Volltext Seite (XML)
534 Quantitative Veränderungen des Urins. §. 95. Nach Kelsch’s Ansicht ist hier wie bei anderen Leberkrankheiten nicht die Bildung des Harnstoffs in der Leber, sondern nur seine Ausscheidung, wegen Degeneration der Nieren-Epithelien, beschränkt (Ctbl. f. klin. Med. 1880. p. 635). Dagegen bieten bei Nachlass des Fiebers alle acuten Infections- Krankheiten, die acuten Exantheme und die fieberhaft verlaufenden Ent zündungen ein Harnbild dar, wie es eben nothwendig ist, wenn die Ver luste, welche die Gewebe durch die Temperatur-Erhöhung erlitten haben, wieder ausgeglichen werden sollen: die Harnstoffausscheidung ist bedeutend herabgesetzt, da ein bedeutenderer Theil des Eiweisses als in der Norm zum Wiederaufbau untergegangener Zellen verwendet wird. Salkowski (Virch. Arch. 88. p. 393 f.) fand bei einem Typhusreconvales- centen höchstens die Hälfte des aufgenommenen Stickstoffes im Harn wieder; schon eine Woche nach dem Temperaturabfall zeigte sich eine geringere Harn stoffausscheidung, welche nach weiteren 8 Tagen viel bedeutender wurde. Wann das Stickstoffgleichgewicht wieder hergestellt ist, wird von dem Grade des Eiweiss zerfalles, von der eingenommenen Nahrung, ihrer Assimilation und Resorption etc. abhängen, mithin in jedem einzelnen Fall sich anders gestalten. 2. Eine sehr bedeutende Verminderung findet sich bei den meisten Erkrankungen der Nieren und der Leber. Da, wie früher erwähnt, die Epithelien der Harnkanälchen den Harnstoff ausscheiden, so ist es schon begreiflich, dass bei den Nierenkrankheiten, welche die Integrität dieser vernichten, die Ausscheidung stockt; dasselbe tritt ein, w T enn die nöthige Quantität Harnwasser zum Fortspülen der festen Bestandtheile fehlt. In diesen Fällen wird der Harnstoff nicht vollständig durch den Harn ent leert, sondern theilw'eise im Körper zurückgehalten oder anomalerweise durch Haut, Sputa und Erbrechen entleert: anomale Funktionen, die der Körper nur übernimmt , um sich der drohenden Gefahr der Uraemie zu entziehen, welche trotz aller entgegenstehender Hypothesen im Wesent lichen doch in der Ueberhäufung der Organe mit Harnstoff und anderen Stoffwechselprodukten ihren Hauptgrund hat. Daher beträgt bei der acuten Nephritis im Anfang, wenn wenig, aber sehr concentrirter Harn abgesondert wird, die Harnstoffmenge selten über 2,5 pCt., später wird bei der reichlicheren Sekretion die Harnstoffausscheidung oft bis auf 1 pCt., selbst bis 0,8 pOt. erniedrigt, während die absolute Menge trotzdem normal, oder selbst übemormal sein kann (Wagner, Ziemss. Handb. IX. 1. 3. Aufl. p. 130). Bei dem chronischen Morbus Brightii läuft die Harnstoffmenge annähernd parallel dem specifischen Gewicht, zeigt jedoch entschieden Neigung zur Verminderung, wiewohl dies Verhalten wegen der Grösse des Stoffwechsels individuell und periodisch grossen Schwankungen unterworfen ist. Allerdings kommen zeitweise auch bedeutende Abnahmen vor. Fleischer (D. Arch. f. klin. Med. 29. p. 170), der umfassende Untersuchungen hierüber anstellte, fand sogar 2,5 Grm. als 24stündige Ausscheidungsgrösse; andererseits fand Tellegen (V.-H. Jber. 1876. II. p. 229 u. 1878. II. p. 223) eine zwei Monate anhaltende Vermehrung bis durchschnittlich 54,67 Grm. Harnstoff neben 4791 Grm. Urinmenge (Durch schnitt von 17 Tagen); dies ist wohl auf eine ausserordentliche Anstrengung der noch funktionirenden Nierenabschnitte, den Körper von den schädlichen Stoffen