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— Wie nicht anders zu erwarten war, hat die einer Aufhebung gleichkommende Milderung in der Paßfrage bei der Bevölkerung der Reichslande die rückhaltloseste Freude erzeugt. Allerort« ist man glücklich über da« Schwinden der bisherigen Paßplage. In Metz hatte» Eingeborene zu Ehren diese« Ereig nisses sogar geflaggt. Man hofft hier den Kaiser bald einmal wieder in den Reichlanden begrüßen zu können. Käme er jetzt oder in der Jagdsaison, ein un geheuchelter allgemeiner Jubel würde ihn begrüßen. Die Bevölkerung ist dem Kaiser gegenüber von den ehrlichsten DankeSgefühlen erfüllt, und wird diese Kaiserliche Handlung ihre Wirkung auf die Pacifizir- nng der dortigen Berhältnisse nicht verfehlen. — Die militärischen ZukunftSpläne, von Venen neuerdings wieder vielfach die Rede ist, voll ständige Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht mit Herabsetzung der Dienstzeit, befinden sich, wie die „B. Börsenztg." zuverlässig hört, noch ungefähr in demselben Stadium, wie im vorigen Jahre, als sic zuerst von dem Kriegsminister v. Verdy entwickelt wurden, d. h. sie haben noch keinerlei greifbare Ge stalt angenommen, und eS ist noch gar nicht abzusehen, wann und ob sie je dies thun werden. Am aller wenigsten kann von nahe bevorstehenden gesetzgeber ischen Scdrittcn in dieser Richtung die Rede sein. Ob andere neue militärische und maritime Forder ungen während der bevorstehenden Sitzungsperiode erhoben werden, steht noch nicht fest. — In der Frage der Einführung einer Einheits zeit in Deutschland ist neuerdings wieder ein Schritt zu verzeichnen, der für die endliche Durch führung dieser Maßregel bedeutsam werden dürfte. Wie erinnerlich, haben die meisten deutschen Eiscn- bahnverwaltungen mit dem I. Juni b. I. die „Mittel europäische Zeit" (die Zeit des 1b. Meridians östlich von Greenwich) eingeführt, zunächst aber nur im inneren Dienste. Wie das „Zentralblatt der Bau verwaltung" miltheilt, haben die bayrische und die württembergische Regierung ihre Skaatsbahnen und die rechts des Rheines liegenden bayrischen Privat bahnen neuerdings angewiesen, die mitteleuropäische Zeit vom 1. April 1892 ab als Einheitszeit nicht nur im inneren, sondern auch im äußeren Dienst einzuführe», so daß also auch die Fahrpläne für das Publikum nach dieser Zeit angegeben, die Bahnhofs uhren nach der Einheitszeit gestellt werden rc. — Der Vertrag über die neue russische Zprozcntige Anleihe im Betrag von bOO Milli onen Francs ist bereits unterzeichnet worden. Die Emission erfolgt durch Vie aus circa 20 Bankinstituten bestehende Gruppe des lüröäit tonoier in Paris. Dabei betheiligen sich in Deutschland: die Bank häuser Mendelssohn und Warschauer in Berlin; in England: Hambro und Sons in London; in Holland: Hoper in Amsterdam; in Dänemark: Kopenhagener Bank in Kopenhagen. Der Emissionskurs steht noch nicht fest. Der Ertrag der Anleihe ist nach dem darauf bezüglichen Ukas für Eisenbahnbauten und für öffentliche Arbeiten bestimmt. Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock. Vom I. October ab werden bei dem hiesigen Kaiserlichen Postamte die Schalter auch von 1 bis 2 Uhr Mittags offengehalten. ES findet also ununterbrochener Annahme- und Aus gabedienst bis 8 Uhr Abends statt. — Im Uebrigen werden die Schalter während des mit dem l. Octo ber beginnenden Winterhalbjahres früh erst um 8 Uhr geöffnet. — SchönHeide, 24. Septbr. In Anerkennung ihrer langjährigen ununterbrochenen Thätigkeit in der Wollwaaren - Druckerei der Firma Oschatz u. Co. in Schönheide ist neuerdings von dem Königlichen Mi nisterium des Innern dem Schlosser Franz Carl Unger und dem Drucker Carl Theodor Gerischer die große silberne Medaille „Für Treue in der Ar beit" verliehen worden, nachdem erst im vorigen Jahre zwei andere Arbeiter derselben Fabrik mit der gleichen Auszeichnung bedacht worden sind. Die Medaillen nebst den dazu gehörigen Decreten sind den Genann ten am heutigen Tage durch Herrn Amtshauptmann Oberrcgierungsratb Freiherrn v. Wirsing aus Schwar zenberg vor einem Theile des Beamten- und Arbeiter personals der Oschatz'schen Fabrik sowie in Gegen wart der Herren Chefs und des hiesigen Gemeinde vorstandes überreicht worden. — Die „L. Z." schreibt: In der Lokalpresse lesen wir: „Se. Majestät der König hat der in Riesa gar- nisonirenden reitenden Artillcrie-Abthcilung als Zeichen besonderer Anerkennung während des am 19. d. M. beendeten Manövers ein am 30. August 1870 bei Beaumont erobertes französisches Geschütz zum Geschenk gemacht." — Die Nachricht ist ungenau: nicht nur dieser Truppe, sondern allen sächsischen Re gimentern, die im Feldzug 1870 Mitrailleusen erbeu teten, so auch dem hiesigen Regiment Nr 107, hat Se. Majestät der König derartige Geschütze aus den Beständen der Rüstkammer zu überweisen die Gnade gehabt. — Zwickau. Die Tagesordnung für die S itzung des KreisauSscdusses am Mittwoch, den 30. September 1891, besagt Folgendes: I) Recurs des Hausbesitzers Hugo Grau in Limbach und 2) RecurS des Schneidermeister« Julius Böhmer in Limbach gegen die Abschätzung zu den dortigen Communan- lagen, 3) Recurs des Tischlermeister« Ed. Schäfer in Neustädtel gegen die Abschätzung zu den Gemein deanlagen daselbst, 4) Recur« de« Gastwirth« E. Rehm in Aue, 51 Recurs des SchankwirthS Albrecht Becher in Aue, 6) Recurs der Firma Oertel u. Co. in Fal kenstein und 7) RecurS de» Bankiers G. L. Schnei der in Crimmitschau gegen die Abschätzung zu den Communanlagen daselbst, 8) Recur« der Näherin Elise Knoch in Limbach und 9) Recur« de« Privatmanns H. R. Friedel in Limbach gegen die Abschätzung zu den Communanlagen daselbst, 10) Uebernahme fisca- lischer Straßenstrecken in Annaberg in städtische Un terhaltung. 11) Recur« des Restaurateur F. A. G. Heimer in Crimmitschau, 12) Recur« des Apothekers H. C. A. Bosch in Crimmitschau und 13) Beschwerde des Schlossers E. R. Wiedemann in Crimmitschau wegen der Abschätzung zu den Gemeindeanlagen da selbst, 14) Erlaß eines Enteignungsgesetzes betreffend, 15) Differenzen zwischen den OrtSarmenverbänden von u. Marienberg und Schlößchen Porschendorf wegen Erstattung von Unterstützungsauswand für die Fami lie Walther, b. Dresden und Jahnsdorf wegen Er stattung von Verpflegkosten für den Knaben F. A. Günther aus Dresden. — Zwickau, 25. Söptbr. Dritte Strafkammer. Der früher in der Handschuhfabrik von Cohn in Jo hanngeorgenstadt als Dresseur beschäftigt gewesene Richard Max Wagner in Halberstadt batte gelegent lich eines Wettstreites in der Fabrik Cohns zu dem Dresseur Richard Krauß die Worte: „Ich mache mir nichts d'rauS, wenn ich zwei oder drei Mann umbringe, da will ich lieber durch die Guillotine sterben", dann zu seinem Bruder Anton Wagner die Worte: „Der muß noch vor meinen Augen sterben" — dabei ein Taschenmesser in der Hand haltend — geäußert. In der am 10. Juli d. I. beim Königl. Schöffengerichte zu Johanngeorgenstadt gegen Wagner augestaneenen Hauptverhandlung wurde dieser wegen Bedrohung in zwei Fällen zu 3 Tagen Gefängniß verurtheilk. Der Veruttheilte legte jedoch gegen das schöffengerichtliche Urtheil Berufung ein, welche aber in zweiter Instanz verworfen wurde. — Adorf. Die am 10. September von der Spreißclmühle in Untcrgettengrün beschlagnahmten 4 Ochsen gehören dem Besitzer der auf böhmischem Boeen gelegenen Lazarusmühle. Derselbe wurde zwar mit seinem Sohn in Haft genommen, wird aber demnächst unter gleichzeitiger Freigabe seiner auf 1600 M. Werth geschätzten Rinder wieder auf freien Fuß gesetzt werden, da man ihm nicht mit Bestimmtheit nachweisen kann, daß er wirklich die Thiere nach Sachsen einzuschmuggcln versuchte, oder ob er, wie er angiebt, nur Holz aus dem sächsischen Staatssorste holen wollte. — Auf dem Wege zwischen Ostra und Strehlen genas vorgestern Nachmittag eine Frau eines munteren Kindleins. Die Betreffende bat die Führerin eines die Straße verkehrenden Hundegeschirres, sie doch auf dem Wagen mitzunehmen, da sie nicht weiter könne. Kaum hatte sie in dem engen Gefährt Platz genommen, als ein Knäblein das Licht der Welt er blickte. Da der treue Caro seiner Freude durch überlautes Gebell über die ungewöhnliche Geburt Ausdruck gab, spannte man das Thier aus und fuhr die Wöchnerin mit dem Erdenbürger in die Wohnung der nächsten Hebamme. — Bei den in Sachsen garnisonirenden Truppcn- thcilen des sächsischen Armeekorps findet in diesem Jahre die Einstellung der Rekruten für die Infanterie, Schützen, Jäger und Pioniere am 7. No vember und für die Kavallerie am 3. Oktober statt, während die zu dreijähriger aktiver Dienstzeit einzu ziehenden Train- Rekruten am 2. -November d. I. und am I. Mai 1892 cinzutrcffen haben. Die Re kruten für die Unteroffizierschule, sowie Oekonomiehand- werker und die als Krankenwärter ausgehobenen Mann schaften gelangen bereits am 1. Oktober zur Einstellung. Aus vergangener Zeit — für unsere Zeit. Als am 29. September 1879 König Alfons von Spanien sich zum zweiten Male und zwar mit der Erzherzogin Maria Christina von Oesterreich vermählte, glaubte man nicht, daß diese Frau, die Fremde in Spanien, berufen sein würde, die Geschicke Spaniens zu lenken. Der junge und kluge König Alfons, der in seiner kurzen Regierungszeit bewies, daß er zu den wenige» Männern gehöre, die Spanien wirklich zu regieren vermögen, starb bereits 1885. Sein Tod wurde als ein Un glück für das Land erachtet und der Königin-Regentin Christina eine Regierungsdauer von nur Monaten prophezeit. Wider alles Erwarten hat sie jedoch mit großem Geschick sich in die schwierigen Verhältnisse zu finden gewußt und das Reich ge nießt einer verhältnißmäßigen Ruhe. 3V. September. Vor 100 Jahren, am 30. September 1791, löste sich die constituirende französische Nationalversammlung aus und an ihre Stelle trat die gesetzgebende Nationalversammlung. Die ser Tag bezeichnet den ersten Abschnitt der französischen Revo lution. Die erste Nationalversammlung hatte dem Lande eine neue Verfassung gegeben, sie hatte, auf der Erklärung der Menschenrechte sich stützend, gründlich aufgeräumt mit allen Borurtheilen und alten Vorrechten und sie war dabei auch vielfach allzuweit gegangen, hatte dem Radikalismus schon zu weit die Zügel schießen lasse». Immerhin hatte sie das Gute, das Beste gewollt und manches recht Gute erreich». An jenem Tage vor hunvert Jahren machte diese Versammlung noch einen schweren Fehler. Sie schloß in einem Akte edler, aber unkluger Selbstentsagung ihre Mitglieder von den. Eintritte in die neue Kammer aus und bahnte so, abgesehen davon, daß hierdurch gerade die größten Talente kalt gestellt wurden, den Jakobi nern, den radikalen Republikanern, den späteren Blutmenschen den Weg. Deshalb ist jener Tag vor hundert Jahren außer ordentlich wichtig, nicht bloS für die Geschichte Frankreich«, sondern für die ganze Welt geworden. Erna. Novelle von L. Haid heim. (24. Fortsetzung.) „Das Beste wäre, ich führe sogleich hin. Man wird ihn gegen Kaution frei lassen! Mein Gott, was kann die» bedeuten? ES müssen doch —" Er wagte nicht, seine Sorge laut werden zu lassen, denn Erna erfaßte eifrig seinen Gedanken. „Ja, ja, Vater, fahre hinüber, der KreiSrichter glaubt Dir! Es wirb ein Jrrtbum sein — irgend etwas — nur nicht das Richtige! Komm, trinke schnell Deinen Kaffee. Ich klingele, daß man an spannt! Und grüße ihn, Vater! Sage ihm — sage ihm, daß ich an ihn glaube, daß —" Und laut weinend lag sie in seinen Armen und barg ihr Gesicht an seiner Brust. „Mein Gott! Was soll denn dies bedeuten? Hier schluchzt die eine, dort oben will sich die Kathrin beinahe die Seele auSweinen —!" ES war Tante Luise, welche ihr Erstaunen in dieser Weise äußerte. Hätte sie geahnt, wie Erna sich gestern „blamirt" hatte! Aber so etwas konnte ja natürlich nur passiren, wenn sie einmal wieder an ihrer Migräne litt und zu Haus bleiben mußte. Vater und Tochter waren beide nicht in der Stimmung, Erklärungen zu geben. Beleidigt, wie eine entthronte Königin, selbst in der Schmach noch ihre Würde wahrend, saß Tante Luise einsam am Frühstückslische, während KalandS Wagen, von Fritz geführt, schon weit auf dem Wege zur Kreisstadt rahin rollte. Erna hatte sich auf ihr Zimmer geflüchtet. Sie war viel gefaßter als vorhin. Es würde sich schon alles aufklären, hatte der Vater zu ihr gesagt. Die Stunden des Wartens schienen ihr endlos, doch fürch tete sie nichts mehr; es war ein tolles, unbegreifliches Mißverständniß — sicher nichts weiter! Endlich kam ter Vater zurück, aber er schien tief verstimmt. Hätte sie Augen für den Fritz gehabt, so müßte ihr die Verstörung des Burschen aufgefallen sein; jetzt sah sie nur ihres Vaters düstere Mienen. Wie wurde ihr, als dieser in seinem Zimmer berichtete, man habe verweigert, Willwart gegen Kaution frei zu lassen. ES läge ein erdrückendes Gewicht von Verdachtsmomenten gegen ihn vor. „Nun? Du glaubst doch nicht?" rief die Toch ter außer sich. „Man hat mir erzählt, Willwart sei ganz blaß geworden, als er, sofort verhört, die Schwere der An klage begriffen." „Und das nimmt diese Leute wunder? Wenn man einem ehrlichen Menschen die größte Schmach anthut, dann stempelt man sein Erbleichen oder Er- röthen zu einem neuen Schuldbeweise?" Erna Kaland bebte vor Entrüstung und hilflosem Grimm. Hatte der Vater Willwart gesprochen? Nein — man verweigerte die Erlaubniß. Aber man hatte ihm natürlich gestattet, seinen Verwandten Nachricht zu geben, Diringer und Rechtsanwalt Mauthner herbei- zucitiren. Der Tag verging in schwüler Stille. Rochlitz war gekommen. Er und Kaland saßen beisammen. Es verlautete, daß mitten in der Nacht der KreiSrichter geweckt worden sei, daß in Mäntel gehüllte Männer bei ihm gewesen und daß bald darauf die Gendarmen nach Froysberg abgeritten seien. „Ich kann mir nicht helfen, Kaland, mir will der Verdacht nicht aus dem Sinn, daß diese ganze Ge schichte ein tückischer Streich ist. Ja, ich meine sogar, derselbe geht von einem Nebenbuhler aus." „Ritberg?" fragte Kaland. Rochlitz nickte ernst. „Unleugbar glaubt man also von dieser Seite ernsthaft an all den Klatsch der letzten Zeit!" „ES steht schlimm genug um Willwart, daß so Viele sich des Zweifels nicht erwehren können." Die beiden Männer saßen in peinlicher Unruhe noch zusammen, als Graf Kyburg gemeldet wurde. „Ich war bei Ihnen, Rochlitz, man wies mich hierher," erklärte er, sein Eindringen bei Kaland entschuldigend. Er sah ganz, gegen seine Gewohnheit, ernst aus — ja blaß und angegriffen. „Ich wollte den armen Kerl sprechen, man hat mir aber den Eintritt verweigert," sagte er und dann schlug er in fassungsloser Aufregung die Hände zusammen: „Wenn es wahr wäre! Wenn cS wahr wäre!" „Wie! Sie, sein Schwager, kennen ihn doch gut genug, um auf seine Schuldlosigkeit zu schwören," schrie Rochlitz erbleichend auf. Der Graf warf ihm einen sonderbaren Blick zu. „Ich schwöre nichts!" sagte dieser Blick, und dann begann Kyburg in seiner fahrigen Weise unter dem Druck der Aufregung zu reden — Dichtung und