Volltext Seite (XML)
„Da- hat keine Eile. Ich kann den Tag sehr angenehm verbringen, indem ich mir ein wenig die Gegend ansche. Ich nahm unten im Dorfe einen kleinen Imbiß; ein bescheidene» Mittagsmahl wird mir genügen. Wenn Sie mir die Reisetasche aufbe wahren wollen, so werde ich mich damit zerstreuen, mir das HauS und den Garten anzusehen. Die» ist seit vielen Jahren mein erster Besuch aus Arkersitz." „Eine schöne, alte Besitzung, Herr, aber einer Reparatur dringend bedürftig. Nun, ich habe meinen Auftrag, Ihnen zu sagen, daß Sie sich wie zu Hause betrachten sollten, auSgerichtet, Mr. O-dorne." „Ich danke, das werde ich thun," erwiderte Eduard, wandte sich von dem höflichen Diener ab und schritt bi» an da« Ende der langen Veranda, wo er sich auf die steinerne Ballustrade setzte, welche dieselbe einsaßte. „Wenn eS mit Recht zuginge, würde ich mich hier mit freudigem Herzen wie zu Hause betrachten," mur melte er, finster auf die hohen alten Bäume, da vernachlässigte Gesträuch und da« langgewachsene Gras auf dem Platze blickend, welche« in dem goldenen Sonnenscheine eine« Sommcrmittage» dalag. Diese Besitzung gehört mir — wenn ich c» nur beweisen könnte! Ja, da liegt der Knoten! Ich habe darüber gebrütet, bi« meine ganze Jugend damit vergangen ist. Ich studirte Jurisprudenz, um besser im Stande zu sein, die Schwierigkeiten, die sich mir boten, zu überwinden. Und jetzt ist die Zeit da, wo ich meine Anstrengungen gekrönt sehen will. Wa« wird da« Ende sein? Entweder Sieg oder Tod, denn die« elende Leben der Armuth und de« Sehnen« will ich nicht länger führen; da« tödtet eben so sicher, al« Ketten und Kerker!" „Die Blässe, die sein Gesicht überzog, zeigte die Gewalt seiner Gefühle und Absichten. „Welch ein seltsame« Geschöpf ist diese alte Neg erin, die ich gestern aufsuchte! Ich muß noch einmal zu ihr gehen, trotzdem ich wenig Hoffnung habe, von der alten Dina Auskunft zu erhalten. Sie ist schon sehr alt, stockblind — und wahnsinnig seit jener schrecklichen Nacht, denn der Blitz schlug in einen Flügel von OSdornsitz, und setzte ihn in Flammen, welche den Leichnam meiner Mutter verzehrten! Dina, meiner theueren Mutter treue Dienerin und Freundin, war wohl da, und sie war e«, die mit Gefahr ihre« Leben« da« Leben der zwei Kinder — meine« und Albert« Leben — rettete. Man glaubte erst, da« auch sie in den Flammen umgekommen wäre, bi« man sie im Walde fand, entsetzlich verbrannt, mit einem ge brochenen Knöchel und vollkommen wahnsinnig. Alle meine Freunde sind der Meinung, daß Dina in mei ner Mutter Auftrage deren Testament besitzt und ver birgt; — doch wo? — Fortwährend murmelt sie ge- heimnißvolle Worte vor sich hin; erst gestern hörte ich sie ihren Spruch flüstern. Er scheint einfach ge nug, und doch hat noch Niemand den Sinn heran «- gefunden. Mal hundert, drei Mal drei, Bom Thurm, bis wo die Rose blüht, DaS Räthsel erst gelöset sei. Wenn einst der Sohn die Todte sieht." „Vom Thurm, bi« wo die Rose blüht," wieder holte Eduard, indem er sich über die Ballustrade schwang und sich auf dem dick bewachsenen Gras platze einen Ort aussuchte, von wo er den viereckigen, gemauerten Thurm am besten sehen konnte. Mr«. Erle kam, bevor der Nachmittag noch halb zu Ende war, zu Mr. Dann, um diesem ihren Arg wohn mitzutheilen, daß e« in dem Kopfe de« Bruder« ihre« Herrn nicht ganz richtig sei, denn er sei viel leicht zwanzig Mal in den verschiedensten Richtungen vom Thurme fortgegangen und habe dabei immer seine Schritte gezählt. Zu ihrem Erstaunen brach ihr Zuhörer in ein Helle« Lachen au«. „Ich sehe nicht ein, wa« dabei Ihr Zwerchfell zu erschüttern im Stande ist," bemerkte sie mit belei digter Würde. „Ach, da« ist köstlich, Mr«. Erle! Nun, ich weiß die Erklärung. Ich will nicht behaupten, daß ich alle Geheimnisse de« Hause« kenne, aber diese« hier weiß ich, denn ich habe c« meinen jungen Herrn oft bei Tische den Herren und Damen erzählen hören. ES ist Etwa« von „dreihundert und drei" — Schritte, meinen Viele, manche sagen „Fuß," Andere glauben „Meilen," — die man machen muß, um da» Testa ment aufzufinden, welche« die zweite Frau unsere« verstorbenen Herrn vergraben hat. Dieser Stief bruder unsere« Herrn scheint da« au«forschen zu wollen, denn man sagt, daß, wenn da« Testament ge funden würde, dieser der eigentliche, rechtmäßige Erbe sei. Doch meine Meinung ist, daß Mr. Albert unser Herr bleibt bi« an da« Ende seiner Tage, und Gott gebe, daß c« so sei, denn einen besseren, freigebigeren Herrn können wir un« nicht wünschen, Mr». Erle." Aurelie Bcndlin kam au« dem großen Empfangs zimmer wo sie den größten Theil des Tage« beschäftigt ' gewesen war, gerade zur rechten Zeit, um des Keller meisters Lobrede auf seinen Herrn anzuhören, und sie lächelte demselben freundlich zu, al» sie vorüberging. „Herrgott, wa« ist da« für ein schöne« Mädchen?" bemerkte er, al« sie zum Thore hinaus war. „Ja, viel zu schön für die Tochter eine» Ver walter», Mr. Dann. Ich fürchte, daß ihr diese Schönheit nicht viel Nutzen bringen wird unter den vielen leichtsinnigen jungen Herren, die jetzt bald Her kommen werden. Wenn ich ihr Vater wäre, schickte ich sie fort in ein Pensionat; er kann e» bestreiten, und so ein junge», hübsche» Mädchen, da» keine j Mutter hat, um sie zu bewachen, sollte nicht hier bleiben." „Glauben Sie nicht, daß David Bendlin sie nicht au» den Augen lassen wird? Dieser Mensch ist stolz wie ein Fürst. Man sagt, sein Vater war König unter den Zigeunern. Und er ist der Mann dazu, Jemanden, der ihn beleidigt, umzubringen. ES wäre eine gefährliche Sache, mit seiner Tochter zu spielen." „Ich hoffe nur, daß Mr. Arker selbst e» nicht unternehmen wird. Er ist lebhaft und gedankenlos, obwohl er jetzt schon etwa« gesetzter werden sollte, da er verlobt ist und zum Herbste heirathen wird." Eduard Oidorne näherte sich ihnen in diesem Augenblicke, indem er seine Lippen bei jedem Schritte bewegte und mit zerstreuter Miene vorüberging, wie Einer, der nachtwandelt. „Was da« für eine Tollheit ist!" murmelte Eduard vor sich hin, al« sein zwanzigster Versuch ihn zu der Statue der Psyche in den verwilderten Blumengarten brachte. „Albert würde sich freuen, wenn er wüßte, daß ich seine Besitzungen durchsuche, in der Hoffnung, da« zu finden, wa« mich an seinen Platz setzen soll; und da« von Rechtswegen! Dieser Zweifel, diese Un gewißheit ist der Fluch meines Lebens! Wenn das nicht wäre, würde ich mich meinem Berufe mit Eifer widmen und arbeiten, um Etwas au« mir zu machen. Wie e« jedoch ist, verfolgt mich der Gedanke an meine Mutter — meine arme junge Mutter, die so schön war und an der so schweres Unrecht verübt wurde — und treibt mich an, mein Recht zu suchen. Ich bemühe mich, Albert nicht zu beneiden; ich bemühe mich, zufrieden damit zu sein, die Rolle eines armen Verwandten zu spielen, doch, beim Himmel! das Blut der OSdorne empört sich in mir! HinauSge- stoßen zu sein aus meinem rechtmäßigen Erbtheil — dasselbe mit einem anderen Namen nennen hören — zu wissen, daß OSdornc-Ruh in Arkersitz umgewandelt wurde — Wohlthaten von dem anzunehmen, der von mir abhängig sein sollte, das sind Demüthigungen, welche bitterer sind, als selbst der Tod." (Fortsetzung folgt.) Eine Boudoirgeschichte. Noch ehe die Dezemberstürme des Jahre« 1887 über die Stoppelfelder de« Rittergutes . . . dahin brausten, hatte da« Töchterlein diese« alten Herren sitze« ihr kleines gebräuntes Händchen in diejenige de« inaktiven Hauptmanns Z. gelegt und sich vor dem grünen Tisch mit landesüblicher Feierlichkeit bejahend geäußert. Fräulein Hedwig v. I. war ohne Zweifel eine brillante Partie. Ueber den zahlreichen KonjolS, die sie als fröhliche Morgengabe in die elegante Ber liner Wohnung ihres Gatten mit überführte, war dieser nicht abgeneigt, manchen kleinen Schatten zu vergessen, von dem er sich in pessimistischen Stunden gestand, daß er die Sonne seiner Liebe verdunkele. Hedwig v. X. war hübsch, sie war gut, sie war liebens würdig. Eines jedoch besaß sie nicht, und da« gerade war eS, worauf der Hauptmann Gewicht legte. Die junge Dame war sehr natürlich und praktisch erzogen, — jenes undefinirbare, stilvolle Etwas aber, da« die aristokratischen Jungfrauen der Residenz mit der Salon lust einathmen, und welches sich vielleicht in der Wahl einer Schleife, vielleicht in einer halben Verbeugung kennzeichnet, jenes Hautgout der fashionabeln Erzieh ung war Fräulein Hedwig vollkommen fremd. Außer dem war ihre Geschmacksrichtung, sowohl in geistiger al« in materieller Hinsicht, viel prosaischer, al« der feinfühlige, mit aller großstädtischen Kultur aufge päppelte Hauptmann sich während de« ersten LiebeS- traume« träumen ließ. Dann aber gab eS noch einen Umstand, welcher schon in der Brautzeit dem Ver lobten manche Falte auf die Stirn getrieben hatte. Hedwig besaß nämlich einen Vetter, einen vierschröt igen, jungen Herrn mit eckigen Bewegungen, ziegel- rothem Teint und einem unverwüstlichen Humor. Die ungezwungene Art, wie die Dame mit diesem Ver wandten verkehrte, wie sie kordial in seine massive Rechte cinschlug oder einen plumpen Scherz de» hand festen Jünglings herzhaft belachte, — alle» die» er füllte da« Herz de« Hauptmann« vor der Hand mit einem unbehaglichen Gefühl. Dasselbe «weiterte sich später, al» die Hcirath perfekt geworden war und der Vetter, der sich studiren-halber in Berlin aushiclt, oft bei dem jungen Paar verkehrte, zu einer kom- pleten eifersüchtigen Unruhe. Der Haushalt de« Herrn Z. wurde auf großem Fuß geführt, ein französischer Koch richtete da« Menu, zwei geschulte Diener ser- virten bei Tisch. Der Hauptmann hatte sich oft ge fragt, ob dem ungebundenen Landjunker die konventio nelle Grandezza seiner Salon» nicht unbequem wäre und ob nicht schließlich Frau Hedwig ein paar funk elnde Augensterne besäße, welche sehr geeignet seien, einen Vetter von außerhalb alle» andere darüber ver gessen zu machen. In dieser GemülhSverfassung be fand sich der Hauptmann, al» vor einiger Zeit seine Gattin eine Frage an ihn richtete, welche sein Herz stärker klopfen ließ. „Sagtest Du nicht, lieber Fritz, Du müßtest dieser Tage nach Magdeburg reisen, um Dich mit Onkel Otto zu treffen?" — Harmlos glitten die Worte über ihre Lippen und ihr hübsche», von Gesundheit strahlendes Gesichtchen trug einen sehr un befangenen Ausdruck. Aber der eifersüchtige Gemahl la« zwischen den Zeilen. Eine gewisse nervöse Un ruhe, welche er bei seiner Gattin in letzter Zeit wahr genommen zu haben glaubte und eine leichte Ver stimmung an ihr, deren Grund er nicht finden konnte, erhöhten seine mißtrauischen Gedanken. „Gewiß, mein Kind", erwiderte er und staubte nachlässig die Cigarren asche ab, „Du erinnerst mich da gerade zu guter Stunde. Vielen Dank. Wenn e» Dir recht ist, reise ich morgen!" Madame sah einen Moment aus da» Muster de« persischen Teppich«, welcher den Boden deckt, sie sah au«, al« dächte sie nach. Dann schlug sie ihre gefährlichen Augen wieder empor. „Und wann willst Du fort?" — „Mit dem Frühzug?" — „Und wann bist Du wieder hier, bester Schatz?" — Der Hauptmann nestelte an seinem englischen Steh kragen, al« ob ihm derselbe zu eng sei. „Uebermorgen, zu Mittag, liebe Hedwig!" Man besprach dann noch einige Sachen, welche sich auf Onkel Otto bezogen, und man war, äußerlich wenigsten«, so konventionell und ruhig wie immer. Am Abend kam der studirende Vetter und streckte seine herkulischen Beine mit viel Behagen und wenig Grazie unter den Tisch, an wel chem der Hauptmann in der bedauernSwerthesten Stimmung der Welt ihm gegenüber saß. Am andern Morgen früh reiste Herr Z. ab. Wenigstens spielte er die Abschiedskomödie mit einer gewissen Bravour und ließ sich an den Bahnhof kutschiren. Von dort begab er sich, al« der Magdeburger Zug au« der Halle gefahren war, in rast- und ziellosem Wander schritt durch die Straßen und kehrte schließlich in seinem Klublokal ein, wo er sich von dem Kellner mehrere Zeitungen reichen ließ, in denen er hastig und unstät blätterte. Später spielte er mit einigen Be kannten Billard, speiste dann Mittag mit einer Miene, als verschlucke er Kieselsteine und stand um 3 Uhr Nachmittags wieder vor seinem Hause. Langsam stieg er die Stufen des Treppenhauses empor. Im ersten Steck angelangt, steckte er den Schlüssel in die Korri- dorthür und öffnete. Er wußte eigentlich selbst nicht, wa« er um diese Tageszeit in seiner Wohnung zu finden erwartete, aber eine dunkle Vorstellung von gewechselten LiebeSschwüren und verschwiegenen Plauder stündchen drängte ihn unaufhaltsam vorwärts und er hitzte seine Phantasie. Auf dem Korridor traf er die Kammcrjungfer, welche bei dem plötzlichen Erscheinen de« gnädigen Herrn recht verlegen au«sah. Der Hauptmann konstatirte diese Thatsache in demselben Augenblick, wo die Zofe ihrerseits die Bemerkung machte, daß ihr Gebieter trotz der niedrigen Tempe ratur schwitzte. „Wo ist meine Frau?" — „Einen Augenblick, gnädiger Herr", stammelte die Erschrockene, „ich werde die gnädige —". „Keinen Schritt", raunte ihr der Hauptmann heftig zu, „eS gilt eine Ueber- raschung, also noch einmal, wo ist meine Frau?" Die junge Dame deutete nach der Thür de« Boudoirs, welches auf den Korridor mündete. Der Gemahl ging auf dieselbe zu und drückte die Klinke. Vergeben«, die Thür war von innen verschlossen. Die ganze unterdrückte Wuth diese« verhängnißvollen Tages lo derte in dem Gatten empor, schwer erhob sich seine Faust und wollte wahrscheinlich soeben auf da« Hinder niß vor ihm niederfallen, — da plötzlich schnappte drinnen ein Riegel, die Thür flog auf, Herr Z. stürzte über die Schwelle, und vor ihm stand — Madame, welche ihren Gemahl auf« höchste überrascht anstarrte. Nicht w. Niger erstaunt aber war der Hauptmann selbst. Denn seine Gemahlin befand sich in einer der vor gerückten Tagesstunde keineswegs entsprechenden Toi lette und von dem Tisch, welcher in der Milte des Zimmers stand und der seine sonstigen Eigenschaften al« Toilettentisch verleugnend für eine Person servirt war, ging ein seltsamer Geruch au«. „Mein Gott, wa« geht hier vor, Hedwig?" rief der Hauptmann und trat näher, „bist Du krank? Du dinirst hier im Boudoir?" Madame flog auf ihren Gatten zu, zog ihn dicht an den Tisch und flüsterte mit halber Stimme: „Verzeihe mir, Geliebter, aber mein Wunsch, einmal so recht zwanglos in Deiner Abwesenheit speisen zu können, möge dieses Negligee und — diese« heimath- liche Gericht entschuldigen, welche» Dein französischer Koch nicht kennt — Erbsen, Pökelfleisch und Sauer kohl!" — Von seiner Eifersucht war der glückliche Hauptmann zur selbigen Stunde kurirt und al» am Abend der gutmüthige unschuldige Vetter erschien, setzte er seine besten Havanna'» vor und rauchte mit ihm, in Dampf und Schweigen gehüllt, eine heimliche Frie- denScigarre. Druck und Verlag von E. Hannebohn in Eibenstock.