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Verhandlungen, bei welchen die Oefsentlichkeit im GerichtSsaale nicht ausgeschlossen werten, zu unter sagen befugt sein soll, wenn im Lause der Berhand- lungen eine Gefährdung der Sittlichkeit sich herauS- gestellt hat, kann man unr billigen. Dagegen hat die Novelle auch ihre bedeuklichen Seiten und vor allem muß ein Gesetz darauf eingerichtet sein, daß cS mit rem Schuldigen nicht auch den Unschuldigen trifft. Dies ist aber bei den Bestimmungen über un züchtige Schriften und Darstellungen zu besürchten. Auf Grund derselben könnte ein rigoroser Staats anwalt die weltbekannten acht Marmorgruppen auf der Berliner Schloßbrücke konfisziren lassen. Das Klassisch-Scköne ist darum noch nicht unsittlich, weil c» sich nackt darstetlt und wenn ja, so findet bei ihm der Satz seine Bestätigung, daß dein „Reinen alles rein" sei, wogegen die Unsittlichkeit ihre Stoffe auch aus dem an sich Reinsten und Edelsten hernehmen kann. DaS Gesetz in einem konstitutionellen Staatswesen soll dem BolkSempfinden Ausdruck geben ; das deutsche Bolk steht glücklicherweise noch nicht auf einer so nied rigen Stufe der Moral und Sittlichkeit, daß cs die skizzirte Novelle als mit seinem Empfinden im Wider spruch stehend abzulehucn hätte. Nur müßten Re gierung und Reichstag noch das Möglichste thun, um zu verhindern, daß aus diesem Gesetze von ungeschickten Organen Stricke für die geistige Bewegung gedreht werden können. Hagesgeschichte. — Deutschland. Der Bundesrath wird sich in nächster Zeit mit einem Gesetzentwurf über die Bestrafung des VerratheS militärischer Geheim nisse zu beschäftigen haben. Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf, wie ein Berliner Börsenblatt erfährt, im Wesentlichen darum, die weiten Maschen, welche die seither geltenden Gesetze hatten und welche selbst manchen überführten Spion durchschlüpfen ließen, enger zu knüpfen. Man fußt hierbei auf Erfahrungen, die man bei verschiedenen Prozessen gemacht hat, welche vor dem Reichsgericht in Leipzig als der zu ständigen Instanz in Reichsvcrraths-Angclegenheiken geführt worden sind. Es ist mehr als einmal vorge kommen, daß dort dem Buchstaben des Gesetzes ge mäß Personen vom Richter freigesprochen werden mußten, die überführt waren und auch gar nicht be stritten, Handlungen begangen zu haben, welche zum mindesten Vorbereitungen und Beihilfen zum Landes- verrath waren, die aber nach der geltenden Gesetzgeb ung nicht mit Strafe bedroht waren. Diese Lücken sollen ausgefüllt werden. — Wiederum wird sich der deutsche Reichstag mit dem so ost erörterten und angenommenen Anträge auf Entschädigung unschuldig Berurtheilter beschäftigen. Die deutsche Justizverwaltung nimmt nach wie vor einen durchaus ablehnenden Standpunkt zu dieser Forderung ein, nicht weil sie deren Berech tigung oder Billigkeit anzweifelt, sondern weil sie der Ansicht ist, daß eine Regelung dieser Angelegenheit von Rcichswegen unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen würde. Es ist deshalb schon häufig in den Einzelstaaten der Versuch gemacht worden, unabhängig von der Reichsgesetzgebung diese Frage zu lösen. Neuerdings ist in der badischen Kammer der Antrag eingebracht worden, die badische Regierung um Vor lage eines Gesetzentwurfs zu ersuchen, wodurch die staatliche Entschädigung freigesprochener oder außer Verfolgung gesetzter Angeschuldigter und im Wieder ausnahme-Verfahren freigesprochencr Verunheilter für den durch die verbüßte Untersuchungshaft bezw. Straf haft erwachsenen Schaden geregelt wird. Dieser An trag geht, wie man sieht, viel weiter, als ter von freisinniger Seite wiederholt im Reichstage gestellte, er geht eigentlich zu weit. ES ist kaum durchführbar, auch die Frcigesprochcnen ohne Ausnahme zu ent schädigen. Man wird unter allen Umständen von denjenigen Angeschuldigten abzusehcn haben, die ledig lich mangelnder Beweise wegen freigesprochen worden sind. Im Uebrigen aber wäre e» im höchsten Maße erwünscht, daß, wenn nnn einmal das Reich außer Stande ist, für die unschuldig Verurtheilten etwa« zu thun, alle Einzelstaaten, namentlich aber auch Preußen, diese richtige, kaum mehr bei Seite zu schiebende Angelegenheit regeln möchten. — Bekanntlich werden nach 8 300 dcS Strafge setzbuches Angestellte eines HandlungshaufeS, die treu los Bezugsquellen, HcrstellungSmitlel und Kunden listen an Konkurrenten ihres Prinzipals mitge- theilt haben, mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder mit Gerängniß bi« zu 3 Monaten bestraft. Auch kann auf eine hohe Buße für den Geschädigten er kannt werden. Im Hinblick aus verschiedene neuere Fälle ist in RcichStagSkreisen angeregt worden, auch denjenigen unter Strafe zu stellen und mit einem Schadenersatz zu strafen, der eigennützig den Verrath treuloser Bediensteten für sich verwerlhet. Er ist in der Thal nicht viel besser al« ein Hehler. ES dürfte demnächst ein dahin gehender Antrag eingebracht werden. — Oldenburg, 20. Januar. Der verhaftete Pastor Müller zu Goldenstedt hat, wie sich jetzt durch die gerichtliche Untersuchung herausstellt, seine Gemeinde im vollsten Sinne des Wortes auSgesogen und arm gemacht. Fast jeder der Gemeinde-Interessenten ist bctheiligt, ausgenommen einige größere Besitzer, die ihre Geldgeschäfte selbst besorgten. Unter den Letzteren fallen ober ein paar Leute mit ziemlich be deutenden Summen hinein, und daS sind diejenigen, die er seine besten Freunde nannte. Bedauerlicherweise kostet dein Gemeindevorsteher Brunihorst zu Golden stedt seine Vertrauensseligkeit und Gutmüthigkeit fast sein ganzes Vermögen. Müller hatte sich nämlich von ihm die Unterschriften von Kirchenrathsmitgliedern beglaubigen lassen. In dem Aktenstück handelte eS sich um die Anleihe einer größere» Summe für Kirchenzwecke. Wie oft üblich, fragte der Gemeinde vorsteher nicht erst bei den unterzeichneten Personen nach, ob sie ihre NamcnSunterschrift vollzogen hätten, da der Pastor eine schleunige Abreise vorgab. Die unterzeichneten Namen der Kirchcnrathsnutglieder waren gefälscht, das betreffende Bankinstitut besteht jetzt beim Gemeindevorsteher auf Schadloshaltung. — Wiesbaden. Folgenden Beitrag zu dem leidigen Kapitel vom Schießen des Militär« in be lebten Straßen bringt der „Rhein. Kour": Am 19. d. früh gegen 8 Uhr entfloh ein Deserteur des Hess. Jnf.-Regiments Nr. 118, welcher Tags zuvor festge nommen worden war, in dem Kirchenreul zwischen der Friedrichstraße und der katholischen Kirche, eben als die Kinder aus der Kirche zur Schule gingen, den ihn Iransportirenden beiden Soldaten; Letztere sandten dem Deserteur vier Schüsse nach, durch deren einen der Deserteur leicht gestreift wurde. In der Rhein straße nahmen die Soldaten den Flüchtling wieder fest, worauf er nach Offenbach abgeliefcrt wurde. Daß die Gefahr für die Kinder, von einer der Kugeln getroffen zu werden, sehr groß war, liegt auf der Hand. — Rußland. Die Furcht des Zaren vor Attentaten ist gegenwärtig auf den Höhepunkt ge stiegen. Der Umstand, daß der Zar nicht zur Neu jahrsbeglückwünschung, mindestens zur Wafferweihe, nach Petersburg gefahren sei, gilt in den weitesten Kreisen als eine Bestätigung der umlaufenden Atten tatsgerüchte. Die Unterlassung der Reise wird da durch erklärt, daß die Behörden dem Zaren au« Rücksicht auf seine persönliche Sicherheit neuerdings die Fahrt nach Petersburg abgerathen hätten. — Beim Neujahrsempsang im kaiserlichen Schloß zu Warschau soll Generalgonverneur Gurko zu den versammelten Vertretern de« polnische» Adel« in einer Ansprache unter andern. Folgendes gesagt haben: „Meine Herren, inir wird berichtet, daß Sie in diesem Jahre nicht tanzen wollen, und zwar aus polnisch patriotischen Gründen. Ich gebe Euch den guten Ralh, tanzt lieber freiwillig, daS wird Euch sicherlich lieber sein, als wenn ich Euch tanzen mache." Die Meldung, die Abberufung GurkoS aus Warschau stehe bevor, ist inzwischen als falsch bezeichnet worden. Bekanntlich hat der Warschauer Generalgouvernenr schon oft Ansprachen gehalten, die sich durch die nämliche Brutalität auszcichnetcn. Locale und sächsische Nachrichten. — Schönheide, 21. Jan. Am heutigen Vorm. in der zwölften Stunde wurde eine im unteren Orts- theile wohnende Witlwe auf dem Boden ihres Hauses erhängt aufgefunden. Familienzwistigkeiten sollen an geblich die bcdanernSwerthe Frau in den Tod getrieben haben. — Am Nachm. desselben Tages fand man dann den 11jährigen Sohn eines hiesigen Handarbeiters an seiner Kammerthür erhängt todt vor. Was den Schulknaben zu dieser Thal veranlaßt hat, ist uns bisher noch nicht bekannt geworden. — Leipzig, 23. Januar. Die hiesigen Buch- druckergehülscn hielten am gestrigen Abend eine gutbesuchte öffentliche Versammlung hier ab, welche ein beredtes Zeugniß von den Gesinnungen dieser Herren ablegte. Obwohl früher wiederholt versichert worden war, daß der Bnchdruckervorstand nichts mit der Sozialdemokratie zu thun habe, verpflichteten sich gestern die Anwesenden durch eine dahingehende Re solution, sich der sozialdemokratischen Partei anzu schließen und zur Verwirklichung der sozialdemokra tischen Ziele mit beizutragen. Daß unter solchen Umständen die früheren Ausständigen nicht mehr die geringsten Sympathien seitens des großen Publikums genießen, dürfte al« selbstverständlich zu erachten sein. Die Führer de« völlig verunglückten AuSstandcS suchen sich durch vorgedachte Manipulation lediglich vor den gerechten Vorwürfen der ausständig Gewesenen zu schützen und sich möglichst noch mit einem Glorien schein zu umgeben. Seiten« der Prinzipale sind übrigens neuerding» Vereinbarungen getroffen, um jedem Ausstande von vornherein nunmehr wirksam entgcgcntreten zu können uud denselben unmöglich zu machen. Weniger Geschmack an der sozialdemokratischen Propaganda legen nachfolgende Zeilen an den Tag: Ein frühere« Mitglied de« sozialdemokratischen Leipziger Arbeiterverein-, da« sich am Buch druckerstreik betheiligte, hat dem Vorstand ein Schreiben übersandt, in welchem e« heißt: „Wie der Arbeiter sein Geld lo» wird, wissen jetzt die Buchdrucker-Ge- hülfen ganz genau. — Außerdem schaue man auf die Tanzböden und dergleichen Anstalten, wo die Brüder mit den Schwestern ein fideles Leben führen u. s. w., und man weiß, wohin das Geld kommt, außer den Summen, welche die Arbeiter steuern für die Agita toren und Oberhäupter der Genossen. Ich für meinen Theil bin kurirl und werde mich nicht mehr bestimmen lassen, Steuern zu zahlen in grundlose Kassen." — Zwickau, 21.Jan. Dritte Strafkammer. Der Baugewerke Bernhard Kluge in Wildenthal hatte für den Waldarbeiter Pilz daselbst einen Haus bau anszuführen und hat bei Beginn desselben von auf dessen Grundstück umherliegendcn alten Brettern Kalkkästen, die er dann als sein Eigenthum angesehen, angefertigk, ohne daß Pilz hiervon Kenntniß gehabt haben will. Kluge behauptet jedoch, daß Pilz ihm bei Abschluß des Bauvertrages ausdrücklich erklärt habe, oaS nmherliegende alte Material möglichst mit zu verwenden. Während des Baues sind nun Beide zerfallen. Kluge gab den Bau auf, Pilz zeigte Kluge wegen Diebstahls dieser Bretter an und Kluge ver klagte Pilz wegen Bezahlung der Kosten des von ihm übernommenen Baues. In der am 9. Dezem ber v. I. gegen Kluge angestandenen Hauptverhand lung wurde nun Kluge des Diebstahls sür überführt erachtet und deshalb zu einer Woche Gefängniß ver- urthcilt, erhob aber gegen diese« Strasurtheil, weil er nur mit Kenntniß des Pilz die Bretter verwendet habe und daher unschuldig sei, Berufung und cs wurde Kluge in zweiler Instanz — unter Aufhebung des Unheils erster Instanz — kostenlos frcigesprochen. — Zwickau. Ein ganz mittelloses Dienst mädchen aus Böhmen wurde Donnerstag Abend von einem Schutzmanne auf hiesigen Bahnhofe be troffen, und erzählte, daß sie mit einem angcbl. Klempner, Namens Spitzner, welche» sie in Chemnitz kennen gelernt und welcher aus dem Vogtland« sein wollte, hier per Bahn angekommen sei, um mit in die Heimoth Spitzners zu fahren. Derselbe habe sie aber hier im Stiche gelassen, nachdem er ihr zuvor ein Portemonnaie mit 3 Thalern und einen Pfand schein über ihren in Chemnitz verpfändeten Koffer abgelockt hatte. Vorläufig wurde das Mädchen in der Mägdcherberge untergebracht und es wird nun der Versuch gemacht werden, den Betrüger anSzu- mitteln. — Wenige Städte Sachsens, ja vielleicht kaum eine noch, Werren so zahlreich milde Stiftungen mit so ansehnlichen Beträgen besitzen als Freiberg. Gan; abgesehen von de», von anderen dortigen Be hörden verwalieten gemeinnützigen Stiftungen stehen allein unter der Verwaltung des Rathes 143 Stift ungen und 12, deren Erträgnisse ganz oder theilweise der städischcn Schulkasse zufließen. Diese über andert halbhundert Stiftungen sind zum großen Theil hoch dotirt, die uralte St. Johannis - Hospital - Stiftung besitzt allein ein Vermögen, welches Ende 1890 die Höhe von 2,242,654 Alk. erreicht hatte. Die Ver- mögenssumme der oben bezeichneten 143 Stiftungen war Ende 1890: 3,533,894 Mk. zu welcher Summe noch über 2 Mill. Mark für die übrigen Stiftungen kommen. — Schneeberg, 22. Jan. Im hiesigen Königl. Lehrerseminare waren im Verlaufe dieser Woche unter den Schülern zahlreiche Erkrankungen an Jnsluenza vorgekommen. Aus Anordnung des Bezirksarztes Ur. Kalkoff aus Schwarzenberg, der heute eine ein gehende Untersuchung des Gesundheitszustände« im Seminare vornahm, wurde das Seminar ans 14 Tage geschlossen. Der Unterricht in der Seminar schule erleidet dagegen, da unter den Seminarlchrern Erkrankungen nicht eingeireten sind, keine Unterbrech ung. — Die Influenza ist überhaupt in den Semi naren zu Oschatz, Löbau, Dresden-Friedrichstadt, Grimma I und 11 und Waldenburg, neuerdings auch in Auerbach aufgetreten. Amtliche MittlMimgcn aus -er 1. öffentlichen Liiz- nng des Stadtoerordneten-Loltcginms am 2. Januar 1892, Vormittags 11 Uhr. Vorsitzender: Zu Pkt. 1 und 2 Herr Bürger meister Ur. Körner; zu Pkt. 3 und 4 Herr Vorsteher Hertel. Anwesend sämmtliche Stadtverordnete. Vom Rathe sind noch vertreten die Herren Stadt- räthe Rechtsanwalt Landrock, Eugen Dörffel und Alfred Meichßner. 1) Einweisung der wieder- bez. neugewählten Stadtverordneten. Der Vorsitzende spricht dem Collegium zunächst seinen Glückwunsch zum Jahreswechsel au«, hoffend und wünschend, daß die Thätigkeit des Collegium« auch im neuen Jahre eine recht segensreiche sein möge. Er giebt sodann über die stüdt. Verwaltung im vergangenen Jahre einen kurzen Bericht und führt de« Weiteren die Vorlagen an, mit welchen sich da« Collegium voraussichtlich im nächsten Jahre zu be schäftigen habe. Er erinnert an den Schulbau, die Umgestaltung de« Schulwesens, die Begründung einer gewerblichen Fortbildungsschule, die Einführung der Biersteuer, die Einrichtung der Wasserleitung und dergl. mehr. Hierauf werden die mit Beginn de« Jahre« in da« Collegium neueingetretcnen Stadtver ordneten von dem Vorsitzenden in diese« Amt einge- wiesen, wobei derselbe der Erwartung Ausdruck giebt,