Semiotischer Theil Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse des Harns, sowie zur Beurtheilung der Veränderungen dieses Secrets mit besonderer Rücksicht auf die Zwecke des praktischen Arztes
Harnsäure und harnsaure Salze. — §. 73. 409 So viel über die Theorie der Bildung dieser Sedimente: wenden wir uns nun zu ihrer praktischen Bedeutung. Am häufigsten erscheinen harnsaure Sedimente bei acuten fieberhaften Krankheiten oder bei fieberhaften Exacerbationen chronischer Leiden. Hier sind fast immer mehrere der oben genannten disponirenden Ursachen gleichzeitig vorhanden: Yerminderung des Harnwassers, also der Harn menge, absolute Vermehrung der Harnsäure, stark saurer Harn, reicher Pigmentgehalt desselben. Das Sediment erscheint in diesem Falle meist erst einige Zeit nach der Entleerung des Harns und sein Auftreten wird bedingt theils durch das Erkalten des Harns, theils durch die beginnende Harngährung und Zersetzung der Farbstoffe, an welchen solche Fieberharne sehr reich zu sein pflegen. Das Aussehen solcher Sedimente ist sehr verschieden, sie sind bald lehmfarbig, bald ziegelroth, rosa, zimmtfarbig — unter dem Mikroskop erscheinen sie meist ganz feinkörnig. Manche setzen sich fest an die Wand des Gefässes an (Sedim. lateritium). Sie bestehen in der Kegel aus neutralen oder sauren harnsauren Salzen, deren Basis Natron, Kali oder Ammoniak, seltner Kalk bildet. Ihr einfachstes diagnostisches Merkmal besteht darin, dass der trüb gewordene Harn sich durch Erwärmen auf hellt, nach dem Erkalten je doch wieder trübt. Die Bedeutung derselben beruht darauf, dass sie gewisse den meisten fieberhaften Krankheiten zukommende Veränderungen des Stoffwechsels anzeigen (vermehrte Bildung von Harnsäure und Farbstoff neben ver minderter Wasserausscheidung durch den Harn). Man betrachtet die selben häufig als kritisch. Dies hat bisweilen insoferne einen Sinn, als die Ausleerung einer überschüssigen Harnsäuremenge aus dem Blute ein günstiger Umstand sein kann, während eine Zurückhaltung derselben im Blute üble Folgen nach sich ziehen würde. Oft aber haben sie ent schieden keine kritische Bedeutung, denn man sieht häufig auch nach ihrem Auftreten die Hauptkrankheitserscheinungen noch längere Zeit un geschwächt fortdauern. Bisweilen stellen sich solche Sedimente bei ganz Gesunden ein, wenn die oben erwähnten Bedingungen vorhanden sind; so nach grossen körper lichen Anstrengungen, reichlichen Mahlzeiten, reichlichem Schweiss und desshalb verminderter Harnabsonderung, daher z. B. nach einer durch schwärmten Nacht, einer anstrengenden Fusstour im heissen Sommer. Da solche Sedimente fast immer erst ausserhalb des Körpers ent stehen, so geben sie nur selten Veranlassung zur Bildung von Harncon- cretionen. Die Bestimmungen der Base, an welche die Harnsäure in einem solchen Sediment gebunden ist, d. h. die Entscheidung der Frage, ob ein