Semiotischer Theil Anleitung zur qualitativen und quantitativen Analyse des Harns, sowie zur Beurtheilung der Veränderungen dieses Secrets mit besonderer Rücksicht auf die Zwecke des praktischen Arztes
Harnstoff. — §. 95. 583 Körper durch Wiederabgabe das gestörte Stickstoff-Gleichgewicht wieder herzustellen sucht (Schleich, Arch. f. exp. Path. IV. p. 106). Godlewsky fand ebenso während und nach dem russischen Bad die Stickstoffmenge erhöht, s. Ctb], f. klin. Med. 1883. 15. p. 249. Neuere Untersuchungen von Koch, Ztschr. f. Biol. 19. p. 447, ergeben jedoch bei Temperatursteigerung keine Vermehrung, eher eine geringe Verminderung der Harnstoffmenge. Bei Gebrauch von Schwefelwässern bei Lues scheint nach Giintz , und auch nach Oberländer (Vjschr. f. Derraat. u. Syph. VII. 4. p. 487), eine geringe Harnstoffvermehrung im Urin aufzutreten; ebenso bei Ge brauch alkalischer Brunnen (Coignard, V.-H. Jahresber. 1879. I. p. 485). Bei Gebrauch des Schwalbacher kohlensäurehaltigen Wassers beobachtete Genth (D. med. Wschr. 1883. p. 417) ebenfalls erhöhten Stoffwechsel; die Menge des Harnstoffes stieg und fiel in regelmässigen Perioden, jedoch nie mit bedeutenderen Schwankungen als bei Genuss von Süsswasser. Sofort nach Beendigung des Wassertrinkens fällt die Harnstoffausscheidung unter die Norm, um sich nach einigen Schwankungen rasch bis zu derselben zu erheben. Genth glaubt als Grund für diese Verhältnisse den Eisengehalt des Schwalbacher Wassers annehmen zu dürfen. 5. Bei Einwirkung von comprimirter Luft von 2 Atm.-Druck mehrere Stunden hindurch stieg die Harnstoffausscheidung (Hadra, Ztschr. f. klin. Med. I. p. 109 ff.); H. stellt die Hypothese auf, dass der Sauerstoff durch die Compression Veränderungen erleidet, welche ihm eine stärker oxydirende Wirkung verschafft; dagegen fand A. Fr änkel (Ztschr. f. kl. Med. II. p. 56) bei Hunden unter dem Einfluss com primirter Luft keinen Einfluss auf die Harnstoff-Ausscheidung, bei Luft verdünnung jedoch anfangs eine Zunahme; dies Verhalten erklärt Frankel dadurch, dass durch die verdünnte Luft ein dyspnoetischer Zustand hervorgerufen werde, der sich jedoch in einigen Tagen durch gesteigerte Thätigkeit der Athemmuskeln und consecutive Lungenerweite rung wieder verliere, worauf dann die Harnstoffmenge normal sei. Siegrist’s Versuche (Petersb. med. Wschr. 1880. Nr. 12), nach denen bei Faradisation und Galvanisation der Lebergegend constant Ver mehrung der Harnstoffausscheidung eintreten sollte, wurde von Sänger (Jahrber. d. Thierehem. 1882. p. 193) nicht bestätigt. III. Pathologische Verminderung der Harnstoff - Aus scheidung. 1. Die einzige acute fieberhafte Krankheit, welche mit Harnstoff- Verminderung einhergeht, ist die acute gelbe Leberatrophie, und zwar kann die Verminderung hier soweit gehen, dass gar kein Harn stoff mehr ausgeschieden wird. Dieses Verhalten, welches zuerst von Frerichs unter gleichzeitigem Auftreten von Leucin und Tyrosin im Harn beobachtet wurde, diente ganz besonders als Stütze für die An sicht, dass die Leber als Hauptbildungsstätte des Harnstoffes anzu sehen sei.