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gäbe, wozu bestimmte Organe nöthig sind. Taubgeborne Kinder machen die gesehenen Bewegungen, blindgeborene die gehörten Laute besser nach, als normal entwickelte. Die Nervenbahnen zwischen Gehör- und Sprach-Centren werden mehr gebraucht, weil früher gangbar, als diejenigen zwischen Sprechen und Sehen. Die Vokale werden zuerst erkannt, die Consonanten viel später und noch später nachgebildet. Die Lippenlaute, deren zugehörige Bewegungen gesehen werden, gelingen schneller und besser, als die unsichtbar bervorgebrachten Zungen- und Kehl- Laute. Freiwillig werden Worte vom Kinde leichter gesprochen, als auf Befehl; ja letzterer, unverständig forcirt, veranlasst leicht Stottern. Nachahmung von Thierlauten oder Geräuschen bildet eine wichtige Phase der Sprachentwicklung. Gleichsilbige Wörter werden am leichtesten nachgesprochen, weil das Kind überhaupt die Silben zu verdoppeln liebt. Letzteres findet sich auch in der Sprache von Naturvölkern. — Die Consonanten g, k, ch, sch, st werden oft im dritten Jahre noch schwer nacbgespro- chen, ausgelassen, oder mit anderen vertauscht, was für die sprachliche Ausbildung nicht übersehen werden darf. — Nach Preyer entfaltet sich das Verständniss für Gehörtes viel früher, als das Vermögen, die Vorstellungen in Worte zu kleiden, denn jener Act setzt diesen voraus. Im 14.—16. Monat verbindet das Kind das Wort mit der entsprechenden Person, diese mit Fin gern bezeichnend auf die Frage: „Wo ist Papa oder Mama?“ Im 21. bis 23. Monat werden verschiedene Anweisungen ausge führt und bestimmte Empfindungen selbständig bezeichnet (z. B.: „heiss“!). — Der Satz als Gedankenform wird anfangs durch Ein Wort: Substantiv, Verbum, Adjectiv ersetzt. Dann gelingen biverbale Combinationen. — Wenn gewisse Laute verschiedenen Stimmungen des Kindes entsprechen, — mämä angenehm, nana, verlangend, atta beim Verschwinden oder Fortgehen —, so liegen vielleicht ererbte Reste einer alten Gefühlsprache vor. — Bald sprechende Kinder werden nicht immer die gescheitesten, son dern oft umgekehrt, weil bei jenen zwar das Gehirn am schnell sten wächst aber auch am frühsten in der Entwicklung stillsteht. — Das zuletzt Erlernte, die Bildung ganzer Worte geht bei Er-