Volltext Seite (XML)
71 reichen Genrebilder machen, auf denen man mit um so größerem Vergnügen verweilt, je mehr man in den neuern Produktionen der jetzigen Bühnendichter entweder verfehltes Pathos, oder verzerrte Gestalten und flaches Salongcschwätz findet. Dabei herrscht die reinste, aber keineswegs pedantische Moralität in diesen Stücken, und cs thut wohl, auf Menschen zu blicken, wie sic im Leben sich wirklich darstellen, ohne die Schminke überirdischer Tugend, oder den Schmuck dämonischer Laster. Die Prinzessin A. von Sachsen, älteste Schwester des jetzt regierenden Königs, ward 1794 geb. und erhielt mit ihren Geschwistern den sorgfältigsten und trefflichsten Unterricht. Ihren Oheim, den nachherigen König Anton, und später ihren Vater, Herzog Maximilian, auf mehreren Reisen nach Italien, Frankreich und Spanien begleitend, erwarb sie sich, bei stets fortgesetzten, wohlgcleiteten Studien deutscher wie ausländischer Literatur, eine Freiheit Ker Ansicht und Vielseitigkeit der Auf fassung, welche gewiß wesentlichen Einfluß auf ihre spätcrn Productioncn hatte. Schon 1829 erschien von ihr unter dem Namen Amalie Heiter ein Schauspiel: der Krönungs tag, und im nächsten Jahre ein zweites: Mcsru, die auf dem Hosthcater zu Dresden mit Beifall ausgenommen wurden. Phantasiegebilde in der Anlage, metrisch gehalten und im Oriente spielend, gehörten sie einem ganz andern Gebiete, als dem an, welches sie später betrat. Nun verflossen mehrere Jahre, ohne daß die Bühne von ihr ein neues Geschenk erhielt. 18'! ' aber schuf sie das einfache Lustspiel: Lüge und Wahr- > ie, und sandte es an das berliner Hosthcater ein, ohne daß auch nur eine Ahnung dort rege ward, wer die Verfasserin desselben sei. So blieb es dort eine geraume Zeit unbemerkt, bis es im Februar 1834 zur Feier des Gcburtsfcstcs der eben dort anwesenden Frau Erbgrvßhcrzogin von Mecklenburg- Schwerin, aus dem Theater im Prinzessinnen-Palais aufgc- iührt ward und die einstimmigste Anerkennung, namentlich auch die vollständigste Zustimmung des Königs selbst sand. Diese .Hel te das große Publikum, als es bald darauf im Hosthcater ..führt wurde, und von diesem Augenblicke an, war der serl'oaucrnde Beifall begründet, welcher die Werke dieser Dich terin auf allen Bühnen Deutschlands heimisch machte. Denn nicht eine blieb zurück im regen Wetteifer, diese verdienstvollen, einfachen, aber anziehenden Dichtungen darzustellen, und wo sie würdige Repräsentanten fanden, entging ihnen nirgend die .is. meinste Zustimmung. Ja man kann wohl sagen, daß sie ihrer trefflichen Dichtung nicht nur eine Menge werthloser >mcren von der Bühne verdrängt, sondern auch zur Nach bildung ähnlicher Arbeiten, wie z. B. die Geschwister, die Verirrungen u. a., Veranlassung gegeben, dadurch aber zur Einführung eines neuen, ächtdeutschen Lebensgcmäldes auf die Bühne den Grund gelegt haben. Unter den zunächst auf'jenes erstes Stück folgenden, nennen wir besonders den Oheim, weil er sich eines noch gesteigerten Beifalls erfreute und sogar eigene Brochüren über den Werth und Einfluß dieses Lustspiels erschienen. Er, wie alle übrigen, hielten sich in der Sphäre des Familienlebens in bürgerlichen oder adligen Kreisen, nur die Fürste »braut macht eine Ausnahme davon, und mußte daher um so willkommner sein, je seltener ein Bühnendichter den darin geschilderten Kreisen so nahe stand, ja ihnen wie hier ganz angehörte. Je reicher die Fülle war, aus welcher die hohe Dichterin spendete, um so mehr drang man in sic, ihre dram. Arbeiten auch durch den Druck bekannt zu machen, und so erschien denn zum Besten des Frauen vereins zu Dresden vom I. 1836 an, alljährlich ein Band derselben unter dem Titel: Originalbcirrägc zur deut schen Schaubühne, in der Arnold'schen Buchhandlung zu Dresden, deren drei, die vorgenannten Stücke, überdies aber noch die Braut aus der Residenz, der Landwirt h, derVerlobungsring, Vetter Heinrich, der Zög ling, das Fräulein vom Lande und den Unent schlossenen enthalten. Noch dermalen ungedruckt, aber auch bereits an vielen Bühnen mit entschiedenem Succcß aufgeführt sind der Pflegevater und der Majoratscrbc. Der Hofrath Winkler in Dresden, Theodor Hell, ist mit Ver sendung aller Arbeiten der hohen Dichterin beauftragt. Miszellen. Chinesische Ordalien. Der blinde Reisende Hot mail erzählt: Als mir unterwegs mehre Dollars aus dem Mantelsacke abhanden gekommen waren, siel mein Verdacht zunächst auf meinen chinesischen Bedienten. Da derselbe aber den Diebstahl auf den Lhürsteher des Hauses zu schieben wußte, so ward der nächste Morgen anbcraumt, daß alle chine sischen Bedienten sich zu einem Goktcsurtheile versammeln soll ten, um dadurch den schuldigen Thcil an den Tag zu bringen. Dieses Gottesurtheil bestand aus nichts Anderem, als aus einem Eide nach chinesischen Begriffen. Der Thürstehcr war der Erste, der vermittelst desselben seine Unschuld zu beweisen suchte: „Heut an dem ncunundzwanzigsten Tage des zehnten Monats des zehnten Jahres Tom-Kwangs, da man behauptet, daß ich die den Engländer H. Holman am 26. dieses abhan den gekommenen sechszehn Dollars entwendet habe, schwöre ich, Paul Artä, vor Anblicke des Himmels und aller heiligen Puysa, wenn ich, Paul Artä, die sechszehn Dollars gestohlen, so mögen meine Frau und meine Kinder, so wie mein Vater und meine Mutter allesammt sterben, gleich dem Hahne, den ich hier schlachten werde. Ich rufe Euch zum Zeugen an, Ihr blauen Himmelsgewölbe! Wenn aber Artä die scchszehn Dol lars nicht gestohlen, so möge neuer Segen auf meinem Haupte ruhen und meine ganze Familie in Glück und Frieden leben. Ich, Paul Artä, falle nieder zu Euer« Füßen und erscheine vor Euch mit diesem Eide." Nachdem er diese Worte aus den Knieen vor einem zu diesem Zwecke errichteten Altar (einem alten Stuhle, worauf zwei geweihte Kerzen brannten,) feierlich ausgesprochen, richtete er sich wieder auf und ergriff den Hahn, streckte ihn über ein Stück Holz und schnitt ihm die Gurgel durch. Auf diese Weise hatte sich der Thürsteher vor seinen Landsleuten von dem auf ihm ruhenden Verdachte vollkommen gereinigt, und dcr Bediente kam nun an die Reihe, sich dem Gottesgerichte zu unterziehen. Aber dieser weigerte sich, den