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^Z3. Der Salon. Unter Verantwortlichkeit der Redaction der Eilpost. Druck von C. P. Melzer in Leipzig. 1839. Conversations -Zimmer. Neuere Lyrik. (Anwesend: Landpfarrcr — Professor der Rhetorik — dessen Tochter — Buchhändler — Unbekannter.) Landpfarrer. Mit der deutschen Lyrik ist's alle; ich hab's immer gesagt; als der selige Gleim noch lebte und der fromme Gellert und Uz, das waren Leute; nicht solche zer rissene Gemüther, wie der Herr Heine und Consorten. Unbekannter. Wer sagt Ihnen denn, daß Heine ein zerrissenes Gcmüth sei? Ich habe ihn viel gelesen, aber ein zerrissenes Gemüth hab' ich nie aus den schönen Liedern heraus lesen können; im Gegcntheil, die reinste, poetische Harmonie. Landpf. Mein Golt, der Mann hadert aber mit Gott, Welt und mit sich selbst; wo finden Sie solche Aornausbrüchc, solche gehässige Ironie bei dem seligen Gleim oder dem from men Gellert? Unbekannter. Diese finden wir bei den Genannten aller dings nicht, weil es ganz andere Naturen sind, als daß sie mit Heinrich Heine im Entferntesten in Berührung gebracht werden könnten; doch glauben Sie mir, daß weder der selige Gleim, noch der fromme Gellert das Wahre, Gute und Schöne inniger lieben konnten, als der erwähnte neuere Dichter. Dieser ist gegen Das erbittert, was sein poetisches Gewissen beleidigt. Professor der Rhetorik, (für sich) Poetisches Ge wissen! Die jungen Leute heut zu Tage schwatzen in's Blaue hinein, ohne irgend einen Sinn mit ihren Phrasen zu verbin den. (laut) Ich kann diesen Heinrich Heine gleichfalls nicht als Dichter anerkennen und werde ihn auch in meinem neusten Werke über die junge deutsche Lyrik, das nächstens erscheinen dürste, gänzlich ignoriren. Mein Freund, Wolfgang Menzel, wollte einmal eine Geschichte der deutschen Poesie ohne Göthe schreiben. Ich werde diesen genialen Gedanken hinsichtlich Hcine's in meinem Werke zur Ausführung bringen. Was schwatzt dieser Mensch ohne Sinn und Verstand! Wie hieß doch gleich der unsinnige Vers? Ich habe ihn mir der Curio- sität halber aufnotirt. Ja: Deine klaren Veilchenaugen Schweden um mich Tag und Nacht, Und mi» quält es, waS bedeuten Diese süßen, blauen Räthsel. Nun frag' ich einen vernünftigen Menschen, ob er je Etwas von „blauen Räthseln" gehört hat. Solcher poetischer Un sinn kann unmöglich weiter getrieben werden. Seine Tochter. Aber, lieber Vater, ich kann mir recht gut denken, was hier der Dichter hat sagen wollen. Landpf. (mit Salbung) Der unsterbliche Schiller pflegt zu sagen: Was kein Verstand des Verständigen sieht. Das ahnet in Einfalt ein kindlich Gemülh. Buchhändler. Ja Schiller, laß ich gelten, das ist ein Artikel, der sich gewaschen hat; die neue Auslage ist schon wieder vergriffen. Den jetzigen Singsang kauft kein Mensch. Unbekannter. Da muß ich Ihnen widersprechen. Von den Gedichten des genialen Freiliggrath ist im Laufe von wenigen Monaten eine neue Auflage nöthig geworden. Prof. d. Rhetor. Freiliggrath?! welchen ich nicht kenne. Unbekannter. Auch hat Nicolas Lenau in kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebt. Prof. d. Rhetor. Lenau?! welchen ich nicht kenne. Unbekannter. Aber, geehrter Herr Professor, sa ren Sie nicht vorhin, daß Sie ein Werk^über die neuere deutsche Lyrik herausgebcn wollten? Prof. d. Rhetor, (stolz) Junger Mann, das " eich Seine Tochter. (Ist ausgestanden und schau, durch das Fenster nach der Landschaft, indem sie für sich das Lied chen summt:) Ein Fichtenbaum steht einsam Im Norden auf kahler Höh, Ihn schläfert, mit weißer Decke Umhüll'» ihn Eis und Schnee. Er träumt von einer Palme, Die fern im Morgenland Einsam und schweigend trauert Auf brennender Felsenwand.