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Boten au» der Stadt kommen lassen und sich Alles zugeschnitten und selbst gemacht. Bendlin hatte sich der Annahme der Einladung so sehr widersetzt, als er konnte, ohne sie dircct zu verbieten, doch Aurelie war in einem Zustande der größten Aufregung und Erwartung. »Ich möchte e» um Nicht- in der Welt jetzt aus geben, höchsten« wenn ich ein Leben dadurch retten könnte," sagte sie zu ihrem Vater. Ich erwarte so große« Amüsement, e» wäre eine Grausamkeit von Dir, c« mir zu verbieten," und da er ihr in die glänzenden, erregten Augen sah, hatte der nachgiebige Vater nicht da« Herz, die« zu thun, obwohl die Ver nunft ihn drängte, energisch .nein" zu sagen. Albert hatte sich fest an den Wortlaut seines Ver sprechens gehalten, daß er Bendlin gegeben; er hatte Aurelie nur in MrS. Godwill'S Gegenwart gesprochen; doch bei der zweiten Zusammenkunft, in welcher das Bild verabredet worden war, hatten sic leise mit einander conversirt. »Wir bitten Sie tausend Mal um Verzeihung, Mr«. Godwikl," hatte er lächelnd gesagt, „doch Miß Bendlin wünscht, daß unser Bild auch für Sie eine Ueberraschung sei." Er sprach nicht ein Wort der Liebe oder der Schmeichelei, doch sein zärtlicher Ton und die glüh enden Blicke bedurften keines Dolmetschers. Von sieben bis acht war das Souper im Speise saale, einem riesigen Raume, welcher sonst fast düster, doch bei dieser Gelegenheit brillant erleuchtet war. ES war das gewählteste Souper, welches der größte Restaurateur der Stadt nur hatte liefern können und wurde verschönert durch die ausgezeichnete Ausführung einiger Musikstücke des Orchesters. Die Anzahl der Gäste war nicht sehr groß, nur ungefähr hundert; die Gemäldegalerie bot bequem Raum für Alle während der Vorstellung. Aurelie hatte Mr. Arker gesagt, daß sie zu keiner der vorhergehenden Unterhaltungen kommen, sondern erst in dem Bilde sich zeigen würde; dann wollte sie vielleicht, wenn es ihr gefiel, zum Balle dableiben. MrS. Godwill war nur zu froh, daß sie nicht nöthig hatte, früher mit ihrer Pflegebefohlenen zu erscheinen, und noch froher wäre sie gewesen, wenn sie ganz hätte fortbleiben können. ES waren mit diesem alten Hause Erinnerungen für sie verbunden, welche ihre verborgensten Gefühle wachriefen; doch Andree Arker lag in seinem Grabe, und alle die, die sie gekannt hatte, waren vom Schau platze verschwunden, außer den beiden jungen Söhnen, welche au» hübschen kleinen Knaben zu noch hübscheren jungen Männern emporgewachsen waren. Für sie mußte da» große, alte Gebäude voll unsichtbarer Geister sein — unsichtbar für die heitere Umgebung, doch ihr um so fühlbarer. Wie viele, viele Male hatte sie diese Räume von aristokratischen Besuchern erfüllt gesehen, ehe der schmutzige Geiz Andree Arker» da» Spinnwebennetz de» Schweigen« und der Vergessenheit darüber gebreitet. Als ihre zarten Füß chen noch die Leichtigkeit der Jugend besaßen, waren sie in so mancher festlichen Nacht in melodischem Takte durch diese langen Galerien geflogen. E« mußte in der Thal traurig und schmerzvoll für sie sein, hier zu sitzen an diesem Abende, ein Schatten unter Schatten, um so fühlbarer im Gegensätze zu der Heiterkeit der Anderen. Doch Aurelie Bendlin brauchte eines Weibes wachsames Auge und deren klugen Rath, um so mehr, da sie so vollständig uner fahren war und keine Ahnung von der Gefahr hatte, die ihr drohte. „Irregeleitet, eigensinnig und leidenschaftlich," über legte Sallh, al« sie in dem kleinen Wohnzimmer saß, in einem einfachen grauen Seidenkleide, mit einem Spitzenhtiubchen auf ihrem reichen, dunkeln Haar und wartete, daß Aurelie au« ihrem Zimmer herunter kommen sollte. „Ein sehr interessantes Mädchen, ein eigenthümlich schöne« Geschöpf — doch kaum die Frau, welche für Eduard O«dorne paßt, selbst wenn er sie erringen könnte. Ich bedaure seine Verblendung und wünsche nur, daß er dieselbe überwinden möge!" Da« köstliche Souper war vollständig gewürdigt worden, und jetzt befanden sich die Gäste in der Ge mäldegalerie und erwarteten mit Ungeduld da« Auf ziehen de« Vorhanges. Endlich wurde ihrem Ver langen willfahrt und da« erste Bild zeigte sich: „Sie brachten ihn heim und er war todt." Sicherlich war weder Geld noch Sorgfalt in der Zusammenstellung diese« Bilde« gespart worden. Die Bühne stellte ein Zimmer in einem Schlosse dar zur Zeit der Königin Elisabeth; die Möbel waren historisch treu, selbst bi« auf die Tapeten und die Leuchter, welche die Wachskerzen hielten. Eine schöne Dame war gerade von dem geschnitz ten Eichenstuhle aufgesprungen und stand, auf eine Bahre herabblickend, welche vier Herren vor sie hin gestellt hatten, die sich noch mit gesenkten Häuptern, die Federhüte in der Hand, am Kopf- und Fußende derselben befanden. Auf der Bahre ruhte der er schlagene Krieger im schönen Helkentode, da» Schwert an seiner Seite, die Farben seiner Dame am Arme. Der entsetzte Ausdruck, die Blässe de» Schreck» und Schmerze» auf dem Gesicht der Dame waren vorzüglich getroffen. Da» schwarze Sammtkleid und die Stuartkrause hoben die blonde Schönheit Leono- ren» ebenso, wie die Todtenbahre Albert Arker» feinen Kopf und seine hübschen Züge. Im Hintergründe war eine Gruppe entsetzter Diener und Dienerinnen, und in deren Mitte die neunzigjährige Amme, welche ! das kleine Kind de« Todtcn hielt. ' Da» Bild war so gut dargestellt, daß e« fast er schreckend wirkte in seiner stummen Beredtsamkeit, und ein tiefer Seufzer entrang sich den Lippen der Zu schauer, al« der Vorhang fiel; e» dauerte eine volle Minute, ehe sie daran dachten, zu applaudiren. E» würde ermüden, wollten wir noch die drei folgenden Bilder beschreiben, wir erwähnen nur, daß noch in zwei derselben Leonore Heldin war. Al- Marie Antoinette war sie geradezu entzückend und der Applaus, den sie erhielt, befriedigte selbst ihre ver wöhnte Natur. Beherrscherin der Darstellenden, Beherrscherin der Herzen und bald Herrscherin auf Arkersitz, schien e» Leonore an diesem glücklichen Abende, al« ob sie daS Ziel aller ihrer Wünsche erreicht habe. — „Theuerste, Du hast alle meine Erwartungen übertroffen," flüsterte Albert, ihre Hand küssend, als der Vorhang zum vierten Male unter einem Beifalls stürme fiel. „Ich bin stolzer auf Dich al» je. Und jetzt bitte ich Dich, sowie auch die anderen Damen, sich für einige Augenblicke zu den Zuschauenden zu setzen. Ich habe noch ein kleines Bild al« Ueber raschung für Die, die ihr Werk so schön vollbracht haben. Sie verdienen eine Belohnung für ihre An strengung, und diese soll ihnen werden." „Noch ein Bild!" rief Leonore, indem ein dunkle» Roth ihr Gesicht überzog. „Ich fürchte, die Zuschauer sind schon ermüdet. Was kannst Du ohne meinen Rath und meine Hilfe unternommen haben?" „DaS wirst Du sogleich sehen," antwortete er lächelnd. „Ich bitte, wähle Dir einen Platz, inzwischen will ich meine Gäste ersuchen, noch einige Minuten au«zuharren." Leonore verließ zögernd die Bühne; eine wilde Eifersucht, deren Gegenstand ihr unbekannt war, hatte sich ihrer bemächtigt; ein Gedanke an dieses schöne Geschöpf von niederer Geburt in der Parkhütte stieg in ihr auf — konnte da« sein? Zitternd vor Aerger und Aufregung eilte sie ihrem Platze zu, während Albert vor den Vorhang trat und seine Freunde bat, noch eine Scene abzuwarten, welche sogleich dargestellt werden sollte und die sich betitelte: „Die gespenstige Dame von Arkersitz." Eduard hatte während aller vorhcrgegangenen Aufführungen ruhig neben MrS. Godwill gesessen. Er nahm keinen Antheil an den Aufführungen, theil- nahmSloS schaute er den Vorgängen auf der Bühne zu. Die neben ihm sitzende Dame hatte dies mit Bedauern bemerkt. „Er ist zu ernst und traurig für sein Aller," dachte sic. „Doch daS soll nicht immer so sein." „Die gespenstige Dame von Arkersitz," wiederholte Eduard; „welchen besonderen Titel führt dieses Bild! Finden Sie nicht, MrS. Godwill? DaS ist natürlich dasjenige, in welchem Miß Bendlin erscheinen wird. Ich habe keine Idee davon, was eS vorstellen soll. Wissen, Sie etwas?" „Nicht das Mindeste; Aurelie hat vor Niemandem ihr Costüm sehen lassen. „Ah!" stieß Eduard heraus, als der Vorhang langsam in die Höhe ging. „Ah!" wiederholte Sallh fast aufschreiend, die Hand auf daS Herz drückend, als sie sich halb auf richtete und gespannt hinblickte. Eine geisterhafte Gestalt stand in der Mitte des < Raumes — die Gestalt eines weiblichen Wesen», der maßen in Wolken durchsichtiger Draperien eingehüllt, daß sie wie ein undeutliche«, gespenstische» Phantom erschien. Einige Schritte entfernt, vor ihr zurück schreckend, die Hände abwehrend auSgestreckt, mit einem Ausdrucke der Furcht in seinem Gesichte, stand Albert Arker. Wolke um Wolke der durchsichtigen Umhüllung verschwand wie durch einen Zauber, während er athem- lo» vor Schrecken und Verwunderung sie anstarrte, bi» der Schein des schwarzen Haare«, raS Funkeln von Juwelen und die reizenden Umrisse einer jugend lichen Gestalt sichtbar wurden. Falte um Falte, eine Hülle nach der andern von der Flordraperie verflüch tigte sich, bi» da» Phantom, daS ihm al» ein Besuch aus jener Welt so fürchterlich erschienen war, vor ihm stand — ein schöne« junges Mädchen, dem ein schalk hafte» Lächeln um die blühenden Lippen spielte. Ein junge» Mädchen von seltsamer, wunderbarer Schön heit, welche die Zuschauer an die Houri» de» Para diese» erinnerte. Außer den Beiden, welche den unterdrückten Schrei au-gestoßen, und Leonore von Dont, deren Wangen leichenblaß waren vor Aerger, wußte Keiner, wer , diese» herrliche Mädchen war und woher sie kam, doch konnte Niemand den Blick von dem jungen, lieblichen, pikanten, lächelnden Gesichte abwenden; sie erschien wie eine tropische Blume in ihrer schönsten Blüthe mit den dunkeln, köstlich schmelzenden Augen, dem süßen, zarten, kleinen Munde, dem schwarzen, welligen Haare, den Wangen, welche Oleanderkno»pen Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock. glichen, und der sammetartigen Haut an Hal» und Armen. (Fortsetzung folgt.) Verlorene Tage. Bon F. Stöckert. Wer kennt sie nicht, solche verlorenen Tage, an wel chen die Welt un« grau verschleiert erscheint, und alle», wa» unser Blick nur streift, eine trübe melancholische Färbung hat. Eine dasein-müde Stimmung liegt wie ein Alp auf un», und doch finden wir den Grundton derselben oft nicht heraus, um ernstlich dagegen zu kämpfen. Geht ein solcher trüber Tag zu Ende, so athmen wir erleichtert auf, der nächste Tag, so hoffen wir, soll und muß un» in besserer Stimmung finden. Und in der Regel sind auch, besonder» wenn wir noch jung und lebensfroh, über Nacht die dunklen Schleier ge fallen, die un» den Blick auf alle» Schöne und Gute, wa» Mutter Erde un» bietet, geraubt hatten. Wir sind eben Stimmungsmenschen, abhängig von Kleinig keiten. Der Veilchenstrauß, oder die Rose, die eine liebe Hand un» am Morgen reicht, vermag un» oft für den ganzen Tag heiter zu stimmen, während ein kleiner Verdruß schon am frühen Morgen un» unsere gute Laune für den Tag verderben, und denselben zu einem verlorenen machen kann, wenn wir nicht eben mit ernstlichem Willen dagegen kämpfe», und die Ver stimmung al» eine Laune anschcn, die überwunden werden muß. Biele Menschen gefallen sich aber darin, finden sich interessant, in dieser melancholisch ange hauchten Stimmung, und verlangen von ihrer Um gebung, daß diese noch mit Interesse ihre nichtigen Klagen anhören soll. In der Regel wird auch diese Höflichkeit, wenn auch mit einigem Zwang, beobachtet. Eigentlich aber sollte da» nie geschehen, einige strenge aber gutgemeinte Ermahnungen wären da viel eher an dem Platz. DaS schwächere Geschlecht hat besonders gegen die Verstimmungen solcher verlorenen Tage zu kämpfen, denn gerade die kleinen Sorgen der Haushaltung bringen genug kleine Verdrießlichkeiten mit sich, die un» die Laune verderben können. Mag ein Haushalt noch so musterhaft geführt werden, hie und da giebl eS doch einmal ein angebranntes Gericht, zerbrochene» Geschirr, und al» natürliche Folge davon eine ver stimmte, zankende, mit ihrer Umgebung hadernde Hausfrau. Der Gatte, die Kinder, die Dienstboten, Alle haben darunter zu leiden, und schließlich wird der Tag für das ganze HauS ein verlorener. Denn nicht jede von un» hat so viel Charaktergröße, oder, wa« in diesem Fall ebenso gut ist, gesunden Humor, um solche kleinen Aergernisse glücklich und ohne Ver stimmung zu überwinden; aber Jede sollte sich ernst lich bemühen, ihre innere Stimmung stet» in Har monie mit der Außenwelt zu erhallen. Eine so harmonisch gestimmte Natur bleibt der größte Segen für jede Häuslichkeit, und ist oft werth voller, al» die sogenannten Talente, die zur Behaglich keit eine» Hause» weniger nothwendig sind. Giebt e» doch so manche Häuslichkeit, wo alle schönen Künste mit Eifer und Bravour getrieben werden, und in welchen sich doch kein Gast recht behaglich fühlt, wäh rend in anderen Häusern, in welchen den Musen vielleicht weniger gehuldigt wird, e» jedem Gast von vornherein behaglich anmuthet. Wir sind un« manch mal selbst nicht darüber klar, wa» gerade diese» oder jene» Hau» zu einem so anziehenden, gemüthlichen Aufenthalt macht. Die Einrichtung dort ist weder elegant noch stylvoll, die Kinder, wenn auch artig und wohlgezogen, sind durchaus keine Engel und Wunder kinder, die Hausfrau ist nicht schön, auch nicht talent voll oder geistreich, und doch ist diese Häuslichkeit voller Poesie und Behagen. Sollte dieser Zauber mehr auf eine harmonisch gesinnte Natur zurückzu führen sein? Vielleicht ist e» nicht einmal die Haus frau selbst, sondern nur eine Tochter, eine Nichte, oder sonst irgend ein weibliche» Wesen, von der die Lichtstrahlen ausgeben, die den Schimmer von Be hagen über Alle» verbreiten; die nirgend» eine Ver stimmung auskommen lassen, und mit einem guten Wort, mit einem Scherz, über die kleinen Verdrieß lichkeiten frohmuthig hinweghelfen. In solchen Häu sern giebt e» so leicht keine verlorenen Tage, und breiten solche doch einmal ihre Schatten darüber au», dann haben sie ihre Berechtigung, dann ist e« ein tief eingreifende» Leid, da» solche dunklen Stunden hervorgcrusen. Diese Stunden dumpfen Schmerzgefühl» sind dann allerdings auch verloren für die Außenwelt, aber nicht für unsere innere Welt. Sie läutern und stählen die Herzen durch große« Leid, während jene trüben Tage mit ihren kleinen Leiden, ihren Verdrießlichkeiten und ihren Verstimmungen, wenn wir un» denselben rück- haltSlo» hingeben, wirklich verlorene Tage sind.