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Samenbestandtheile. — §. 84. 453 Wichtiger ist die sogenannte Mictions - beziehentlich Defäcationssper- matorrhoe. Man versteht hierunter Samenabgang, welcher mehr oder weniger regelmässig durch das Uriniren oder den Stuhlgang herbeigeführt wird, nicht also nur zufällig bei einem in sexueller Aufregung befindlichen Individuum nach den betreffenden Verrichtungen zur Beobachtung ge langt. Es kann so fast bei jeder Harnentleerung, manchmal schon bei den ersten, meist aber mit der letzten Hamportion, ferner bei jedem Stuhlgang, selbst bei Diarrhoe (L allem and, 1. c. p. 319), Samenfäden enthaltende Flüssigkeit in die Urethra übertreten und in dem hierauf entleerten Harne nachweisbar sein. Der Samenabgang erfolgt bald bei vorhandener sexueller Aufregung, bald ohne solche; man unterscheidet hiernach eine pollutionistische und eine idiopathische Form der Defäcations- bez. Mictiönsspermatorrlioe; beide Formen können rein Vorkommen, aber auch in einander übergehen. Was die ursächlichen Momente des Samenabganges betrifft, so kommen hier bei zwei Möglichkeiten in Frage: nämlich theils eine krankhaft gesteigerte Reiz barkeit des Apparates, welcher die Fortschaffung des Samens aus den Samenwegen bewirkt, des Ejaculationsapparates, theils eine Mangelhaftigkeit des Mechanismus, welcher denselben normalerweise in den Samenwegen zurückhält. Bekanntlich fehlt den Ductus ejaculatorii ein eigener Sphinkter; ihr Abschluss gegen die Harn röhre ist ein mechanischer, wird aber einigermassen durch die muskulöse Prostata verstärkt. Es wird durch diesen Mechanismus normalerweise beim Geschlechtsakt der Eintritt von Samen in den hinteren Theil der Harnröhre, sowie der gleich zeitige Austritt von Ham aus der Harnblase verhindert (vgl. Curschmann, Zmss. Hdbch. d. Patli. IX. 2. 2. Aufl. p. 484). Bei normaler Turgescenz der Ge webe ist zur Sprengung dieses Elasticitätsverschlusses eine über den normalen Secretionsdruck innerhalb der Samenleiter weit hinausgehende Gewalt nöthig; aktive Bewegungen derselben, Contractionen der Samenbläschen und verschiedener Muskeln liefern beim Coitus den dazu nöthigen Zuwachs an Kraft. Durch — primäre oder secundäre — Erkrankungen des die Mündungen der Ductus ejacu latorii enthaltenden Urethralabschnittes wird nun aber eine Erschlaffung des elastischen Gewebes dieser Gegend (Samenhügel) herbeigeführt und damit zugleich auch wohl eine Erweiterung der Samenleitermündungen bewirkt; unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich, dass geringe Samenmengen auch unter dem ge wöhnlichen Secretionsdrucke öder bei leichtester Pression der Prostata und der Samenblasen beim Stuhlgange in die Harnröhre gelangen und beim Uriniren fort- gesptilt werden. Dies ist die reine idiopathische Form der Mictions- und Defä- cationsspermatorrhoe. Wenn Kocher (Pitha-Billr. Hdbch. d. Chir. 1874. III. 2. Abth. 7. Lief. p. 4?*) 211111 Beweise seiner Ansicht, dass Samen normalerweise unter gewöhnlichem Drucke, also ohne krankhafte Veränderungen an obiger Stelle, in die Harnröhre eintrete, auf Lewin (D. Klin. 1861. p. 317) verweist, welcher Samenfäden am Orificium urethrae öfters bei Leichen von Phthisikern wie von solchen Personen fand, die durch Selbstmord rasch geendet hatten, so ist gegen Heranziehung solcher Fälle mit Recht einzuwenden, dass beim Sterben Verhält nisse in Frage kommen, die beim gesunden Lebenden, speciell beim Akte der Harnentleerung, nicht zutreffen. — Bei der reinen pollutionistischen Form wird dagegen der Samenabgang nur durch das wegen übermässiger Erregbarkeit des Ejaculationsapparates anomalerweise, z. B. durch die Berührung der Harnröhren schleimhaut mit Harn, Inthätigkeittreten dieses Apparates bewirkt; ist gleichzeitig