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Beilage m Nr. 30 -es „Amts- und Aiyeigeblattes" Ciben stock, den 10. März 1888. Ein dunkles Geheimniß. Roman au« dem Amerikanischen. Frei bearbeitet von August Leo. <3. Fortsetzung.) »Er ist schon lange genug hier, um meiner Tochter Liebe eingeflößt zu haben! Und er hat e« absichtlich gethan, obgleich er verlobt ist und schon diesen Herbst eine vornehme junge Erbin heirathen wird, welche sich jetzt auf Arkersitz befindet. Ich sage Ihnen, Sally, wenn er das Glück meine» Kinde- vernichtet, wird er den Frevel mit seinem Leben bezahlen." Er schritt in großer Aufregung im Zimmer um her. Sallh blickte ihm gedankenvoll nach; auch ihr Gesicbt sah bestürzt au-, sie liebte Aurelie ebenso, wie sie ihren Vater achtete, und sie war entrüstet über da» Benehmen de» jungen Erben. Außerdem hatte sie auch ihren eigenen Kummer, mächtige In teressen, die auf dem Spiele standen, und welche David nicht einmal errathen konnte. Ihre Seele war in den letzten Tagen bis in ihre tiefste Tiefe bewegt worden. Endlich sagte sie: „Ich will Ihnen sagen, wa» ich thun will, wenn e» Ihnen recht ist, David; ich will als Gesellschafterin Ihrer Tochter zu Ihnen ins HauS kommen, oder als Erzieherin; kurz, wie Sie mich nennen wollen. Ihre Musiklehrerin war ich immer, und so ist der Ueber- gang leicht, das heißt, wenn Aurelie mich haben will." „Tausend Dank dafür, Sallh! Die Aristokraten in dem großen Herrenhause werden zwar lachen, wenn des Verwalters Tochter eine Erzieherin erhalt, doch wa» kümmert mich ihr Lachen oder ihr Spott? Meine Tochter hat Sie sehr lieb, und ich bin versichert, daß sie froh sein wird, Sie um sich zu haben. Ich habe nicht nölhig, Ihnen zu sagen, daß mir mein Kind da» theuerste Gut auf Erden ist. Wann wollen Sie kommen?" „Morgen. Ein Aufschieben ist unnöthig." „Gott segne Sie, Sallh! Ich würde eS gern ge sehen haben, wenn Sie al» meine Frau gekommen wären, doch wenn Sie Aurelie eine Mutter sein wollen, soll meine Dankbarkeit ebenso tief sein." „ES ist mir genug, daß da» Kind mich braucht. Meine Pflicht ist mir klar." Er drückte ihre zarte Hand fest und warm, dann ging er. Sallh Godwill blieb in tiefem Nachdenken zurück. „ES wird dort besser für mich sein, al« hier," mur melte sie laut. „ES ist dem Hause näher und ich werde besser Gelegenheit haben, zu beobachten und aufzupassen. ES ist ganz nach meinem Wunsche; ja, gerade, wie ich es brauche. So, also Albert fängt an, seinem Vater zu gleichen! Da« thut mir leid, sehr leid! Nun, dann werde ich eS weniger bedauern, wenn ihm ein Unglück zustößt. Wenn er sich un würdig erweist, braucht nian ihn um so weniger be mitleiden. Arme, kleine Aurelie, schöne» Kino! Du bist zu einem besseren Loose geboren, al« der Selbst sucht eine« Arker zum Opfer zu fallen." 6. Capitel. Eifersucht. Auf Arkersitz gab e« frohe Tage, der Kelch de« Vergnügen« wurde bi« zum Grunde geleert. Die schönen Tage und die Hälfte der linden Nächte waren gesellschaftlichen Lustbarkeiten geweiht. Die Bewohner der benachbarten Villen und Landsitze beeilten sich, den Erben auf seinem Gute zu bewillkommnen. Da gab e« Lanoparthien, Croquetspiele, Abendtänze im Freien, musikalische Unterhaltungen, kurz einen Ueber- fluß an fröhlichen Zerstreuungen für eine heitere Ge sellschaft auf einem großen, alten Landsitze, wo un beschränkte Mittel den jungen Wirth in den Stand setzten, zur Unterhaltung seiner Gäste Alle« aufzu bieten. Selbst da- Wetter schien der Jugend und dem Vergnügen dienen zu wollen, denn e» blieb Woche um Woche unverändert schön. Leonore von Dont war in ihrem Elemente. Als die erwählte Braut — die künftige Herrin von Arker sitz, empfing sie derartige Huldigungen, wie sie sonst nur Höflinge ihrer Königin zollen. Da« ihr Bräu tigam weniger aufmerksam war, seit sie auf sein Gut gekommen, — ja, daß er zeitweise zerstreut und fast gleichgiltig gegen sie geworden, hatte sie nicht einmal bemerkt. Da sie nicht daran zweifelte, daß die reiche Hei- rath, die sie und ihre Mutter geplant halten, ihr sicher sei, und da ihr von anderen Seiten genug ge schmeichelt wurde, blieb sie der wachsenden Unacht samkeit Albert« gegenüber blind. Dieser seinerseits hatte nicht im mindesten die Absicht, seine aristokratische Braut zu verlassen, doch war er wie ein verzogene« Kind in schlechter Laune, da er sein Lcquettiren mit der schönen Tochter de« Verwalter« gestört sah. Au relie wurve von ihm fcrngehalten, und da« erweckte seinen Trotz und ärgerte ihn. Je mehr Schwierig keiten ihm in den Weg traten, desto entschlossener wurde er, seinen Willen durchzusetzen. Außerdem machte er noch eine Entdeckung: die Eifersucht hatte seinen Blick geschärft, und er hatte herau«gefundcn, daß sein Bruder Eduard fast mehr noch, al« er selbst, in die braune Schöne verliebt war. „Er will sie heirathen," sagte er sich. „Er kann e- thun, er braucht die Familienehre und den Glanz de« Hauses nicht aufrecht zu erhalten, wie ich! Glück licher Mensch! Seine Armuth ist sein Segen in diesem Falle. Er bringt mich zum Wahnsinne, daran zu denken, daß er mein glänzende» Bögelchen für sich gewinnen wird! Sie liebt mich und sie soll nicht die Seine werden, das schwöre ich!" Er konnte gut Eduard» Armuth einen Segen nennen, doch würde er verzweifelt darum gekämpft haben, sich den Besitz zu erhalten, den er zu reprä- sentiren halte, hätte ihm die Gefahr gedroht, seinen Reichthum zu verlieren. Vielleicht war die» der Fall, doch er hatte keine Ahnung davon, er stürzte sich in ein Leben voller Vergnügungen und blickte mitleidig auf seinen Stiefbruder herab. Eduard wurde täglich, ja stündlich ungeduldiger, denn zu seiner ohnehin unzufriedenen Stimmung kam noch diese seltsame, plötzliche, unvernünftige Liebe für ein unwissende» Kind. Weshalb liebte er Aurelie Bendlin? Weshalb ist der Himmel blau? Die Rose lieblich? Er besuchte sie zwei oder drei Mal wöchent lich, gewöhnlich, wenn David de« Abend« zu Hause war, plauderte mit diesem ein wenig und bat Aurelie dann, ihm einige Lieder zu singen. De» Mädchen« Stimme war schön, weich, frich, leidenschaftlich und gut geschult. In einer schattigen Ecke de» Wohnzimmer« sitzen und Aurelie beobachten, während sie sang, war Eduard« einzige« Glück. Und während er, seine ganze Seele in seinen Augen, ihr zuhörte, beobachtete ihn Jemand mit eben solchem Eifer — Sallh Godwill, die Frau, welche auf David« Bitten in sein Hau« gekommen war, um seine Toch ter zu beschützen. Sie war ein sanfte«, feines Geschöpf, mit leisem, weichem Organe, da« Eduard« Herz gewonnen, so bald er c« nur zum ersten Male hörte. Bendlin hatte dem jungen Manne erklärt, daß er Mr». Godwill al« Gesellschafterin und Erzieherin für seine Tochter engagirt hatte, und Eduard hatte da« gebilligt. Was aber dachte die Erzieherin über Eduard? Sie durchschaute ihn klarer, al« er selbst sich kannte und sah seine Leidenschaft für Aurelie Bendlin. Aber sie kannte auch seinen Stolz — den echten O-dorne- stolz — einen Stolz, den die Bitterkeit der Armuth eingedämmt, der aber deshalb nur um so mächtiger war, ebenso wie sie seine Zurückhaltung, seinen Edel- muih, seine Bildung und seine Zartheit kannte. „ES giebt wenige Mädchen, die für Eduard O«- dorne gut genug wären," sagte sie sich, indem sie sein seines, edles Gesicht beobachtete. „ES thut mir leid, daß er diese Zuneigung gefaßt hat, und ich hoffe, er wird e« überwinden; wenn nicht, so muß ich Alle« thun, wa« in meiner Macht steht, um Aurelie bi» zu seinem Stande zu erheben. Wa« fehlt dem Kinde? — Reiz, Anmuth und feine Manieren sind ihr an geboren; diese muß ich au«bilden. Sie hat Talent für Musik; ihr Wissen kann ich vermehren und an Schönheit werten ihr wenige gleichen. ES ist wahr, daß sie nur die Tochter eine« Verwalters ist. Doch — mag nicht da« Zigeunerblut, da« durch ihre Adern strömt, so rein und stolz sein, al« da« eines Prinzen? Ihr Großvater war in Wirklichkeit König der anda lusischen Zigeuner; und sie ist sicherlich die Königin der Schönheit." Doch, ob nun Mr«. Godwill Eduard» Huldig ungen billigte oder nicht — e« war gleichviel, denn Aurelie war gegen dieselben so vollständig gleichgültig, al« wäre er ein steinerne« Bild. Er kam und ging, ohne die geringste Beachtung ihrerseits zu finden, denn in der Tiefe ihrer Seele gab eS nur einen Gott der Liebe, einen leuchtenden, glühenden Stern — Albert Arker. Welches die Gedanken des Mädchen» während dieser langen, öden Sommertage waren, da» konnte selbst ihre Gesellschafterin nur errathen. Nach der Zurechtweisung ihre« Vater» ließ sie Niemanden einen Blick in ihr Herz werfen. Vorher hätte die ganze Welt ihr Geheimniß lesen können, doch jetzt konnte keine Mimose mehr vor jeder menschlichen Berührung zurllckschrecken al« sie. Nur in ihrem Gesänge verrieth sich ihr herzbrech ender Kummer, ihr leidenfchastliche« Sehnen. Eduard hätte au« dem Tone der herrlichen Mezzosopranstimme erkennen können, an welchem Tage sie Albert be gegnet und ein Lächeln oder ein verstohlene« Wort von ihm erhascht hatte, und an welchen Tagen sie vergeben« gehofft und gewartet. Indessen halte in dem Herrenhause Miß Dont ein Vögelchen etwa« in'« Ohr geflüstert. Die harm lose kleine Mimmy Branding hatte einmal — wohl nicht ganz absicht«lo«, obgleich sie ein liebe«, unschuld«- volle« Wesen war — Leonore gefragt, ob sie schon die schöne Tochter de« Verwalter« in der Parkhütte ge- fchen babe? „Man sagt, daß sie schöner sei, al« wir Alle, und daß auch die Herren da« finden," bemerkte sie kurz hingeworfen. „Wir alle!" wiederholte Miß Dont, mit spöttischem Lächeln von dem unbedeutenden hübschen Geschöpfchen auf ihr prachtvolle« Bild blickend, welche« ihr all dem Spiegel, vor dem sic stand, entgegenstrahlte. „Nun, sogar schöner, al« Sie," behauptete Miß Mimmy. „Und ich habe gehört, daß Mr. Arker ihr ganz besonderer Anbeter ist. Ich würde e« nicht ge glaubt haben, da ich seine unbegrenzte Ergebenheit für seine Braut kenne, wäre ich ihnen nicht selbst zu- fammen in der Rosenallee begegnet und hätte mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er sehr dringend zu ihr sprach, und sie die Augen niederschlug und erröthete." „Unsinn! Albert spaßt immer mit hübschen Kam merjungfern und Milchmägden, denen er begegnet. Da« ist so seine Art." „Milchmagd! Diese« Mädchen sieht gerade so sehr wie eine Dame au«, wie Sie oder ich," beharrte Mimmy. „Und sie ist wirklich wunderbar schön!" „Ganz romantisch, wahrhaftig! lächelte Leonore; ruhig ein Perlenhalsband um ihren weißen Hal« legend und die Falten ihre« blauen Seidenschlepp kleide» aufschüttelnd, rauschte sie au« dem Zimmer, durch den breiten, oberen Corridor, die Treppen hin unter und traf Albert am Fuße derselben auf sie wartend, da sie eine kleine Spazierfahrt zu Zweien mit einander verabredet hatten. Leonore sah sehr hübsch und sehr gemessen au- unter dem Schatten ihre» großen Strohhutc«. Albert bemerkte die«, al« er ihr galant den Mantel umhängte und sie zum Wagen geleitete. „Wie ganz verschieden sie ist von — der An deren!" dachte er im Stillen. ES war ein wunderbarer Nachmittag. Der warme Regen hatte den Staub gelöscht und die Blätter und da« Gra« von Neuem frischgrün gefärbt, und diese glitzerten wie Diamanten, al« der Wagen an ihnen vorüberflog. Leonoren« blaue Augen gaben gut Acht, al« er die Parkhütte passirte. Ja, da oben bet dem grün umrankten Fenster saß ein junge« Mädchen, den Kopf auf die Hand gestützt. In dicken Massen fiel da« blauschwarze Haar über den feingeformten Arm, ihre schönen Augen waren mit träumerischem Lächeln zum azurblauen Himmel gerichtet; sic sah nicht» aus Erden und ahnte nicht, daß sie von kalten, grausamen, neidischen Blicken gemustert wurde. War sie schön? Leonore von Dont konnte e« sich selbst nicht verhehlen, daß sie niemals eine solche Schönheit auch nur ver- muthet hätte. Der knospende zarte Mund! Die liefen dunkeln glänzenden Augen! Die weichen Umrisse der Wangen und de« Kinn«! ES war kein Wunder, daß die reiche tropische Blüthe mädchenhafter Reize einen Schauder eifersüchtiger Furcht in da» Herz der aben teuerlichen Blonden goß, die da» Versprechen erhalten hatte, Herrin auf Arkersitz zu werden. Während Leonore hinblickte, stießen die leicht dahin fliegenden Räder an einen Stein, da» Mädchen am Fenster sah herab und bemerkte, wer vorüberfuhr. Schnell trat sie vom Fenster zurück, doch nicht schnell genug, al« daß Leonore nicht die Röthe bemerkt hätte, die ihr Gesicht überzog. Im Augenblick warf Albert- Verlobte einen verstohlenen Blick auf diesen und la« seine Leidenschaft deutlich in seinen Zügen; nun wußte sie so sicher, al« ob er e« ihr in Worten gestanden hätte, daß da» Mädchen in der Parkhütte ihre Neben buhlerin sei. E« giebt eine Eifersucht, welche von der wilden, unvernünftigen Eiserfucht der Liebe ganz verschieden ist, ein unedlere- Gefühl, niedrig und neidisch, kalt und mitleidslos, nicht veredelt von der Gluth der Ersteren, und diese gehässige Leidenschaft wüthete in Leonoren« Brust, während die muthigen Pferde mit dem leichten Gefährt dahinflogen. Durch die Schatten der hohen Bäume fielen die schiefen Strahlen der Sonne und die Gebüsche erglänzten wie von Millionen Juwelen, die der vorübergegangene Regen zurückge- lassen hatte. E« war eine schweigsame Fahrt. Albert war froh darüber, er träumte von dem lieblichen Gesicht am Fenster, ohne Argwohn, raß grausame Eifersucht an den Herzensfasern de» stolzen, herrschsüchtigen Mäd chen« rüttelten, da- er zum Weibe begehrte. Er fühlte wohl, daß er im Unrecht war, doch er wollte nicht an die Zukunft denken; eigensinnig, selbst süchtig und unvernünftig hatte er für die Folgen feiner Handlungsweise keine Gedanken. „Leonoren- Herz wird meinethalben nicht brechen, da» ist gewiß!" dachte er mit einem Seitenblicke auf da« kalte, blonde Gesicht.