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Versammlung militärisch durch Anlegen der Finger an da» Köpfchen begrüßte. Die Kaiserin trug die Kette de» Schwarten Adlerorden», den ihr der Kaiser am Vormittage verliehen hatte. Langsam bestieg der Kaiser den Thron und war sehr ernst gestimmt. So dann la» er rasch aber accentuirt mit Betonung die schwarzumränderle Thronrede, die ihm Fürst Bi»marck überreicht hatte. Die Rede warv wiederholt durch z lebhafte Beifallskundgebungen unterbrochen. Der Kaiser gab den Text dem Reichskanzler zurück, der die Hand de» Kaiser» küßte, worauf der Kaiser die Hände Bi-marck'S ergriff und dieselben mehrmals kräftig drückte. Dann trat der bayrische Minister präsident von Lutz vor und brachte ein dreifache» Hoch auf den Kaiser au», womit die Feier schloß. Der Zug verließ alsdann in der früheren Ordnung den Saal. Die Diplomatenloge war gleich den anderen Logen stark besetzt. Während der Thronrebe hatten der Kaiser, der König von Sachsen und der Prinzregent von Bayern da» Haupt bedeckt, die übrigen Fürsten nicht. — Ueber den englischen Arzt Mackenzie, wel cher bei der Behandlung de» verstorbenen Kaiser- Friedrich eine so verhängnißvolle Rolle gespielt hat, schreibt die „Köln. Ztg": „Die deutsche Nation steht auf einer zu hohen Bildungsstufe unv e» wurzelt in derselben ein zu hohe» Gerechtigkeitsgefühl, als daß man dem englischen Arzte zur Last legen wollte, e» sei ihm nicht gelungen, die Heilung des hochseligen Kaisers Friedrich herbeizuführen. Wa» man ihm vorwirft, ist, daß er, gegenüber den Ansichten wissen schaftlicher Autoritäten allerersten Range», die jedem Arzte Achtung und Vorsicht hätten abzwingen sollen, die von jenen anempfohlene Heilmethode beiseite schob, da» von ihm geprüfte Uebel als ein leichtes erklärte, welches seiner Behandlung in Bälde vollständig wei chen würde, und daß er auf diese Weise bei dem Kranken selbst und bei seiner Umgebung ein Gefühl der Beruhigung hervorrief, welche» den Ausschluß einer anderen und, wie sich jetzt leider herauSgestellt hat, weit bessern, einzig guten Heilmethode zur Folge hatte. Der Leichtsinn Mackenzie», den nicht» recht fertigen kann, da die gewöhnliche Klugheit ihn vor jedem Jrrthum hätte bewahren müssen, der verhäng nißvolle Folgen zu haben droht, stempelt ihn in den Augen de» deutschen Volle» zu einem Schuldigen, der sich den tiessten Groll zugezogen hat." — Der Eindruck, den die Thronrede in Deutschland wie im AuSlande gemacht hat, ist ein überaus intensiver. Da» einige Deutschland sah sich in seinen Fürsten und seiner nationalen Ver tretung verkörpert, und dem Auslande wurde darge- than, daß die Einigung der deutschen Völker aus festem Grunde ruht und für alle politischen Wechsel fälle ein in sich einige», unerschütterlich feste» deut sche» Reich in die Rechnung gestellt werden muß. — Die Thronrede, die der junge Kaiser am Montag in. Weißen Saale verlas wirb sich den großen historischen Dokumenten anreihen, welche eine über ihre Zeit hinau-reichende Bedeutung beanspruchen dürfen. Wel chen Nachhall die Worte de» Kaiser» im AuSlande gefunven haben, kann der Leser au» nachfolgenden Sätzen entnehmen: Wien, 26. Juni. Das „Fremdenblatt" bezeichnet den gestrigen Tag in Berlin al» einen geschichtlichen Augenblick auch für da» übrige Europa. Jede» Wort der Thronrede sei von dem festen Entschluß begleitet, die ausgesprochenen Grundsätze zur unbedingten Wahr heit zu machen. Jeder fernere Zweifel über die von allen Wechseln unabhängige Fortdauer des Bündnisses mit Oesterreich sei zerstreut, wodurch jene belehrt werden dürften, die aus die Erschütterung diese» Bündnisses spekuliren. Die Thronrede werbe dem Frieden eine neue mächtige Unterlage leihen. — Die „Presse" meint, die Thronrede sei die Sprache eine starken Charakters von großer Intelligenz, eine« red lichen wohlwollenden Manne», eine echte Friedens bürgschaft. Auch Oesterreich wünsche gute Beziehun gen zu Rußland. — Die „N. fr. Presse" nennt die Thronrede eine Friedensbotschaft. Oesterreich würde e« ebenfalls al» eine Erlösung preisen, wenn e» ge länge, Rußland für die konservative Politik der Frie- den-liga zu gewinnen. — Die „Deutsche Zeitung" charakterisier die Thronrede al» eine Botschaft der Kraft und der Friedensliebe. — Da» „Extrablatt" sieht in der Thronrede ein bewährte» RegierungSpro- gramm von durchsichtiger Klarheit; e» sei vollkommen da- Programm Kaiser- Wilhelm I. — England. Die sämmtlichen Londoner Mor genblätter besprechen die Thronbesteigung Sr. Maj. de- Kaiser- Wilhelm in einem überaus günstigen Sinne. Die „Morningpost" sagt, die Worte de» Kaiser- athmen gleichmäßig Frieden und Furchtlosigkeit. Die „Time-" bezeichnen die Thron rede al- schlicht und männlich, welche nicht- enthalte, da» auf ein Einschlagen einer neuen Politik andeuten könnte. Der „Daily Telegraph" meint, daß die Worte de» Kaisers hoffnungsvoll für die Aufrechterhaltung de» Friedens in Europa lauten und beglückwünscht Deutschland dazu, daß e» in seinem neuen Herrscher einen würdigen Nachfolger der beiden hochseligen großen Patrioten und hochherzigen Monarchen erhalten habe. Der „Standard" bemerkt, e» mache einen vortreff lichen Eindruck, diese männliche Botschaft zu lesen, die ebenso frei von Uebermutb, wie von Furchtsam keit die Ziele und Grundsätze der Politik Deutsch land» entschieden offenbare, Niemandem drohe, son dern ganz Europa da» Schauspiel biete, wie da» stärkste der Militärreiche sich der Vertheidigung und Beschirmung de» Frieden» gewidmet habe. — Frankreich. Ein Privattelegramm der „Post" meldet au» Pari»: „Die deutsche Thronrede hat hier eine» überwiegend guten Eindruck gemacht, und die Kommentare der Presse sind meisten» ehrlich genug, den durchaus friedlichen Charakter derselben anzuerkennen. Einige Chauvinistenblätter bezeichnen freilich die Thronrede al» heuchlerisch friedlich; des halb müsse Frankreich wachsam weiter rüsten. Sehr bemerkt wird der sympathische Passu» betreff» Ruß land», gleichwie da» völlige Schweigen bezüglich Frankreich« und England». Die Kritiken der hiesigen Presse über konservative und christlich mystische Ten denzen der Stellen der Thronrede hinsichtlich der inneren Politik Deutschland» dürfen al» gleichgültig unbeachtet bleiben. Der feierliche Pomp, sowie die Anwesenheit der deutschen Fürsten bei der Eröffnung de» Reichstage» verfehlen ihre Wirkung nicht und werden sehr beachtet". Locale und sächsisch« Nachricht««. — Eibenstock, 27. Juni. Au» Veranlassung der besonderen Wichtigkeit, welche der diesmaligen Er öffnung de» deutschen Reichstages innewöhnte, haben wir bereits gestern, Dienstag Mittag den vollen Wort laut der Thronrede durch Extrablatt veröffent licht und dasselbe unfern sämmtlichen Abonnenten auf dem gewohnten Wege zugestellt. Sollte einem oder dem andern unserer geehrten Leser da» Extrablatt nicht zugegangen sein, so bitten wir, uns davon Mit theilung machen zu wollen. D. Red. — Eibenstock. An Stelle de» in gleicher Eigenschaft nach Leipzig versetzten Hrn. Oberzollin- spector Or. Rudert ist der zeitherige Stationskontro- leur Zollinspektor Hr. I)r. Junge zum Oberzoll- inspector und Vorstand des hiesigen Hauptzollamtes ernannt worden. — Dresden. Wie verlautet, werden Ihre königl. Majestäten nächsten Donnerstag, 5. Juli, die schon länger projektirte Reise nach Schweden, Nor wegen unc bezw. Dänemark in Begleitung des königl. Generaladjutanten Gencrallieutenant v. Carlowitz und des königlichen Flügeladjutanten Oberstlieutenant von Schimpfs und Sr. Exz. des Wirkt. Geh. Raths Oberst hofmeister und königl. Kämmerers v. Lüttichau, sowie der Hofdamen Gräfin von Einsiedel und Freiin von Miltitz antreten. Die Ankunft in Kopenhagen erfolgt am 6. und in Stockholm am 10. n. MtS. Die Ab wesenheit der Allerhöchsten Herrschaften ist auf min desten» vier Wochen in Aussicht genommen. — Dresden. Die „Dr. N." schreiben unterm 26. d.: ES wäre müssig, zu streiten, ob der Gedanke, die deutschen BundeSfllrsten zur Eröffnung des Reichstag» um den neuen Kaiser zu schaaren, zu erst von Dresden oder München ausgegangen oder vom Großherzoz von Baden angeregt worden ist. Ge nug, die BundeSfürsten sind in eorpnre in Berlin erschienen und haben damit nicht blo» den Kaiser Wilhelm II. al» da» kaiserliche Oberhaupt de» Reichs freudig anerkannt, sondern auch durch ihre Theilnahme an der Reichstagseröffnung der Volksvertretung selbst eine Huldigung rargebracht. Allen voran König Albert von Sachsen! Seine Majestät führte, seinem königl. Range entsprechend, die Reihe der BundeSfürsten. Die Genugthuuug de» sächsischen Volks hierüber ist allgemein, und e» fand daher der Gedanke, Sr. Maj. dem König au» Anlaß seiner Theilnahme bei der NeichStagSeröffnung nach seiner Rückkehr von Berlin eine dankbare Huldigung darzubringen, überall freudige Zustimmung. Rasch beriefen die Herren Prof. I)r. Heger und Bankdirektor Or. Mehnert auf gestern Abend eine Zusammenkunft, welcher u. A. der Herr Oberbürgermeister Or. Stübel und Bürgermeister Bö- nisch beiwohnten. Man einigte sich, die Genehmigung de» König« selbst vorausgesetzt, zu Folgendem: Mor gen, al» am Mittwoch Abend, verlassen 6 Uhr die 4 größten Schiffe der DampsschifffahrtSgesellschaft da» Terrassenufer, um diejenigen Vereine und Körper schaften, sowie alle Bürger und Frauen Dresden», welche sich an der Huldigung zu betheiligen wünschen, nach der Königl. Sommcrresitenz zu führen. Die Schiffe fahren bi» Hosterwitz, dort ordnet sich der Festzug, der mit Begleitung zweier Militärkapellen die Maillebahn nach dem Bergpalai» in Pillnitz mar- schirt. Ein Gesangvortrag der Dresdner Sängerschaft eifolgt, dann hält Herr Oberbürgermeister Or. Stübel Namen» der Einwohnerschaft Dre-denS eine kurze, die Theilnahme unsere» König» bei dem wichtigen Ereignisse feiernde Ansprache, die mit einem Hoch auf König Albert schließt. Da» Publikum singt einen Ver» der Sachsenhhmne „Den König segne Gott!"; e» folgt ein weiterer Vortrag der Sängerschaar. Der Abmarsch de» Zuge» unter allgemeinem Gesang de» Liede» „Gott sei mit Dir, mein Sachsenland!" be endet die Feier. E» ist natürlich Jedermann gestattet, auch mit einem anderen fahrplanmäßigen Schiffe, um 5, 6 oder '/,7 Uhr nach Hosterwitz zu fahren, auch ist die Ablassung eine» Extra-Eisenbahnzuge» nach Niedersedlitz um '/.7 Uhr in'« Auge gefaßt. Die Handwerker-, Sänger-, Turner- ev. die Politechniker- Vereine werden ersucht, mit ihren Bannern und sonstigen Wahrzeichen sich cinzufinden, um einen recht imposanten Zug herzustellen. Auch wirv Niemand der Theilnahme der Frauen Dresden» entgegentreten; denn gerade den Frauen kommt e» zu, den Geist der Vaterlandsliebe bei dem Heranwachsenden Geschlechte lebendig zu erhalten. Die Ovation wird an dem schönen Juniabend viele Tausende Dresdner nach Pillnitz führen. — Nachträglich wird über den Huldig- ungSact berichtet: In Anbetracht der in Aussicht ge stellten überaus regen Betheiligung ist in Erwägung der beschränkten Transportmittel und Raumverhält nisse seitens de» Festausschusses leider beschlossen worden, die Betheiligung von Frauen an der Ovation auszuschließen. — Zwickau, 2b. Juni. Der gestern früh von hier nach Aue, Schwarzenberg, Schönheide, Eibenstock, Johanngeorgenstadt abgefertigte Regieextrazug mußte in zwei Theile zerlegt werden und ging statt 7 Uhr 45 Minuten erst 8 Uhr 15 Minuten ab. Der erste Train führte 17 Wagen, brachte Passagiere von Crimmitschau und Werdau und nahm hier nur noch wenige Passagiere zweiter Klasse auf. Der zweite Train ging hier mit 13 gefüllten Wagen ab. Mit diesen beiden Zügen wurden ca. 800 Personen befördert. — Reichenbach. Zur Vornahme trigono metrischer Landesvermessungen weilen gegen wärtig Hauptmann Matthias vom Großen General stab und Premierlieutenant von Berirab hier und sind im „Hotel Lamm" abgesticgen. Eine Anzahl Soldaten verschiedener preußischer Regimenter sind diesen Offizieren zur Dienstleistung beigegeben. Die Arbeiten haben am Freitag auf dem Kuhberg, Signal station der europäischen Gradmessung, begonnen und werden bei entsprechender Witterung voraussichtlich nahezu zwei Wochen in Anspruch nehmen. Der eigentliche Dienst, die Einstellung der Spiegel, be ginnt täglich Nachmittags 3 Uhr und währt, bi» die Sonne unter dem Horizont verschwindet. Man be dient sich hierbei de» Heliotrops, eine« optischen In strument», welches au» zwei aufeinander senkrechten mit einem Fernrohr verbundenen ebenen Spiegeln besteht, von denen einer dazu dient, da» Sonnenlicht nach einem bestimmten, weit entfernten Punkte Hinzu wersen, so raß man daselbst den Spiegel hell er leuchtet sieht. Der andere Spiegel hat nur den Zweck, dem ersteren die nöthige Stellung zu geben. Sieht man nämlich zuerst durch da» Fernrohr nach dem ent fernten Punkte, in diesem Falle etwa dem Scheitel de» Fichtelberge», und dreht darauf beide Spiegel so, daß der Sonnenstrahl von bem einen derselben in'» Fernrohr geworfen wird, so wirft der andere Spiegel den Sonnenstrahl nach dem Punkte, wo der Spiegel sichtbar sein soll (Fichtelberg). Diese sehr sinnreiche Vorrichtung wird, wie eben auch hier, bei großen Landesvermessungen als Signal angewendet und ver tritt die Stelle der sonst so schwierigen Signale auf entfernten Standpunkten, zunächst der kostbaren und doch nur auf kurze Zeitmomente sichtbaren sogenannten Blickfeuer. Die Erleuchtung de» Spiegels ist so stark, daß man selbst bei einer Entfernung von vielen Kilo metern das Auge durch gefärbte Gläser schützen muß. Im Fernrohre konnte man da» vom JnselSberge au» mittels eines Heliotrops reflektirte Licht auf dem Brocken (also in mehr als 105 km Entfernung) noch gut sehen. Dabei hat der reflektirende Spiegel nur etwa 5 em Durchmesser. Bei vereinfachten Helio trop» bedient man sich statt de» Fernrohre» eines Diopters und auch nur eines Spiegels. — Ein Riesaer Restaurateur hatte in der Braunschweiger Lotterie, deren Loose ja in Sachsen durch die Post massenhaft verbreitet werden, gegen 1000 Mark gewonnen, und fuhr selbst nach Braun schweig, um das Geld zu holen; leider vergaß er die Rückkehr und hat dem Vernehmen nach Deutsch land den Rücken gekehrt, zum Leidwesen seiner vielen Gläubiger und eine» anderen Spielers, dem er auch einen kleinen Gewinn mitbringen sollte. — Bezüglich derKündigung von Wohnungen und anderen MiethSräumen bestehen folgende gesetzliche Bestimmungen: Wenn der jährliche MiethzinS 150 M. und noch mehr beträgt, so ist einjährige, und wenn er weniger al» 150 M. beträgt, halbjährige Dauer de» MiethvertrageS anzunehmen; e» endigt aber der Vertrag nach dieser Zeit bloS rann, wenn eine Kündigung, und zwar bi» 150 M. und mehr MiethzinS wenigstens ein halbe» Jahr und bei weniger al» 150 M. MiethzinS wenigstens ein Vierteljahr vor der beabsichtigten Auflösung de» Vertrage« erfolgt ist. Die Kündigung muß im ersteren Falle spätesten» am 31. März oder am 30. September, im letzteren spätesten» am 31. März, 30. Juni, 30. September oder 31. Dezember erfolgen, wenn sie für den Schluß de« nächsten Kalenderhalb- oder Vierteljahre» gelten I soll. Diese gesetzlichen Bestimmungen haben aller dings nur dann Giltigkeit, wenn zwischen Vermiether und Miether andere schriftliche oder mündliche Ver einbarungen vorher nicht stattgefunden haben. — Die soeben veröffentlichte statistische Erhebung innerhalb der Deutschen Turnerschaft zeigt nach allen Seiten hin wiederum die erfreuUchücn Fortschritte. Die Zahl der im Bereiche der deutschen