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einen Schatz in ihren Herzen hinterlassen, der edler ist als aller Rcichthum der Welt. Zahlrnverhältnisr der beiden Geschlechter. In Amsterdam gibt es 21,000 Weiber mehr, als Männer; in Stuttgart kommen auf einen Mann zwei Frauen; in Leipzig kommt ein Mann auf eine Frau. Wählerische Heirathscan- didatcn müssen alle nach Amsterdam gehen; eine Parthie schöner Holländerinnen dagegen würde uns in Leipzig sehr willkom men sein. Der Diolinvirtuos Ernst hat in Warschau Furore erregt. Man drängte sich zu seinen Concerten, obwohl das Billct — einen Ducatcn kostete. Die Patricier in Frankfurt a. M. werden in einem Briefe von dort (in der Zeitung für die elegante Welt) folgendermaßen geschildert: „Erinnerst Du Dich noch," schreibt der Berichterstatter, „als ich vergangenen Winter Dich die Revue der Frauen passtrcn ließ, die in den ersten Ranglogen des Theaters saßen? Jede Loge hat da nach Erbrecht ihre be sondere Physiognomie. Dort das zarte Gesicht mit etwas ein gedrückter Nase, aber Hellem sanftmüthigen Blicke, ist ein un verfälschtes Patriciergesicht. Es spielt ein diplomatischer Zug um die Lippen. Das Mädchen ist nicht schön, aber cs hat eine so bescheiden züchtige Physiognomie, worauf zugleich Adel und Stolz sich gegenseitig bespiegeln, es drückt sich auf ihren Zügen das innere Bewußtsein des patricischcn Werths so fest aus, daß sie mit keiner Königin tauschen würde. Und sie hat Recht! Sie hat wenigstens sehr viele Anbeter; ihr Vater, ein ehrwürdiger, leutseliger Mann, hat ihr nie ein beleidigendes Wörtchen gegeben. Sie verstehen sich sympathetisch, sind höflich gegen Jeden, aber wissen sich gut zu schätzen und geben sich nicht so leichten Kaufes allen Gesellschaften hin. Diese Erz- patricier zeichnen sich eben so durch ihre häusliche Tugend und Einfachheit aus, als Lurch äußere Haltung und höfliche In toleranz. Das ist die adlige Patricierfamilie. Dicht neben ihr kommen die juristischen Patricier. Sie sind nicht so reich, nicht so diplomatisch fein, wie die ersten, aber sie repräscntiren den Staat und rcspectiren sich selbst. Diese zeichnen sich durch ihr weiches Herz und ihr schlechtes Deutsch aus. Ihre Phy siognomie ist ebenfalls charakteristisch, man kann sie eine alt modische nennen, Geschwisterkinder von den Augsburger Nasen und Nürnberger Stirnen. Die dritte Patricierclassc ist die millionärische, die glänzendste im Aeußern, aber es fehlt ihr oft der angcborne Adel der ersten und der originelle gutmüthige Zug der zweiten Elaste. Diese sind die stolzesten äußerlich, ihnen fehlt aber das wahre Bewußtsein des äußern Werthcs. Sie sind im Stande und machen drei Dummheiten in einer Minute, und denken, wie die Sachsenhäuser: I bin von he und bin Millionär. So ein Familienvater, besonders wenn er Kinder hat, hat seine besondere Physiognomie und ver schmäht durchaus den Witz nicht." Eine Hosenrolle. Vor Kurzem hat man in Stuttgart bei der Ausführung des „Kaufmann von Venedig" von Sha kespeare die Rolle des Lancelot Gobbo einer Dame zugetheilt. Dazu konnte doch wohl nur der völlige Mangel eines geeigneten Schauspielers verführen. Wie vorauszusehen war, ist auch wirklich aus dem Gobbo eine Art Oamin üe ?aris, nach deutscher Auffassung, geworden, durch welche der eigentliche Straßenjungencharakter zum großen Theil verwischt wird. Die französische Darstellerin des Gamin, welche wir neulich in Leipzig sahen, hat gezeigt, was der Verfasser unter jenem ver standen hat. In Paris wird der Gamin von einem Mann ge spielt, doch möchte sich freilich nicht überall eine passende männ liche Persönlichkeit zu einem „Jungen" finden; aber den Lan- cclot Gobbo von einer Dame gebe» zu lassen, dicß scheint uns in jedem Falle mindestens bedenklich. Die Supplemente zu den Schriften berühmter Autoren spielen jetzt eine große Rolle. Wenn sie wirklich suppliren, so kann man nichts dagegen haben, sie können sogar bei wissen schaftlichen Werken als nothwcndig erscheinen, z. B. Duller's Fortsetzung Her Schiller'schcn Geschichte der Niederlande; aber nicht selten wird für eine Ergänzung ausgegeben, was durch aus keine ist. Dazu gehört der bei Urban Kern in Breslau erschienene Roman der Lady Bulwer: „Cheveley oder der Mann von Ehre" (acht Bändchen), ein Werk, das, wie man sagt, von der Verfasserin geschrieben ist, um ihren Mann an den Pranger zu stellen. Sollen ihre Schilderungen das Urtheil des Publikums über den Charakter und die Persönlichkeit Bulwer's suppliren? I. H Literarisches Feuilleton. Die Wiener Poesie, oder — damit wir nicht mißver standen werden.— die Wiener Poeten wenden sich seit einiger Zeit mehr der Prosa zu. — In dieser neuen Beziehung sind sie als Anfänger interessant, und auch die Versuche nehmen die Aufmerksamkeit der Kritik in Anspruch. Eins vor allem wäre zu wünschen: daß sie sich naturgemäß nationcll aus sich selbst entwickeln, wie in ihrer Lyra und in ihren komischen Melodramen; denn sonst würden sie beim Beginn am Ende sein. Das Wiener Leben z. B. bietet dem Roman den reich haltigsten Stoff; möchten sie ihn mit der Harmlosigkeit und Unbefangenheit ausbeuten, die ihnen — bei dem Mangel eines spcculativen GedankeMcbens — so wohl anstehen! Bis jetzt hat es den Oesterreichern mit dem Erzählen noch nicht recht glücken wollen; selbst die sonst bedeutenderen, wie N. Vogl, sind in ihren Novellen schwach. Mit Auszeichnung verdient genannt zu werden der Roman von ^Lschabuschnigg: „Ironie des Lebens" (2Bände, Wien bei Rohrmann), welcher sich bedeutsam über die tappende Masse erhebt. Die Damen von Stande beherrschen jetzt keinen ge ringen Theil (quantitativ, wie qualitativ) der gegenwärtigen Literaturprovinzcn. Das lesende Publikum hat sich mit leb hafter Theilnahme für sic entschieden; der Kritik ist die Er klärung dieser Erscheinung überlassen. Unter allen Inter preten scheint uns Kühne bei Gelegenheit einer Besprechung des Romans: „Schloß Goczyn" (Breslau bei Kern) in der Zeitung für die elegante Welt M Wahrheit getroffen zu haben, wenn er sagt: „In dem, was das feinere Publikum