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261 Die französische Reitkunst. Paris, Frühjahr 1842. — „Es war im Jahre 1792; die unerschrockensten Reiter von Berlin waren in der königlichen Reitbahn versammelt. Auf welche Seite hin man auch die Blicke wendete, überall sah man prächtige Uniformen, junge und schöne Ofsiciere mit schlanker Taille und gewichsten, aufwärts gebogenen Schnurr bärten. Es handelte sich hier in der That darum, eine Probe seines Muthes und seiner Geschicklichkeit abzulegen, ein Pferd zu reiten, das bisher noch kein Stallmeister hatte zähmen können. Daher konnte es nicht fehlen, daß nicht wenig Ab sattelungen stattfanden. Endlich blieb das Pferd unbesetzt; nicht Einer meldete sich mehr, der Lust gehabt, es zu be steigen. Aber mitten unter der Menge von jungen, eleganten und scherzenden Leuten gewahrte man eine Person, welche durch Haltung und Costüm sich auffallend von den preußischen Officieren unterschied, deren militärische Eleganz damals so berühmt durch ganz Europa war. Er trug einen bescheidenen Reitsrack, bis oben herauf zugeknöpft, und ging harmlos, eine kleine Reitgerte unter dem Arme, auf und ab. In seinem Gesichte konnte man indessen ein ironisches Lächeln nicht verkennen; einigen jungen Reitern fiel er auf, und einer von ihnen näherte sich ihm mit höflicher Miene. „Der Herr," sprach er auf Französisch, „ist wahrscheinlich ein Freund der Reitkunst?" „Ja, ein wenig," entgegnete ziemlich trocken der Angeredete. „Nun, sagen Sie, mein Herr, haben Sie schon viel Pferde, wie dieses da gesehn?" „Ich muß gestehen, nein!" „Sie haben also, wie es scheint, keine unzähmbaren Pferde in Frankreich?" „Hm, wir glauben vielmehr nicht an unzähmbare Pferde." „Sie haben indessen selbst gesehn, daß es deren gibt." „Das beweist nichts." „Würden Sie es besteigen, Sir?" „Warum nicht?" Während dieser Unterhaltung hatte sich die Gruppe um die beiden Sprechenden vermehrt; und bei der letzten Antwort des französischen Emigrirten erscholl es von allen Seiten: „Gut, reiten Sic! Man führe das Pferd vor!" Ohne große Umstände schwang sich unser Mann in den Sattel. Unter den versammelten Anwesenden, die noch eben einen so heftigen Lärm gemacht, trat eine Lodtenstille rin, eine Stille, wie sie bei der Erwartung einer bedeutenden Ka tastrophe gewöhnlich ist. Unterdessen hatte das Pferd noch nicht den kleinsten Satz gemacht; es schien fromm, wie ein Lamm und ließ sich mit Leichtigkeit von seinem Reiter lenken; es that, was dieser wollte; es trabte, es sprang an, ging in kurzem Galopp, es wechselte den Tritt, kurz, führte alles aus, was man von einem wohl abgerichtcten Pferde nur verlangen kann. Bei den Zuschauern macbte das Scherzen bald der Bewundrung Platz, und der Reiter galoppirte triumphirend an ihnen vor über. Da trat einer aus dem Kreise und sprach: „Wenn Sie nicht der Trubel sind, so find Sie Herr von Labesac." Es war wirklich Herr von Labesac, erster Bereiter in der Pagenreikbahn Ludwigs des Sechzehnten. Auf solcher Höhe und in solchem Rufe stand zu jener Zeit die französische Reitkunst! Und in der That wir begreifen die Nachahmungssucht nicht, welche über unser Frankreich seitdem gekommen ist. Hat Frankreich nicht immer für das Vaterland, die Heimath des Luxus, der Eleganz, des Glanzes aller Art gegolten, und besonders derjenigen Vergnügungen großer Herrn, auf welche aller Eifer und alle Mittel verwendet wurden? Nicht genug, daß unsere Sprache, unsere Moden von ganz Europa wie ein Typus des guten Geschmacks, der ausgezeichnetsten Eleganz angenommen wurden; nicht genug., daß die Stücke unserer dramatischen Dichter auf allen Theatern gespielt wurden — wir gingen auch allen übrigen Völkern in der Hähern Reit kunst voran! Damals kannte nian noch nicht ihre Aus wüchse, kannte nicht die barbarische Steeplerchase der Eng länder, obgleich man nicht minder gern die Hirsche von Chan tilly und Fontainebleau jagte — aber man verstand zu reiten, zu reiten, wie es gescheh» soll. Die Anglomanie ist gleichsam die in die Reitkunst hereingebrochene Romantik, wie wir sie auch in der Literatur, besonders auf dem Theater haben — Verwirrung und Betäubung ohne eigentliche Leidenschaft, ohne Würde, ohne Styl! Fern von solchen Extravaganzen hält sich das schöne Reit fest, welches hier jedes Jahr in der Reitbahn des Königs, unter der Direktion des Herrn Leblanc stattfindet. Hier be wahrt man noch die Traditionen der alten Schule — der ernst-würdigen Schule eines Laguöriniöre und eines Labesac. Vor Kurzem haben wir wieder der brillanten Feierlichkeit beigewohnt. Die Reitbahn war mit Blumen und Tüchern, welche von den Tribünen herabwallten, geschmückt; alle Ca valiere erschienen in Lederbeinkleidern und weichen Reitstiefeln; die Pferde hatten französische Sättel, galonnirte Schabracken, reiches und schönes Zaumwerk und Bänder und Schleifen in den Mähnen- und Schwanzhaaren. Alles dieß mag unbedeu tend erscheinen, aber es sieht gut und gibt dem Ganzen etwas Nobles. Herr Pellier machte die erste Uebung und zeigte sich als einen vollkommnen Reiter, der dem alten Ruhme unserer Reitkunst Ehre macht. Die beiden Herrn Leblanc wetteiferten mit einander in Grazie und Geschicklichkeit und erhielten reiche Beifallsbezeigungen. Das Fest schloß sich mit einem Ritt nach Ringen; der Preis für den Sieger war eine Ehrengerte, welche ein junger Mann gewann, der den „Dank" aus der Hand der Frau Herzogin von Conegl... erhielt. Einige Tage vorher war das Reitfest der Damen gewesen. Lassen wir die Zeit walten; ganz gewiß führt sic uns zu jener schönen und verständigen Reitkunst zurück, welche man seit längerer Zeit verschmäht hat und an deren Stelle zweck lose Künstelei getreten ist. Von Italien aus ist jene ritter liche Kunst zu uns gelangt; bald aber wetteiferte Frankreich mit den Reitkünstlern Italiens und übertraf sie sogar. Halten wir darum auf unfern Ruhm!