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war, von den Kommis ihres reichen Vaters «»gebetet zu werden. Und er — er war eben wieder einer mehr, nach der Nummer der so und so vielte in der Reihe dieser tollen Schwärmer. Er griff nach seinem Hute und verließ das Kontor. Er vermochte cs nicht länger auszuhaltcn in der Gesellschaft des GcschästSpersonals, von dem er glaubte, daß cs ihm jeder ansehen mußte, wie entsetzlich nahe ihn diese Wcrbungsgeschichte, die den Gegenstand ihres Gesprächs bildete, anging. Als er im ersten Stockwerk an der Wohnung des EhcfS vorllbcreiltc, fürchtete er nur, Herrn Ertl mit dem zukünftigen Eidam herauStretcn zu scheu. Erst in seinem Zimmer angelangt, vermochte er sich einigermaßen zu beruhigen. Hier überkam ihn der Hohn seines Geschickes, daß er in ein verzweifeltes Lachen ausbrach. Dies Lachen klang aber wie Schluchzen. Er warf sich aufs Sopha und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Dann ging sein Schmerz in eine apathische Ruhe über. Es war, als habe er mit der letzten Thräne den letzten Funken des Guten in sich erstickt. Die Herzensangelegenheit war abgethan — für immer. Jetzt galt cs nur noch, sich aus der Mißlichkeit seincr Spekulationen zu ziehe». Er erhöh sich, badete sein Gesicht im Waschbecken und machte einen nachdenklichen Gang durchs Zimmer. Jetzt war auch er wieder ganz Kaufmann. Ein Pochen an der Thür unterbrach seine Ge danken. Der Kontordicncr trat ein und bat Herrn Sormann im Auftrage des Chefs, sich in dessen Bureau zu einer geschäftlichen Unterredung hinab zu bemühen. Unten kam ihm Herr Ertl entgegen. „Herr Sormann, machen Sic sich reisefertig; ich muß Sie noch heute Abend nach BrcSlau senden!" Heinrich trat zurück. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Eine Reise — während an der Börse über sein Glück oder seinen Ruin entschieden wurde! „Die Firma Blankmcister u. Sohn in Breslau soll, nach mir heute zugekommenen vertraulichen Mittheilungen, seit dem Konkurs von Hegel u. Co. auf sehr schwankendem Bode» stehen. Wenn das wahr ist, so müssen wir alles aufbictcn, um die schwebende Anleihe dieses Hauses zu rcdrcssiren. Das Kapital, das vorige Woche als Vorschuß dahin ab ging, muß um jeden Preis, wenigstens theilwcise, zurückerlangt werden. Sic werden cinschcn, daß ich nut dieser heiklen Mission nur einen erprobten Ver trauensmann beauftragen kann. Wollen Sic diese Mission auf sich nehmen? Sic sind in der That der einzige, den ich damit betrauen mag!" Sormann verbeugte sich. Er konnte keinen glaub haften Grund geltend machen, der ihm erlaubt hätte, sich zu weiger». Und iin Grunde genommen war es ihm gerade nicht unlieb, der Stätte, auf der seine Liebe Schiffbruch gelitten, auf einige Zeit fern zu bleiben. Er wollte um keine» Preis bei dem bevor stehenden Verlobungöfeste anwesend sein. „Sie haben eine volle Woche Zeit zur Abwickelung dieses schwierigen Geschäftes", fuhr Herr Ertl fort, „sollten Sic in kürzerer Frist ein befriedigendes Resultat erziele», so soll es mir lieb sein; wenn cS länger dauert, so telcgraphircn Sic über Jhrc AuS- slchtcn. Jetzt muß ich Sie bitten, Ihre Privatange legenheiten zu besorgen. In zwei Stunden kann ich Ihnen die näheren Instruktionen überreichen. Mit dem Nachtschnellzuge müssen Sie fahren." Sormann sagte zu und ging. Seine erste Sorge war, Golding durchein Billet von seiner nothgedrungencn Reise zu verständigen und ihm für die nächsten Tage seine Aufträge zu erthcilcn. Dann steckte er alle Gelder zu sich, die er noch in Reserve hatte, packte seinen Koffer und machte sich reisefertig. Um Mitternacht entführte ihn das Dampfroß schon von Danzig in der Richtung nach Breslau zu. VIII. Sormanns Geschäfte in Breslau wickelten sich rascher und günstiger ab, als er und Herr Ertl ge hofft hatten. Schon nach wenigen Tagen war es ihm gelungen, einen Rest von etwa !-0,000 Mark ans dem thatsächlich bevorstehenden Zusammenbruch der fraglichen Firma zu retten. Als er mit dem Gelde in sein Hotel zurückkehrte, hatte er bereits den Vorsatz, an sein Hans das Resultat seiner Bemühungen zn berichten und noch am selben Abend nach Danzig zurückzukehren. Vor erst wollte er nur noch ini Lesezimmer des Restaurants die Börsenberichte vom letzten Tage Nachsehen, um sich über das Schicksal seiner Papiere Kenntniß zn schaffen. Gleich beim Eintritt kani ihm der Portier ent gegen mit der "Nachricht, daß ihn der Bote vom Telcgraphcnamtc gesucht habe. Sormann beschlich ein gewisses Grauen; war die Depesche von Golding, so konnte sie unmöglich Gutes bedeute». Aber vielleicht war das Telegramm auch von Ertl u. Hesse. Er bezwang sich mühsam und trat ins Lesezimmer, wo er sofort nach der „Börsen zeitung" griff. Als er in den Spalten, welche die Kursnotizen der Börse enthalten, an einer gewissen Stelle ange langt war, ließ er das Blatt sinken. Sein Gesicht war kreideweiß, ein nervöses Zittern durchflog seinen Körper. Jetzt wußte er, von wem das Telegramm kam und was es enthielt! Er hatte sich von dem ersten Schreck noch nicht erholt, als er die wohlbekannte Uniform des Telc- graphenbeamten im Thürrahmeu erscheinen sah. Rasch eilte er ihm entgegen und empfing die verhängnißvolle Depesche. Er wollte sic erbrechen, besann sich aber und ging nach seinem Zimmer hinauf. Hier setzte er sich, am ganzen Leibe bebend, in einen Stuhl. Dann öffnete er langsam das znsannnengefaltetc Papier. Kurz, aber mit erschrecklicher Deutlichkeit stand eS da: „Aktien außer Kurs. 46,000 Mark Differenzen! Golding." Sormann biß die Zähne zusammen und zerriß das Telegramm. Als der letzte Papierfetzen zu Boden gefallen war, stand er ans. Mit einem einzigen Blick stand ihm das Furchtbare seiner ganzen Lage klar vor Augen. Er stand vor dem Allerschlinunsten. Jetzt war's entschieden; der erste Disponent von Ertl u. Hesse war ein Betrüger. Sormann sah das unvermeidlich Hcrankonnnende deutlich vor sich. Wenn er auch gleich die Differenz schuld sofort beglich, den ungeheuren Kassendefekt konnte er unmöglich vor der Zeit der Entdeckung ausbessern. Schon in allernächster Zeit waren ja diese Gelder fällig, die er in unbegreiflichem Leicht sinn zu eigenen Spekulationen verwendet hatte. Und was nach dieser Entdeckung erfolgen mußte, konnte er sich gleichfalls nicht verbergen. Selbst wenn der Chef ihm betreffs der Gelder seiner Firma eine Frist geben wollte, so waren »och immer die Ver pflichtungen gegen die Bank und gegen I. A. Möller und gegen Großmann u. Co. da. Und wie wäre cs denn möglich gewesen, selbst ein Viertel seines kolossalen Defizits zu decke»? Er fühlte plötzlich, wie entsetzlich tief er gesunken war. Seine Ehre war für immer vernichtet. "Nun war alles aus. Seine Träume von Glück, von Reich- thnm waren mit einem Donncrschlage vernichtet, wie seine Hoffnungen ans jenes Mädchen, das er jetzt mit wilder Verzweiflung haßte und verfluchte. Wie schön, wie hoffnungsvoll hatte dieses Jahr 1881 für ihn begonnen, und jetzt, wo es sich seinen, Ende zuncigtc, sah er auch das eigene Ende vor Augen. Denn daß es jetzt für ihn nur zwei Aussichten gab, war nur allzu gewiß: das Zuchthaus oder — eine Kugel vor den Kopf. Stöhnend sank Sormann in seinen Stuhl zu rück. Es war ihm, als strecke sich schon hinter ihm der Arni des Häschers aus. Kerker oder Selbst mord —! Gab es denn wirklich keinen anderen Ausweg »lehr? Er griff nach seinem Portefeuille, um sein Geld zu überzählen. Lächerliches Beginnen! Er kannte seinen Kassenbestand sehr genau und wußte ebenso genau, daß er nicht mehr als ein Tropfen im Meer gegenüber seinen Verpflichtungen sei. Beim Oeffnen der Brieftasche fielen ihm die Kassenscheine entgegen, die er heute Vormittag von der Firma Blankmeister u. Sohn erhalten hatte. Als er die werthvollen Papiere durch die Finger gleiten ließ, stieg ein »euer Gedanke in ihm auf. Er warf einen raschen Blick um sich, als fürchte er sich vor Lauschern, die selbst seine Gedanken errathcn könnten. Ja, das war der Ausweg, nach dem er eben noch gesucht! Gelang er nicht, so war eö ja immer noch Zeit, zum Revolver zu greifen; dem Zuchthaus entging er auf jeden Fall. Mit fieberhafter Hast steckte er das Portefeuille wieder zu sich. Sein beiläufiger Plan stand schon fertig da. Jetzt galt cs, kaltblütig zu handeln — und er fühlte niit einem Male die volle Kraft dazu. Merkwürdig, die unselige Leidenschaft, die ihn auf die Bahn des Verbrechens geführt hatte, vollendete jetzt — wo sie von ihm wich — den eigentlichen Schurken in ihm. Aber Sormann stellte jetzt keine solchen Reflexionen an. Mit klarem Blick sah er in die Zukunft. Das "Nächste war jetzt ein Brief an Ertl n. Hesse, in welchem er plötzliche Schwierigkeiten bei Abwickelung seines Geschäftes mit Blankmcister u. Sohn vorschützte und ankündigte, daß er wahrscheinlich noch sechs bis acht Tage in Breslau zu bleiben gezwungen sei. (Fortsetzung folgt.) Tapfer und treu bis ans Ende. Eine Geschichte aus dem letzten Kriege. Die Schweizer sind stolz auf ihren Arnold von Winkelried, der jedoch nur ein Phantasiebild ist und nur im Liede sich die feindlichen Lanzen in die Brust gestoßen hat. — Wie manchen Winkelried hat der letzte Franzosenkrieg gesehen, der die feindlichen Bajo nette in der Brust, einsam verblutet ist, ohne daß ein Lied seine That verherrlicht, und wie mancher todtwundc deutsche Krieger war noch auf dem blut getränkten Stroh einer Scheune oder eines Stalles bis zum letzte» Augenblicke ein Held und hat noch mit dem letzten Schlages seines Herzens eine That gethan, die Werth ist, daß sein Name in die dankbaren Herzen des deutschen Volkes cingegrabcn werde zum ewigen Gedächtniß. Und wie wenige dieser „Helden- thaten auf dem Sterbebette" sind zur Kenntniß des deutschen Volkes gekommen.AWer eine solche That weiß, dessen Pflicht ist eS, sie der Vergessenheit zu entreißen; eS ist ja nur ein kleiner Tribnt der Dank barkeit. Ein Kriegsbcamter, welcher Augenzeuge der nach stehenden herzerschütternden Begebenheiten war, möge sie selbst erzählen. „Von früherer Zeit her kannte ich einen Offizier, v. Koschcnbahr hieß er; ich lernte ihn lieben, denn er war ein tapferer Soldat und ein edler liebens würdiger Mensch, wir wurden Freunde. In der Schlacht bei Gravelotte war das schleswigsche Infan terie-Regiment Nr. 84 stark bctheiligt, und zu meinem großen Kummer erfuhr ich, daß mein Freund, Haupt mann von Koschcnbahr, schwer verwundet sei. Ich suchte ihn de» ganzen Nachmittag, ich durchstöberte alle Spitäler, durchsuchte alle Häuser, in denen Ver wundete läge», endlich Abends fand ich ihn. Er lag in einer Scheune auf einem Bündel Stroh, war niit einem Mantel zugedcckt, nnd sein Haupt ruhte auf einein Tornister. Rings um ihn her lagen Verwun dete seines Regiments. Als er mich sah, streckte er mir die Hand ent gegen, und ein Lächeln verklärte seine Züge. Ich ließ mich an seinem Lager nieder und ergriff seine Hand. „Treuer Freund, wie habe ich Sic gesucht und nun muß ich Sie so finden; ich sehe keinen Arzt, sind Sie schon verbunden?" Ein Schatte» flog über seine Züge, aber mit ruhiger, fester Stimme sagte er: „Lieber Freund, Dank für Ihre Sorge, aber mit mir ist eö vorüber, ich habe nur noch wenige Stunden zn leben." Dabei lüftete er den Mantel und ich schauerte, als ich die furcht bare Wunde sah: — ein Granatsplitter hatte ihm den Leib anfgerissen. Meine Kehle war wie zusammen geschnürt, ich brachte keine Silbe heran«; ich beugte mich übcr den unglücklichen Freund und küßte ihn auf die edle Stirn. Als ich wieder Worte fand, fragte ich ihn, ob er keine Wünsche habe, ob ich ihm keinen Dienst erweisen könne? „Doch, mein Freund," sagte der Verwundete, in dem er sich mühsam aufrichtele, „ich habe eine Bitte. Hier neben mir liegt mein braver Feldwebel Hübner. Er ist tödtlich verwundet, wie ich. Ich bin Jung geselle, habe keine Familie, keine näheren Verwandten ; Hübner aber hinterläßt Weib und Kinder, und — diese — sollen Erben — meines Vermögens sein." DaS Sprechen hatte ihn angestrengt nnd erschöpft sank er ans sein Lager zurück. Ich hielt meine Feldflasche an seinen Mund, er trank in gierigen Zügen. Der Trunk hatte ihn ge stärkt. „Dank, mein Freund," sagte er. „Nun nehmen Sie meine Brieftasche nnd schreiben Sie!" lind mit ruhiger Stimme diktirte er: Mein letzter Wille! Ich vermache mein ganzes Vermögen, bestehend ans Staatspapieren und baarem Gelde, welches ich bei meinem Bankier M . . . in Sch .... deponirt habe, sowie mein gesannnteö Mobiliar der Wittwe und den Kindern meines braven Feldwebels Hübner vom 84. Infanterie-Regiment, der auf dem Felde der Ehre geblieben ist. Gravelotte, den 18. August 1870. „Und nun lassen Sie mich unterzeichnen." Und mit fester Hand unterschrieb er: von Koschcnbahr, Hauptmann beim schlcswigschen Infanterie Regiment Nr 84. „Sie, mein Freund, sind mein Testamentsvoll strecker!" sagte er hierauf zu mir. "Neben dem Schmerzenslager des Hauptmanns lag sein Feldwebel Hübner. Der bleiche Mann mit dem rothblonden Barte hatte mit großen, starren Augen die Scene neben sich betrachtet; er schien an fangs nicht recht zu verstehen, als aber von Koschen- bahr das Testament diktirt, da belebte eine flüchtige Röthc sein bleiches Gcsichch und zwei Thränen liefen ihm die Wange» hinab. „O, mein Hauptmann!" sagte der Mann und erhob die Hände. Er war zu schwach, sich zu erheben. Der Hauptmann aber reichte seinem Feldwebel die Hand, mit den Worten: „So, Hübner, wir beide haben jetzt als brave Soldaten gedient, für König und Vaterland, unsere Pflicht gethan, nun wollen wir auch als tapfere Soldaten sterben." In derselben Nacht noch verschied der Hauptmann in meinen Annen. Sein Feldwebel Hübner war zwei Stunden vor ihm gestorben. Der Mann entschlief mit einem Lächeln auf dem Gesicht, war doch die Sorge für Weib und Kinder von seiner Seele ge nommen. Das ist die Geschichte vom Hauptmann von Koschcnbahr und seiner letzten That. Druck und Berlag von E. Hannebohn in Eibenstock.