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Der -Kaion. 28. Unter Verantwortlichkeit der Redaktion der Eilpost. Druck von C. P. Melzer in Leipzig. 1839. Neuestes Bullet»» der Moden. Paris, den L8. Juni 18NS. Unsere Damen kleiden sich ganz als Amazonen, es herrscht eine Art von Wuth unter ihnen, den gehorsamen Klepper zu desteigen, und sich als Reiterinnen von der größten Kunst und Erfahrung zu zeigen. Die Amazone trägt ein Kleid, englisch schwarz, Genre xentleman, Pantalons von Wollenallas, und eine Cachemir- Weste von ganz neuer Art. Die Amazone selbst (das Kleid, welches so heißt) verdient auch einige Aufmerksamkeit. Die Schößchen am Rücken sind nicht so isolirt, wie man sie früher sah; die Hüften sind nicht ohne Besatz; sie sind fast eingefaßt von kleinen Schößen, die sich mit denen am Rücken vereinigen; die Aermel sind halb breit und so geschnitten, daß der obere Theil der Hand ein wenig mehr bedeckt ist, als i>er untere. Einige Damen behalten noch den runden Hut. Das an- muthigste Model eines solchen Hutes ist das von den Herren Faral und Demolin. Bei so großer Hitze, wie die jetzige, ist die Amazoncn-Cra- vate nicht unumgänglich nolhwcndig; will man durchaus den Anschein haben, eine zu tragen, so braucht cs nur ein Quer streifen zu sein, den man einmal um den Hals schlingt und der vorn eine Bandrose bild.t. Wenn man übrigens die lärmenden, schwülstigen Büllctin's liest, die zum Behuf der Wettrennen ausgcgcben werden, so meint man fast, unsere Dandy's wollen die Tourniäre, die Ren nen, und die strenge Heraldik der Pferdc-Raccn wieder einführen womit sich sonst die tapfern, jungen Maurcnhelden abgegeben haben. Leider aber, wenn auch einige unserer Löwen (große Mo destutzer) so tapfer, wie die Abcnceragen, so galant, wie die Gomüles, und so schrecklich, wie die Zegris sind, hüten sie sich doch wohlweislich, selbst die flüchtigen Renner zu besteigen, die auf der Wiese von Ratory und auf der Rennbahn des Mars feldes figurircn sollen. Wenn die Tapfern von Granada, Lorca und Murcia cs nicht verschmähten, selbst ihren Nossen die Gerste und das gehackte Stroh zu bringen, so überlassen unsere modernen Centauren in gelben Handschuhen ihren Jockei's die Sorge, ihre Pferde zu füttern und den leichten Sieg bei unfern nur sogenannten Nennen davon zu tragen. Indessen sind diese Rennen von den schönsten Frauen in den schönsten Staats- und Neglige-Toiletten besucht. Das Weiße, die Pudcrmäntel von indischem Moufscline, mit feinem Spitzenbesatz, Shawls von einfacher Seide mit Spitzcneinfas- sung, glatter Cachemir mit weißen Seidenfransen, und große, italienische Strohhütc, dies waren die vorherrschenden Artikel, die man an den Damen bei diesen Rennen sah. Die Nüancen für Kleider wechseln nicht sehr; wie immer schwarz, dann englisch schwarz und nacht-bronzefarbig; die grüne Farbe ist ganz in Ungnade gefallen. Die Schattirung Ourika, eine Reminiscenz von vor einigen Jahren her, wird noch immer wohl getragen; eben so verhält es sich mit dem dunkeln Kastanienbraun. Die Wollenatlasse, die so rein und so schmiegsam sind, ge fallen noch immer als Stoffe zu Pantalons, als welche sie Farben von den verschiedensten und unglaublichsten Namen haben, Punschflammenfarbig, Palmbaumschattenfarbig, Thiers und Guizotfarbiz, gestreift ü la Emil Girardin, gefleckt ü la Lamartine, und schillernd ü la Louis Philippe u. s. w. Eine andere, eben so fashionable Art von Atlas können wir nicht genug empfehlen; dies ist der Epidermis-Atlas. Die elegante Welt nennt ihn darum so, weil er von wunder barer Leichtigkeit und dennoch sehr solid ist. Auch die Zwilliche haben große Fortschritte gemacht; wir führen unter den Iwillicharten den pur til (reines Garn) ge nannt an, von einer Nüance und Gattung, die man Bie nen ncst nennt, eben so gibt es Zwilliche von andern Schat- tirungen. Bei der gegenwärtigen Hitze kann man die schon oft er wähnte Agnoline von Oudinot einen Gesundhcitserhalter, ein Sanitätszcug nennen. Besonders bewahrt dieses geschmei dige und sanfte Gewebe vor allen Unpäßlichkeiten, die aus plötz lichem -Lemperaturwechsel entstehen. Bon Schönheitsmitteln ist diesmal nichts zu melden. Indessen fürchtet sich die moderne Welt furchtbar vor den Fol gen ihrer Uebercivilisation; die Blasirtheit, die man den Pari sern in ganz Europa vorwirft, den Spleen, den die Engländer zollfrei einführen, und das deutsche Pech und Phlegma, welches die vielen deutschen Handwerker mitbringen, dies Alles sucht man jetzt durch rasendes Wassertrinken zu kurircn. Es ist, als hätte ein Engel von der Spitze Notre-Damc'S gerufen: „Nur Eines, o Paris! kann Dich vor der Fäulniß bewahren, kann Dein Volk vom Untergange retten. Das Wasser. Seitdem hat Alles die Wafferwuth, wie Ratten, die Arsenik gefressen haben. Die Weinhändler werden arm, die Auvergnatcn können reich werden.