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Beilage zu Nr. 36 des „Amts- und Aiyeigeblattes". CibenstoÜ, den 24. März 1888. Ein dunkles Geheimniß. Roman aus dem Amerikanischen. Frei bearbeitet »an August Leo. iS. Fortsetzung.) „Da» Ehrenwort Albert ArkerS sollte genügend sein," antwortete David zögernd. „ES wird e» sein," rief Albert, seinen Verwalter mit den blauen, offenen Augen ernst anblickend. „Ich gestehe zu, daß ich Unrecht gethan, Bendlin; aber bei meiner Ehre, hätte ich Ihre Tochter gesehen, als ich noch frei war, wäre ich nur zu froh und stolz gewesen, sie zu meiner Frau und zur Herrin von Arkersitz zu machen. Ich bin sehr unglücklich, — Sie müssen ein wenig Mitleid mit mir haben." BendlinS strenger Zorn besänftigte sich ein wenig, als er den Beschuldigten so demüthig um Vergebung bitten sah. Niemand konnte dem eigenthümlichen Zau ber von AlbcrtS Blicken und Manieren widerstehen und dadurch war seine Selbstsucht entstanden. „Sie werden mich nicht einem Fremden überlassen, nicht wahr?" fügte der junge Gutsherr hinzu. „Ich verlasse mich auf Sie, um die Neubauten zu leiten." „Wenn Sie in Wirklichkeit so bald abreisen und inzwischen Ihr Versprechen nicht vergessen, so will ich mich nickt weigern, den Winter über noch hier zu bleiben, Mr. Arker." „Ach! Ich freue mich außerordentlich, daß Sie sich das überlegt haben. Ich bin Ihnen wirklich dank bar, Bendlin. Und bei der Gelegenheit noch eins: ich versprach, als ich zurückkehrte, Miß Aurelie einzu laden, wenn ich einen Ball gäbe; in einer Woche wird der Ball stattfinden. Wollen Sie ihr und Mr«. Godwill sagen, daß ich sehr glücklich sein würde, sie unter meinen Gästen zu sehen, und sehr enttäuscht wäre, wenn sie mir die Ehre ihres Besuche« verwei gerten." „Ich werde Ihre Botschaft überbringen, da Sie sie durch mich senden; doch ich werde sie warnen und ihnen rathen, die Einladung nicht anzunehmen." „Miß Bendlin besitzt die für ein junge« Mädchen so natürliche Neugierde, die große Welt zu sehen; bitte verweigern Sie ihr nicht diesen einzigen Blick," sagte Albert lachend. „Ein Blick, um sie dann mit ihrem eigenen Le- benSloose unzufrieden zu macken! Da« ist scklimmer als leichtfertig!" murmelte David. „Sagen Sie dem Kinde lieber nichts von Ihrem großen Balle, Mr. Arker." Er ging und Albert seufzte tief. „Warum können sie mein liebe« Mädchen und mich nicht in Ruhe lassen," murmelte er. „Von allen Seiten werden wir gescholten. Ich warne Sie, Fräu lein Leonore, eS wird nicht vieler Unfreundlichkeit Ihrerseits bedürfen, um mir mein süßeS Mädchen so viel liebenswürdiger ersckeinen zu lassen, daß ich mit Ihnen brechen muß! Mein Vögelchen Aurelie würde mir nicht solche Gesichter zeigen. Ein Kuß von ihr wäre tausendmal mehr werth als der meiner stolzen Dame." Gefährliche Gedanken! — Wenn Leonore Dont dieselben kennen würde! Es war ein waghalsiges Experiment, ihrem zukünftigen Gatten zu zeigen, daß sie Launen habe. * * * Auf Arkersitz drehen sich alle Gedanken um den projectirten Ball: Die Damen unterhalten sich — besprechen ihre Costüme — die eingeladenen Gäste — die Decorationen. Sie sind von dem Adel der Nach barschaft so viel gefeiert worden, daß ein schöner Ball da« Wenigste ist, womit man sich rcvanchiren kann. Dieser Ball soll daher eine Bereinigung verschie dener Vergnügen sein, ein Sommerfest sowohl wie auch ein Tanzvergnügen. Illumination, Fahnen, Zelte, eine Militärkapelle und ein Tanzsaal auf dem Gras platz sind für da« Fest projeclirt. Es wird gerade Neumond sein und dadurch Werde r die bunten Lam- , pcn und Lampions ihre schönste Wirkung hervorbrin- gen. Die Gemäldegalerie soll im Hause zum Tanz saale umgewandelt werden, mit einer kleineren Kapelle von Streichinstrumenten. Vor dem Tanze, welcher erst um zehn Uhr beginnt, soll ebenfalls in der Ge mäldegalerie eine Reihe lebende? Bilder stattfinden, wozu an dem einen Ende derselben eine Bühne er baut wird mit Coulissen, Vorhängen rc. rc. Zwei oder drei der schönsten jungen Damen aus der Nach barschaft sind mit mehreren Herren auserwählt wor den, an den Bildern theilzunehmen; diese kommen schon NackmittagS nach Arkersitz, um noch die letzte Probe zu halten und Alles zu besprechen, kurz eS herrscht eine angenehme Aufregung und selbst Leonore entschließt sich liebenswürdig zu sein. Sie ist in drei oder vier Bildern beschäftigt, natürlich in den Rollen der schönsten Heldinnen, mit den ausgesuchtesten Toi letten, und ihre Eitelkeit ist mehr als befriedigt. Doch Albert» Geist beschäftigt nur ein Gedanke: „Wenn ich doch mein Vögelchen diesen vornehmen Schönheiten zeigen könnte. Beim Jupiter! Was wäre e» für ein Vergnügen, sie unerwartet einzusühren und j jene mit ihrem unvergleichlichen Reize zu verblüffen!" Eduard nahm wenig Theil an dem Alle» absor- birendcn Tagesereignisse. Er brütete stillschweigend über da» doppelte Geheimniß der vergangenen Nacht. Er konnte sich e» nicht enträthseln, wa» wohl Sally Godwill von dem verborgenen Testamente wisse? Welches Interesse konnte sie daran haben? Auch machte ihn die Erinnerung elend, die Erinnerung an das strahlende Mädchengesicht am Fenster — ein Gesicht, das sich bei seinem Anblicke niemals so glück selig röthete. Wie wenig sein Bruder die« Glück zu schätzen wußte, das ihm so unschätzbar erschien! Da war Albert leichtsinnig zufrieden, seine Gedanken nur auf den Ball richtend, während er doch wußte, daß Aure- lienS Herz brechen mußte um seinetwillen. Warum sollte Albert Alles haben? Diese blonden Locken, diese heiteren Augen, dieses liebenswürdige Wesen, diese« reiche Bcsitzthum und da« Herz Aurelie BendlinS auch? Er fühlte sich verstimmt und verbittert. Er hatte sich vorher oft gesagt, daß selbst, wenn er seines Er folges sicher wäre, er sich wohl kaum die Mühe geben würbe, AlbertS Erbschaft anzufechten, daß Albert dazu geschaffen sei, reich und glücklich zu sein, und sich eher dazu eignete, den Herrn auf Arkersitz zu spielen, al« er, der so düster, zurückhaltend und ernst war. Heute war es anders, heute fühlte er, daß er eS mit ihm auskämpfen könnte, Zoll für Zoll auSkämpfen bis zum bitteren Ende. Kurz nach dem Frühstück verließ er die plaudernde Gesellschaft und eilte nach der Parkhütte, um MrS. Godwill zu sprechen und zu versuchen, ob er nicht Weiteres von ihr erfahren könne. „Ist Mrs. Godwill zu Hause?" fragte er die kleine Nelly, die er an der Thüre traf. „Nein, Herr, sie sitzt unter dem großen Nußbaume mit ihrer Arbeit. Der bezeichnete Ort war von dem Fahrwege aus nicht zu sehen, da das dichte Gesträuch ihn gänzlich verbarg, doch Eduard kannte ihn gut und erreichte ihn bald. Eine Bank stand unter den ausgebreiteten mächtigen Zweigen eines großen Nußbäume« und ge währte ein köstliche«, schattige« Ruheplätzchen. Sally Godwill saß auf der Gartenbank, ihr Korb mit Näh arbeit stand neben ihr. Aurelie lag halb auSgestrcckt in dem weichen, kurzen Grase zu ihren Füßen. Sally bewillkommnete den Gast mit einem Lächeln und einigen freundlich begrüßenden Worten; da» Mädchen nickte ihm gteichgiltig zu, und ihre Augen wanderten zu dem Buche zurück, in dem sie eben la«. Eduard setzte sich an da« andere Ende der Bank und begann eine gleichgiltige Conversation mit der älteren Dame. Jetzt, wo sein Blick durch die größte Neugierde geschärft war, bemerkte er die Spuren außerordent licher und vornehmer Schönheit in dem zarten, welken Gesichte; ebenso, daß ihre kleinen weißen Hände so sichtlich zitterten, daß sie kaum einen Stich machen konnte, obwohl sie äußerlich vollkommen ruhig erschien; zugleich beobachtete er, daß ihre Augen mehr al« ein mal verstohlene, aufmerksame Blicke auf ihn warfen, sonderbare Blicke, die ihn wie mit Zauberkraft an zogen, sobald er ihnen begegnete. Aurelie war vollständig in ihr Buch vertieft, und so fragte Eduard mit leiser Stimme MrS. Godwill, wie lange sie schon in der Gegend lebe. „Ich bin auf O«dorne-Ruh geboren," antwortete sie ebenso leise. „Wie sonderbar da« klingt, Sie den Ort bei sei nem alten Namen nennen zu hören, Mr«. Godwill!" „ES hieß OSdorne-Ruh, als ich noch Kind war, und bleibt mir deshalb immer so im Gedächtnisse." „Meinen Sie damit, daß Sie wirklich in dem Hause geboren waren?" fragte er. „Ja," sagte sie zögernd, indem sie einen Blick auf da« zu ihren Füßen sitzende Mädchen warf, „ich war selbst eine geborene OSdorne." „Dann kannten Sie vielleicht meine Mutter?" Sie blickte in da» erwartungsvolle Gesicht, da» eine zarte Hoffnung erhellte. „Ich war eine Zeit lang sehr intim mit ihr be kannt," antwortete sic langsam, während ihre Lippen bebten und ein weiche» Lächeln sich um ihren immer noch schönen Mund legte. O, MrS. Godwill, warum sagten Sie mir die» niemals früher?" Er war an ihre Seite gerückt und hatte ihre Hand ergriffen. Sic lächelte und blickte etwa» verlegen zu Boden. „Ich wollte Sie erst besser kennen lernen; wir haben un» noch wenig gesehen. Ja, Mr«. Arker und ich, wir waren sehr befreundet, — ehe sie zum zwei ten Male heirathete — und am gebrochenen Herzen starb. Ich weiß e«, wenn sie sprechen und mir e» ! sagen könnte, würde sie mich bitten, ihrem Sohne eine treue Freundin zu sein — wie ich e» auch selbst wünsche." „Meine theure Mr». Godwill, ich liebe Sie von diesem Augenblicke an," erwiderte Eduard OSdorne, ihre welke Hand an seine Lippen drückend — fast mit der Zärtlichkeit eine« Sohne». „O, wenn ich denke, daß Sie meine unglückliche Mutter kannten!" Sally wollte gerade antworten, al» Albert erschien und e« verhinderte. Wie hübsch — wie reizend er war! — selbst Eduard» Augen mußten die» anerkennen. Aurelie sprang auf und setzte sich mit niedergeschlagenen Augen neben ihre Gouvernante, während sie abwechselnd erröthete und erblaßte. „WaS für ein herrliches Paar da» wäre," dachte Eduard und fühlte einen stechenden Schmerz am Herzen. „Wäre ich an AlbcrtS Stellt, so schüttelte ich da« kalte, berechnende Geschöpf ab, der er verlobt ist, und heirathete diese« süße Wesen, von dem jeder Pulsschlag ihm gehört!" Auch Albert dachte mehr als einmal so, aber er war stolz und wünschte eine vornehme Dame al» Herrin auf Arkersitz; außerdem durchschaute er auch Leonore nicht — er glaubte, daß sie ihn aufrichtig liebe und es war ihm, al« ob er nicht das Recht habe, sie so tief zu verletzen und seine Freiheit von ihr zu erbitten. „MrS. Godwill," begann er in seiner leichten Weise, nachdem er die Damen begrüßt hatte, „ich möchte wegen de» Balles, den ich nächste Woche geben will, mit Ihnen sprechen. Ich wünschte, daß Sie und Miß Bendlin denselben mit Ihrer Gegenwart beehren. Versprechen Sie mir, daß Sie kommen wollen!" Aurelie sah mit begierigem Blicke auf ihre Gou vernante, ein brennendes Roth stieg in ihre Wangen und die großen, dunkeln Augen leuchteten. — „Aurelie brauche ich nicht zu fragen, ob sie die Einladung anzunehmen wünscht," entgegnete Mr«. Godwill mit beinahe traurigem Lächeln; „ihre Augen sprechen für sie, aber die Entscheidung steht ja doch ihrem Vater zu." „Ich habe Bendlin gefragt; eS schien ihm nicht ganz recht zu sein, aber er hat e» mir auch nicht verweigert. Sie müssen ihm die Erlaubniß abschmei cheln, Miß Aurelie. Ich möchte gerne, daß Sie in einem lebenden Bilde mitwirken. Sie würden mir einen großen Gefallen thun; ich habe eine kleine Ueberrasckung für meine Gäste erdacht. Vier Bilder sind schon arrangirt, ich möchte noch eine« vorbereiten, da« sie nicht mehr erwarten — eine angenehme Ueber- raschung, wie Sie sehen. Bitte, willigen Sie ein!" Aurclien« Herz schlug stürmisch. Da war eine Gelegenheit, diesen hochmüthigen Damen, welche sie vorher keiner Beachtung gewürdigt hatten, ihre Schön heit als ein ihr vom Himmel gegebene« Gut zu zeigen. Konnte sie ihre Rolle ohne Verwirrung oder schimpf liches Mißglücken durchführen? — Ja, sie wollte eS thun, sie wollte triumphiren, wollte ihnen Allen ihre Macht über den jungen Besitzer von Arkersitz zeigen. Obwohl die» wahrscheinlich ihr erster und ihr letzter Triumph, so wollte sie doch diese eine Stunde der Genugthuung haben! „Wenn Sie mir erlauben, das Bild zu wählen, so willige ich ein," erwiderte sie, indem ein köstliche» Lächeln die strahlende Schönheit ihre» Gesichte» noch erhöhte, und der junge Gutsherr war mit allem ein verstanden. Zehntes Kapitel. Lebende Bilder. Der große Tag de« Balle» kam; da» Wetter war günstig, da« Firmament heiter und die Luft nicht zu schwül. Auf Arkersitz summte e» vor lauter Ge schäftigkeit wie in einem Bienenkörbe. Im Garten wurden Zelte gestellt, Fahnen aufgerichtet und die Lampen und Lampion» befestigt, während drinnen im Hause die Damen sich für die lebenden Bilder vor bereiteten. Die Kammerjungfer Leonoren« hatte, schon seit einer Woche den Launen ihrer Gebieterin au»gesetzt, keine beneidenSwerthe Zeit verlebt; denn diese, so ent zückt sie auck war, von den ihr zugedachten hervor ragenden Rollen, war reizbar und verstimmt und be kam förmliche Wuthansälle, wenn die Costüme nicht auf da« Genaueste paßten oder der Faltenwurf ihrem Gcschmacke nicht zusagte. Die Misse« Branding hatten ebenfalls ihre nied lichen kleinen Rollen zu spielen, selbst der alte General erschien einmal al« Marschall von Frankreich mit Mr«. Dont al» seiner Frau auf der Scene, während der Cadett und der junge Engländer gleichfall« ge nügend beschäftigt waren. Inzwischen hatte sich Aurelie Bendlin in ihr Zimmerchen eingeschlossen und legte die letzte Hand an ihr Costüm. In welcher Kleidung sie erscheinen würde, da» war ein Geheimniß selbst für Mr». God will. Sie hatte die Materialien dazu durch einen