Volltext Seite (XML)
Beilage ja Rr. 82 des „Amts- and Aiytigeblattes". Ei den stock, den 14. Inti 1888. Feindliche Gewalten. Roman von E. Mace. . (l. Fortsetzung.) Sie war vom Kopf bis zu de» Füßen in schwarze Spitzen gekleidet, selbst ihr Gesicht war verhüllt; doch als sie ihm näher trat, warf sie den Schleier zurück und ließ den Mondschein die wunderbare Schönheit ihre« Gesichtes beleuchten. „Harry," rief sie, „ver sieb mir, daß ich so zu Dir komme! Ich mußte Dich noch einmal sehen, nur noch einmal, und Du warst so hart, so grausam, ich wußte, daß dies der einzige Weg sei." Sie streckte ihm ihre beiden Hände bittend ent gegen. Ihre Stimme klang von Thränen erstickt, obgleich ihre Augen trocken waren nnd die Farbe weder Wangen, noch Lippen verlassen hatte. „Sie erweisen mir zu viel Ehre, Airs. Windom," antwortete der junge Mann fast rauh, „und ich fürchte, daß Sie kam» genügend an die Bewahrung Ihres guten Rufes gedacht haben, als Sie sich dieser Ge fahr aussetzten. Den Grund dafür kann ich nicht begreifen, doch, da der Borhang nach der kurzen Posse, die wir mit einander aufgeführt haben, gefallen ist, so, bitte, lassen Sie denselben nicht wieder zu einer Tragödie oder einem Melodrama ausziehen." „Still!" bat sie. „O, Gott, daß Du so mit mir sprechen kannst! Ich warte hier schon eine Stunde auf Dein Kommen und fürchtete schon, daß Du ganz wegbleiben könntest; als ich dann endlich Deinen Schritt hörte, da verließ mich der Muth. Ich wagte cs nicht, mich Dir zu nähern, bis endlich, vor Kur zem, der Ton Deiner Stimme mein Ohr erreichte. Du sprachst laut und mit innigem Mitleide. „Armes Kind!" sagtest Du und ich dachte, daß vielleicht — vielleicht Du an mich gedacht, deshalb machte ich mich Dir, ehe mein neu erwachter Muth wieder entfloh, bemerkbar. O Harry, sieh mich nur einmal an, sprich zn mir, ein einziges Wort, und sage mir, daß Dn an mich dachtest." Sie streckte ihre kleine Hand, die weiß wie Marmor nnd sammetweich war, aus und legte sie auf seinen Arm. Ihre Berührung durchbebte ihn wie ein elektrischer Schlag und trieb ihm sogleich das Blnt in die bleichen Wangen, doch er schüttelte sie ohne irgend welche Galanterie ab. „In diesem Augenblicke, Madame, waren Sie zum ersten Male seit vielen Wochen meinen Gedanken fremd. Ja, ich habe an Sie gedacht, wenn Ihre Eitelkeit diese Ueberzeugung zur Nahrung braucht — ich dachte an Sie, wie der Mensche an Jemanden denken muß, welcher ihin für de» Augenblick selbst die Wahrheit nnd Unschuld wie Lüge und Verbrechen erscheinen laßt! Ich habe an Sie gedacht und Ihnen geflucht! Heute hielt ich meinen Fluch zurück, weil eine Andere heute von meinen Gedanken Besitz er griffen hatte. Ihr Beiden konntet neben einander nicht bestehe», denn Tag und Nacht vertragen sich nicht mit einander. Gehen Sic in Frieden Madame, und stören Sie mir nicht den meinen!" So bitter und schneidend seine Worte auch in ihrer tödtlichen Verachtung waren, sie erregten keinen Zorn, wenn auch ein augenblicklicher Strahl der Eifersucht in den wunderbaren Augen ausflannnte — in den Augen, die wie goldfarben erschienen, obwohl das Haar nnd die Augenbrauen schwarz wie die Nacht waren. „Harry," rief sie noch einmal und sank jetzt, der Feuchtigkeit nicht achtend, vor ihm auf die Knie, während sie mit ihren beiden Händen die seinen be schwörend ergriff — „höre mich, Dn sollst — Du mußt mich hören! Aber sage mir erst, daß Du das, was Du jetzt sagtest, nur gesagt, um mir wehe zu thun, daß es nicht in Wirklichkeit wahr war! Du hast mich nicht so bald vergessen, denn Dn liebtest mich! Du kannst Deine Liebe nicht so schnell einer Anderen gewidmet haben!" „Und weshalb nicht?" fragte er mit einem Tone, in dem eine Herausforderung lag. „Hatte ich nicht einen ganzen Monat, um zur Vernunft zu kommen? Weiber brauchen ja dazu nur eine einzige Stunde. Doch sei dies, wie cs »volle, verschwenden wir keine Worte. Ich bitte, Madame, stehen Sie ans. Kör perliche Krankheiten heilen nicht so schnell, als die des Herzens, und Sie könnten sich leicht erkälten." Doch sie widerstand der Bemühung, sie aufzuheben, die seine Rede begleitete, statt dessen beugte sie ihren Kopf über die Hand, die sie gefaßt hatte und drückte leidenschaftlich ihre Lippen auf diese. „Harry, Harry," flehte sie, „denke daran, welche Ucberwindung cS mich gekostet haben muß, so zu Dir zu kommen und sprich aus Mitleid sanfter mit mir. Du bist so kalt, so streng, daß sich eine Grenze zwi schen uns erhebt, über die hinweg ich Dich gar nicht wiedererkenne. Höre mich, Geliebter, aus Barm herzigkeit, höre mich: Ich bin nicht das falsche, herz lose Weib, für da« Du mich hältst; wenn ich eS wäre, würde ich dann jetzt hier sein? Würde ich zu Deinen Füßen liegen und bitten, wie ich Dich jetzt bitte?" „Frauen lassen sich ihre Opfer nicht gern ent schlüpfen, selbst wenn sie ihnen keine Unterhaltung mehr bieten," unterbrach er sie bitter. Sie erhob sich langsam und ließ seine Hand fallen, während sie das Köpfchen stolz zurückwärf. „Ich sehe," sagte sie, mit einer ruhigen Würde in ihrer Stimme, die jedoch von unendlicher Traurig keit bebte, „die neue Liebe hat die alte verdrängt. Für diese — für mich — hast Du nicht einmal eine zärtliche Erinnerung und ich — ich hatte gedacht, Du liebtest mich so sehr, daß, wenn auch ein Monat, ein Jahr, ja ein Menschenalter verginge, ich die Flamme noch so hell brennend finden würde, als da wir schieden. Ich hatte Unrecht, wie ich sehe, sprechen wir also nicht mehr von der Vergangenheit, mit Aus nahme der wenigen Worte, die ich Dir zu sagen hier her gekommen bin — der wenigen Worte, die Dir beweisen werden, wie sehr Dn mir Unrecht gethan. Man sagte Dir, daß ich mir von Lieutenant Barclay die Eour machen lasse, ein eifersüchtiger 'Narr erzählte Dir, daß ich mich mit diesem verlobt hätte — Du kamst zu mir und nahmst mir das Versprechen ab, ihn nicht wiederzusehen; Dn sagtest, daß Du den Menschen nicht leiden könntest, daß Du seine Auf merksamkeiten gegen mich für werthlos, ja, fiir kom- promittirend hieltest in der Stellung, die ich Dir gegenüber cinnahm, und ich gab Dir daö verlangte Versprechen, nicht wahr? Nun wohl, ich beabsichtigte auch, es zu halten, doch vergaß ich, daß, als ich Mr. Barclay zum letzten Male gesehen, er Deinen Ring aufgehoben, den ich mit dem Handschuh vom Finger gezogen nnd an seinen Finger gesteckt hatte. Ich wollte ihn zurückverlangen, ehe wir schieden, doch ich vergaß es, da ich den Handschuh wieder angezogen hatte nnd ihn deshalb nicht vermißte. Am Abende dieses Tages war es, wo ich Dir versprach, ihn nicht mehr zu sehen. In derselben 'Nacht trafst Du ihn und erkanntest den Ring, den er noch trug. Jemand, der anwesend war, fragte ibn, ob der Ring eine Be deutung habe, und er antwortete scherzend, daß es ein Liebespfand sei. 'Noch ehe ich an jenem Abend schlafen ging, schrieb ich ihm und bat ihn, mir ihn sogleich zurückzuschicken, auch benachrichtigte ich ihn zn gleicher Zeit, daß zwingende Gründe mich verhinderten, ihn wiederzusehen. Er erwiderte, daß er den Ring nur in meine eigenen Hände zurückgeben würde und daß mein Ent schluß so ungerecht und unfrenndlich sei, daß er dem selben nur Glauben schenke» könne, wenn er ihn aus meinem eigenen Munde hörte, kurz, daß er mich noch einmal sehen müsse. Ich wagte nicht, wie ich es hätte thun sollen, Dir die Wahrheit zu sagen und Dich zu bitten, den Ring von ihm zu verlangen, denn ich fürchtete Deinen Zorn. So war ich denn schwach genug, einzuwilligen, ihn zu empfangen nnd bestimmte den Nachmittag für die Zusammenkunft. Zufälliger Weise kamst Dn, der Du den ganzen Tag finster über die Scene des vergangenen Abends nachgedacht, zur selben Zeit, um eine Erklärung von mir zu verlangen. Ich hatte Befehl gegeben, mich vor Jedermann zu verleugnen, als Du dies hörtest, erwachte Dein Argwohn auf's Nene und Dn be standest darauf, einzutreten. Was war die Folge davon? Du tratest in's Zimmer und sahst das, was Deinen eifersüchtigen Blicken wie eine Bestätigung Deines Verdachtes schien. Du wandtest Dich ab nnd schrittest, ohne ein Wort, ja, ohne einen Blick aus dem Hause. Ich rief Dich, doch dieses Mal bliebst Du taub für den Ton meiner Stimme." „Und für diesen Mann, für diesen eifersüchtigen Wütherich, haben Sie mir den Abschied gegeben?" flüsterte mir eine höhnische Stimme in'S Ohr. Ich konnte nicht antworten, Thränen erstickten meine Stimme, ich wandte mich dem Fenster zu und bezwang dieselben. Als ich mich wieder zu Mr. Barclay wandte, lächelte ich; die Welt wenigstens brauchte eS nicht zu wissen, wenn mir das Herz brach, das gelobte ich mir im Stillen. „Darf ich wieder kommen?" fragte er. Und trotzdem ich ihn des Kummers wegen, den er über mich gebracht, haßte, antwortete ich: ja, er dürfe kommen. 'Nun, die Tage gingen vorüber und jeder Tag, glaubte ich, müsse Dich bringen, und jeden Tag verminderte sich der Stolz, der mich aufrecht erhielt, und der Schmerz in meinem Herzen wurde immer stärker, bis meine Schwäche mich hierher führte, um zu erfahren, daß meine Wunde tödtlich ist, daß — daß — eine Andere meinen Platz eingenommen! Die letzten Worte verloren sich in stöhnendem Schluchzen; sic wandte sich, um ihn zu verlassen, doch mit einem Schritte war er an ihrer Seite. Die Gleichgiltigkeit war aus seinem Gesichte verschwunden, die «trengc gewichen, die eisige Verachtung war fort. Die Blässe war vielleicht noch mehr hervor getreten, doch seine Augen glühten und seine Lippen bebten. „Helene, ist diese Geschichte, die Du mir hier erzählt hast, wahr?" „Ja, sie ist wahr," antwortete sie fest. „Und jetzt, wo der Kelch meiner Demllthignng durch dieses Ge- ständniß bis zum letzten Tropfen geleert ist, durch dieses Geständniß, das ich dem Geliebten einer An deren machte, will ich Dich verlassen. Ich brauche Dich nicht zu bitten, mich zu vergesse», das hast Du ohnehin schon gelernt, ich kann nur Gott bitten, daß er auch mir Vergessenheit schenke!" Wieder machte sie eine Bewegung, um zu gehen, doch seine Hand faßte ihren Arm und hielt sie zurück. „Helene," flüsterte er nnd sein Gesicht glühte vor Leidenschaft, als er ans sie herabblickte — „Helene, vergieb mir!" „Niemals," antwortete sie — „niemals! Ich hätte Dir Alles vergeben können, doch Du hast auf gehört, mich zu lieben. Aufgehört, sagte ich? Du hast mich nie geliebt. Du hast mir nur Liebe ge heuchelt. Diejenigen, die wirklich lieben, können nicht vergessen." „Und Du glaubst, ich habe vergessen?" „Was könnte ich anders glauben? O Harry!" Und sie wandte sich zu ihm, aller Aerger und Trotz war entflohen, und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er nmsing sic und drückte sie fest an's Herz und senkte den Kopf, bis seine Lippen in stummem Ent zücken die ihren berührten. So hielt er sie einige Minuten, während der Mond sich diskret hinter einer vorüberziehendcn Wolke versteckte, Herz an Herz, Lippe an Lippe und ihre Arme fest seinen Hals um schlingend. Plötzlich ließ sie ihn los, und die Arme fielen herab. „O Harry!" rief sie, „ich hätte nicht kom men sollen. Wie spät es ist! Wie kann ich zurück kehren?" „Du wirst mit mir zurückkehren!" sagte er, „und morgen, Helene, morgen wirst Du mein Weib. Das wird alle Bemerkungen zum Schweigen bringen und alle Fragen beantworten, wenn solche gestellt werden." „Morgen! O mein Geliebter, wirst Du es nicht für unweiblich halten, daß ich so zu Dir kam, um meine Sache selbst vor Dir zu führe»? Bist Du sicher, ganz sicher, daß die Zukunft Dir keine Reue bringen wird, daß es nicht Dein Edelmuth ist, der mich nur schonen will?" „Hat mein Edelmuth Dich beim Willkommen ge schont?" antwortete er. „Wie kann ich mir, es je vergeben, Dich so empfangen zu haben! Armes Kind! Du verdientest —" Er stockte.. Seine Wiederholung dieser Phrase zärtlicher, bemitleidender Liebe erinnerte ihn an sie, an die er gedacht hatte, als er dort an den Baum gelehnt stand und er fühlte, wie wenig Liebe er dem Kinde zu bieten hatte, welches seinen Namen wohl heute 'Nacht in seinem Schlafe flüsterte, wie sie ihn vorher schon in ihrem Gebete geflüstert hatte. Armes Kind — in der That! Doch sie war ja nur ei» Kind und kannte die Liebe in Wirklichkeit nicht. Gott sei Dank dafür! In Wochen — vielleicht schon in Tagen — würde sie ihn vergessen; seine erste Pflicht war nicht gegen sie, sondern gegen Diejenige, bei der er ein schweres Unrecht zu sühnen hatte. Er drückte noch einmal deren Gestalt fest an's Herz und beugte den Kopf nnd schwelgte in süßen Küssen. „Meine Geliebte! Mein Weib!" flüsterte er leise. Doch während er das sagte, raschelte etwas zu ihren Füßen und der Mondschein beleuchtete eine kleine, schön gefärbte Schlange, die sich über den Pfad schlängelte. Helene schrie auf und wurde bleich vor Schrecken. Er drückte sic fester an sich, die Schlange verschwand im Grase, und er beruhigte sie mit liebevollen zärt lichen Worten. Doch 'Niemand sagte ihm, daß er das giftigste Reptil von den beiden an den Busen drücke, um so giftiger, da cs die verführerische Gestalt eines schönen Weibes trug. „Bis Morgen", sagte er eine halbe Stunde später, als er sie an ihrer Thür verließ und in der Unge duld und Glnth seiner brennenden Liebe konnte er den Tagesanbruch kaum erwarten, da, wie er hoffte, dieser Tag sein Leben mit vollkommenem Glücke krönen sollte. Auch war in seinen Gedanken kein Raum für das arme Kind, dem der Morgen die erste bittere Lebens erfahrung bringen sollte, die um so bitterer war, da sie von seiner Seite kam. 4. Kapitel. Bekenntnisse. lieber Mary Horn s Geist lag der Dust der Rück erinnerung, als sic beim Morgengrauen des neuen Tages den Schlaf abschüttclte und langsam die dicht