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Wenn sie für sich, ehe einer der Brüder e« wußte, in Erfahrung bringen konnte, welcher der bestimmte Erde sei, dann würde sie wissen, wie ihr Spiel enden solle. Eduard zu gestehen, daß Albert'« Aufführung ihre Liebe vernichtet; ihm anzudeuten, daß sie sich bewußt war, einen Jrrthum begangen zu haben, daß e« eigentlich der „arme Eduard" und nicht der „reiche Erbe" sei, den sie liebte, die Alles auszuarbeiten, ehe Eduard den Wechsel seiner Verhältnisse kennen lernte, die» war ihre Absicht, da« Ziel ihres Be nehmen« seit jener Nacht, wo Aurelie ihr im Garien die Wahrheit wegen de» vermißten Testamentes er zählt hatte. Doch der Tag war fast schon da, an dem sie von Arkersitz abreiscn sollte und der Zweifel noch nicht gehoben und wenn sie einmal fort war, wie sollte sie dann Gelegenheit finden, Entdeckungen zu machen? „Wenn ich da» Mädchen noch einmal sehen könnte, dachte sie, als sie die Bibliothek verließ. Zu der großen Uhr ausblickend, welche in der Vorhalle die Stunden anzeigte, sah sie, daß eS erst vier Uhr war. „Zeit genug für einen Spaziergang," sagte sie, indem sie einen leichten Ueberwurf umnahm, der zur Hand lag. Dann schlüpfte sic hinaus und ging in den Park, wo sie auf versteckten Pfaden, die man von den Fenstern des Hauses au« nicht übersehen konnte, den Weg nach der Parkhütte einschlug. Sie sand diese verschlossen und die kleine Nelly einsam an der Thür sitzend, von welcher aus sie da« Thor bewachte. Sie setzte sich neben sie, unter dem Vorwande, müde zu sein, und ihre Börse herauSziehend, gab sie dem Kinde einen goldenen Dollar. „Für die Sparkasse, Nelly, ich reise morgen ab." „So?" fragte die Kleine, indem sie gierig nach der Münze griff. „Da werde ich nicht mehr das Thor zu öffnen haben für die schönen Wagen. ES wird schrecklich einsam hier sein im Winter, glaube ich." „Ist Miß Bendlin zu Hause, Nelly?" „Sie wohnt jetzt nicht mehr hier, Madame." „So — wie lange ist sie denn schon fort?" „Eine gute Weile, seit Wochen. Sie und Mr«. Godwill gingen fort, ungefähr um die Zeit, wo der junge Herr geschossen wurde." „Wo ist Mr. Bendlin?" „O, er ist auch fort, aber nur für heute. Er ist nach der Stadt gefahren und ich erwarte ihn erst mit dem Zehn-Uhr-Zuge." „Und Du bist hier ganz allein, kleine Nelly?" „Ja. Da« thut aber nicht«; nur, wenn e« Nach! wird, werde ich mich schrecklich fürchten. Er sagte, wenn ich mich fürchte, solle ich zuschließen und im großen Hause in der Küche warten, bi« er kommt." Leonore blickte nachdenkend über den weiten Gras platz zwischen den Pappeln und den Lärchenbäume». Ein leichtes Erröthen stieg in ihr Gesicht. „Du solltest bald hineingehen, Nelly, Du bist zu klein, um hier allein zu bleiben, nachdem e« finster geworden. Aber Du mußt vorsichtig sein beim Ver schließen der Hütte, damit Alle« sicher ist." „O, ja. Ich verriegle die Küchenthür von innen; dann gehe ich zu dieser Thür heraus und verschließe sie mit dem großen Schlüssel; den Schlüssel verberge ich hier unter diesem Steine," fügte da« Kind mit der wichtigen Miene einer HäuShälterin hinzu. „Mr. Bendlin weiß immer, wo er ihn suchen muß. Die« ist seit undenklichen Zeiten der Ort, ihn zu verbergen. ES ist ein guter Platz — nicht wahr Miß?" „Gewiß," erwiderte Leonore und mußte vor den unschuldigen Augen de« Kinde« die ihren niederschlagen wegen der schlechten Absicht, die sie hegte. „Gut, Nelly," sagte sie einen Augenblick später, versprich mir heute Abend in'« Hau« zu gehen, ich würde mich sonst um Dich ängstigen. Die Köchin wird Dir Etwa« von den Süßigkeiten geben — ich werde ihr e» sagen. Und bleibe recht brav diesen Winter, dann will ich zum Frühjahre, wenn ich hier her zurückkehre, Dir etwa» Schöne« mitbringen." Dann stand sie von den Stufen auf, wo sie neben Nelly gesessen, und sagte, sich beim Fortgehen noch einmal zurückwendend, lächelnd: „Lege aber gewiß den Schlüssel unter den Stein und verlange von der Köchin etwa« Ei«-Cröme." Damit ging sie fort und da« Kind schaute ihr mit wcitgeöfsneten, entzückten Augen nach. Leonore konnte nicht unmittelbar zu dem Hause zurücktehren — ihr Herz schlug zu laut, und eS schien ihr, al« ob ihr Gesicht die Gedanken, die ihr Hirn durchzuckten, offenbaren müsse. Sie hatte noch nie ein Verbrechen begangen. Sie halte die gröbsten Lügen gesagt, hatte alle Arten weltlicher Künste an gewandt, und jetzt — trat die Versuchung, die leere Hütte nach irgend welchen Beweisen der Wahrheit dessen, wa« Miß Bendlin ihr erzählt hatte, zu durch suchen, an sie heran. War eS nicht wahrscheinlich, daß der Vater de« Mädchens — welcher seit so lange schon Verwalter auf Arkersitz war — da« Testament in seinem Be sitzt hatte? Wa« würde e« schaden, wenn sie e» nur anblickte? Sie schritt weiter, mit der Versuchung kämpfend, bi« die Sonne hinter einer Mauer dunkler Wolken unterging und eine finstere Nacht ankündete. Inzwischen lehnte sich Albert, den man in der vom Feuer erleuchteten, warmen Einsamkeit de« Biblio- thekSzimmer« allein gelassen, in seinen Lehnstuhl zu rück — seine blonden Locken sahen wie Gold au« auf dem dunkelrothen Sammet — und dachte nach über die kleine Scene, die sich zwischen ihm und seiner Braut zugetragen. Er war überrascht über da« Ge fühl, da« sie gezeigt hatte, und — gerührt. Er hatte Leonore immer für sehr vergnügungssüchtig gehalten und glaubte, daß sie sich kaum sehr über seine kleinen LiebeSangelegcnheiten kränken würde, wenn sie nur Herrin von Arkersitz wäre, mit einer Anzahl Gäste, einem Corp« Diener, Pferden und Wagen zu ihrer Verfügung und Geld für ihre Toilletten, so viel sie wollte. Er hatte sie sich gedacht wie eine Frau, auf die man stolz sein könne, — die die Würde de« Hau se« zu repräsentiren vermochte — die Diamanten tragen und bei Tische präsidiren sollte; er hatte sie außerordentlich bewundert, denn auch Albert war ver gnügungssüchtig und ein Freund von Aeußerlichkeiten. Da« ganz neue und unerwartete Gefühl, das sich in seiner Brust nach seiner Bekanntschaft mit Aurelie entwickelt hatte, war für ihn eine große Ueberrasch- ung. Im Anfänge hatte er nur beabsichtigt, sich einem sehr, sehr hübschen Landmädchen gegenüber liebenswürdig zu zeigen. Gegen seine Wünsche, ja, gegen seinen Willen war er jedoch in den Strudel einer Leidenschaft gezogen worden, die ihm neu, selt sam süß und berauschend vorkam. Aurelie'S Liebe war ihm wie eine Offenbarung erschienen. Ihre Un schuld, ihre Natürlichkeit hatten ihn bezaubert, — ihre Tiefe, ihr Feuer seine bessere Natur erregt. Er hatte gegen diesen Reiz angekämpft, nicht nur, weil er mit Miß Dont verlobt war, — sondern auch des halb, weil Aurelie mit all ihrer wundervollen Schön heit und ihrem Geiste nur die Tochter seine« Ver walter« war. Wenn er ihr begegnete, war ihre Macht über ihn unwiderstehlich; von ihr entfernt, war ihm doch Leonore die stolze, fein erzogene Dame, deren vornehmes Wesen ihm am besten zusagte. Albert Arker war nicht der erste Mann, welcher so zwischen zwei Gefühlen umhcrschwankte. Als er nun in seinen Krankenstubl zurückgelehnt dasaß, ganz verwirrt durch Leonore'« Frage: „Glaubst Du nicht, daß ich das Recht hätte, mit Dir zu brechen?" — wurde sein Herz plötzlich von einem Gefühle über wältigender Freude erfaßt bei dem Gedanken. Wenn sie selbst mit mir bricht, bin ich dann nicht vollständig frei, und im Stande, Aurelie zu heirathen? O, mein Vögelchen! Meine Aurelie! Welche himmlische Glück seligkeit! Welch süße« Entzücken, Dich in meine Arme schließen und Dir sagen zu können, daß Du ganz die Meine bist! Wenn Leonore mich aufgiebt, wa« hindert mich dann? — Nur mein eigener Stolz. Ich werde kein solcher Narr sein, die süße Liebe meines Mädchen« hinzuwerfen, weil sie mir keine andere Mit gift bringt, al« ihre wunderbare Schönheit und Treue. Ich habe keinen strengen Vater — keine stolze Mutter, die mir meine Freude vergällen könnten. Wir kön nen hier glücklich leben, wie die Engel. Warum nicht?" Ein ungeduldiger Seufzer entfuhr ihm, als er von diesen glänzenden Träumen in die rauhe Wirk lichkeit zurückkehrte, geweckt von Mr«. Dont'S Stimme, die ihn fragte, wie er sich fühle, und sich daran er innerte, daß Leonore ihm seine Freiheit noch nicht zurückgegeben — e« vielleicht auch nicht zu thun ge dächte. Er schauerte ein wenig, al« er Madame'« Stimme hörte und erwiderte, daß er ermüdet sei. Auf seinen Wunsch kamen Eduard und John, um ihn in sein Zimmer zurückzuführen. „Warum können wir in dieser freien Welt nicht thun, wa« wir am liebsten möchten?" fragte er un geduldig, al« sein Bruder ihn die Treppe hinauf geleitete. Neunzehntes Kapitel. Da« Testament. Die kleine Nelly that sich an dem EiS-Cröme gütlich in der großen Küche de« Herrenhauses und horchte mit Ehrfurcht und Entzücken auf die Unter haltung von einem halben Dutzend Diener, welche jetzt, wo die Mahlzeit vorüber war, bi« zu dem Kaffee Zeit hatten, ihre Bemerkungen über die „Herrschaften oben" zu machen. E« ist sehr angenehm, hier zu verweilen, statt allein in der kalte», kleinen Küche der Hütte zu frieren; sie hatte ihre Pflichten für den Tag erfüllt, und ihr Gewissen war ruhig, al» sie an die verschlossene Thür dachte und an den Schlüssel, der in seinem Verstecke lag. Oben bei der Tafel war e« etwa« langweilig — da nicht ein Gast da war, um dieselbe zu beleben. Miß Welten war selten sehr lebhaft, obgleich immer liebenswürdig; Mr«. Dont war ermüdet vom „Packen lassen"; Mr. OSdorne schien in Gedanken versunken; Leonore jedoch fah ungewöhnlich hübsch au«, mit einem rothen Flecke auf jeder Wange und dem Feuer zurückgedrängter Aufregung in ihren Augen; sie war die Einzige, welche viel sprach, über Alle« plaudernd, wie, al« ob sie Eduard« Bewunderung Hervorrufen wollte. Nichtsdestoweniger aß sic fast Nicht« und entschuldigte sich plötzlich vor dem Dessert. „Erwarten sie mich jetzt nicht im Gesellschafts zimmer, Miß Welten," sagte sie, al« sie den Tisch verließ. „Ich habe noch Einige« nachzusehen, da wir morgen abreisen." (Fortsetzung folgt.) Berliner Moden-Plauderei. Die Mode hat nicht mehr, wie ehedem ihre aus schließliche Residenz in Pari« aüfgeschlagen, denn wenn schon noch extravagante Toiletten genug au« der Seine stadl eingesührt werden, so regt sich doch mehr und mehr da« Nationalgesühl und ein jede« Volk, besonder« seine Frauenwelt, bestrebt sich, eigene Moden zu er sinnen, und so können wir denn auch Heuer ganz dreist von einer französischen, englischen und auch deutschen Mode sprechen. Während sich die französi schen Moden noch immer durch reich geraffte, gebauschte und durch Tournüren und Reifen gestützte Kleiderröcke auSzeichnen, gefallen sich die englischen Damen in schlanken, glatten Formen und haben dieselben da« stützende Kissen auf ein Minimum beschränkt. Die deutsche Mode endlich nimmt von der französischen al« auch von der englisch.» nur so viel, al« ihr gut und solide erscheint und ersinnen unsere deutschen Frauen auch vielfach nach eigenem Geschmack recht hübsche Toiletten. Den ernsten Zeiten entsprechend sieht man in Deutschland wenig lebhafte Farben, trotzdem dieselben für die Frühjahrstoiletten vielfach in Vorbereitung waren, schwarze, schwarz und weiß gemusterte und graue Kostüme werden vorherrschend getragen, nicht zum Nachtheil unserer Damen, denn eine derartige Toilette zeugt trotz ihrer Einfachheit von dem guten Geschmack der Trägerin. Wie schon wiederholt erwähnt, beherrscht die Neigung für verti kale Streifen alle Stoffarten, jedoch vereint man diese fast ausnahmslos mit einfarbigen Geweben in den hellsten oder dunkelsten Tönen de« Dessin« und ver mittelt hierdurch eine gewisse Ruhe in der Farben wirkung. Da« bisher respektirte Gesetz, den Rock aus gemustertem Stoff, Taille und Uederkleid au« einfarbigem herzustellen, wird nicht mehr beachtet, vielmehr in umgekehrter Ordnung verfahren. Eine letzte Neuheit brachten die bekannten Beige», mit farbigen, bandartig abgegrenzten Streifen, die dem Fond eingewebt, aber infolge de« köperartigen Gewebes wie aufgesetzt erscheinen, andere bringen auf Hellem Fond verschiedene dunkelfarbige Würfel oder Ringe zum Ausdruck. Zu grauen Toiletten bilden die mit Stahlperlen benähten grauen und die mit Jettstickerei verzierten schwarzen Borden zu schwarzen Kleidern nebst den bekannten Soutache- und Passementerie- Garnituren sehr hübsche Besätze. Die kleidsamen englischen Kostüme, welche au« den glatten an den Seiten geschlitzten Röcken bestehen, erhalten am Saum prächtige Soutachcstickereien, Passemenlerie- und Litzen besätze, während die Taillen häufig durch weiße Pikee westen und gestickte GalonS verziert oder in schlichter Amazonenform mit einer Knopfreihe, Tascheneinschnitten und Lützeneinfassung geschmackvoll gefertigt werden. — Die französische Mode bringt un«, im Gegensatz zu der deutschen und englischen, meist Toiletten, in lebhaften Farben und extravaganten Formen und begünstigt die gerafften und gebauschten Kleiderröcke. Ein grelle« Ziegeiroth, Altrosa, Saphirblau, sowie dunkle und originelle Farben, deren Namen dem Reiche der Amphibien entnommen sind, bilden die französischen Modefarben und so werden wir denselben auch wohl in Deutschland, wenn auch hoffentlich ver einzelt, begegnen. Ein dunkle« Olivengrün nennt sich indische« Krokodilgrün, ein hellere« dagegen Schlangengrün, selbst Aligatorbraun und Molchsarbe ist vertreten. Sicher hätten sich wohl auch andere Namen für besagte Modefarben gefunden, allein die Pariserinnen lieben nun einmal da« Außergewöhnliche, ein jeder nach seiner Weise! — Die bereit« mehrfach erwähnten Nackenschleifen fangen in letzterer Zeit an, recht in den Vordergrund zu treten, sie werden augenblicklich von breitem Morieeband geschlungen und hängen die Enden meterlang aus da« Kleid herab. Statt der HalSrüschen wird mehr und mehr der schlichte Leinenkragen bevorzugt, auch ergänzen breite Krawatten au« Ortzpe äv Oiiinv oder Krcpplisse häufig äußerst kleidsam die den Hal« frei lassenden Umlege kragen der Kleider. Ferner kommen die anmuthigen Musselinfichu«, welche vor ungefähr hundert Jahren ein beliebte« Putzstück der Frauen und Mädchen bildeten, gegenwärtig von Neuem in Aufnahme und ergeben sogar zu Gesellschaftskleidern eine effektvolle Taillengarnirung in der Weise, daß der verrundete Aufschnitt der Taille durch ein leicht gefaltetes und mit einem Plisseevolant besetzte« Fichu au« Seiden musselin bedeckt ist, dessen Enden sich in Form eine« schmalen Jabot« am Taillcnschluß entlang bi« zur Schnebbe herabwinden. Druck und Lerlag von E. Hannebohn in Eibenstock.