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Sie ihn wieder. Lernen Sie mit lauter Stimme, aber fliehen Sie den Spiegel, mit geschlossenen Äugen denken Sie über sich nach, und wie Ihre Gestalt auf der Bühne verkehren, und wie sie dabei wohl aussehcn mag. Probiren Sie ohne Rück sicht, ob Ihr Nachbar an Ihrer rechten oder linken Seite er scheine, ob er weit rückwärts stehen werde. Geben Sie dem Publikum stets Ihr Gesicht en iace, wenigstens so viel als irgend möglich ist. In der Aufführung verthun Sie nicht in vielen Bewegungen, reden Sie lieber geradezu, und ruhig, als daß Sie zu empfinden scheinen wollten, wo Sie nichts empfän den. Gibt das innere Leben Ihrem Gesicht Ausdruck, so ist dieser der rechte, und streben Sie nie danach, durch Gesichter manchen Ausdruck zu suchen. Haben Sie dieselbe Sorgfalt für das Thun Ihres Mitspielers, wie für Ihr eigenes. Wollen Sic nicht wirken und thätig sein, wo nichts zu thun ist, und liefern Sic von jeder Gattung, bis herab zum Karrcnschieber, das Anständigste." 2. H Literarisches Feuilleton. Kreuzer, Narren und Lootscn. Unter diesem Titel hat Ernst Willkomm, der Verfasser der Bpronnovcllcn, kürzlich eine Sammlung von „Novellen, Land - und Scebildern" (zwei Theile, Leipzig, bei Kollmann) herausgegcbcn. Wir treffen hier unfern Poeten in seiner eigentlichen Sphäre, auf vertrautem, theils heimischem Boden. Willkomm ist selbst Grenzer von Geburt, hat einige Sommermonate auf Helgo land zugebracht, wo er mit dem Meer und dem Lootsenwcscn gut Freund geworden ist und, seiner Natur nach, werden mußte; und was die Narren betrifft, so hat er diese Gattung von Menschen von je seiner vorzüglichen Aufmerksamkeit ge würdigt und sich in ihre Seelenzustände zu versetzen gesucht, was ihn mitunter, indem er das Barocke schilderte, selbst barock machte. Für diese letztere Bemerkung sprechen auch in dem vorliegenden Buche manche Einzclnheitcn und besonders die beiden Novellen: „Geschichte einer unsterblichen Fliege" und „der prophetische Mund", eine närrische Begebenheit. Desto wahrer, dem Leben entnommen, sind die Grenzgeschickten, treue Spiegelbilder eines kräftigen und originellen Menschenschlags. Hier beeinträchtigt auch die Subjectivität des Verfassers durch aus nicht die geschilderten Gegenstände, weil jene mit diesen in innigem Zusammenhangs steht. Außerdem haben diese Er zählungen noch das bedeutende Verdienst, daß sie sich mit Sit ten und Eigcnthümlichkcitcn abgeben, welche, seit Jahrhun derten treu bewahrt, nach und nach verschwinden, zum Thcil schon verschwunden sind. Es ist gut, wenn deutsche Dichter die Provinz, in der sie geboren und erzogen sind, zum Boden ihrer Darstellungen machen; i- ' chen einzelnen provin ziellen Zügen sind sic meisten .>chcr, als wo sie das allge meine Rationelle zum Borwurf ihrer Dichtungen nehmen, die sich dann nicht selten in das Unsichere und Nebelhafte ver lieren. So wie die Grenzer, so sind auch die Lootsen Leute, welche Willkomm mit richtigem Blick erkannt hat, ja, seine Seebilder überraschen um so mehr durch ihre Vortrcfflichkeit, ! je weniger die Deutschen bisher noch in diesem Genre geleistet. Willkomm hat dazu ein entschiedenes Talent, das er je eher, je lieber in einer umfassenden Darstellung — in einem See romane — geltend machen möge. Willkomm braucht Natur menschen oder Charaktere, welche mit dämonischen Eigenschaften die Grenzen der gesellschaftlichen Gesittung überspringen; die Conflikte unsrer socialen Verhältnisse haben ihn gewöhnlich vom rechten Wege abgeführt und ihm harte Vorwürfe der Kritik zuzezogen, die er schon früher hätte vermeiden können. Zum Schluß noch eine Bemerkung. Willkomm liebt die dunklen, blutigen Ausgänge in seinen Erzählungen; das ist nicht immer wohlthuend, bisweilen ohne eigentliche Nothwcndigkeit. Unsere Zeit ist so arm an jener idealen Heiterkeit, daß man nicht ost genug vor ihrem Gegentheile warnen kann. Französische Zustände. Die Romane der Franzosen geben die treusten Schilderungen der socialen, meist sehr ver dorbenen Verhältnisse, wenn auch nicht Frankreichs, doch der Hauptstadt. Aus diesen Verhältnissen ist die französische Ro mantik hervorgcgangen, die man natürlich in Deutschland so gleich nachgeahmt hat, ohne jedoch das Fundament eines so bewegten Lebens zu haben, wie die Pariser. Deshalb sind viele unserer neuern Romane so hohl und langweilig. Die Franzosen hingegen (auch die Engländer) brauchen nur ge treulich zu copiren, was sie täglich erfahren, um schon inter essant zu sein. Das wissen auch die Leser und suchen und finden in jedem Romane die Porträts lebender Personen. Der gleichen Porträts sind zum größten Thcil voll moralischer Ge brechen, wie die Originale. Sehr bezeichnend ist, was ein Berichterstatter im Morgcnblatte erzählt. „Ohne Paris, meint er, würde die ganze französische Romantik langweilig sein. Aber Paris bietet Eugene Sue hinlänglichen Stoff zu einem sechsbändigen Roman „Mathilde", und die Gräfin dÄ versicherte mir, alle Welt habe sofort gewußt, wer mit diesem und jenem und mit dieser und jener im Roman gemeint sei, nur dem einzigen tugendhaften Charakter im Buche gegen über, ich meine Mathilde, habe ganz Paris gefragt, wer das sein könne?" — Ist dieser Zug nicht ein sprechendes Zeugniß für die Verdorbenheit der Pariser? 2- H. M i s c c l l c n. — Die Verpflanzung einer großen Anzahl keltischer Be wohner der schottischen Hochlande nach Canada hat die Folge gehabt, daß die gälische Sprache in Nordamerika heimisch geworden ist und in jenem fernen Lande Sagen über die Heimath sich fortpflanzcn, in der sie vielleicht schon vergessen sind. Die Acclimatisirung von Celten, welche ihre originelle und alte Sprache reden, in den Wäldern Amerika's, ist sicherlich eine höchst merkwürdige Lhatsache. Sogar ohne Literatur sind die Celten jenseits des atlantischen Meeres nicht; sie haben Bibeln in gälischer Sprache, ihre Geistlichen predigen gälisch und es erscheint sogar eine Zeitschrift in gälischer Sprache: „Der Wanderer in den Wäldern," die wöchentlich einmal in Küngston herauskommt.