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richten zu können. Dies Verfahren wird namentlich für die Meister der Provinzialstädte immer unentbehr licher, da diese sich nicht auf das in großen Städ ten übliche Anprobiren, sondern lediglich auf gewis- senhafleSZusch neiden verlassen können, folglich den Wuchs ihrer Kunden viel genauer prüfen müssen. Da nun aber eine umfassende Abhandlung über das Ganze der Anthropometrie oder Körpermessungs lehre, sowie über die sämmtlichen Eigenheiten im Bau deS Körpers bis jetzt noch nirgends, als in der neue sten Auflage eines von mir, un Verein mit meinem Bruder, herausgegebenen Werkes über die zeitgemäße Kleidermacherkunst *) vorhanden ist, so dürfte es vie len der Herren Abonnenten, die jenes Werk noch nicht besitzen, willkommen erscheinen, in diesem Blatte eine gründliche Abhandlung über Obiges zu finden, und zwar, wie eS schon des Raumes wegen geschehen muß, in einzelnen fortgesetzten Abheilungen, so daß ein Je der Zeit gewinnt, diesen wichtigen Theil des Faches um so genauer durchzugehen; auch wird dieser Artikel deS Neuen und Interessanten genug darbieten. — Es sollen nicht nur alle unregelmäßigen Bauarten und Eigenheiten des menschlichen Körpers anatomisch be schrieben, sondern auch die am Schnitte nöthigen Ab änderungen dafür angegeben, und zu diesem Be helfe eine ganz eigen thümliche Methode deS Maßneh mens gelehrt werden, durch welche die ver schiedenen Strukturen sich zum Theil von selbst erge ben, zum Theil aber auch durch Befolgung gewisser Regeln beurtheilt werden können. Lassen sich auch die verschiedenartigen Körpercon formationen nicht in allen ihren Abstufungen darstcllen und auffafsen, weil dies in's Unendliche führt, so kann man sie doch in gewisse Kathegorien bringen, und kennt man einmal diese, dann ist es auch nicht schwer, den mehr oder minder hohen Grad der Abweichung in jedem einzelnen Falle mit ziemli cher Gewißheit, theils durch daS Auge, theilS durch die Maßverhältnisse zu bcurtheilcn und so den Aplomb deö Schnittes selbst zu treffen. Denn wollte man für jeden einzelnen Grad der Abweichungen, von einem Extrem zum andern, besondere Regeln und Schnitte aufstellcn, so würden die bekanntesten 50 Eigenhei ten des Wuchses (welche ich weiterhin anführen werde) durch ihre mehrfachen Abstufungen schon allein über 250 verschiedene Patronen für einen einzigen Körperumfang erfordern. Be ziehen wir diese Summe auf noch 20 andere Ober- ') Dieses „vollständige Lehrbuch der praktischen Zuschnei- bekunst und zeitgemäßen Bearbeitung sämmtlichcr Herrcnklei- der, mit 100 Zeichnungen und einem Centimcter-Reductions- schcma" (Leipzig, bei Wilhelm Schrcy) kann durch alle Buch handlungen Deutschlands bezogen werden. Gegen Einsen dung des Betrags (Ritterstraße Nr. 34, Leipzig adressirt) lie fere ich dasselbe auch direct, und zwar bei nicht allzugroßer Entfernung, portofrei. leibweiten (bei welchen jene 50 Bauarten vorhanden sind), und berechnen wir, daß bei jeder dieser Ober leibweiten eine zehnmal verschiedene Taillenlänge vor kommt, je nachdem der Wuchs schlank oder kurzge drungen ist, so haben wir, stufenweise multiplicirt, schon über 500,000 Körperconfvrmationen, deren jede einen andern Schnitt erfordert. Daß diese Angabe nicht übertrieben, vielmehr noch lange nicht hinreichend ist, muß uns sofort einleuchten, wenn wir bedenken, daß der wenigste Theil der Männer ganz wohlgestaltet ist, daß bei den verschiedenen Klassen der Professionistcn sich der Körperbau meist nach dem geeigneten Geschäfte hinncigt und daß z. B. fünfzig Personen von ganz gleicher Größe und Stärke jeder einen andern Wuchs und andere Eigenheiten im Bau des Körpers haben kann, ohne daß der Nichtkundige einen wesentlichen Unterschied entdecken würde. Diese 50 hauptsächlichsten Eigenheiten des Wuchses sind es nun, die wir zum Gegenstände unserer Studien zu machen haben, ohne uns vorläufig um den mehr oder minder hohen Grad der Abwei chungen zu kümmern und uns überhaupt in Weitläu figkeiten einzulassen. — Gehen wir daher folgendes Vcrzeichniß aufmerksam durch, indem wir uns die ver schiedenen Stellungen deS Körpers vergegenwärtigen. Später werde ich dieselben einzeln genau beschreiben und, soweit thunlich, durch Abbildungen darstellen. 1) Vorgebogene gebückte Haltung des Ober ¬ körpers. 2) Vorgebogener Hals ohne gebückte Haltung. 3) Zurückgebogcne gestreckte Haltung. 4) Platte, herabgeneigte Schultern. 5) Hochgestellte Schultern. _ 6) Ungewöhnlich starke Schultern. 7) Rückwärts herabgeneigte Schultern. 8) Vorgebogene Schultern. 9) Zurückgebogene Schultern. 10) Zu kurzer Hals. 11) Zu schlanker (hoher) Hals. 12) Zu fleischiger dicker Hals bei schmalen Schultern. 13) Hohler eingebogener Rücken, ohne daß selbiger zu schmal ist. 14) Eingezogener flacher und gleichzeitig zu schmal ler Rücken. 15) Gewölbter voller Rücken, dessen Wölbung ein längeres Rückentheil verlangt. 16) Gewölbter Rücken, dessen Wölbung nur rin brei ¬ teres Rückentheil erfordert. 17) Sehr starke, ungewöhnlich herausgedrücktt Brust bei eingezogenem Rücken. 18) Zu flache eingefallene Brust. 19) Sehr volles flaches Kreuz. 20) Zu hohles eingebogcneS Kreuz. 21) Herausgedrückter Leib. ! 2?) Eingezogener Leib. 23) Ganz flache Schulterblätter.