht uachzuahmende Schrift." Das ist ein altes Talent Harry's, er kann alles nachmachc», was er sieht. Es ist schade für die Fäl scher und Betrüger, daß er als ehrlicher Mann zur Welt gekommen ist." „Run, wenn cs mir schlecht geht, Mäuschen, brauche ich den "Rainen nur auf eine Anweisung zu setzeu; Du wirst sie doch bezahle», wenn sie Dir prä- sentirt wird, nicht? Selbst wenn Du den Unterschied merken solltest, würdest Du mich wohl nicht der Strenge des Gerichtes überliefern? Diese sorglose, spaßhafte, thörichtc Rede übte auf die kleine Gruppe eine sonderbare Wirkung ans. Helene machte, obgleich sic alles gehört hatte, keine Bewegung, sondern stickte ruhig weiter; Harvey Barc lay'« Gesicht überflog eine dunkle Röthe, die so merk bar war, daß er den Kopf senkte, um sie zu verbergen, ein eigenthümlichcs, fast phosphorisches Vicht erglänzte in seinen Augen, sein Mund zuckte nervös und seine Hand ballte sich unbewußt. Auf Mary'S Gesichte erstarb das Lächeln, ein augenblicklicher Schrecken zeigte sich in ihren Zügen und dann antwortete sie halb ernst halb lachend: „Ich glaube. Du hättest nur nöthig, von mir eine Unterschrift zu verlangen, selbst wenn es für den Betrag meines ganzen Vermögens wäre, wenn Du cs brauchtest. Rein, dein Gerichte würde ich Dich nicht überliefern." Sie erinnerte sich später einmal an die Frage, die Antwort, die Zeit und den Ort und es schien ihr, als ob dieser Augenblick unauslöschlich ihrem Gedächtnisse eingegraben wäre. Harry nahm das Papier, das Mr. Barclay ihr zurückgegeben hatte, ihr aus der Hand und zerriß cs. „So verzichte ich auf mein Glück", sagte er noch immer lachend, und dann spielte sich die Unterbaltung auf ein anderes Gebiet hinüber. Rach einigen Augenblicken dachte nur noch Einer daran, daß sic überhaupt stattgefundcn habe, und der, welcher so unwissentlich die böse Saat gesäet, ahnte nicht, welche bittere Ernte sie ihm bringen sollte. An demselben Abende sollte eine der brillantesten Gesellschaften der Saison stattfinden. Sie wurde von der Fran des Staatssekretärs gegeben, nnd die Einladungen waren schon vor vierzehn Tagen ausge schickt worden. Tadellos, wunderbar schön sah Helene Reynold aus, als sie sich vor dem Spiegel abwandte, um den stolzen, bewundernden Blicken ihres Gatten zu be gegne». Sic trug eine Toilette von goldgelbem Atlas — ein Geschenk von Mary, — welche den untadel- haften Wuchs aus's Schönste hcrvorhob und Nacken und Hals, die frischgefallcnem Schnee glichen, zu ver bergen verachtete. „Mein schönes Weibchen," rief der junge Gatte entzückt, „Du wirst mit jedem Tage schöner!" „In Deinen Augen, Harry", antwortete sie sanft. (Fortsetzung folgt.) Kaiser Wilhelm II. Geschildert von seinem Erzieher. Der ehemalige Erzieher unseres jetzigen Kaisers und Königs, I>r. G. Hinzpeter, hat soeben ein bei Velhagen und Klasing in Bielefeld gedrucktes Schrift- chen: „Kaiser Wilhelm ll. Eine Skizze nach der Natur gezeichnet von l)r. G. Hinzpeter," erscheinen lassen, aus welchem wir das Nachstehende wiedcrgeben. Aus der Verbindung von welfischem, leicht in Energie umgcsetztcm Starrsinn und hohen- zollernschcm, mit Idealismus gepaartem Eigenwillen wurde am 27. Januar 1859 ein menschliches Wesen geboren mit eigenthümlich stark ausgeprägter Indivi dualität, welche, durch nichts wirklich verändert, selbst den mächtigsten äußeren Einflüssen widerstehend, in ihrer Eigenart sich consequent entwickelt hat; ein Wesen von eigenthümlich krystallinischem Gefüge, welches dnrch alle Phasen der Entwickelung sich erhalten, in allen natürlichen Metamorphosen stets seinen Charakter be wahrt hat. Schon in dem wunderschönen, sehr mäd chenhaften Knaben, dessen Zartheit durch eine sehr peinliche Unbeholfenheit des linken Armes gesteigert wurde, frappirte der Widerstand, den jeder Druck, jeder Versuch, das innere Wesen in eine bestimmte Form zu zwängen, hervorrief. Die Uebermacht der Etiquette, welche die Existenz der fürstlichen Familien beherrscht, machte cs leicht genug, das äußere Leben und Benehmen nach der vorgeschriebenen Norm zu gestalten und oft recht unbehagliche oder selbst peinliche Fähigkeiten und Gewohnheiten aufzudrängen. Ge messenes Gehen nnd Stehen, höfliches Reden nnd Gebühren, ritterliche Hebungen und Conversiren in fremden Sprachen: alles dies war unschwer anzu bringen, da weder die physischen, noch die intellektuellen Mittel fehlten rind da das Unterwerfen unter die äußere Disziplin von der verständigen Reflexion schnell als unvermeidlich anerkannt wurde. Bei dem Eifer, seine Schuldigkeit zu thu», der ihm im Blute liegt, und bei der gleichfalls angeborenen Gleichgültigkeit gegen materielles Behagen nnd Genießen war auch jenes seiner Zeit viel bewunderte rückhaltslose Sich- untcrwcrfen unter die Herrschaft der Schule oder des Regiments ebenso leicht ins Werk gesetzt, wie die man cherlei sonst oft schwer genug crlerutcn Künste der Repräsentation erworben wurden. „Aber je leichter alle diese Aeußerlichkeitcn mit dem nöthigen Eifer sich besorgen und erreichen ließen, desto schwerer war es, das innere Wesen zu fassen und die Entwickelung desselben in eine bestimmte Richtung zu schieben. Schon der Zucht des Denkens widerstrebte die spröde "Natur auf das äußerste. Der von frühester Jugend an allen Fürstenkindern zuström- endc Uebcrfluß von Vorstellungen und Empfindungen hat leicht eine gewisse Zerfahrenheit im Denken und Blasirthcit im Fühlen zur Folge. Die Bekämpf ung solchen unheilvollen Mangels an Concentrations fähigkeit ist überall eine der wichtigsten Aufgaben der Prinzcncrziehung. Diese war bei solcher an sich so spröden "Natur schwer zu lösen. Rur die äußerste Strenge uud das energische Zusammenwirken aller konkurrircndcn Autoritäten vermochte das Widerstreben zu überwältigen, bis das erwachte Bewußtsein den eigenen Willen zum Beistand heranführte, womit dann jede Schwierigkeit bald gehoben war. „Den Anschauungen der Eltern gemäß war der Erziehung die Aufgabe gestellt, im Gegensatz zur Tra dition dem Interesse für das bürgerliche Leben den Vorrang vor dem militärischen in dem heranwachsen- oen Prinzen zu verschaffen. Die verschiedensten Mittel wurden dazu angewandt und alle sich bietenden Ge legenheiten benutzt; die ungewöhnliche Verpflanzung des Prinzen nach Kassel geschah zum guten Theil auch von diesem Gesichtspunkte aus. Museen und Fabriken, Werkstätten und Bergwerke wurden eifrigst besucht und studirt: aber neben der regen Sympathie an dem Schul-, Studenten- und Volksleben wuchs das angeborene militärische Interesse kräftig empor, bis es sich einen breiten Platz im Traumen, Denken und Handeln erworben. Aber doch wieder in eigen- thümlichcr Art. Obgleich der Prinz in den Kreisen der Potsdamer Offiziere sich außerordentlich wohl fühlte, beherrschten ihn keineswegs deren Ideen. Die Antipathie derselben gegen die zur gleichberechtigten Rivalin sich cmporarbeitendc Marine störte seine früh erwachte Sympathie für diese so wenig, daß er es im Gegenthcil unternahm, seine Kameraden durch öffentliche Vorträge über die Flotte zu seinen An schauungen hinüber zu ziehen. „Durch eine Verletzung bei der Geburt, welche eine Schwäche des linken Armes zur Folge gehabt, war seiner physischen und psychischen Entwickelung ein ganz eigenthümliches Hinderniß bereitet, welches zu beseitigen alle Kunst und Sorgfalt unfähig bleiben mußten, wenn nicht das Kind selbst schon in unge wöhnlicher Energie des Willens dabei mitwirkte. Es galt, das natürliche Gefühl körperlicher Unbeholfenheit und der damit unvermeidlich verbundenen Zagheit zu überwinden. Es war für ihn eine eminente moral ische Leistung, ein ausgezeichneter Schütze, Schwimmer und Reiter, der kühne, unerschrockene Mann zu wer den, der jetzt für den nicht unwahrscheinlichen Fall eines Attentats vor allem den einen Wunsch hegt, daß ihm noch genug Kraft bleibe, um den Mörder zu packen und abzustrafen „Und in ähnlicher Weise ist cs charakteristisch fF seine ganze Entwickelung gewesen, daß er in unbeirr barer Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung aus allem, was ihm widerfuhr an Glück oder Unglück, Gutem oder Bösem, Schönem oder Häßlichem, zu nehmen suchte, was Klarheit und Bestimmtheit, Maß und Gleichgewicht, Kraft und Klugheit in ihm för dern und entwickeln konnten. Der Anblick des Kul turkampfes mit seinen trübseligen Folgen stärkte seinen natürlichen Sinn für Billigkeit und religiöse Duldsam keit. Eine genauere persönliche Einsicht in die harte und hoffnungsarmc Existenz der Arbeiterbcvölkeruug wie der rcflektirende Vergleich derselben mit der eigenen materiellen Behaglichkeit und Sorgcnfrciheit, wie ein gehende Beschäftigung mit den sozialen Fragen der Gegenwart machten für seinen durch und durch ge rechten Sinn die Nothwcndigkeit sozialer Reformen zu einem unanfechtbaren Axiom und zu einer per sönlichen VieblingSvorstcllung. Ein Aufenthalt in England pflegt seine Ueberzeugnng von dem hohen Werth einer starken Eentralgewalt zu stärken, während ein solcher in Rußland ihn eher die Selbstverwalt ung schätzen lehrt. Alle Reisen aber in diesen Län dern wie in Frankreich und Italien vermehren sicher sein deutsches "Nationalgefühl, welches stets sehr leicht erregbar in ihm gewesen ist. Das freudige Geuießeu der deutsche» Dichtung aller Perioden, vom Beowulf bis zu Felix Dah», weckte seiueu Enthusiasmus für deutsches Leben uud Empfinden aller Zeiten, Ivie an der andächtigen Aufnahme der deutschen Geschichte sich seine Begeisterung für deutsche Thaten und Hel den entzündete, von Karl dem Großen und seinen Paladinen bis zu den Heroengestalten des eigenen Vaters und Großvaters. Der Schwung, den seine erregbare Natur durch solches Bewundern erhielt, wurde eine neue Quelle der Kraft und der Erhebung. Der Trieb zur "Nach eiferung entwickelte sich daraus bis zu dem tief em pfundenen Bedauern, die letzten hohen Triumphe des Vaterlandes nur als jubelndes Kind, statt als mit wirkender Mann erlebt zu habe», und bis zu der vom Uebelwollen so arg mißdeuteten Sehnsucht, an gleich großen Ereignissen theilnchmen zu dürfen. Wie dürftig müßte diese Seele sein, wenn nicht solche Sehnsucht, sondern das Behagen am Genießen des durch An dere Erworbenen sic erfüllte. Sie muß doch erfüllt sein, wie sie erfüllt ist von dem Ehrgeiz, sich der großen Ahnen würdig zu zeigen im Vollbringen glänzender Werke des Friedens oder des Krieges, wie cs das Schicksal bestimmt. Daß aber der Phantasie und der Leidenschaft kein ungebührlicher Einfluß auf das Handeln zufalle, dafür sorgt der überlegende reg elnde Verstand, der in der eigenthümlichcn Mischung seines Wesens ein so bedeutendes Ingredienz bildet. Zorn und Haß so gut wie Liebe und Bewunderung werden stet« seine Seele erwärmen zu energischem Vorgehen, schwerlich sie je erhitzen zu tollkühnem Wagen. Klugheit und Gerechtigkeit sind für ihn nicht blos theoretische Tugenden, sondern seiner ganzen "Natur entsprechende, sein Streben und Handeln bestimmende Eigenschaften. — Seine bekannte Campagne gegen die seinem in allen Genüssen maßvollem Wesen so anti pathische und seiner ganzen Lebensauffassung so wider strebende Spielpassion der vornehmen jungen Welt, welche vor seinen Augen blühende Existenzen vernichtet und dadurch seine tiefste Entrüstung hervorgerufen hatte, konnte erfolgreich nur sein, weil sie in weiser Mäßigung in den seiner damaligen Stellung als Re giments-Kommandeur entsprechenden Schranken ge führt wurde. Gerade diese kluge Beschränkung trug ihm auch die besonders freudig empfundene Genug- thuung des rückhaltslosen Beifalls des sonst so streng kritisirenden Vaters ein. „Den Kampf gegen die Leidenschaft, den er hier bei für andere unternahm, hat er mit unerbittlicher Strenge in sich selbst geführt und das Maßhalten sich zum Lebensprinzip gemacht. Selbst seine Familie ist für ihn wohl die unentbehrliche Basis seines Le bens, das Zusammensein mit Frau und Kindern ist ihm unabweisbares Bcdürfniß; ihre Zuneigung er hellt sein Leben, und die Sorge um sie erwärmt sein Herz; aber auch diese Gefühle sollen seine Kraft nicht verzehren, sondern mehren. Rur ein Gefühl beherrscht sein ganzes Leben nnd Streben, dominirt alle Be denken und Reflexionen, treibt unwiderstehlich zur An spannung aller Kräfte und, wenn nöthig, zum kühnsten Wagen. Das ist das Pflichtgefühl, stets die stärkste und wirksamste Triebfeder, in allen Gliedern seiner Rasse. In diesem Gliede, von dem wir reden, ist es immer stark gewesen und hat, wo irgend möglich, den Verzicht auf alle Prärogative der Stellung uud den Erwerb von Ehre und Stellung durch eigene An- strengng als selbstverständlich erscheinen lassen. Es ist als dem ganzen Wesen congruent naturgemäß be sonders kräftig gewachsen. Es wird ihn als ersten Diener des Staates, als welchen er sich selbst einführt, stets das Allgemeinwohl über alle einzelnen, nament lich über alle persönlichen Interessen zu stellen, für das Heil des über alles geliebten Vaterlandes das eigene Behagen, den eigenen Vortheil, das eigene Leben unbedenklich zu opfern treiben und befähigen." Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.