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Beilage ;u Rr. 7 des „Amts- und Anzeigeblattes." Eibcnstvlk, den 16. Januar 1892. Der letzte Postschirrmeister. Original-Novelle von Th. Schmidt. (l. Fortsetzung.) Bald ist. soweit die Menschheit haust, .. s sÄt Das Dampfroß rings durchs Land. H B. Scheffel lPosthornHänge). DaS Posthalis in Bergkirchen lag in der Mitte de« langgestreckten frenndlichen Städtchens und »lachte mit seinen grüngcstrichenen Fensterläden nnd seiner wcinberankten Front einen anheimelnden Eindruck. Ein kleiner umzäunter Blumengarten, der durch einen mit rothen Fliesen belegten Weg von der Straße zur Eingangsthür in zwei gleiche Thcilc zerlegt wurde, ließ erkennen, daß der Postmeister — diesen Titel legte Jeder dem Vorsteher des Postamts bei, obschon derselbe ihin erst in den letzten Jahren seiner Amtsthätigkcit verliehen wurde — ein Freund der Kinder Floren- war, denn im ganzen Orte gab es kein Gärtchen, das mit jenem sich vergleichen ließ. Wie der Weg den Garten, so theilte auch ein mit gleichartigen Fliesen belegter Flur das Haus im Innern in zwei Hälften. Das war aber auch das einzige Regelmäßige an der ganzen Bauart des schon ziemlich alten Hauses. Während nämlich zu den links und rechts an den Flur stoßenden Wohn zimmern, von denen das eine die ..gute Stube" der Frau Postmeister war, zwei Stufen hinabsiihrten, lag das Postdienstzimmer sieben Stufen über der Hausflur. Der Postmeister, ein hagerer, blasser, im Tienst ergrantcr Mann, mit langem, weißen Bart nnd stets ernsten aber nicht unfreundlichen Mienen, hatte vor Jahren sehr oft seiner behäbigen und sehr energischen „besseren Hälfte" den Vorschlag gemacht, das Dienstzimmer in einen der unteren Räume zu verlegen, aber er war damit nicht durchgedrungen. Die Frau des Hauses wollte die beste« Zimmer für sich und die Kinder behalten. „Wer zur Post wolle, könne auch die paar Stufen hinaufsteigen," so hatte sie ihrem Manne stets geantwortet und dabei war es geblieben. 'Run waren aber durch die sonderbare Vage des Dienstzimmers Unzuträglichkeiten in Bezug auf die Reinhaltung des Flures und der Treppenstufen ent standen, über deren Beseitigung die äußerst reinliche Fran des Hauses lange vergeblich nachgcsonnen hatte. Endlich hatte sic einen Ausweg gefnnden. Eine» Sonnabends-Morgens — Hausflur und Treppe waren eben so sauber gescheuert, daß selbst das schärfste Auge kein Stäubcbcn würde daraus entdeckt haben — eines Morgens also war der Treppenaufgang durch ein in Ruhestand versetztes Gartenzitter abgesperrt und über demselben hing, an einen Bindfaden be festigt, welcher oben auf der Treppe gerade über den sogenannten „Postschaltcr" über einen dicken Nagel lief und im Dicnstzimmer endete ein — Eigarren kasten mit der Aufschrift: „Zum Einlegen der Post sachen." Großartiger Gedanke das! Leiber sand der selbe nicht den gebührenden Beifall des Hausherrn, aber er mußte sich fügen, denn im Hause wußte sich die Frau Postmeister als allein Kommandirendc zu behaupten. Das Publikum lachte und der Hausherr zuletzt auch; die blendende Weiße der Treppenstufen war wenigstens für den Sonntag gerettet. Mehrere Jahre funktionirte der ingeniöse Fahrstuhl für Briefpost gegenstande, bis eines Tages der PostaufsichtSbeamtc ihn entdeckte'und seinem Dasein ein Ende machte. Freilich, auch dieser Herr schüttelte sieb zunächst vor Lachen, aber er durfte die Weiterbcnutzung nicht ge statten. Die Fran Postmeister, welche ihn sonst regelmäßig zu einer Tasse Kaffee einlud, war aber seitdem stets unsichtbar, sobald der sonst liebens würdige Herr zu einer Revision erschien. Sie hat ihln das nie verziehen. Das die Post benutzende Publikum war damals noch nicht so verwöhnt wie heute, denn nächst dem Cigarrenkasten-Fahrstuhl war auch der „Postschalter" einzig in seiner Art. Der ganze Schalter war weiter nichts, als ein etwas erweitertes Osculoch in der Wand. Die Ocffnung lag aber längst nicht mitten in der Wand, sondern sie führte gerade durch eine Zwischenmauer und schwenkte dann ähnlich wie bei einem Tunnel rechts ab ins Bureau. In weiser Ueberlegung hatte der Hersteller dieses Miniatur tunnel« denselben genau so lang gemacht als den Arm eines erwachsenen Menschen und dann die Ocffnung, welche in'S Bureau mündete, init einem Blechdeckcl — die Bezeichnung „Thür" wäre zu großartig gewählt — verschlossen. Kam nun Jemand, um einen Brief aufzuliefern oder um Marken zu kaufen, so hatte er zunächst seinen Arm bis an die Schulter in den Schalter-Tunnel zu stecken und an den Deckel zu pochen, wurde nicht geöffnet, so konnte er denselben zurückstoßen, worauf er mit laut poltern dem Getöse in« Bureau kollerte und so den Postbe amten alarmirte. Diese postidillische Einrichtung be- I zeichnete ein Plakat mit „Briefannahme." Die „Packetannahme" reihte sich jener würdig zur Seite, indem der ganze Partetschalter nur aus einem Loch in der Thür bestand, welches dadurch gewonnen war, daß man die mittlere Füllung herausschnitt, deren unteren Rand mit zwei eisernen Gelenkbändern versah, dieselben an der Thür befestigte und so eine Art Klapptisch erhielt. In diesem Zustande hatte Röder, der Postmeister, da« damals noch mit „Postspedition" bezeichnete Postamt übernommen. Zn Aenberungen und Verbesserungen, welche er gleich beantragte, wollte die vorgesetzte Behörde kein Geld bewilligen, nnd da jene spaßig- primitive Einrichtung dein Verkehr genügte, so blieb's beim Alten. Die jetzige Generation, welche mitleidig-spöttisch auf die „gute alte Zeit" blickt, hat keine Ahnung da von, mit welchen bescheidenen Mitteln und Einricht ungen man sich früher begnügte. Die so oft ver höhnte „gute alte Zeit" mag weniger praktisch als die 'Neuzeit gewesen sein, gemüthlicher in der Gesell schaft und Familie war's in ihr entschieden. Röder war, wie schon erwähnt, im Dienste er graut nnd Vater von sechs unversorgten Kindern. War er als Mensch und Familienvater in jeder Be ziehung ein Muster, so war er als Beamter ein Original. Streng und gewissenhaft in allen dienst lichen Dingen, hielt er sich stets getreu an den Wort laut seiner Instructionen und Verfügungen und er regte dabei, namentlich durch die Umständlichkeit, mit der er bei Erledigung der letzteren oft verfuhr, nicht selten große Heiterkeit bei seinen Vorgesetzten. Erhielt er z. B. „von oben" wegen eines in seinem Amte geschehenen Versehens, z. B. bei der Beförderung eines Briefes ;c. eine schriftliche Auf forderung zur Verantwortung mit der ein für allemal vorgedruckteu Bemerkung, „DaS Postamt hat den schuldigen Beamten zu ermitteln und dessen Ausweis hier beizufügen," daun strich er, als der alleinige Beamte der Postspedition, eine Weile schmunzelnd mit den hageren Fingern durch seinen weißen Bart, setzte sich daun gemächlich an seinen Arbeitstisch und schrieb Folgendes unter den Text des Schreibens der hohen Behörde: „Dem Herrn Postspediteur Röder, als den schuldigen Beamten, zum Ausweis. Post spediteur Röder." Hierauf schrieb er Ort und Da tum nieder, adressirte das Schreiben an die Post spedition zurück und ließ der Adresse die Aussage des „schuldigen Beamten folgen mit der gehorsamen Bitte um nachsichtige Beurtheilung des Versehens. Da nach schrieb er wieder in seiner Eigenschaft als Vor steher der Postspedition nochmals Ort, Datum und die Adresse der vorgesetzten Behörde nieder, um end lich mit einem kurzen Bericht zu seiner eigenen Aus sage die Angelegenheit gemäß dem Wortlaut der Ver fügung zu erledigen. Wohl wußte er, daß man „oben" über ihn lachte, aber es machte ihm Vergnügen, die Herren am „grünen Tisch" auf den für sein Amt nicht passenden Vor druck der Verfügung aufmerksam machen zu können. Auch in anderen dienstlichen Angelegenheiten, z. B. bei Rücksendung solcher Brief- oder Druck- sachcnscndungcn, welche mit unvollständiger Adresse einliefen oder aus irgend einem anderen Grunde nicht an den Empfänger ausgchändigt werden konnten, verfuhr er in höchst origineller Weise. So lautete einmal die Adresse einer Drucksache: „An den Herrn Barbier 'N. 'N. in Bergkirchen." 'Nun erfreute sich aber der Ort zu der Zeit noch nicht des Besitze« eine« solchen Antlitz- und HauptvcrschönererS und so schrieb Röder ärgerlich kurz: „Hier gicbtS keinen Barbier, indem Jeder sich das Maul selber putzt." Kameu Briefe an mit dem seltenen 'Namen „Mehcr" und fehlte dabei der Vorname, so gingen sie mit nächster Post mit dem Vermerk: „Welcher von einigen Zwanzigen?" wieder zurück. Solche und viele andere Züge aus dem Leben RöderS erzählen sich noch heute zcine Lollegen. Trotz seines ernsten Wesens nnd seiner pedantischen Ge wissenhaftigkeit Ivar er gleich wie sein ihm an Jahren fast gleichender „Postschirrmeister" der beliebteste Mann in dem Städtchen. Durch deu Fortgang seines ältesten Kindes in die weite Welt Ivar Röder gleichsam ein Stück vom -Kerzen gerissen. Den ganzen Tag wiederholte er sich die Frage, ob er auch recht gcthan habe, das unerfahrene Mädchen in die Fremde ziehen zu lassen. Nora war schön, die Männer würden ihr nicht gleichgültig begegnen, ein junges schönes und allein stehendes Mädchen ist ja zu leicht der Gefahr ausge setzt, von einem gewissenlosen Manne getäuscht und be trogen zu werden. Seine Bedenken, die ihn unausgesetzt quälte», äußerte er bei Tisch wiederholt gegen seine Frau, welche sich nicht »linder um Nora grämte, aber nicht so leicht verzagte als ihr Mann. „'Nora ist kein Kind inehr," sagte sie zu ihrer und ihres Mannes Beruhigung, „Sic weiß, was sic sich und Hren Eltern schuldig ist. Auch ich habe, noch jünger an Jahren als sie, zu fremden Leuten müssen. Weiß sie ihre Stellung in der Familie des reichen Petroleum Fürsten so einzurichtcn, daß Alle ihr mit Achtung begegnen — und ich bin davon fest über zeugt — so kauns ihr Glück sein. Die deutschen Mädchen sind in Amerika gesucht; 'Nora bekommt soviel Salair, daß sie, wenn sie sparsam ist, in zehn Jahren ein kleines Vermögen erworben haben kann, mit dem sich hier oder in der größeren Stadt eine Privat- schnle oder Pension gründen läßt. An eine Heirath ist in unserer Mittellosigkeit nicht zu denken, umso- mehr nicht, als sie selbst kein Verlangen nach einem Manne mehr gezeigt hat, seitdem der Mensch, dem Du in Deiner Kurzsichtigkeit ihre Hand versprachst, dahin geflüchtet ist, wohin sie alle gehen, wenn sie hier moralisch Schiffbruch gelitten haben." „Verschone mich, bitte, nur heute mit solchen spitzfindigen Reden, Clementine," entgegnete Röder mit einer abwehrenden Handbewegung. „ES ist nutz los, jetzt »och darüber zu streiten ob ich recht handelte oder nicht. Ich wollte nur Noras Bestes, daß es anders kam, daran bin doch ich nicht schuld." „In einer Beziehung doch," versetzte Frau Cle mentine im herbe» Tone. „Du hättest mit den» Jawort warten sollen, bis der Mensch eine feste, sichere Stellung hatte, in der er einerseits eine Frau ernähren und andererseits nicht so leicht ans Abwege gerathen konnte, weil sie ihm den Verkehr mit ernsten gesetzten Männern zur Pflicht machte." Röder wickelte ungeduldig seine Serviette zu sammen und legte sie, obschon er erst wenig gegessen, ans den Tisch. „Es ist sehr leicht, nach dem Fehl schlagen einer Hoffnung den Besscrwisscnden zu spielen. Gestehe es doch, war Dir der Fritz Bor mann so wie er war als Schwiegersohn nicht ange nehm? Hast Du ihn nicht oft eingcladeu und sein liebenswürdiges Wesen, seine feinen llmgangssormen gelobt?" Frau Clemeutiuc zuckte mit deu runde» Schultern. „Das ist zwar richtig, aber das alles war kein Grund, ihn nolens volens auch als Schwiegersohn anzuer- kenncn. Man ladet oft Menschen zu Tisch, zu denen wir unter keinen Umständen in ein verwandtschaft liches Vcrhältniß treten möchten. Wenn ich auch einen Subaltcrnbeamten geheirathct habe, so bleibe ich doch immer die Tochter eines Gutsbesitzers, zu der ein schlichter Post-Schirrmeister nicht paßt; das hättest Dn bedenken sollen." „Auch das ist nichts Neues, ich hab'S zum Ueber- druß oft genug von Dir hören müssen," erwiderte Röder mißmuthig. „Ihr Frauen urtheilt nicht niit dem Verstände, sondern nut dem Gefühl. Ich will die Vorzüge meines braven Bormann nnd diejenigen Deines verarmt verstorbenen Vaters nicht zusammen auf die Wagschaale werfen, aus Rücksicht gegen Dich, verstehst Du, Clementine, und ich hoffe, Du wirst mir das danken. Ich habe nicht-nach den Antecc- dcntien und dein Vermögen Deines Vater« gefragt als ich Dir damals als gereifter Manu Herz und Hand anbot, ich habe nur um die hübsche Clementine Warnov geworben, um weiter nichts. Ich mache nicht die Kinder für die Handlungen ihrer Eltern oder umgekehrt verantwortlich. Ich sehe nur auf das Herz und nicht auf den Rock und die Stellung eines Menschen. Und nun genug davon. Laß uns lieber au unser Kind denken, Noras Gedanken werden heute immer bei uns weilen und ihr gutes weiches Herz wird mit Trauer erfüllt sein." Dieser Hinweis genügte, um Frau Clementinen«! Oppositionslust zu ersticken. Im Grunde genommen hatte ihr Mann ja auch recht, das gestand sie sich selbst ein; aber es lag in ihrem, durch ihres Mannes .Nachsicht allmählich groß gezogenen rechthaberischen Wesen, jenen für Alles verantwortlich zu machen. Dem Gespräch eine andere Wendung gebend, fragte sie: „Wann wird 'Nora voraussichtlich am Ziele sein?" „In längsten« zwölf Tagen", antwortete Röder sinnend zum Fenster hinausblickcnd. „So hätten wir erst in vier Wochen einen Bries von ihr zu erwarten . . . eine lange Zeit. Der Herr Pfarrer kommt wohl morgen Abend wieder zurück?" „Ja, wenn keine Hindernisse seinen Reiscplan stören. Ich werde ihm diesen Freundschaftsdienst nie vergessen." In diesem Augenblicke wurde die Thür geöffnet und drei hübsche Knaben im Alter von elf bis vier zehn Jahren stürmten, die Schulbücher unter den Armen, ins Zimmer. Röders Blicke ruhten mit Stolz auf den frischen, von der winterlichen Luft geröthetcn Gesichtern der Knaben, welche ihre Bücher ordnungsmäßig in eine Büchcrbörtc im Nebenzimmer packten und sich dann am Tische nicderließen, um da« einfache Mahl mit dem gesunden Appetit der Jugend einzunehmcn. Auch die Zweitälteste Tochter, Johanna, bei welcher der