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deutschen Vater gänzlich und halten sich an die fran zösische Sprache noch ostensibler al« die Kinder au« solchen Familien, in denen die Eheleute beiderseits Altelsässer sind. So lange die wohlhabenderen elsässer Frauen ihre Bildung in Frankreich holen oder doch in Schulen mit französischer Unterrichtssprache erzogen werden, werden diejenigen Familien, in denen sie später al« Mütter walten, dem Deutschthum ver schlossen bleiben. Unter solchen Umständen ist e« al» eine hocherfreuliche Thatsache zu begrüßen, daß sich die Regierung zu einer »Verordnung, betreffend die höheren Lehranstalten für Mädchen", entschlossen hat, auf Grund deren sich ein allmählicher Wandel zum Bessern wird vollziehen müssen. Daß dieser Wandel nur ein theilweiser sein wird, daß wir un« auch auf diesem Gebiete der Wiedervcrdeutschung Elsaß-Lothring- en« keinen übertriebenen Hoffnungen hingeben dürfen, ist klar. Werden doch au« wohlhabenderen Kreisen die elsässischen Töchter Germanien« sich auch ferner zum Schulbesuche nach Frankreich begeben, wo man ja auch nicht so viel zu lernen braucht, al« auf den deutschen Schulen. — Die Verhaftungen von Personen in den Reichs landen, welche de« LandcSverrath« verdächtig sind, mehren sich. Nachdem am Freitag der Färberei besitzer Appel in Straßburg festgenommen worden, bat neuerem Berichte zufolge auch der Apotheker Girard in Schirmeck au« dem erwähnten Grunde ge fänglich eingezogen werden müssen. — Die »Kölnische Zeitung" veröffentlicht einen längeren Artikel von militärischer Seite, dessen Verfasser keineswegs der Ansicht ist, Rußland treffe seine militärischen Maßnahmen nur zur Ver- theidigung de« russischen Bodens. Alle seit 1812 von Rußland geführten Kriege, so wird auSgesührt, sind mit Einbruch in« gegnerische Land eröffnet worden. Seit dem letzten Kriege Rußland« in Bessarabien ist da« Eisenbahnnetz zur Ansammlung der russischen Streitkräfte an der Westgrenze auf das vorthcilhafteste ausgebaut. Bahnstrecken, wo kaum ein Friedensbetrieb nothwendig, werden Tag und Nacht befahren, um bei einer Mobilmachung geübtes Betriebs-Personal zu haben. Die gesammte russische Kavallerie mit reiten der Artillerie ist in voller Kriegsstärke an der West grenze untergebracht. Der Verfasser de« Artikels glaubt daher für den Kriegsfall an eine russische Offensive, die jetzt schon gegen die Provinz Ostpreußen in bedrohender Weise vorbereitet ist. In den Gar nisonen de« Militärbezirks Wilna steht den drei mo bilen russischen Armeekorps mit einer Gefechtsstärke von 135,000 Gewehren, 10,500 Pferden, 420 Ge schützen, nicht einmal das ganze erste preußische Ar meekorps gegenüber. Wozu anders al« zur Offensive baut man die Befestigungen von Kowno, Goniond«, Lomza, wenige Kilometer von der deutschen Grenze. Man will jene Armeekorps des Bezirks Wilna mög lichst nahe an der deutschen Grenze versammeln und im Kriegsfälle einen Einbruch in Ostpreußen unter nehmen. Die russischen Befestigungen haben einen rein offensiven Charakter. Locale «ad sächsische Nachrichten. — Eibenstock. ES sind in neuerer Zeit oft Klagen laut geworden darüber, daß in den Nach- mittagSgotteSdiensten viele Störungen ver ursacht wurden durch kleine Kinder. Es lasien sich durch diesen Uebelstand Erwachsene geradezu abhalten, die Nachmittagsgottesdienste zu besuchen. Zwar sollen die Kinder von den Gottesdiensten nicht ganz und gar ausgeschlossen sein, aber sie sollen auch die An dacht der Erwachsenen nicht fortgesetzt stören dürfen. Um diese beiden sich entgegenstehenden Forderungen zu erfüllen, sollen für die Kinder von Ostern ab wieder KindergvtteSdienste gehalten werden, die PredigtgotteS- dienste aber für die Erwachsenen reservirt bleiben. E» ergeht daher wie vor Kurzem schon von der Kanzel au« auch an dieser Stelle die Bitte an die Gemeinde glieder, Kinder unter 6 Jahren gar nicht mit in die Kirche zu bringen, die in den ersten Schuljahren stehenden Kinder aber nur in Begleitung Erwachsener zur Kirche gehen zu lassen. Auf diese Weise dürfte dem NachmittagSgotteSdienst seine Würde gewahrt und sein Recht, ein PrcdigtgvtteSdienst für Erwachsene zu sein, erhalten bleiben. — Dresden. Se. k. Hoh. Prinz Friedrich August, welcher bekanntlich in Folge seiner Masern erkrankung den ersten drei Hosbällen fern bleiben mußte, wird sich nunmehr an dem am Mittwoch Abend im k. Residenzschloß zu Dresden stattfindenden zweiten Kammerballe betheiligen. Heute oder morgen gedachte sich der jugendliche Prinz bei seinen militär ischen Vorgesetzten zu melden, da er vom 1. Februar an wiederum praktischen Dienst in der 7. Compagnie de« 1. Leibgrcnadierregiment« thut. — Dresden. Ein Gewerbtreibender, der auf einer der letzten Ausstellungen eine broncene PreiS- medaille zuerkannt erhalten hat, ist darüber derart freudig aufgeregt worden, daß er kürzlich in einer Krankenanstalt hat Aufnahme finden müssen. "Die fragliche Medaille hat sich bei ihm vergoldet vorge funden. Ein Lieferanten-Titel ist ihm dadurch, seiner Meinung nach, gesichert gewesen. — Leipzig. Ein trübe« Bild von den Verhält nissen der Verkäuferinnen in einer Großstadt ge währte die Gerichtsverhandlung, in welcher zwei in dem Nathan Lewin'schen Geschäft hier angestcllte Ver käuferinnen wegen 308 Diebstählen zu je 8 Monaten Gefängniß verurtheilk wurden. Die Diebstähle be standen in der Wegnahme kleinerer GebrauchSgegen- ltände, wozu nach der Ansicht de« Bertheidigcr« die I Mädchen gedrängt worden waren; denn die beiden > Angeklagten hatten erst fünf Monate lernen müssen, ; dann war der Einen ein Gehalt von 20 Mk. monat lich, der Anderen aber der Abschied gegeben worden. Der Letzteren »erlaubte" schließlich der Chef, Herr Nathan Lewin, gegen eine monatliche Entschädigung von 10 Mk. zu »bleiben". Für die 10 Mk. monat lich konnte die Verkäuferin gerade ihre Wohnung be zahlen, die Andere konnte für die 20 Mk. noch für Mittagbrod sorgen. Wie sie aber für den übrigen Lebensunterhalt und Kleidung sorgten, da« ging au« der Verhandlung hervor, d. h. sie mußten stehlen, wenn sie nicht hungern wollten. — Oschatz. Hilferufe erschreckten in einer der letzten Nächte die bereit« im tiefsten Schlafe liegenden Bewohner der neuen ReichSpost und der nächstgelege nen Häuser, sowie die noch im »Wettiner Hofe" an wesenden Gäste. Wie sich schließlich herausstellte, Halle ein hier in Geschäften Verkehrender einen Brief zur Post gebracht; da, wie er angab, dieser Brief wichtige Sachen enthielt, hatte er denselben recht sicher und tief in den Einwurf am Postgebäude gesteckt. Als er aber eie Hand zurückziehen wollte, war die selbe zum Schrecken durch die am Einwurf befindlichen scharfen eisernen Spitzen fcstgehalten, und je mehr der Mann zog, desto tiefer gingen die Stacheln in da« Fleisch. Es gelang schließlich, denselben au« seiner unbequemen Lage zu befreien. — Mittweida. Auf Anregung des »Kamerad", Verein«organs der sächsischen Militärvereine, in wel chem da« »Bundespräsidium zur Bildung von Kran- kenträgerkoionnen" speziell zur Bildung von OrtS- kolonncn ausruft, hat der hiesige Kriegerverein die Angelegenheit in die Hand genommen, und c« ist ihm geglückt, aus seiner Mitte die erste Kolonne für Mittweida bereits in'S Leben zu rufen und beim Präsidium anzumelden. — Roßwein. Nachdem alle Aussicht geschwun den ist, daß Roßwein wieder Militär erhält, hat der Stadtrath beschlossen, daS von der Stadt seiner Zeit mit einem Kostenauswande von über 20,000 M. erbaute Militärreithau», welches 40 m lang und 18,ss m breit ist, zu verpachten oder zu verkaufen. Da sich daS Reithau« zu gewerblichen Zwecken gut verwenden läßt, erwartet man, daß sich Leute finden werden, welche im Reilhause ein industrielles Unter nehmen cinrichten. — Geithain. Eine Frau von hier holte vor einigen Tagen auf der Sparkasse zu Rochlitz 1300 M., welche ihr in Kassenscheinen auSgehiindigt wurden. Die Frau muß aber da« Geld sehr nachlässig ver wahrt haben, denn schon hinter Poppitz lag dasselbe auf der Landstraße, wo e« ein ehrlicher Gutsbesitzer aus Weißbach fand. Derselbe begab sich sofort nach Rochlitz, fragte in guter Berechnung bei der Sparkasse nach und alsbald ging auch von dieser ein Telegramm an die Verliererin nach Geithain ab. — Reichenbach. Gegen den Fleischer und Restaurateur Malz jun. in UnterhainSdorf, der durch sein leichtfertige« Gcbahren de« Nichtuntersuchcn- lassen« de« Schweinefleische« auf Trichinen so viel Elend unter der dortigen und umwohnenden Bevöl kerung verursacht hat, ist nunmehr die gerichtliche Untersuchung cingeleitet worden, der zufolge in den letzten Tagen zahlreiche Kalamitosen von hier und Umgegend, die in der Genesung ziemlich vorgeschritten, vor hiesigem kgl. Amtsgericht vernommen worden sind. — Cunewalde. Die Zahl der an der Tri chinose bis zum 30. Januar erkrankten Personen in Obercunewalde und Cunewalde Hal 180 schon überstiegen, 15 Todesfälle sind bereit« zu verzeichnen. Mancher mag wohl, wenn er die Zeitungsberichte über die hiesige Trichinose und über da« Elend, welche« dieselbe herausbeschworen hat, liest, glauben, e« sei viel Uebertreibung dabei; Dem ist nicht so. Die Feder ist gar nicht im Stande, da« Elend nur einigermaßen zu schildern. Man muß c« mit durchleben, man muß e« mit Augen sehen, um nur einen Begriff zu haben. Furchtbar sind die Leiden. Starr liegen die armen Opfer da, nicht fähig sich zu rühren, sie müssen ge hoben und getragen werden, Fieberhitze in hohem Grade nimmt den Kops gefangen, die Kranken phan- tasiren, Husten und AthmungSbeschwerden stellen sich ein, furchtbare Schmerzen in allen Gliedern gehen nebenher. So matten die Unglücklichen allmälig ab. Immer noch treten neue Erkrankungen dazu, leider mehren sich aber auch die Todesfälle. Ganz still und ohne alle Ceremonien werden die Todten bestattet. Fast unheimlich bewegen sich die Leichenzüge durch da» Dorf. I — Zu den Obliegenheiten der Landbrief- I träger gehört bekanntlich auch die Annahme von ! Postsendungen aus Bestellungsgängen. Dieselben ha ben zu diesem Zwecke ein Annahmebuch bei sich zu führen, welches zur Eintragung der von ihnen ange nommenen Sendungen mit Werthangabe, Einschreib sendungen, Postanweisungen, gewöhnlichen Packete und Nachnahmesendungen dient und nach jedem Bestell gange von einem Beamten der Postanstalt durchge- seben wird. Die Auflieferer können derartige Send ungen entweder selbst in da- Annahmebuch eintragen, oder die Eintragung den Landbriesträgern überlassen. Geschieht die« letztere, so hat der Landbriefträger da» Buch mit dem betreffenden Eintrag dem Auflieferer auf Verlangen vorzulegen. Auf diese Weise ist Jeder mann in den Stand gesetzt, bei Auflieferung einer Sendung — abgesehen von gewöhnlichen Briefen — durch Vermittelung des Landbriefträger» deren richtige und pünktlicke Weiterbeförderung von vornherein sicher zu stellen. Postanweisungsbeträge nehmen die Land briefträger übrigen« nur dann entgegen, wenn ihnen gleichzeitig da« ordnungsmäßig auSgesüllte Formular zur Postanweisung mit übergeben wird. — Greiz. Im deutschen Heere ist e» bekanntlich Sitte, den Angehörigen der Armee, welche al« Kom battanten vor dem Feinde gestanden haben, bei ihrer Beerdigung durch drei Salven über» Grab die letzte Ehre zu erweisen. Die Kriegervereine haben diesen schönen Brauch vom stehenden Heere übernommen und beerdigen ihre verstorbenen Kameraden mit allen militärischen Ehren. Auch der diesige Kriegerverein wollte dieser Sitte folgen; er beschloß demgemäß die Errichtung einer Geweyrsektion in Stärke von 12 Mann und richtete ein entsprechende« Gesuch an die Landesregierung. Wider alle« Erwarten ist nun aber dem Vorstand de» Kriegervorein« ein ablehnender Be scheid zugegangen und zwar in folgender Form: „Dem Vorstand deS Kriegeroereins zu Greiz wird auf das unterm 24/2S. November vorigen Jahres anher gerichtete die Bildung einer Gewehrsektion betreffende Gesuch hiermit eröffnet, daß diesem Gesuche infolge eingeholter höchster Ent schließung Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht des Fürsten nicht entsprochen werden kann." Greiz, am 17. Januar 1888. Fürstlich Reuß-Plauische Landesregierung, gez. Faber. Da« Erstaunen über die Ablehnung de« Gesuche muß um so größer sein, al« eineStheil« von einer Begründung derselben ganz abgesehen wird und an- dercntheil« ja allgemein bekannt ist, daß Militärver eine, welche dem Reußischen MilitärvereinSverbande angchören, erst in letzter Zeit ihre verstorbenen Kame raden in oben angevcuteter Weise geehrt haben. In einem schwachen Augenblick. Von Arth ur Zapp. »Sie sind also sicher, daß keine Gefahr ist, Herr Doktor?" „Ganz sicher, Frau Hartung," war de« Doktor« beruhigende Antwort, indem er seine Handschuhe anzog und sich anschickte, die Stufen der Villa hinabzusteigen. „Well —" fuhr die Dame zögernd fort — »wenn Sie meinen sollten, daß eine Konsultation mit einem Kollegen —" »Dazu liegt nicht die geringste Veranlassung vor, glauben Sie cS mir! Die Genesung Ihrer Tochter mag langsam von statten gehen, aber sie ist sicher. Mein Wort darauf!" „Ich vertraue Ihnen ja, lieber Doktor. Aber ich bin natürlich ängstlich — sehr ängstlich," bemerkte die Dame, »und wenn Sie etwa ihre Ansicht ändern sollte» —" „Dann würde ich e« für meine Pflicht halten, Sie sofort davon in Kenntniß zu setzen," unterbrach sie der Doktor, stieg dann die Stufen hinab, setzte sich in seinen Einspänner, lüftete den Hut und fuhr die Straße hinab. „Warum sprach sie eS nicht offen au«?" murmelte er vor sich hin, indem er verdrießlich mit der Leine den Rücken de« Pferde« schlug. „Ich weiß, sie ist wie auf Kohlen, mir den Abschied zu geben und an meiner Stelle meinen süßlichen, eleganten, jüngeren Kollegen zu berufen." vr. Werner hielt einen Augenblick in seinem Selbst gespräch inne, dann fuhr er fort und ein bittre« Lächeln umspielte seine Mundwinkel. — .Meinen jüngeren Kol- legen! Er ist vierzig Jahre alt und Glück und Wohl- habenheit geben ihm da« Aussehen eine« Fünfund dreißigjährigen. Ich bin zweiundvierzig, aber Sorgen und Kummer — er flüsterte da« Wort noch leiser al« die anderen — Gewiffenkbiffe lassen mich al« einen Fünfziger erscheinen. I)i. Werner übertrieb nicht. Einst war er ein stattlicher Mann, mit stolzer, gerader Halt ung und einem vollen frischen Gesicht. Jetzt war sein Antlitz bleich und mager, sein Rücken gebeugt und sein Haar stark ergraut. Vor fünf Jahren hatte er die kleine Praxi« de« verstorbenen Arzte« im Städtchen Marienwalde erwor ben. Er war Wittwer und hatte nur eine Tochter. Mit Eifer und Sorgfalt widmete er sich seiner Praxi« und bald hatte er ein mehr al« hinreichende« Einkom men erlangt. Da brach die Fluth de« Fortschritte« auch über Marienwalde herein. Eine Eisenbahnlinie wurde über da« Städtchen gelegt und eine Station errichtet. Die Außenwelt begann von der Existenz de« abge- legenen Städtchen« Kenntniß zu nehmen. Unter den Ersten, welche die Eisenbahn nach Marienwalde brachte, war ein Arzt. vr. Huflich war ein hoher, schlanker Mann, eine einnehmende Erscheinung, mit glänzendem, schwarzen Haar nnd einem stereotypen Lächeln. Seine Kleider