Semiotischer Theil Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse des Harns, sowie zur Beurtheilung der Veränderungen dieses Secrets mit besonderer Rücksicht auf die Zwecke des praktischen Arztes
416 Harnsedimente. §. 76. ganges in die idiopathische Form therapeutisch einzugreifen, die Ursachen der Oxalurie soweit als möglich zu bekämpfen. Die im Organismus entstandene Oxalsäure ist ein Product der un vollkommenen Oxydation der Kohlehydrate, also der Verlangsamung des Stoffwechsels in einer bestimmten Richtung. Demgemäss finden war Oxa lurie hei Störungen der Verdauungsorgane sowie hei nervösen Störungen, welche schädigend auf den Verdauungsprocess einwirken; ausserdem soll sie nach einzelnen Angaben auch hei dyspnoischen Krankheiten häufig sein. Dass eine pathologische Vermehrung des Kalkoxalates im Ham durch Re spirationskrankheiten, welche verminderte Sauerstoffaufnahme bewirken, öfter herbeigefiihrt werde, leugnet Cantani; in der Regel handelt es sich nach ihm nur um die normalen „Spuren“. — Eine durch Veränderungen in den Nervencentralorganen, analog dem Piqürediabetes, allein und direct her vorgerufene Oxalurie existirt nach demselben Autor nicht, vielmehr ist dieselbe bei Neurosen und Psychosen eine rein secundäre Erscheinung, abhängig von der durch jene bewirkte Störung der Verdauung. — Nach Schultzen und Für bringer (D. Arch. f. kl. Med. XVIII. p. 190) ist abnorm reichliche Oxalsäure ausfuhr zweifellos beim Ikterus constatirt; in einem Liter ikterischen Harns fand sich über 0,5 Oxalsäure, entsprechend circa 3 / 4 Gramm des Kalksalzes. Can tani hält die Oxalurie bei Ikterus für accidentell, bedingt durch die bei Cholae- mie vorhandene Verlangsamung des Stoffwechsels und die hieraus hervorgehende unvollständige Verbrennung der Kohlehydrate. -— In gleicher Weise zu beurtheilen ist nach Cantani diejenige Oxalurie, welche man vorübergehend öfters in der Reconvalescenz eines protrahirten Typhus oder acuten Rheumatismus be obachtet. — Dieselbe Form zeigt sich mitunter auch bei chronischen Eiterun gen und sonstigen chronischen Krankheiten in vorübergehender Weise. — End lich kann, wie es scheint sogar bei zahlreichen Individuen, ohne oder neben gleichzeitigem Magen- und Darmkatarrh eine accidentelle oder sympto matische Oxalurie herbeigeführt werden durch länger dauernde und excessiv reich liche Zufuhr von Amylaceen und Zuckerstoffen, so dass die Mittel des Organis mus zur vollständigen Verbrennung dieser Mengen nicht hinreichen, sondern nur eine Ueberfiihrung in Oxalsäure gestatten. Es hört in diesen Fällen mit der Be seitigung des gedachten Uebermasses die Oxalurie alsbald wieder auf, ein wich tiger Unterschied von der idiopathischen Form derselben. — Wenn nach H o p p e - Seyler auch Blasenkatarrh zur Entstehung von Oxalatausscheidung Anlass giebt, so liegt die Ursache hiervon vielleicht darin, dass der Säuregrad des Harns dabei abnimmt und in Folge dessen das Verharren der in demselben vorhandenen fertigen Säure im Zustande der Lösung unmöglich bleibt; möglicherweise entsteht aber auch die Oxalsäure erst in der Blase, und zwar durch Zersetzungsvorgänge innerhalb des in derselben befindlichen Harns (Harnsäure, Allanto'in, oxalursaures Ammoniak — vgl. Cantani 1. c. p. 11). 3. Die vicariirende Oxalurie. Mit diesem Namen bezeichnet man die Oxalsäureausscheidung beim Diabetes mellitus, insofern ihre In tensität in umgekehrtem Verhältnisse zur Intensität der Zuckerabsonderung steht. Offenbar entspricht dieses eigenthümliche Alterniren von Meliturie und Oxalurie der oben angeführten Theorie der Pathogenese der letzteren vollkommen. Es können demnach beim Diabetes die stickstofffreien Sub stanzen auf verschiedene "Weise in den Harn übergehen: unverbrannt als Zucker, unvollkommen oxydirt als Oxalsäure, endlicli vollkommen zerstört