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bewimperten Augenlider von den vom Schlafe ge- rötheten Wangen aufschlug. Ein Lächeln verbarg sich in ihren Mundwinkeln, das aus ihren Träumen ent standen war und in den violetten Augen glänzte ei» Freudenschein. Sie war kaum erwacht, doch alles stand klar vor ihr: die Welt hatte jetzt für sie eine neue Bedeutung; sie hatte das Geheimniß verstehen gelernt, welches dem Gesänge der Vögel ihre Melo dien, den Blumen ihren Duft und ihre Schönheit und dem Herzen die schnellen Schläge giebt. Gestern hatte sie nur existirt, heute hatte sie zu lebe» begonnen. Sie stand ans und zog sich an; die Diener waren noch nicht sichtbar, als sie die Treppen herabstieg und die Riegel der Thür zurückschiebcnd, in den Garten ging. Doch so früh sie auch kam, die Blumen und die Vögel waren noch früher wach, obwohl von den Ersteren die Sonnenstrahlen noch nicht die blitzenden Thautropfen weggeküßt hatten, und die Letztere» noch mit gedämpfter Stimme sangen, wie um die Schläfer nicht zu erwecken. „Wißt Ihr es?" flüsterte das Kind den Blumen zu. Und es war ihr, als ob das leise Rauschen der feinen Blättchen ihr eine bejahende Antwort gäbe, denn sie war wirklich noch wie ein Kind. Die Liebe war in ihren Besitz gelangt, doch es war die Hand eines Kindes, die sic hielt. Wenn diese Hand sich öffnete und leer war, was dann? Sollte es das Kind oder das Weib sein, das mit erschreckten Blicken dieses Nichts anstarrte? Dieser Tag mußte cs ent scheiden. Mit neuer Zärtlichkeit drückte ihr der Vor mund seinen Kuß auf die Stirn, als sie ihn, zwei Stunden später, im Frühstückszimmcr begrüßte und den gewohnten Platz cinnahm. „Ich konnte Dir gestern Abend kaum sagen, Mary," begann er, „wie glücklich mich Harry's Wahl macht, glücklicher, als ich geglaubt, es in diesem Leben sein zu können. Ich hoffe, Kind, daß ich in den nächsten Tagen, ehe Du noch Harry's Frau sein wirst, den Muth finde» werde, Dir zu erzäh len, wieso ich es kaum verdiene, daß Gott so gut gegen mich ist." Seine Stimme zitterte; instinktmäßig fühlte das Mädchen, daß er Trost und Zuspruch brauche, ob wohl seine Worte für sic keine besondere Bedeutung hatten. Deshalb stand sic, einer plötzlichen Eingebung gehorchend, auf, und schlang, hinter ihn tretend, die Arme um seinen Hals. „Sage mir niemals etwas, das Dir schmerzlich ist, lieber Onkel!" flüsterte sie. „Weshalb denn? Vergessen wir heute, daß es überhaupt Schmer; und Leiden in der Welt giebt." Sie beugte sich herab, bis ihre braunen Locken sich mit seinen graue» mischten und drückte ihre Lip pen auf seine Stirn. Er hob die Hand nnd streichelte sanft ihre Wange», dann stand er mit unterdrückter Ungeduld auf und trat an's Fenster. „Wenn nur Harry käme!" sagte er. Doch Stunde um Stunde strich langsam vorüber und sein Wunsch ging nicht in Erfüllung und ihr war, während sie im Hause herumwanderte, noch nie ein Tag so lang erschienen. Des Nachmittags setzte sie sich in eine Ecke des Sommerhauses, um zu lesen, doch es war schon eine ganze Stunde vergangen, und sie hatte noch kein Blatt des Buches, das sie hielt, umgedrcht. Ein viel in teressanterer Roman, als der, welchen dieses enthielt, nahm ihre Gedanken in Anspruch, ein Roman, in welchem ihr Held eine so wichtige Rolle spielte, daß sie ganz vergaß, daß sic selbst die Heldin sei. Sic versank immer tiefer in ihre Träumerei, schloß das Buch und fast unbewußt vermengten sich bei ihr wache und schlafende Träume. Plötzlich schrak sie, von der Stimme des Geliebten geweckt, auf. Was sagte er? Mit wem sprach er? Sie sprang auf, um ihn zu bewillkommnen, blieb jedoch still und unbeweglich stehen. Augenscheinlich waren sich die beiden Männer, Vater und Sohn, außerhalb des Hauses begegnet und blieben jetzt in geringer Entfernung von ihr stehen. „Höre mich und meine Rechtfertigung, Vater," sagte Harry's Stimme, „nnd dann vernrtheile mich, wenn Du willst." Darauf erzählte er die ganze Geschichte, die Ge schichte seiner Liebe und Eifersucht, seiner Ungerechtig keit und wie er dieselbe wieder gut gemacht. War das Mädchen, das da im Sommerhause vor ihm ver borgen stand, zu Stein geworden? Die beiden klei nen, weiße», weichen Händchen waren instinktmäßig dicht auf ihr Herz gepreßt, ihre Augen traten hervor und deren Farbe hatte sich fast in schwarz verwandelt, ihre Lippen waren geöffnet und farblos, und der Athem klang kurz und keuchend. Sie hatte den Kopf vorgebeugt, um kein Wort, keine Silbe zu verlieren und doch war sie sich dessen nicht bewußt, daß sie hier die Horcherin spielte. Endlich sprach ihr Vormund: „Es ist das Werk eines Elenden," sagte er in sonderbar verändertem Tone, „und dieser Elende ist mein Sohn. Du verlangst von mir, daß ich diese Abenteurerin als meine Tochter bewillkommne und wie steht mir denn jetzt Mary gegenüber, die seit gestern Abend diesen Platz einninimt?" „Abenteurerin, Vater," antwortete Harry finster, „ist nicht der Name, der der Frau Deines Sohnes gebührt. Außerdem, daß ich mich gestern Abend ge gen Mary übereilt benahm, habe ich mir nichts vor- zuwersen. Ohne Zweifel wird sie sich heute Nacht in den Schlaf weinen, doch morgen werden ihre Ro sen nicht frischer und schöner sein, als sie, und ihre Thränen nur der Thau, der ihre Schönheit erhöht. Ich sprach ihr von Liebe, und das Kind bildete sich ein, daß meine Worte ein Echo in ihrem Herzen weckten. Ich wünschte, ihr selbst den vorübergehenden Schmerz über meine Falschheit ersparen zu können, doch in acht Tagen wird sie ihn vergessen haben. Vater, lasse Dich von dem Andenken an mein ihr zu gefügtes Unrecht nicht ungerecht gegen Helene machen." „Still! Sprich den Namen dieses Weibes nicht vor mir ans! Wenn Du einst den Charakter der jenigen, der Du Deinen edlen, alten "Namen anver traut hast, in seinem wahren Lichte sehen und von der Verblendung, die Du jetzt für Liebe hälft, geheilt sein wirst, wird Deine Strafe so bitter sein, wie cs jetzt Deine Verrätherei gegen Mary gewesen! Doch wie darf ich Dich verdammen, ich, der ich ebenfalls gegen sic gesündigt habe; ich, der ich mich ebenfalls des heiligen Vertrauens unwürdig bewiesen —." Er wankte zu einem nahestehenden Baume, lehutc sich kraftlos an dessen Stamm'und bedeckte das Ge sicht mit den Händen, während sich ein schmerzliches Stöhnen seinen bleichen Lippen entrang. „Vater, um Gotteswillen, sage mir, was meinst Du?" „Ich meine, daß wir beide Diebe sind, Du und ich, Vater und Sohn, nnd daß Mary Horn unser unschuldiges Opfer ist. Du hast sie der Liebe uud des Glückes beraubt, ich sic — ihrer Erbschaft! Nein! Schreck' nicht entsetzt zurück. Mei» Raub wird sie weniger angreifen, als der Deine! Außerdem, ich habe sie nicht arm gemacht, mehr als die Hälfte ihres Vermögens bleibt ihr noch. Doch ich, der ich davon sprach. Dich zu enterben, bin ein Bettler. Vor vier Jahren legte ich mein ganzes Vermöge», und einen Thcil dessen meiner Mündel in einer Unternehmung an, welche die besten Resultate versprach und voll kommen sicher schien. Die Panik, welche, wie Du weißt, damals Platz griff, und die ganze Finanzwelt erschütterte, brachte mich nm das ganze Geld nnd ließ mir nur Papiere, die im Augenblicke vollkommen werth los sind. Neber den großen Verlust entsetzt, versuchte ich durch Spekulationen denselben zu ersetzen. Doch ich war schlecht bcrathen, und verlor so nach nnd nach mein ganzes Vermögen." (Fortsetzung folgt.) Der Jugendbrunnen. Es hat eirtt Mär aus^ alter Zeit Wenn der Frühling mit seinem Blüthcndnft und Vogelsang bei uns einzieht, verlassen Tausende von Menschen ihren lieben hcimathlichen Herd und ziehen nach weltberühmten Bädern. Hier tauchen sie ihre Glieder in die heilsamen Gewässer, oder trinken das Wasser munter sprndelnder Quellen. Andere begeben sich an das unendliche Meer und wiegen sich auf den salzigen Wogen, welche die Fluth an die Küste treibt. Viele kehren der Meeresküste den Rücken nnd steigen hinauf auf die blauen Spitzen der Mittel- nnd Hoch gebirge, — Ucber Berge, über Klüfte, Die ermatteten Glieder zu baden In den erfrischenden Strömen der Lüste. - Sie alle glauben, den Iugendbrunncn gefunden zu haben und Jugendfrische, Jugendkraft und jugend liche Fröhlichkeit müßten fortan als treue Genossen mit ihnen durchs Leben gehen. Manches Nebel mag an diesen Orten beseitigt worden sein, manch' unge lenkes Bein mag seine Beweglichkeit wieder gewonnen haben, allein von der geträumten Jugend ist nichts zu spüren. Mit dein Eintritt in die alte gewohnte Lebensweise stellen sich oft die mancherlei Beschwerden in höherem Grade ein. Da kleidet man sich nun vom Kopf bis zur Sohle in reine Wolle; da trinkt inan vertrauensselig die bittersten Arzneien, die Marktschreier als Universal mittel auSposaunt haben. Keine Ausgabe ist zu hoch, wenn es gilt, Jngendfrische und Gesundheit zu er werben. So suchen alle nach dem Jugendbrunnen der alten Sage — und sie finden ihn nicht. Die Jugend, wir dürfen nur unsere Knaben und Mädchen beobachten, offenbart sich in einem regen Triebe nach Bewegung, Laufen, Springen, Tanzen, Klettern, weithin schallende Fröhlichkeit sind die Lebens äußerungen der Jugend. Streben nach Ruhe, ver minderte Schaffensfreudigkeit, Ernst und Trübsinn, der Verfall der Kräfte kennzeichnen das Alter. Nach dem alten Sprichworte: SO Jahr ein Mann, 40 Jahre wohlgethan, SO Jahr- Stillestand, SO Jahre geht'« Alter an, — sollten Körperfrische und Lust zu Leibesübungen den Mann bis zum 60. Jahre auszeichnen. Betrachten wir nun die Mehrzahl der Männer in den dreißiger und vierziger Jahren, so bemerken wir eine geflissentliche Scheu vor jedem Sprunge und Laufe, vor jeder Anstrengung der Arme, die über die Berufsthätigkeit hinanSgcht. Viele würden es im Banne von allerhand Stan- desvorurtheil geradezu lächerlich finden, wenn man Leistungen dieser Art von ihnen forderte. Daher ist es nicht zu verwundern, daß wir uns viele Personen, wie Geistliche, Lehrer, höhere Beamte, werfend, ring end, laufend, springend, an Bewegungsspielen theil- nehmend, gar nicht vorzustellen vermögen. "Nur der Geistesarbeit obliegend, bringen sie ihre Tage sitzend, langsam gehend und schlafend dahin. Befinden sie sich wohl und glücklich dabei? Nein! Der eine wird durch die das ideale Menschenbild ent stellende Leibesfülle an jeglicher Körperanslrengnng verhindert ; der andere wundert sich über den Verfall seiner Muskulatur; der dritte ist, wie Goethe sagt, dem Dämon der Hypochondrie verfallen. Mit Klagen über Schmerzen verschiedener Art, über mangelhafte Verdauung nnd unruhigen Schlaf behelligen sie ihre Mitmenschen. Woher rührt diese Veränderung in ihrem Be finden ? Vielleicht hast Du einmal versucht, mit einer verrosteten Klinge zu schneide», mit einer verrosteten Nadel zu nähen: eS ging nicht. So verliert auch ein immer rastender Mensch seine Schneidigkeit, seine Kraft und Frische, seine Lebensfähigkeit, das beglückende Ge fühl körperlicher Leistungsfähigkeit; denn: Rast' ich, so rost' ich. Stehendes Wasser stinkt, Gebrauchter Pflug blinkt. Durch den Mangel an Bewegung wird nämlich daö Gehirn mit zu viel Blut versorgt, in den Ge fäßen sammeln sich verbrauchte Stoffe. Der Kreis lauf des Blutes wird infolge dessen träge, die Ath- mung nur oberflächlich, der Appetit gering. Es ist dann der menschliche Organismus mit einem Ofen zu vergleichen, der da raucht oder gar nicht brennt, weil er mit Verbrennungsrückständen überfüllt ist. DaS Wort der Schrift: „Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brod essen", gilt nicht nur für die Stände, die durch die Kraft ihrer Hände und Beine ihren Lebensunterhalt erwerben. Wer gesund bleiben will, wein sein Brod schmecken soll, der muß seinen Bewegungswerkzeugen etwas zumuthen; er darf den wunderbaren Mechanismus seines Leibes nicht in Nnthätigkeit lassen. Damit nun der Arensch die Leistungsfähigkeit sei nes Leibes möglichst lange bewahre, begabte ihn Gott mit Verstand. Dieser soll dafür sorge», daß alle leib lichen Organe richtig funktionircn, daß ein Glied richtig in daö andere eingreife und keines vernachlässigt werde; die Hand, der Fuß, ebensowenig als die Lunge, das Herz, der Magen, die Muskeln und "Nerven. Diejenigen Menschen, deren Beruf tüchtige Mus- kelbewegnng erheischt, fühlen sich körperlich viel Woh ler, als diejenigen, die zu fortwährendem Stillsitzen genöthigt sind, obgleich bei ersteren "Nahrung, Wohn ung, Kleidung oft recht viel zu wünschen übrig lassen. 'Nur durch planmäßige und regelmäßige Leibcs- übuug kann man sich Frische des Leibes uud Geistes bis hinauf ins Alter bewahren. Wem der Beruf völlige Vernachlässigung der Bewegungswerkzcuge auf erlegt, der muß sich die zum körperliche» Wohlbefin den unentbehrlichen Leibesbewcgungen künstlich zu ver schaffen suchen. Das Turnen bietet hierzu die beste Gelegenheit. Den alten Griechen war dies klar. Durch tägliche gymnastische Hebungen bewahrten sie sich langanhaltcnde Jugendkraft und Gesundheit. Ihnen galt nur das Leben lebenswerth, das verbracht wurde in der vollen Kraft nnd Blüthc dcö menschlichen Körpers. Die allgemeine Wehrpflicht bewahrt und steigert den kriegstiichtigen Jünglingen und Männern die Ju- gendkrafk durch vielseitige Leibesübung. Ist den ge sunden, waffenfähigen Männern solche Uebung schon nothwendig, so ist sie sicherlich den schwächeren, kränk lichen Männern nnd Jünglingen, die nicht als kriegs tüchtig befunden wurden, ganz unentbehrlich; denn der schwächliche Leib geht bei mangelnder Bewegung seinem Verfall viel rascher entgegen als der gesunde. Wer daher die zahlreichen Uebel des Bewegungs mangels nicht an sich kennen lernen will, wer seine schwachen Nerve» nnd Muskeln stärken, seine Ver dauung und Athmung kräftigen, das muntere Kreisen des Blutstromes verspüren will, der suche sich auf dem Turnplätze reichliche Bewegung, aber nicht erst, wenn dieses oder jenes Organ schon seinen Dienst versagt, dann ist es leicht zu spät, sondern noch in gesunden Tagen, denn Turnen erhält uns jung und gesund. Auf den Turnstätten findest Du den Jugend- und Gesundbrunnen, von dem die Sage uns erzählt. Du brauchst nicht weit danach zu reisen und kannst ohne nennenswcrthe Opfer täglich aus ihm schöpfen. Das Erbleichen des Haares wird freilich durch das Turnen nicht verhindert, aber die Zauberwirkung übt es aus, daß cS den Mann länger rüstig erhält und dem Greise ein jugendliches Herz und einen frohen Sinn bewahrt und dem jähen Verfall der Kräfte vorbcugt. Druck und Verlag von E. Hannebohn i» Eibenstock.