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Der Aalon. ^2. Unter Verantwortlichkeit der Redaktion der Eilpost. Druck von C. P. Melzer in Leipzig. 1839. Conversations -Zimmer. Der Weltschmerz. (Anwesend: Hofrath — Oeconom Occonom. Sie sind ein belesener Mann, Herr Hofrath, haben sich umgetyan in Kunst und Literatur; sagen Sie mir doch einmal, was verstehen Sie unter dem sogenannten „Welt schmerz"? Ich pflege so des Abends, wenn Vieh und Men schenkind auf meiner Hufe bestellt sind, einen Blick in die Journale zu werfen, die mir mein Schwager aus der Residenz, freilich spät, zuschickt; da ist denn häufig vom „Weltschmerz" die Rede. Was ist das für ein Ding? Hofrath. Kann Ihnen wirklich nicht dienen, mein Herr, da ich einen Weltschmerz noch nie empfunden habe. So viel mir bekannt, ist cs ein bloßes Modewort gewisser junger Literaten. Occon. Es muß ein ganz rcspectabler Schmerz sein. Reser end. Der Herr Hosrath haben vollkommen Recht, cs ist ein bloßes Modewort und zwar solcher Schriftsteller, die in der Regel nicht viel zu essen haben, ihren Magen für die Welt ansehen und daher oft Gelegenheit nehmen, vom Welt schmerz zu phantasircn. Oecon. So, so. Ung en. Sie erlauben, Herr Referendar, wenn ich Ihre Definition eine ctwas einseitige nenne. Allerdings ist das ge nannte Wort in neuerer Zeit fast dem Lächerlichen anheim gefallen; aus keinem anderen Grunde, als weil in der jüngcrn Literatur zu viel Coketterie damit getrieben worden ist. Gehen wir indeß auf den Ursprung des Wortes und auf seine Be deutung zurück, so verschwindet jede Lächerlichkeit. So viel mir bekannt, entstand der Name Weltschmerz unmittelbar nach der Julirevolution, wo so viele Hoffnungen für eine schö nere sociale Zukunft rege wurden, die aber durch eintretcnde politische Reactionen wieder zu Grunde gingen. Die Begeiste rung verrauchte; die Schwärmerei ward zur Wehmuth. Man hielt den Staatskörper Europa's in politischer, kirchlicher und gesellschaftlicher Hinsicht für erkrankt, und die Hoffnung auf ein Besserwerden weit hinausgerückt, den Schmerz darüber — Referendar — Ungenannter.) aber, da er nicht blos eine Nation, sondern die europäische Gesellschaft betraf, nannte man — Weltschmerz. Dieser ward nicht bloß von einigen cxaltirten Demagogen und Scri- benten empfunden, sondern auch von manchem andern Edel denkenden, welchen Erscheinungen im jüngsten Staats- und bürgerlichen Leben unmöglich mit Freude erfüllen konnten. Oecon. Aber, mein Gott, was hilft das ewige Jammern und Lamentiren. Dadurch wird Nichts besser. Wenn mir die Schloßen ein schönes Waizenfeld zerschlagen, so ist dies ein groß Malheur; aber dann nur nicht die Hand verzweiflungs voll in den Schooß gelegt, sondern frisch von Neuem geackert, neue Saat in die Boden und das alte Unglück durch ver mehrte Thätigkeit so viel als möglich ausgeglichen. Ungen. Das ist auch meine Meinung, und ich kann mich deshalb mit dem Weltschmerze ebenfalls nicht befreunden, zumal jetzt in der jüngeren Literatur so viel Coketterie damit getrieben wird. Es ist nicht zu leugnen, die Tagesgeschichte bringt Vieles zum Vorschein, das uns mit gerechtem Schmerze erfüllen muß; hier und da geschehen Rückschritte, wie man sie im Neunzehnten Jahrhunderte nicht mehr erwarten sollte; indeß aber, schauen wir die heutige Weltgeschichte im Ganzen, so erhalten wir stets das tröstliche Resultat, daß es, trotz par tieller Reactionen, immer vorwärts gehe und daß sich der ge sellschaftliche Körper einem sittlichen und geistigen Ideale, wenn auch nicht im Sturme, doch Schritt vor Schritt, ununterbrochen nähere. Eben so wahr als schön sprach sich in dieser Be ziehung unser großer Meister des Gesanges, Göthe, aus, als er einmal bei trüben politischen Himmel gefragt wurde, ob er an einem Fortschreiten zum Bessern nicht verzweifle? Keines wegs, war die Antwort, wie die ganze Schöpfung bewegt sich auch die Blume der Schöpfung, die Menschheit, immer vor wärts. Freilich scheint es oft, als gehe sie rückwärts, aber das schadet auch nichts, denn die Bewegung ist eine spiral förmige.